Читать книгу Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi - Kjersti Scheen - Страница 5
I
Оглавление»I may be right and I may be wrong,
I know you’re gonna miss me when I’m gone.«
Trad.
Es war ja schon von Anfang an eine verdammt schlechte Idee gewesen, das hatte sie sehr wohl gewußt. Sich einfach so aus dem Staub zu machen und im Spätherbst nach Stavanger zu fahren, ohne einen vernünftigen Grund.
Aber das Jahr war durch und durch verkorkst gewesen.
Es hatte schlecht begonnen und war irgendwie nicht besser geworden. Sie hatte fast keine Aufträge und kam nur mit Hilfe einiger Werbejobs über die Runden, die ihr ein alter Freund besorgt hatte. Eine Ausbildung an der staatlichen Schauspielschule, zehn Jahre Engagement als Schauspielerin, fünf Jahre Jurastudium, etwa ein Jahr bei der Polizei und einige Jahre Privatdetektivin – und nun saß Margaret Moss in einem Besenschrank von einem Studio und sagte zwanzigmal am Tag: »Nanni Nußaufstrich, mmm, ist das lecker!«
Ihre alte Tante, mit der sie sich ein Haus im besten Westen Oslos teilte, kam immer schlechter allein zurecht. Inzwischen brauchte sie ständig eine Gehhilfe, dabei war die Ärmste doch so eitel. Sie hätte am liebsten keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt, so sehr haßte sie das Ding. An Osteoporose litt sie dagegen nicht, denn sonst hätte sie sich längst jeden einzelnen Knochen im Leib gebrochen, so oft wie sie stürzte. Ihre Tagesration war auf drei Gläser Portwein gesunken, aber sie vertrug ja auch nichts mehr, die ehemalige Schauspielerin und Direktorengattin Maisen Moss Pedersen.
Das lag an der Fähigkeit des Körpers, Giftstoffe abzubauen. Die nehme im Lauf der Jahre immer mehr ab, hatte der Arzt gesagt. Schlechte Nachrichten, dachte Margaret Moss, die das nämlich auch schon festgestellt hatte. Irgendwie fielen die Katerstimmungen anders aus als früher.
Die eigenen Kater wohlgemerkt.
Ihre Tochter Karen lebte schon seit geraumer Zeit in Stockholm. Sie wohnte bei ihrem Vater in Söder und interessierte sich seit neuestem für einen Job am Theater.
Hoffentlich nur eine Laune, dachte Moss, die sich in diesem Jahr irgendwie einsam fühlte.
Sogar Roland Rud weigerte sich, auf ihre Anrufe zu reagieren.
Der Held aus den großen Wäldern und Ritter der Landstraße, der Fernfahrer, der Moss normalerweise zu Hilfe eilte, der Mann mit dem schütteren Pferdeschwanz und den schiefen Stiefelabsätzen – der war plötzlich incommunicado.
Bei seiner Frau und den beiden Töchtern in Prinsdal war er nicht (Moss hatte sich als Angestellte des Finanzamts Oslo ausgegeben, als sie sich endlich getraut hatte, dort anzurufen), und er ging auch nicht ans Handy. Schließlich hatte sie allen Mut zusammengenommen und es bei Norgestransport versucht, wo er all die Jahre gearbeitet hatte, aber dort hieß es, er habe gekündigt.
Gekündigt!
Einen heißen Sommer lang mit hoher Luftfeuchtigkeit und diesiger Sonne hatte sie vor sich hin gestarrt. Die Bäume in Tante Maisens Garten bekamen Mehltau und kränkelten, die Kamine rochen bedrohlich nach Ruß, die Tapeten schlugen Blasen und bekamen Risse, die Holztüren quollen und ließen sich nur schwer schließen.
Moss hatte Kopfschmerzen, litt an Schweißausbrüchen und sah doppelt.
Das Hygrometer in Maisens Wohnzimmer war irgendwo zwischen 80 und 85 stehengeblieben und rührte sich nicht vom Fleck.
»Der Jüngste Tag ist nicht mehr fern«, sagte Tante Maisen und hielt die Zigarette verkehrt herum zwischen ihren zitternden Fingern. Dann zündete sie den Filter an und blickte düster vor sich hin.
»Mir geht’s nicht gut«, sagte Moss. Es waren nicht nur die Kopfschmerzen – ihre Beine knickten neuerdings unter ihr weg. Irgendwie mußte es mit dem Gleichgewichtssinn zusammenhängen, sie ließ Gläser auf den Boden fallen, faßte bei Türgriffen daneben, stieß mit den Knien an Küchenschranktüren, die sich unmerklich unter der Arbeitsplatte öffneten, woraufhin ihr vor Schreck der Schweiß ausbrach.
»Das ist das Alter, meine Liebe«, sagte Tante Maisen und ließ Asche auf ihre fleckige Hose rieseln. »Hast du eine Ahnung, wo der Kater abgeblieben ist?«
»Vermutlich ist gerade mal wieder Brunstzeit«, sagte Moss, blätterte hektisch in Maisens altem Medizinhandbuch und schlug es unter »Nervenleiden« auf.
»Für so was ist er doch zu alt«, sagte Tante Maisen.
»Das glaubst aber auch nur du«, sagte Moss und schloß das Buch mit einem Knall, als sie entdeckte, woran man alles leiden konnte. »Maisen, eigentlich dürfte ich gar nicht so schwitzen, ich nehme doch ein Östrogenpräparat.«
»Ach Gott«, sagte Maisen und betrachtete sie besorgt. »Kann man davon abhängig werden?«
»Ja«, sagte Moss und stellte das Buch ins Regal zurück. »Du weißt doch, wofür man Östrogen bekommt. Man nimmt es, um die Wechseljahre erträglicher zu machen.«
»Zu meiner Zeit gab es keine Wechseljahre«, sagte die Tante würdevoll.
»Nein, das kann ich mir denken«, sagte Moss und knallte die Tür zu, als sie nach oben in ihre Wohnung ging.
Ständig quälte sie die Vorstellung, plötzlich umzukippen, auf der Straße, in der Straßenbahn. Im Kino vom Sitz zu fallen oder noch schlimmer: die irrsinnig enge, mit Teppichen ausgelegte Hühnerleiter im Zuschauerraum des Nationaltheaters hinunterzustürzen.
Sie ging nicht mehr in Stücke, die dort gespielt wurden.
Sie ging überhaupt fast nirgendwo mehr hin.
Eines frühen Morgens im Oktober stand sie auf, wankte verfroren und benommen ins Bad und sah sich im Spiegel. Der Blick, der ihr dort begegnete, war schwarz vor Schreck. Sie beugte den Kopf. Was zum Teufel ging hier eigentlich vor?
In dem Moment faßte sie den Entschluß: Sie mußte weg.
Weg vom Spiegelbild, von den spröden, aufgerissenen Lippen, dem zotteligen Haar, den traurigen Augen.
Sie dachte nicht weiter nach, sondern griff zum Telefonhörer. Sechs Minuten später hatte sie sich den letzten freien Platz im Flugzeug nach Stavanger gesichert, zum vollen Preis, der Abflug war um elf Uhr fünfundvierzig.
Und dann hatte sie es verdammt eilig.
In der besonderen Hochstimmung, in die schnelle und unvernünftige Entschlüsse sie stets versetzten, warf sie Unterhosen, Socken, Pullover, Bücher und den Walkman in eine Reisetasche, schrieb einen Zettel an Tante Maisen, den sie auf die Kommode unten im Hausflur legte, schlich sich wie ein nächtlicher Dieb an Maisens Wohnungstür vorbei und lief hinaus zum Taxi, das sie sich bestellt hatte.
Sie hatte viertausend Kronen auf dem Konto. All ihr bewegliches Hab und Gut auf dieser Welt.
Es half nichts. Jetzt ging es um Flucht.
Im Flugzeug spürte sie noch immer den Rausch des überstürzten Aufbruchs.
Sie war gerade noch einmal davongekommen, um ein Haar wäre es zu spät gewesen.
Woran es auch immer gelegen haben mochte.
Sie bat um eine Dose Bier, als die Stewardeß mit ihrem Wagen vorbeikam. Um sie herum tranken die Leute Tee, Kaffee und Saft. Es war, wie gesagt, früher Vormittag.
»Wie bitte?« fragte die Stewardeß und beugte sich vor.
»Ein Bier«, meinte Moss, etwas lauter.
»Tut mir leid, ich habe Sie immer noch nicht verstanden«, sagte die Stewardeß.
»Ein Bier«, rief Moss so laut, daß es um sie herum ganz still wurde. Sie machte sich an der in Frischhaltefolie verpackten Brotscheibe zu schaffen. Als sie in das kalte Rührei biß, zog es in den Zähnen.
Schließlich kam das Dosenbier, der Schaum lief über den Rand, und sie nahm einen vorsichtigen Schluck.
Blickte auf zerklüftete Berge unter einer aufreißenden Wolkendecke.
»It’s not that I’m afraid of dying, I just don’t want to be there, when it happens.«
»Woody Allen«, sagte sie laut vor sich hin und trank wieder etwas aus der Dose. Dabei spürte sie, wie ihr Nachbar sie mißbilligend musterte.
Sie blickte aus dem Fenster und war plötzlich in guter Stimmung.
In sehr guter Stimmung.
Erst als sie auf dem Flugplatz von Stavanger stand, ihr der Regen in nassen Windstößen entgegenschlug und sie sah, wie lang die Schlange am Taxistand war, besann sie sich ein wenig.
Natürlich hätte sie ihn vorher anrufen müssen. Den Kerl in Stavanger. Mit dem schönen, blonden Haar und den stets gebügelten Anzügen. Den sie in einem Kurs über Marketing kennengelernt hatte ...
Marketing, Moss? Was soll das denn? Ob das wohl das Richtige für eine forsche Privatdetektivin mit linker Vergangenheit und Schauspielerfahrung ist? Ganz ehrlich? How far out can you get?
»Halt’s Maul«, sagte Moss müde zu ihrem Alter ego. »Oder anders gesagt: Go fuck yourself.«
Aber Moss, wies das Alter ego sie zurecht.
Moss hatte tatsächlich an einem Kurs über Marketing teilgenommen. Irgendwas mußte man ja machen. Sie hatten ihr nichts beigebracht, was sie sich nicht selbst hätte denken können, aber sie hatte einen blonden, gutgebauten Geschäftsmann aus Stavanger kennengelernt. Das war immerhin etwas. Außerdem war sie beinahe verführt worden, das heißt, sie hatte die Initiative ergriffen, indirekt, und dann hatte er sie verführt. Ihr hatte es gut gefallen. Sie fühlte sich in diesem Jahr, wie gesagt, einsam.
Dann begann er sie zu besuchen, wenn er in Oslo war, was nicht ganz selten vorkam.
Tante Maisen mochte ihn, aber sie mochte ja alles, was nach Rasierwasser roch und auf ihrem mit Katzenhaaren übersäten Sofa saß und Zigarren rauchte.
Er entpuppte sich jedoch nach und nach als so aufmerksam und hartnäckig, daß Moss sich ein wenig zurückzog. So hatte sie sich das nicht vorgestellt, schließlich wollte sie keinen Mann auf Dauer.
Sie hatte doch ... hatte doch die Tante. Und Karen, wenn Karen nicht gerade ... so war das.
Und Roland Rud.
Wenn er ans Telefon ging, aber genau das tat er nicht mehr.
Sie öffnete ihren Mantel, den sie auf der Rolltreppe im Flughafen zugeknöpft hatte. Hier war das reinste Dampfbad, obwohl der Oktober schon weit fortgeschritten war.
Nein, sie hätte anrufen sollen.
Immerhin wußte sie, daß er bei der Arbeit war, das hatte sie vorher geklärt. Eine frische, mädchenhafte Stavangerstimme hatte das angedeutet, als Moss beim Warten aufs Taxi ihre blitzschnelle Ermittlung durchführte.
Die Sekretärin vermutlich.
»Er ist gerade nicht im Zimmer«, hatte sie gesagt. »Soll ich was ausrichten?«
»Ich versuche es später noch mal«, hatte Moss geschwindelt und aufgelegt.
War es nicht unglaublich feucht hier? Sie stellte ihre Tasche ab und fächelte sich mit der Zeitung, die sie aus dem Flugzeug mitgenommen hatte, Luft zu.
Vielleicht fehlte ihr wirklich etwas.
Dabei war sie doch nie ... höchstens mal eine Erkältung und manchmal der Anflug einer Blasenentzündung. Sie knabberte an ihrer Unterlippe. Atmete langsam durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus.
Irgend jemand hatte behauptet, das würde helfen. Einem innere Ruhe verleihen. Vielleicht hatte sie es an der Schauspielschule gelernt.
Es war so lange her, daß sie sich nicht mehr erinnern konnte.
Sie rückte in der Schlange der wartenden Männer am Taxistand vor.
Sie sahen aus, als würden sie sich alle untereinander kennen, standen in ihren Freizeitjacken herum, blasiert, schwangen ihre Aktenkoffer wichtig hin und her und sagten doch, doch und nicht wahr und nächste Woche kommt ein Flug aus Seattle. Dann kam eine Windbö, es roch plötzlich nach See, und der Himmel öffnete endgültig seine Schleusen.
Es goß in Strömen. Als Moss endlich ein Taxi erwischte, waren ihre Beine naß bis zu den Knien.
In der gepolsterten Dunkelheit des Autos umhüllte sie die Musik aus dem Radio nicht, sondern hämmerte auf sie ein. Unmittelbar und gnadenlos:
»This is the Voice of the American Forces in Europe, and here comes The Yellow Rose of Texas!«
Moss ließ sich zurücksinken und wurde plötzlich von Panik ergriffen.
Was zum Teufel machte sie in Stavanger?
Eine Stunde später saß sie zähneklappernd und durchnäßt in einem alten Packhaus, das man zu einem Restaurant umgebaut hatte. Die Reisetasche hatte sie unter dem Tisch verstaut, der Mantel hing zum Trocknen über dem Stuhl neben ihr, und sie versteckte sich hinter einer Zeitung, während ihr das Wasser nur so aus den Haaren tropfte und das Lesen erschwerte.
Nachdem sie Rotwein und einen Teller Fischsuppe bestellt hatte, ging sie auf die Damentoilette und versuchte, ihr Erscheinungsbild wieder einigermaßen herzurichten, mit zitternden Händen und noch immer leicht starren Mundwinkeln.
Sie wickelte das Haar in Papierhandtücher und wrang es aus. Steckte Papier in die Stiefel und hielt sie unter den warmen Luftstrom des Händetrockners.
Atmete tief durch.
Durch die Nase ein, durch den Mund aus. Ruhe herein, Streß und negative Gedanken hinaus ... Verdammt! So ein Scheißkerl! Durch die Nase ein, durch den Mund aus. Ruhe hinein, Streß und negative Gedanken hinaus. Ein Arschloch! Nicht an ihn denken. Nicht denken. Einatmen, ausatmen, ein, aus!
Sie frischte ihr Make-up auf, etwas nachlässig und mit fahrigen Händen.
So diskret wie möglich ging sie auf Socken zu ihrem Tisch zurück, die Stiefel trug sie unter dem Arm. Dann kam der Rotwein, und sie trank ihn schnell, brauchte gleich noch einen, während sie die heiße Suppe aß. Sie hatte das Gefühl, als würde sich alles in ihr lösen, es lief ihr aus Nase und Augen, sie schneuzte sich in einem fort, und ihr wurde warm.
Ziemlich warm sogar.
Sie blätterte in der Zeitung, es ging ihr beinahe richtig gut. Sie bestellte sich einen Kaffee. Und ein Glas Calvados bitte, falls sie welchen hatten.
Inzwischen hatte sie das Papier aus den Stiefeln gefischt und sie wieder angezogen. Die Stiefel waren niedrig und aus dünnem Leder, das schnell trocknete. Auch ihr Haar war wieder trocken. Sollte er doch zur Hölle fahren!
Der schöne Blonde, der immer wieder Anspielungen auf eine gemeinsame Wohnung gemacht, von einer möglichen Hochzeit im nächsten Winter gesprochen hatte.
Jetzt hatte er sie in Empfang genommen – entsetzt, das Wort traf es vermutlich am besten. Eines Tages würde sie vielleicht über seinen Gesichtsausdruck lachen können, als sie zur Tür hereingestürmt war.
Dieser Gesichtsausdruck hatte jedenfalls dazu geführt, daß sie mitten in einer Art Wirbelwind innegehalten hatte, der in einer Umarmung hatte enden sollen.
Er hatte geschluckt, daß sein Adamsapfel hinter dem gestreiften Hemd auf und ab gerutscht war, und zu der niedlichen kleinen Sekretärin hinübergenickt, die Moss ins Zimmer geleitet hatte.
»Darf ich vorstellen, meine Verlobte«, hatte er gesagt.
Noch ehe fünf Minuten um waren, hatte Moss das Zimmer verlassen. Dankend hatte sie eine Tasse Kaffee abgelehnt und sich schnell eine Lüge zurechtgebastelt: Sie habe gerade in der Nähe zu tun und ohnehin nur ein paar Minuten Zeit. Und da habe sie sich gedacht, ein kurzer Plausch könne doch nett sein, long time no see, aber mein Gott, ein Blick auf die Uhr, sie müsse los, denn sie wolle noch nach Jæren.
Und dann war sie abgehauen.
Jæren! Welcher Teufel hatte sie geritten, ausgerechnet Jæren zu sagen? Sie hatte keine Ahnung, wo sie in dieser Kleinstadt über Nacht bleiben sollte. Überall konnte sie ihm wieder begegnen, falls er heute einen Spaziergang machte, und dann wäre sie in jedem Fall entlarvt. Sie war durch den Regen geirrt, weil sie sich in Stavanger nicht auskannte, verschwitzt und schwindlig und wütend, vor allem auf sich selbst.
How stupid can you get.
Dann hatte sie eingesehen, daß sie irgendwo hineinmußte, um ihre Sachen zu trocknen, und war in diesem Restaurant gelandet.
Sie sah auf die Uhr. Höchste Zeit zum Weitergehen.
Ihre Sachen waren jetzt trocken – und sie ein kleines bißchen betrunken.
Als allmählich Bahnhof und Busbahnhof im Regen auftauchten, der inzwischen nur noch leise vor sich hin tröpfelte, kam ihr die Idee, einfach loszufahren, auf einmal ganz brauchbar vor.
Jæren, here I come, jetzt, wo sie ohnehin schon hier war. Dann war das, was sie vorhin gesagt hatte, jedenfalls nicht ganz gelogen.
Das Meer, hatte sie gedacht, während ihre Stimmungskurve plötzlich anstieg. Sie wollte auf jeden Fall das Meer sehen, ehe sie nach Hause zurückfuhr.
Sie hielt einen Herrn in orangefarbener Straßenarbeiterweste an und fragte ihn, ob es hier in der Nähe eine Filiale des staatlichen Wein- und Spirituosenhandels gäbe. Doch, da oben sei eine, einfach den Hügel rauf – was sie in ihrem Gefühl bestärkte, daß die Dinge heute allmählich richtig liefen. Sie kaufte sich – aus Gründen, die sie später nicht so recht erklären konnte – eine kleine Flasche »Southern Comfort«, und dann ging sie den Hügel wieder hinunter und erkundigte sich, welcher Bus nach Jæren fuhr.
Viele Busse gingen nach Jæren, aber nicht einer davon schien direkt ans Meer zu fahren. Sie könne natürlich den Zug nehmen, hieß es. Aber auch der fahre nicht ans Meer. Oder sie könne mit dem Zug nach Bryne fahren und dort in einen Bus umsteigen. Der Bus gehe zwar nicht so oft, aber das werde sich schon finden.
Genau, natürlich würde sich alles finden! Sie brauchte doch keinen Gedanken an einen blonden Geschäftsmann aus Stavanger zu verschwenden! Geschäftsleute hatte sie früher nie leiden können, warum hatte sie sich eingebildet, sie würde es jetzt tun?
Sie setzte sich ins letzte Abteil des Wagens, und während der Zug langsam aus dem Bahnhofsgelände tuckerte, genehmigte sie sich heimlich ein paar Schlucke aus der Flasche.
Klar würde sie das Meer sehen, verdammt noch mal!