Читать книгу Der Prinz ist tot - Skandinavien-Krimi - Kirsten Holst - Страница 4
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ОглавлениеEs waren die Hunde, die eine erste leise Ahnung in ihm aufkommen ließen, dass etwas nicht in Ordnung war.
Die Hunde!
Warum um alles in der Welt schlugen die verdammten Köter nicht an? Gewöhnlich hörte er sie schon bellen, wenn das Gittertor in der äußeren Umzäunung aufging und er auf die alte Scheune Zufuhr, die als Garage diente.
Aber heute Abend – kein Laut.
Er hatte das Auto abgestellt und war ausgestiegen, die Tür war hinter ihm zugefallen und er hatte schon mehrere Schritte gemacht, bevor ihm klar wurde, dass etwas absolut nicht in Ordnung war.
Die Hunde! Jetzt hätten sie sich heulend und winselnd gegen den Maschendraht des inneren Zauns werfen müssen. Seltsam, wie man sich so sehr an etwas gewöhnen konnte, dass es einige Sekunden brauchte, bevor man registrierte, dass es nicht da war.
Wo waren die verdammten Köter? Sie mussten das Auto gehört, seine Schritte auf dem Kies erkannt haben, seinen Geruch.
Hatte er vergessen, sie herauszulassen, bevor er gefahren war?
Was für eine idiotische Frage. Sie waren draußen. Sie waren immer draußen. Jedenfalls die beiden Pitbulls. Das waren Wachhunde, keine Schoßhunde. Nur Tjekka, die Schäferhündin, durfte manchmal ins Haus, aber nur wenn er selbst da war. Hunde mussten wissen, wer der Herr im Haus war.
Er blieb ein paar Schritte von dem Tor entfernt stehen. Lauschte. Strengte sein Gehör bis zum Äußersten an, doch da war nichts als die üblichen Nachtlaute. Das leise Rauschen des Windes in dem trockenen Gras, das ferne Brummen der Autos auf der einige Kilometer entfernten Autobahn. Sein eigener Atem. Sonst war alles still.
Er machte einen Schritt und fand sich plötzlich zu laut, erschreckend laut. Oder war da noch etwas anderes? Ein anderes Geräusch?
Wieder blieb er stehen. Sah sich um.
Licht war ausreichend vorhanden. An dem Zaun entlang standen Lampen, alle fünfzehn Meter eine. Die verlassene Häuslerstätte war ihre Festung gewesen, mit Wachtürmen, Zäunen, Hunden und Lampen. Er hatte Hunde, Zäune und die Beleuchtung behalten, obwohl er jetzt allein hier lebte. Meistens jedenfalls. Manchmal wohnte ein Mädchen für einige Wochen bei ihm, doch die Mädchen waren es schnell müde, hier draußen in der Pampa zu hausen und nichts zu tun zu haben, außer seine Sachen zu waschen, für ihn zu kochen und Videos anzuschauen. Sie wurden der Hunde und der Lampen und der Einsamkeit überdrüssig.
Der Gedanke, dass sie vielleicht auch seiner müde wurden, streifte ihn nicht einmal.
Eine von ihnen hatte ihm erzählt, dass in der Nachbarschaft das Gerücht umging, er habe Angst vor Gespenstern. Dass er deshalb die vielen Lampen habe. Sobald es dämmerte, gingen sie automatisch an.
Angst! Er hatte nur gelacht.
Er hatte vor nichts Angst. Hatte nie Angst gehabt.
Sie hatte ihn angesehen und gedacht, dass das stimmen konnte. Er hatte zu wenig Fantasie, um Angst zu haben. Er lebte in einem verkrüppelten Jungentraum, einer Mischung aus Western- und Ritterromantik, den andere sich ausgedacht hatten, und war naiv genug zu glauben, dass das das wirkliche Leben war.
Natürlich hatte er keine Angst. Er hatte die Beleuchtung und alles andere behalten, weil er die Sicherheit schätzte. Ihn sollte keiner überraschen. In seiner Branche konnte man nie sicher sein.
Er hatte auch jetzt keine Angst. War lediglich auf der Hut. Weil etwas nicht war, wie es sein sollte. Weil die verdammten Köter noch nicht einmal gebellt hatten.
Er öffnete das Schloss in dem Drahtzaun und tastete nach dem Schalter, um die Alarmanlage auszuschalten, während er sich hineinzwängte. Dann erstarrte er, die Finger auf dem Schalter. Die Alarmanlage war ausgeschaltet.
Er drückte den Schalter noch einmal. An? Aus? An? Aus? An ... oder aus? Er fluchte und schaltete die Alarmanlage wieder an, als er drinnen war. An? Ja, er war sich sicher, dass sie eingeschaltet war.
Seine Gedanken schienen nur träge durch sein Hirn zu fließen. War die Alarmanlage ausgeschaltet gewesen? Oder hatte er sich das eingebildet? Er wusste es nicht mehr.
Aber die Hunde. Wo waren die Hunde?
Im selben Moment entdeckte er den ersten. Er lag zwischen Haus und Zaun. Zuerst hielt er ihn für einen alten Sack, doch das war kein Sack. Das war Tjekka. Die Schäferhündin. Die älteste von ihnen. Seine Hündin.
Er beugte sich über sie. Tastete nach der Halsschlagader. Sie war tot. Wurde schon langsam steif.
Er richtete sich wieder auf. Er wusste, dass die beiden anderen auch tot waren. Und jetzt spürte er, wie die Angst ihn überrollte. Seine Nackenhaare sträubten sich, der Schweiß schoss ihm aus allen Poren und die Beine fühlten sich an wie Pfosten, die tief in die Erde gerammt waren. Irgendwo hier in der Nacht wartete jemand auf ihn. Behielt ihn im Auge.
Er wusste, dass er etwas tun musste, doch er konnte die Beine nicht bewegen. Hatte auch keine Ahnung, was er tun sollte. Wohin er flüchten sollte. Wo war er, der Feind? Der unsichtbare Feind, der ihm hier im Halbdunkel auflauerte. Er nestelte an dem Reißverschluss seiner Jacke herum, zog ihn herunter und steckte unendlich langsam und vorsichtig die Hand hinein, um nach der Pistole zu greifen.
Mit der Waffe in der Hand blieb er stehen.
Er fühlte sich gleich ein wenig sicherer. Das erste lähmende Entsetzen verflüchtigte sich. Auf seltsame Weise war er aufgedreht. Das war das Adrenalin, das sein Herz schneller schlagen und seinen Mund trocken werden ließ. Aber er konnte verdammt nochmal nicht die ganze Nacht hier stehen bleiben. Er wusste genau, wer in der Dunkelheit außerhalb der Lichtkreise auf ihn wartete.
Die Angst wich immer mehr. Er würde das schon schaffen.
»Brian!«, rief er ins Dunkel. »Ich weiß, dass du da bist, Brian. Was zum Teufel soll das, Mann?«
Er schwieg und lauschte.
Noch immer war kein Laut zu hören.
»Brian, verdammt! Was willst du? Das hier bringt doch nichts! Du weißt doch gar nicht, wo das Geld ist.«
Das Dunkel schwieg hartnäckig.
»Es ist nicht hier, Brian, falls es das ist, worauf du aus bist. Und ich habe auch nicht vor, dich reinzulegen. Du bist mein Freund, verdammt! Wir sitzen im selben Boot!«
Er hielt die Pistole noch immer schussbereit in der Hand, als er langsam auf die Haustür zuging. Und plötzlich antwortete das Dunkel.
Er hörte ein leises Lachen und dann hatte er das Gefühl, als träfe ihn ein Presslufthammer im Schritt.
Er fiel auf der Stelle um, nur wenige Schritte von dem toten Hund entfernt. Die Pistole glitt ihm aus der schlaffen Hand und landete mit einem kurzen metallischen Klick auf dem Kies.
Der Mörder – der noch nicht zum Mörder geworden war, denn der Mann auf dem Boden lebte noch – rührte sich nicht von der Stelle. Der Mann auf der Erde stöhnte, aber es war unmöglich zu sagen, ob er bei Bewusstsein war.
Noch einmal hob der Mörder langsam das Gewehr, um es dann wieder zu senken. Vielleicht war es besser so. Der andere hatte keine Möglichkeit, Hilfe zu holen. Er würde es nicht bis ins Haus schaffen und vor dem nächsten Vormittag würde hier mit Sicherheit keine Seele vorbeikommen.
Ja, es war am besten so.
Der verletzte Mann hörte die Schritte. Sie klangen fern, als steckte sein Kopf unter einer Bettdecke. Sie hielten ein einziges Mal inne, dann kamen sie näher, und er spürte, dass jemand still neben ihm stehen blieb und ihn ansah. Wenig später hörte er die Schritte wieder und dann quietschte das Tor, als der andere den Ort verließ. Jetzt war er allein mit den Schmerzen, die er noch nicht fühlte.
Doch bald würden sie kommen. Die Schmerzen. Und die Gespenster. Und keine Lampen konnten sie vertreiben.