Читать книгу Hand aufs Herz - Kim Jackson - Страница 6

Klara

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Ich bin mir noch immer nicht ganz sicher, ob das jetzt eine gute Idee gewesen ist, beim Kochen zu helfen. Dieser Rune ist ein ziemlicher Charakter. Und diese grünen Augen, verdammt noch mal. Sie brodeln beinahe, wenn unsere Blicke sich treffen. Er ist das, was man einen echten Kerl nennt, und diese Information ist auch meinem Höschen nicht entgangen. Huiuiui.

Küche und Wohnzimmer, oder wie auch immer sich diese Konstellation nennt, sind ein großer Aufenthaltsraum. Und der ist riesig, aber das muss er ja auch sein, schließlich hocken hier jeden Tag ein ganzer Haufen Menschen zusammen. Am anderen Ende befinden sich zusätzlich fünf Zimmer. Dort kann man sich bei Bedarf zurückziehen, ein Nickerchen machen oder sogar nachts schlafen. Ich bin schon öfter hier gewesen. Nicht um zu kochen, wie heute, sondern um mich mit meinem Bruder Tobias zu treffen. Er ist 29 und arbeitet hauptberuflich als Feuerwehrmann. Und hauptberuflich in seinem Fall heißt viel zu viel. Wenn ich ihn sehen und Zeit mit ihm verbringen will, muss ich herkommen.

Ich hasse Silvester. An Silvester gibt es die meisten Einsätze. Die Leute sind besoffen und übermütig. Oder Demos. Manchmal steigt ihnen die Stimmung zu Kopf, den Demonstranten, dann attackieren sie Tobi und seine Kollegen, während sie versuchen, brennende Autos und dergleichen zu löschen. Es passiert nicht selten, dass ich ihm eine SMS schicke, ob er okay sei. Und er antwortet immer, sobald er kann.

„So macht man das!", jubelt Malthe, der gerade beim Tischkickern ein Tor geschossen hat. Tobi knurrt irgendwas als Verteidigung, und schon geht es weiter.

Während ich das Essen vorbereite, schaue ich mich lächelnd im Raum um. Von hier aus habe ich einen guten Überblick. Auch Rune kann ich sehen. Gerade fläzt er auf dem Sofa und tut so, als sei er der einzige Mensch auf der Welt. Er trägt ein T-Shirt mit tiefem V-Ausschnitt und eine schwarze Adidas-Jogginghose. Er ist als Einziger barfuß. Und sogar seine nackten Füße sehen muskulös aus. Es ist unmöglich, seine Laune zu deuten. Sein Lächeln ist unglaublich anziehend und charmant, und ich glaube sogar, dass er vorhin ein bisschen mit mir geflirtet hat. Aber dann schien sich seine Stimmung um 180 Grad zu drehen, und jetzt erinnert er eher an einen grummeligen alten Typen als einen sexy Feuerwehrmann. Fast so, als wolle er die Tatsache überspielen, dass er sich dafür schämt, mit mir geflirtet zu haben.

Alles in allem scheint er mir einer zu sein, von dem ich mich fernhalten sollte. Der hat sicher ein Talent dafür, junge Frauenherzen zu brechen. Und eine Tochter von zehn Jahren. Ich bin viel zu jung, um mit einem auszugehen, der schon ein Kind in dem Alter hat.

Ich schüttele den Kopf, ein wenig ungläubig über meine eigenen Gedanken. Typisch ich, mich schon so weit in die Zukunft zu träumen. Der Mann hat mich schließlich nur ein paar Mal kurz angelächelt ... und meinen Körper zum Schmelzen gebracht, als er mich vor der Toilettentür kurzerhand vom Boden hochhob. Aber das war ja auch nur, um die etwas unangenehme Situation aufzulösen. Naja, und dann war da ja eben auch diese blöde Bemerkung, dass er mich nicht als vollwertige Erwachsene sieht.

Nur um sicherzustellen, dass der verträumte Teil von mir versteht, wie wichtig es ist, dass ich nichts überanalysiere oder vorschnelle Schlüsse ziehe, nehme ich den kleinen Freigeist innerlich kurz zur Seite und mache ihm klar, dass wir keinesfalls jetzt damit anfangen, unsere eigenen Prinzipien zu verraten, ist das klar? Man weiß ja schließlich nie, wozu dieser Teil von mir fähig ist.

Ich halte Ausschau nach Luna und entdecke sie am Tischkicker, umgeben von grölenden Männern. Sie scheint sich wacker zu schlagen.

Also gut, zurück zu den Karotten. Ich habe das Menü ein wenig geändert – statt Steak, Kartoffeln und Sauce bekommebekommt die Mannschaft heute einen mexikanischen Auflauf. Mit leicht abgewandeltem Rezept.

Meine Augen scheinen gerade einen eigenen freien Willen zu entwickeln, denn sie schielen immer wieder verstohlen in Richtung Sofaecke. Und zu dem Mann, der dort liegt. Beziehungsweise lag. Er hat sich aufgesetzt, sodass er jetzt mich im Blick hat. Die Küche, meine ich natürlich. Dass er die Küche gut im Blick hat. Auf dem muskulösen Oberschenkel balanciert eine neben ihm winzig aussehende Fernbedienung. Die langen Arme liegen links und rechts auf der Rückenlehne. Fast tut es mir ein wenig im Herzen weh, ihn anzusehen, so heiß ist er. Der Fernseher ist an und sein Gesicht ist ihm halb zugewendet, aber ich bin nicht blind, ich sehe sehr wohl, dass sein Blick immer wieder abschweift, immer wieder auf mir landet. Nein, nein, nein, auf der Küche. Er schaut immer wieder in die Küche.

Ich drehe mich weg, um mich nicht weiter ablenken zu lassen. Zum Glück bin ich fertig mit dem Gemüseschneiden. Die Zwiebeln sind angeschwitzt, das Fleisch gebräunt ... jetzt muss das Ganze nur noch in den Ofen. Der ist schon vorgewärmt, und ein Teil des Gerichts ist schon drin.

Silas, Malthe, Bo und Tobi spielen noch immer Tischkicker. Zwei andere Kollegen, an deren Namen ich mich nicht erinnern kann, sitzen in einer anderen Ecke und zocken auf der Playstation. Und Luna hat einen Sessel gefunden, in dem sie versunken und jetzt ganz in ihr Handy vertieft ist. Das Ganze ergibt eine Kakophonie aus lauten Geräuschen, nur in Runes Ecke ist es still. Ja, an seinen Namen kann ich mich natürlich erinnern, obwohl er der Neueste in der Runde ist. Es ist fast zum verrückt werden mit dem Lärm, ich kann mich kaum konzentrieren. Ich sehe mich verloren um, öffne Schranktüren und Schubladen, während mein Kopf sich mit dem Lärm der Jungs und ihren Spielzeugen füllt.

Ein paar Topflappen werden mir vor die Nase gehalten. Lächelnd nehme ich sie, sehe auf, und da steht er. Er, den ich nicht als „Jungen" bezeichnen würde, sondern als Mann. Ganz klar als Mann.

„Danke!", piepse ich, während mir diese verdammte Hitze schon wieder ins Gesicht steigt.

Sein Lächeln ist nicht das Größte, und trotzdem verändert es seinen gesamten Gesichtsausdruck. Die grünen Augen strahlen anders, wie wenn er einfach nur schlecht gelaunt aus der Wäsche schaut, wie eben, und der Anblick seiner kurzen, strubbeligen, dunklen Haare lässt meine Finger kribbeln, weil ich plötzlich eine unbändige Lust bekomme, damit durch seine dichte Mähne zu fahren. Ich bin mir sicher, dass er sich erst vor kurzem rasiert hat, und trotzdem erahnt man den dunklen Schatten der Stoppeln auf seinem scharfkantigen Kinn, denn er ist ebenso dunkel wie sein Haar.

Ich reiße mich mit aller Macht los, schäme mich ein wenig darüber, wie offensichtlich benommen ich bin, und öffne die Ofenklappe, um das Blech mitsamt Topf herauszunehmen. Rune beobachtet jede meiner Bewegungen, während ich die Zutaten in den Topf gebe und ihn wieder in den Ofen bugsiere. Er macht mich fast ein bisschen nervös, so groß ist er. Er beugt sich über mich, um das Essen zu sehen, während ich es zurück in die Wärme schiebe und die Luke schließe.

Er atmet tief ein und seufzt selig. „Wann darf man denn probieren?"

Na, er scheint auf jeden Fall nicht mehr schlecht gelaunt zu sein, aber naja. Männer und Essen halt.

Ich lege die Topflappen auf die Küchenplatte. „In einer halben Stunde."

Er bleibt stehen, wo er war, halb über mich gebeugt, und schaut mich mit einem fast jungenhaften Gesichtsausdruck an. Hm, vielleicht war ich zu vorschnell mit meinem Urteil? Vielleicht ist er doch eher ein Junge als ein Mann?

„Heißt das, bei dir gibt's nichts zu Naschen?"

Verdammt noch mal, Kopfkino, nicht jetzt! Ich bin mir ziemlich sicher, dass er das gar nicht so meint, wie mein schmutziges Gehirn es gehört hat.

„Erst muss das Essen ja fertig sein."

Langsam richtet er sich auf, sodass er noch viel größer und breiter wirkt, so wie vorhin, vor der Toilettentür.

„Naja, aber es schmeckt doch sicher schon jetzt, auch wenn es noch nicht ganz fertig ist, oder?"

Die blöden, grünen Augen funkeln jetzt noch mehr, weil sein Lächeln breiter geworden ist.

Er spricht in Rätseln, und nur, um ihm zu beweisen, dass ich keine Angst vor einem harmlosen Flirt habe, tue ich es ihm gleich: „Na klar, schmecken tut's, aber auf echte Qualität muss man eben manchmal ein bisschen warten ..."

„Qualität ...", wiederholt er aufgesetzt nachdenklich und grinst mich vielsagend an.

„Qualität", sage ich, presse die Lippen aufeinander und lasse die Augenbrauen hochschnellen, um die Röte daran zu hindern, auch den Rest meines Gesichts einzunehmen. Aber zu spät. Was sind das eigentlich für Wörter, die wir wählen?

Sein Blick fällt erneut aufs Essen, dann stellt er sich mit dem Rücken vor die Schubladen. Die großen Hände pflanzt er auf die Küchenplatte, hebt sich an und setzt sich auf die Platte. „Kann ich irgendwie helfen? Kochen war ja schließlich meine Aufgabe heute."

Ich schüttele den Kopf. In einem verzweifelten Versuch, so schnell wie möglich hinter mir aufzuräumen, damit ich von hier wegkann, kippe ich die Kanne mit dem Wasser um.

„Scheiße!"

Er bleibt sitzen, obwohl das Wasser seinem durchtrainierten Hintern gefährlich nahekommt. Pfff, durchtrainiert. Kann ich ja gar nicht wissen. Aber das enganliegende T-Shirt lässt Vermutungen zu. Der Mann ist offensichtlich top in Form. Verdammt ist das nervig, wie heiß er ist. Wie soll man sich da konzentrieren?

Der Lappen liegt in der Spüle und ist saumäßig schmutzig. Ich schaue mich suchend nach der Küchenrolle um. Obwohl ich mit Sicherheit weiß, dass sie eben noch da war, ist sie jetzt weg. Aufgebend schaue ich auf die nasse Tischplatte, und siehe da, Rune ist schon dabei, sie trocken zu wischen. Die Küchenrolle liegt in seinem Schoß, er reicht mir das nasse Papier, damit ich es wegwerfe.

„Vielleicht sollte ich doch ein bisschen helfen?"

Ich schüttele erneut den Kopf, dieses Mal ein wenig ungehalten, aber das bezieht sich ausschließlich auf mich und meine schulmädchenhafte Nervosität in seiner Gegenwart. Obwohl alle uns sehen können, habe ich das Gefühl, es seien nur wir zwei, als seien wir ganz allein, und das kleine Stück Fußboden zwischen uns schrumpfe unhaltbar zu nichts zusammen.

„Sicher?"

„Na, du hast dich ja gerade hingesetzt, das passt schon ...", murmele ich mit einem angestrengten Lächeln. Würdest du bitte, bitte zurück in dein Zimmer gehen, damit du mich nicht weiter ablenkst?!, schreie ich ihn in Gedanken an.

Er erschreckt mich, als er mit einem Satz direkt neben mich springt. Wie jemand, der so groß ist, das schafft, ist mir schleierhaft, aber er hat sich im Sprung umgedreht, sodass wir jetzt Schulter an Schulter stehen. Oder sagen wir besser nebeneinander. Seine Schulter schwebt weit über meiner.

„Du spülst, ich räume die Maschine ein!"

Er versetzt mir einen leichten Knuff, sodass sein Oberarm meine Schulter berührt. Ich trage nur ein Top mit Spaghettiträgern und bereue nun, dass ich die Jeansjacke vor dem Kochen ausgezogen hatte, denn meine Haut reagiert extrem sensibel auf seine Berührung. Er streift mich nur, aber die Nervenenden explodieren vor Wollust, und es fühlt sich an wie eine zärtliche Berührung.

Feuer, Feuer!, schreit der kleine Freigeist in mir und ich muss ihm zustimmen: Angesichts der explosionsartigen Gefühlsregungen in mir ist das keine Übertreibung. Außerdem wird mir gerade fürchterlich heiß, wo er so nah neben mir steht. Meine Hände zittern ganz leicht und mein Herz beginnt zu galoppieren.

„Alles okay?", schmunzelt er. Aber natürlich reicht es nicht, mich einfach nur zu fragen, ob ich okay bin. Nein, er muss mich unbedingt schon wieder anstupsen. Und dann lehnt er sich auch noch zu mir herab, sodass der wohlgeformte Mund gefährlich nahe an meinem Ohr schwebt: „Zu laut hier?"

Ich weigere mich, ihn anzusehen, und antworte nur mit einem kurzen Nicken. Einem steifen Nicken.

Und verdammt noch mal, er macht's schon wieder. Ich bekomme eine Gänsehaut, und als er mich ein drittes Mal anstupst, muss ich tief Luft holen.

„Weißt du, manchmal", setzt er an und beugt sich wieder zu mir herab, sodass er mir ins Ohr flüstern kann, „manchmal will ich sie alle in ein Zimmer einschließen, damit ich das alles für mich habe ..."

Erst, als er sich wieder aufrichtet, finde ich den Mut ihm zu antworten: „Dadurch würden sie bestimmt auch nicht weniger Lärm machen."

Er schaut mich an. Ich spüre es, dafür brauche ich nicht zu ihm aufzusehen.

„Da hast du auch wieder recht!", lacht er. „Was machen wir bloß mit ihnen?"

Jetzt muss ich ihn doch ansehen.

Wir?"

Sein Lächeln ist verdammt heiß, als er nickt. „Wir sind doch die einzigen Erwachsenen hier, es ist unser Job, dass sie still sind. Wir wissen, dass sie die Klappe halten, wenn sie essen. Aber was machen wir bis dahin? Vielleicht können wir sie dazu verdonnern, den Einsatzwagen zu waschen?"

Ich drehe mich halb zu ihm um, und nach einer Weile zieht er die Augenbrauen hoch und wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich lache überrascht. „Nein, ganz ehrlich, tut mir leid, dass ich dastehe wie eine Kuh vor einem roten Tor, aber für dein Alter benimmst du dich echt ..."

Runes schallendes Lachen übertönt meine Worte. Sogar die Anderen halten inne, um zu sehen, warum er kurz davor ist, sich vor Lachen auf den Boden zu schmeißen.

„Vor einem roten Tor!", keucht er. „Wie eine Kuh ... vor einem roten Tor ..."

Er ist völlig fertig vor Lachen.

„Ja!", erwidere ich, ein wenig pikiert darüber, dass er sich über mich lustig macht. „Hast du das etwa noch nie gehört? Das sollte man eigentlich meinen, in deinem Alter ..."

Mist, das war jetzt doch ein wenig unter der Gürtellinie. Aber er hat mich schließlich auch als Kind bezeichnet, vorhin vor meinem Bruder. Und ich bin kein Kind!

Er verstummt. Langsam dreht er sich zu mir um. Hastig drehe ich mich wieder zur Spüle und bete, dass ich den aufziehenden Sturm überlebe. Aber er steht nur da und glotzt mich an, viel zu lange. Zum Schluss kann ich mich nicht mehr zurückhalten und drehe mich zu ihm um, die Arme vor der Brust verschränkt.

„Was?!"

Vielleicht gehe ich jetzt ein wenig zu sehr in die Offensive, aber das tue ich immer, wenn ich mich in unangenehmen Situationen befinde.

Er ist vollkommen verändert. Wie vorhin in der Halle, als sich unsere Blicke kreuzten. Die grünen Augen funkeln noch immer, aber anders. Als seien dunkle Wolken über ihm aufgezogen. Er sieht nicht aus, als sei er wütend über meinen Kommentar, nein, er sieht aus, als wolle er ... ja, als wolle er mich küssen.

Nein, dieses Mal bilde ich mir nichts ein. Langsam, ganz langsam, habe ich das Gefühl, wird der Abstand zwischen uns kürzer. Ich kann seinen Geruch identifizieren. Eine männliche Moschusnote, gemischt mit frischem Aftershave, das meine Gedanken auf schneebedeckte Bergzinnen lenkt. Nur kalt ist es hier nicht. Hier ist die Luft stickig. Warm. Viel zu heiß.

Plötzlich richtet er sich auf – oder hat er in Wirklichkeit die ganze Zeit so dagestanden? Er blinzelt mehrmals, als sei er aus einem Zustand der Hypnose erwacht. „Schaffst du den Rest allein?", fragt er mit heiserer Stimme.

Was? Was ist denn los mit ihm? Jetzt wirkt er schon wieder, als sei ihm jemand auf den Schlips getreten.

Es mag sein, dass Andere in ihm einen hühnenhaften, gefährlichen Muskelprotz sehen, bei seiner Größe und Statur, aber ich werde bestimmt nicht den Schwanz einziehen. Also erwidere ich kühl: „Nein, ich fürchte, das schaffe ich nicht. Du hast deine Hilfe angeboten, also hilf."

Er lächelt nicht. Er verzieht keine Miene. „Was soll ich machen?" Er kann mich nicht mal mehr ansehen.

„Deck den Tisch!", sage ich spitz und drehe mich wieder zur Spüle um.

Mehrmals stoßen wir fast zusammen, weil wir beide so schnell wie möglich arbeiten. Ich weiß nicht, warum er es so eilig hat, aber ich will das Ganze einfach nur überstanden haben, sodass ich ihn nicht mehr um mich haben muss. Bin ich wütend auf ihn? Ja! Oder ... Nein, eigentlich wohl nicht. Ich finde ihn einfach unwiderstehlich, und das ist ja das Problem. Er ist zu alt für mich, und ich brauch keine unnötigen Komplikationen in meinem Leben.

Es wird ein spätes Abendessen. Es ist kurz nach neun, ehe wir uns an den Tisch setzen, aber wir mussten ja auch erst einkaufen, denn weder Luna noch ich hatten Lust auf das, was auf dem Plan stand. Der Tisch ist gedeckt und wir müssen nur noch die Küche aufräumen, bevor wir essen können. Rune und ich treten zeitgleich an die Spüle heran, aber während ich mich bücke, um die Luke zu öffnen, hinter der sich der Mülleimer verbirgt, dreht er das Wasser auf. Ich schreie erschrocken auf, als mich der eiskalte Wasserstrahl auf Kopf und Rücken trifft.

Ich springe zurück und schnappe nach Luft. „Was soll das? Warum musstest du denn so doll aufdrehen?"

Er hat den Hahn schon wieder zugedreht und hustet eine Entschuldigung hinter vorgehaltener Hand, während ich noch immer erschrocken zurückweiche. Aber das Grinsen, das er zu verbergen versucht, entgeht mir nicht.

„Also entschuldigen geht anders – so leicht kommst du nicht davon!", rufe ich und stürze mich auf den Wasserhahn, als er sich schon schulterzuckend wegdrehen will. Ich reiße ihm den Spülschlauch aus der Hand und halte ihn in seine Richtung, während ich mit der anderen Hand den Hahn ganz aufdrehe.

Er erstarrt. Er sucht keine Deckung, steht einfach nur da wie eine Salzsäule, und sofort bereue ich meinen Racheimpuls. Ich hatte erwartet, dass er flüchten würde, aber stattdessen ist er jetzt völlig durchnässt. Beschämt drehe ich das kalte Wasser ab, und erst jetzt dreht er sich langsam um. Mich hat es nur am Hinterkopf und am oberen Rücken erwischt, aber Rune? Der ist nass bis auf die Knochen. Seine Klamotten sind komplett durchnässt. Komplett! Sein T-Shirt klebt am breiten Brustkorb, sogar die getrimmten Bauchmuskeln treten unter dem nassen Stoff deutlich hervor.

Er ist wirklich zum Vernaschen. Oder zum Ablecken.

Schon öffne ich den Mund, um mich zu entschuldigen, kann mich aber im letzten Moment noch zurückhalten. Stattdessen schaue ich ihn weiter mit blitzenden Augen an – also, nachdem ich meinen Blick von seinem gemeißelten Oberkörper abwenden kann – und verschränke die Arme wieder vor der Brust, um mich vor seiner Rache zu schützen. Mein tropfender Pony fällt mir in die Augen. In einem Versuch, ihn würdevoll weiter anstarren zu können, puste ich ihn weg. Aber natürlich gelingt es nicht, das Haar ist ja pitschnass. Verdammt noch mal.

Zuerst sieht er genau so wütend aus wie ich, aber dann passiert es. Sein Gesicht explodiert in ein breites Grinsen, und dann geht er vor Lachen in die Knie. Ich gebe mir alle Mühe, mich an meiner Wut festzuklammern, aber er ist so heiß und so nass und sein Lachen so heiser und charmant, und so zerbröckelt meine zornige Fassade innerhalb von Sekunden. Ich lache nicht so laut wie er, aber meine Bauchmuskeln fangen an, sich zu verkrampfen, ehe wir beide wieder ernst werden.

Und wer macht alles kaputt? Rune natürlich. „Hier, lass mich dir helfen!", gluckst er und tritt auf mich zu, während er eine Hand nach meinem Gesicht ausstreckt. Sanft streicht er die nassen Strähnen zur Seite. Wir verstummen fast gleichzeitig.

Als er mich berührt, verschwindet die Feuerwehrwache um uns herum. Plötzlich sind wir ganz allein. Seine Finger auf meiner Haut sind heiß, obwohl ich ihn eben noch mit eiskaltem Wasser abgespritzt hatte. Seine Augen, die unentwegt zwischen meinen und meinem Mund hin- und herspringen, sind tiefgrün. Und sie lodern. Eine Glut, oder auch eine Flamme, brennt in ihnen. Seine Lippen sind nicht sehr voll, aber schön geformt, und sie passen perfekt in sein Gesicht, laden zum Küssen ein. Zu einem innigen, langen Kuss, der sich ganz schnell zu etwas ganz anderem entwickeln kann. Zu wildem Sex, wenn ich so direkt sein darf.

„Was zur Hölle macht ihr da?!", brüllt mein Bruder dazwischen, sodass ich zusammenzucke und schnell wegschaue. Überall hin nur nicht zu meinem Bruder oder zu Rune. Okay, wir waren also doch nicht allein, da steht es, das verblüffte Publikum, und ich schaue am besten einfach auf den unvoreingenommenen Boden.

„Entspann dich doch mal, Mann ...", schnaubt Rune. Er wirft die Hände über den Kopf. „Wir hatten ein kleines Missverständnis bezüglich der Aufgabenverteilung. Ich dachte, sie braucht eine kleine Abkühlung, und der Schlauch war einfach ein bisschen zu viel für sie, als sie die Wasserkanne auffüllen wollte." Die grünen Augen blitzen zu mir hinüber. Sie funkeln schelmisch. „Stimmt doch, oder, Prinzessin?"

Meine Kinnlade fällt herunter. „Prinzessin?!"

Er zieht eine entschuldigende Grimasse, zuckt mit den Schultern und weicht vor mir und meinem Bruder zurück. Dann grinst er breit und ruft, ein wenig zu laut, denn alle stehen ja schon da und glotzen: „Essen ist fertig!"

Mein Rock ist verschont geblieben, aber ein T-Shirt muss ich mir von Tobi leihen, das mir natürlich etliche Nummern zu groß ist. Und weil mein BH auch klitschnass geworden ist, muss ich auch den ausziehen. Ich gehe nie ohne BH aus dem Haus. Meine Brustwarzen sind leider Gottes so gemacht, dass sie hervorstehen, egal ob mir kalt oder warm ist. Meine beste Freundin Luna sagt, ich solle sie feiern. Sie behauptet, dass andere Mädchen sich in die Nippel kneifen, damit sie sichtbarer sind. Ich habe keinen blassen Schimmer, ob das stimmt oder ob sie sich das nur ausgedacht hat, um mein Selbstvertrauen zu stärken. Ich habe nämlich kein Talent für Männer und Sex. Doch, einen Freund oder zwei hatte ich schon, aber die große Liebe ist es nie gewesen. Weder für mich noch für die. Ich habe die Theorie, dass mein Sexradar kaputt ist. Also der, der mir sagt, ob die Kerle es ernst meinen oder einfach nur eine schnelle Nummer schieben wollen. Immer, wenn ich nachgebe und doch mit ihnen Sex habe, sind sie kurz darauf verschwunden. Nicht, dass ich besonders wild im Bett bin, aber ganz ehrlich, das sind die wenigsten, mit denen ich es versucht habe.

„Klara, es schmeckt echt fantastisch!", lobt mich Elias mit vollem Mund. „Wenn ich genug vom wilden Singleleben habe, mach ich dich zu meiner Frau. Ehrenwort."

Ich lächle schüchtern, denn Elias ist tatsächlich einer der besser aussehenden Kollegen von Tobi. Er hat blondes Haar, aber seine Augenbrauen tanzen aus der Reihe und sind ein wenig dunkler. Die Augen sind korallenblau. Er ist hochgewachsen und durchtrainiert. Nicht ganz so muskulös wie Rune, aber heiß genug, dass man sich nicht dafür schämen muss, ihm auf der Straße hinterherzuschauen. Er ist 27, hat Tobi erzählt, und ein richtiger Schürzenjäger. Er hatte noch nie eine Freundin, die ihn so richtig umgehauen hat. Er ist immer derjenige, der Herzen bricht und Tränen zum Laufen bringt, denn immer dann, wenn er das von den Mädels bekommen hat, was er wollte, entlässt er sie wieder in die Freiheit. Ein richtiger Arsch eigentlich. Aber ein bisschen Flirten tut ja keinem weh, oder?

Ich habe mich am anderen Ende des Tisches niedergelassen, so weit weg von Rune wie nur möglich. Neben ihm wäre auch ein freier Platz gewesen, aber nein danke. Er hat auch genug damit zu tun, mit Luna zu flirten, die ihrerseits das schwere Geschütz aufgefahren hat. Meine Laune ist mit einem Mal wesentlich schlechter, und ein wenig beleidigt stehe ich auf und gehe mit meinem leeren Teller zu dem kleinen Tisch, auf dem wir das Essen angerichtet haben. Nur weil er zu alt für mich ist, heißt das ja nicht, dass sie sich gleich auf ihn stürzen muss. Und warum lächelt er sie die ganze Zeit so dämlich an? Sie ist schließlich genau so jung wie ich. Genauso ein Kind wie ich.

„Reichst du mir das Brot?", ruft mir jemand zu, und ich schaue über die Schulter, um zu sehen, wer es gewesen ist.

Mein Bauch zieht sich vor Schreck zusammen, denn Rune steht hinter mir und fragt Elias: „Hell oder Vollkorn?"

Verdattert trete ich zur Seite, um ihm Platz zu machen, und lege klirrend den Deckel zurück auf den Topf.

„Es sieht wirklich lecker aus!", murmelt er mir zu.

Die kleinen Härchen auf meinen Armen stellen sich auf, und ein wohliger Schauer läuft mir den Rücken hinab. Und das nur von seiner Stimme ...

„Danke!", quieke ich atemlos und gehe zurück zu meinem Platz.

Er ist direkt hinter mir. Seine geflüsterten Worte gleiten über meine Haut wie streichelnde Hände: „Und du auch in dem T-Shirt ..."

Mein Herz rutscht mir in die Hose und meine Wangen brennen, als ich überrascht zu ihm aufsehe. Er flirtet mit mir! Dieses Mal habe ich mir das wirklich nicht eingebildet!

Ein gluckerndes Lachen begleitet ihn bis zu seinem Platz.

Erst als er sich hingesetzt hat, bemerke ich Tobis prüfenden Blick. Ich stelle den Teller vor mir auf den Tisch und begehe den Fehler, zu Rune hinüberzuschauen. Er setzt sich. Sein Blick ist weder auf seinen Teller noch auf meine Freundin gerichtet. Sondern direkt auf meine Brüste.

Erschrocken ziehe ich das T-Shirt nach vorne, um meine Brüste zu kaschieren, und stürze mich auf mein Essen. Ich schaffe nur einen kleinen Bissen, ehe die Sirene geht. Sie ist nicht so fürchterlich laut, aber ich zucke trotzdem zusammen, als sich die ganze Mannschaft wie ein Mann erhebt und in die Fahrzeughalle rennt. Luna sieht ebenso bestürzt aus wie ich, als sich unsere Blicke über den Tisch hinweg treffen. Das ist das erste Mal, dass uns der Alarm beim Essen unterbricht, und so wirkt die Situation irgendwie dramatischer als sonst. Und obwohl die Männer wie ein riesiges Chaos an herumrennenden Körpern wirken, dauert es doch nur wenige Augenblicke, ehe sie alle fertig angezogen bei den Wagen stehen. Als wüsste jeder einzelne, wo sein Platz ist, und wo die Plätze der Anderen sind, und so gleiten sie routiniert aneinander vorbei, bis jeder seine Position innehat. Ein beeindruckendes Schauspiel.

Ich starre die Gedecke auf dem Tisch an. Nicht ein einziges Glas ist umgestoßen worden, trotz der augenblicklichen Reaktion der Männer. Die Motoren der Einsatzwagen starten brüllend, Türen werden zugeschlagen, das Martinshorn heult auf. Ich zucke schon wieder auf meinem Stuhl zusammen, aber Luna hat sich schon wieder erholt. Ihr Lächeln trifft mich mitten ins Gesicht und so kann auch ich meine Reaktion nicht länger zurückhalten: Ich kichere wie ein Schulmädchen.

Verdammt noch mal, ging das schnell!

Hand aufs Herz

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