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Therkelsen sah sich um und schüttelte den Kopf. »Herr im Himmel. Was für ein trostloser Ort zum Leben.«

»Und zum Sterben«, sagte Bøjsen trocken.

Therkelsen zuckte mit den Schultern. Er fand, dass es gleichgültig war, wo man starb.

»Jetzt hören wir erst einmal, was unser Medizinmann zu sagen hat.«

Sie gingen zu dem Arzt, der sich gerade die Plastikhandschuhe auszog.

»Und, wie sieht es aus?«

»Ich kann euch nicht viel mehr sagen als das, was ihr selbst sehen oder folgern könnt«, sagte der Arzt. »Er ist aus nächster Nähe erschossen worden.«

»Mit einem Dumdumgeschoss«, warf Lyngsø ein. »Sollen wir wetten?«

Therkelsen warf ihm einen verärgerten Blick zu.

»Schon möglich«, sagte der Arzt. »So sicher wage ich das nicht zu sagen. Es kann sich auch um ein Gewehr mit großem Kaliber handeln. Wahrscheinlich stand er dort, wo die große Blutlache ist, als er getroffen wurde. Er ist auf der Stelle umgekippt und muss eine Zeit lang dagelegen haben, vielleicht war er bewusstlos. Es ist ein Wunder, dass er nicht gleich tot war. Vermutlich ist er wieder zu Bewusstsein gekommen und zur Haustür gekrochen. Auf dem ganzen Weg sind Blutspuren, und man sieht, wo er eine Pause gemacht hat, um Kräfte zu sammeln.«

»Er hat es noch geschafft, die Klinke zu greifen, konnte die Tür aber nicht öffnen«, sagte Therkelsen. »Wahrscheinlich hat er versucht, ins Haus zu kommen und einen Krankenwagen zu rufen.« Er sah den Arzt an. »Glaubst du, er hätte es geschafft, wenn es ihm gelungen wäre?«

Der Arzt schüttelte den Kopf. »Kaum. Und er wäre nie wieder ein richtiger Mensch geworden. Jedenfalls kein richtiger Mann. Ich weiß nicht, ob es das wert gewesen wäre. Aber er hat es zumindest versucht.«

Therkelsen nickte und sah sich die verschmierten Handabdrücke an, die zeigten, wo der Ermordete versucht hatte, sich an der Tür abzustützen und aufzustehen.

»Wir gehen davon aus, dass der Täter dort an der Hausecke gestanden haben muss«, sagte er. »Und es gibt Hinweise, dass er ziemlich lange dort gestanden hat. Das heißt, dass der Abstand zwanzig Meter betrug, vielleicht fünfundzwanzig.« Er wandte sich an den Arzt. »Klingt das wahrscheinlich?«

»Lass ihn uns erst richtig ansehen.«

»Und über den Zeitpunkt willst du auch noch nichts sagen?«

Der Arzt lachte. »Nicht bevor wir mehr haben, woraus wir unsere Schlüsse ziehen können.«

»Was ist mit den Hunden?«

»Ich bin doch kein Tierarzt.«

»Du sagst es.« Therkelsen grinste schief.

»Kennt ihr ihn?«

»Ja, und ob. Aber wir haben nicht die Absicht, für einen Kranz zu sammeln.«

»Das könnte ich mir auch kaum vorstellen.«

»Er heißt Lars Sørensen. Er wurde der Prinz genannt.«

»Dann habe ich schon von ihm gehört.«

»Bestimmt.«

Der Arzt wandte sich zum Gehen. »Du hörst von uns«, sagte er. Er warf einen letzten Blick auf den Toten. »Tja, auf seine Weise hat er Glück gehabt.« Er drehte sich um und ging.

»Wenn du das Glück nennst, bin ich lieber unglücklich«, sagte Therkelsen zum Rücken des Arztes.

Bøjsen sah ihn an. »Ich bin zwar auch kein Tierarzt, aber ich möchte wetten, dass jeder der Hunde mit einem einzigen Schuss getötet wurde. Wir haben übrigens keine leeren Patronenhülsen gefunden.«

»Er hat sich also die Zeit genommen, sie aufzusammeln«, stellte Therkelsen fest.

»Exakt«, sagte Lyngsø.

»Und er ist ein guter Schütze, aber das hilft uns auch nicht weiter«, fuhr Therkelsen fort. »Das waren sie vermutlich alle. Sie haben hier draußen Schießübungen veranstaltet, dass den Nachbarn die Ohren gepfiffen haben.«

»Du glaubst also, es handelt sich um eine interne Angelegenheit?«, fragte Bøjsen.

»Ja, ist das nicht am wahrscheinlichsten?«

Bøjsen nickte. »Sicher. Besonders jetzt, wo der König weg ist vom Fenster. Vielleicht waren nicht alle Bandenmitglieder der Meinung, dass der Prinz der richtige Thronfolger war.«

»Aber er lebt doch noch, oder?«, fragte Winther.

»Der König? Na ja, sofern man das ›leben‹ nennen will. Selbst wenn er das Beatmungsgerät nicht mehr braucht, ist er vom Hals abwärts gelähmt. Der Unfall ist jetzt über vier Monate her, es ist also an der Zeit, dass sie sich Gedanken darüber machen, wer die Geschäfte weiterführen soll.«

Winther dachte lange nach. »Wenn er wirklich ein so guter Schütze ist, warum zum Teufel hat er dann bei dem letzten Schuss so daneben geschossen?«

Therkelsen zuckte mit den Schultern.

»Vielleicht ist er ein Zwerg«, sagte Lyngsø.

Therkelsen warf ihm einen Blick zu, bei dem Winther ein Kichern nur schwer unterdrücken konnte.

»Falls das ein Witz sein sollte, war es ein schlechter, oder einfach nur dumm.«

»Warum? Er hat die drei Köter mitten in den Kopf getroffen und den Typen hier fast auf gleicher Höhe. Das entspricht genau der Größe eines Zwergs.«

»Jeder schießt hin und wieder daneben«, sagte Bøjsen. »Einmal hätte ich fast meine Schwiegermutter getroffen, als wir im Garten auf eine Scheibe geschossen haben.«

»Aber du hast daneben geschossen?«, sagte Lyngsø.

Therkelsen hätte beinahe Dasselbe gesagt. Jetzt warf er Lyngsø stattdessen einen weiteren strafenden Blick zu. Der besserwisserische Kopenhagener ärgerte ihn bis zur Weißglut. Früher hatte nur Larsen Therkelsens Blutdruck in die Höhe getrieben, aber Larsen hatte eine Entschuldigung. Er war einfach nicht so helle.

»Wer sagt eigentlich, dass der Mörder daneben geschossen hat?«, sagte Winther. »Vielleicht hat er genau das getroffen, was er treffen wollte.«

Einen Augenblick herrschte Schweigen, während der Gedanke sich setzte.

Dann schüttelte Bøjsen den Kopf.

»Nur eine Frau kann auf eine so abscheuliche Idee kommen. Warum hätte er das tun sollen?«

»Zur Abschreckung«, schlug Winther vor. »Um Terror zu machen. Um eventuelle Konkurrenten auf ihren Platz zu verweisen.«

»Das wäre zu riskant gewesen. Er konnte nicht sicher sein, dass der Prinz wirklich tot war. Mit etwas Glück hätte er es vielleicht bis ins Haus geschafft und einen Krankenwagen rufen können.«

Winther sah ihn an. »Aber es wäre doch auch ziemlich abschreckend, wenn er nicht gestorben wäre, oder?«

»Tja«, murmelte Bøjsen unangenehm berührt.

»Vielleicht hat er gewartet, bis er sicher sein konnte, dass der Prinz es nicht bis ins Haus schafft.«

Wieder herrschte Schweigen, während jeder von ihnen sich fragte, was das für ein Mensch sein musste, der einfach zusah, wie ein anderer verblutete, während er noch versuchte, sich ins Haus zu dem rettenden Telefon zu schleppen.

»Bist du jetzt nicht ein bisschen zu dramatisch, Winther?«, sagte Bøjsen schließlich.

Winther zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Aber wenn das ein Terrorakt war, spielt es keine Rolle, ob der Prinz tot ist oder nicht, stimmt’s? Beides ist gleich furchtbar. Und der Täter konnte praktisch hundertprozentig sicher sein, dass niemand plappern würde. Und wenn die Mehrzahl hinter ihm stand ...«

Therkelsen lachte höhnisch. »Die Mehrzahl. Von der Bande sind wirklich nicht mehr genug übrig, dass man von einer Mehrzahl reden könnte.«

»Aber sie kontrollieren immer noch die Hälfte oder zumindest ein Drittel des Rauschgifthandels in der Stadt«, sagte Bøjsen.

»Vielleicht«, sagte Therkelsen. »Es sei denn, sie haben an Einfluss verloren, jetzt, wo der König weg ist. Er war das Gehirn der Bande. Der Organisator. Ich glaube nicht, dass der Prinz im Stande gewesen wäre, das Erbe anzutreten. Wie dem auch sei, wir sollten sehen, dass wir weiterkommen. Wir müssen den Schuppen da durchsuchen. Es deutet nichts darauf hin, dass der Mörder im Haus gewesen ist, jedenfalls nicht heute Nacht, und es dürfte auf jeden Fall vergeblich sein, nach Fingerabdrücken zu suchen. Die ganze Bande ist hier schließlich ein und aus gegangen.«

Er sah sich das Schlüsselbund an, das er in der Tasche des Prinzen gefunden hatte. »Der müsste es sein«, sagte er, indem er einen der Schlüssel ins Schloss steckte. Er drehte ihn herum, öffnete zufrieden die Tür und trat in die Diele. Im selben Moment schlug mit einem infernalischen Krach die Alarmanlage an.

»Ach, du meine Güte, weiß denn niemand, wie man die ausschaltet?«

Bøjsen lachte und kurz darauf war die Alarmanlage aus. Der Krach hörte auf und plötzlich war es sehr still.

»Ich hoffe, da drinnen sind nicht noch mehr von der Sorte«, sagte Therkelsen, während er die Tür zum Wohnzimmer öffnete.

Sie sahen sich um. Das Wohnzimmer war groß. Wahrscheinlich waren hier früher einmal drei kleine Räume gewesen, die zu einem großen zusammengelegt worden waren. Es sah so aus, als hätte irgendwann einmal jemand Arbeit und Geld in eine Renovierung gesteckt. Die Thermofenster waren neu. Böden und Türen waren abgeschliffen worden.

Doch jetzt wirkte das Ganze verwohnt und vernachlässigt, auch wenn es nicht mehr als eines gewaltigen Arbeitseinsatzes bedurft hätte, um alles wieder auf Vordermann zu bringen. Überall lag dichter Staub und nicht eine blühende Blume oder Grünpflanze war zu sehen. An den Wänden hingen Plakate, vorzugsweise von Motorrädern und Mädchen. An dem einen Ende des Wohnzimmers befand sich ein großer gemauerter Kamin, vor dem eine Sofagruppe aus Büffelleder prangte. Am anderen Ende gab es einen geräumigen Barschrank, einen Stereoturm und zwei bequeme Stühle, vor denen ein Videogerät und ein Fernseher thronten. Neben einem der Stühle standen etwa zehn leere Bierflaschen und auf einem kleinen Tisch zwischen den Stühlen waren Aschenbecher deponiert, die von Asche und Kippen überquollen, sowie ein paar leere Colaflaschen. Unter und auf dem Tisch lagen mehrere Videokassetten.

»Hier hat er also gelebt«, stellte Therkelsen fest.

»Meine Güte«, sagte Winther mitleidig und schüttelte den Kopf.

»Ihr könnt hier anfangen«, sagte Therkelsen zu Bøjsen und Lyngsø. »Wir sehen uns ein bisschen in den übrigen Räumen um.«

Die Küche sah noch schlimmer aus als das Wohnzimmer. Auch sie war einmal teuer und schön gewesen, ähnelte jetzt aber einer Müllhalde. Sie quoll über von leeren Flaschen und Plastikkartons mit Essensresten. Im Windfang stand ein stinkender Müllsack mit leeren Dosen Hundefutter.

Sie sahen sich den Kühlschrank genauer an, doch weder in den Eiswürfelbehältern noch an anderen Stellen war etwas versteckt.

Sie gingen in den Flur, von dem aus eine Treppe ins Obergeschoss führte.

Therkelsen öffnete den Schrank unter der Treppe und stieß einen Pfiff aus.

»Das dürfte ihr Arsenal sein«, sagte er. »Das sollten wir uns einmal genauer vornehmen.«

Oben gab es vier kleinere Räume und ein großes Schlafzimmer. Die Zimmer dienten offenbar als Mannschaftsunterkünfte. In jedem Raum gab es eine Koje, einen einfachen Stuhl und einen Schrank. Das Schlafzimmer war mit einem großen Wasserbett ausgestattet. Das Bett war ungemacht und musste dringend neu bezogen werden. Es roch säuerlich in dem Raum. Auch hier gab es einen Videorekorder und einen Fernseher. Und auch hier war der Boden mit leeren Bierflaschen, Illustrierten und Videokassetten übersät.

Therkelsen sah sich um. »Ich habe mich geirrt«, sagte er. »Er hat nicht sein ganzes Leben dort unten verbracht, sondern nur die eine Hälfte. Die andere Hälfte hat er ganz offensichtlich hier zugebracht.«

In der Nähe des Fensters stand ein Schreibtisch. Therkelsen zog die Schubladen eine nach der anderen heraus.

»Das müssen wir durchsehen. Nehmt alles mit ins Präsidium.«

»Du siehst aus, als suchtest du nach etwas Bestimmtem«, sagte Winther.

»Das tue ich auch«, sagte Therkelsen und ließ den Blick von Wand zu Wand schweifen.

»Nach einem Safe«, schlug Winther vor und Therkelsen nickte.

»Unten war keiner, aber es muss einen Safe geben. Er muss hier irgendwo sein.«

Er ging zu einem Bild und nahm es von der Wand. Eine Malerei von Dünen in der Abendsonne. Auf der Tapete war ein heller Fleck und eine Spinnwebe wehte leicht, als er das Bild abnahm, doch dahinter befand sich kein eingebauter Safe. Ein Bild mit Fischerbooten am Strand erbrachte das gleiche magere Resultat und mit einem dritten, das Kühe auf einer Weide zeigte, hatten sie auch kein Glück.

»Offenbar hat er in Kunst investiert«, bemerkte Therkelsen trocken.

»Hinter dem Fernseher?«, schlug Winther vor.

»Verdammt ärgerlich, wenn man jedes Mal das Regal wegrücken muss, bevor man an den Safe kann.«

Er sah sich das Regal genauer an. Dann nestelte er an der Rückseite herum und versetzte dem Regal einen Stoß.

»Das fährt auf Schienen«, lachte er.

»Ziemlich clever!«, sagte Winther.

»Da ist er«, rief Therkelsen. »Ich wusste doch, dass er hier irgendwo sein muss.«

»Er hat ein Zahlenschloss«, sagte Winther.

»Versuch es mit seinem Geburtstag«, sagte Therkelsen. »Oder vielleicht besser mit dem des Königs. Vermutlich hat der den Safe installieren lassen. Wenn das auch nichts bringt, müsst ihr den Hersteller anrufen.«

Er sah auf die Uhr. »Lass Bøjsen oder Lyngsø zuerst nach Fingerabdrücken sehen, bevor du anfängst. Ich überlasse euch das hier. Bach müsste jeden Moment auftauchen. Er war bei den Nachbarn. Larsen und Jønsson versuchen, die übrigen Bandenmitglieder aufzustöbern. Besonders Brian und Martin sollten wir uns etwas genauer ansehen. Die anderen sind bloß Fußvolk.«

»Und was ist mit dir?«, fragte Winther. »Fährst du nach Hause und hältst deinen Schönheitsschlaf?«

»Den brauche ich nicht. Nein, ich fahre zu seiner Mutter und rede mit ihr. Die Familie muss schließlich unterrichtet werden, bevor die Presse Wind von der Sache bekommt, und vielleicht kann sie uns etwas Interessantes erzählen. Anschließend fahre ich zurück ins Präsidium. Wir sehen uns dort, wenn ihr hier fertig seid. Ich hoffe, dass keiner von euch heute Abend Hochzeit oder einen runden Geburtstag feiern will. Wenn doch, müsst ihr das verschieben.«

Der Prinz ist tot - Skandinavien-Krimi

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