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Die Szenen und Bilder aus Feld- und Lagerleben. 1. Einberufen

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„Der Wehrmann ersten Aufgebots, Peter Schmitz, wird hiermit in seine Heimat beurlaubt und hat sich so einzurichten, dass er am Montag den 14. Mai Morgens zehn Uhr unfehlbar auf dem Exerzierplatze in Düsseldorf eintrifft, widrigenfalls“ etc.

„Himmel …!“ rief der Materialwaren Handlungsgehilfe, während er die Einberufungs-Ordre, die der wohlbeleibte Polizeisergeant ihm überreicht hatte, mit einer Gebärde des Unmuts auf den Ladentisch warf. „Seit fünf Jahren habe ich den Kuhfuß nicht mehr getragen und nun in dem Augenblick, in welchem ich im Begriff stehe, ein eigenes Geschäft zu gründen und die Braut heimzuführen –“

„Still gestanden! Nicht räsoniert!“ gebot der Hausknecht, der in diesem Augenblick in den Laden trat. „Glauben Sie vielleicht, Sie seien der Einzige, für welchen der Generalmarsch geschlagen wird?“

Ein Lächeln bittern Hohns glitt über das blasse Antlitz des hageren Jünglings, durch dessen Rechnung Gott Mars so grausam einen Strich gezogen hatte. „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“, erwiderte er, „der Spott ist billig.“

„Erlauben Sie, ich werde Sie am 14. Mai begleiten und getreu bei Ihnen ausharren, bis wir mitsammen heimkehren dürfen“, fiel der Hausknecht ihm ins Wort, während er ihm einen Zettel überreichte.


Die Landwehr am Düsselgraben in Düsseldorf. Nach der Natur aufgenommen von A. Nikutowski.

Peter Schmitz blickte erstaunt auf. „Der Landwehr-Unteroffizier Jakob Schulz wird hiermit – – – ah, Sie sind Unteroffizier? Das hatte ich noch nicht gewusst.“

„Na, Sie werden es nun nicht mehr bezweifeln können! Das Blatt hat sich gewendet, heute können Sie mir noch befehlen, am Montag dagegen werde ich Ihnen zeigen, wo Barthel den Most holt!“ setzte er gutmütig lächelnd hinzu.

Peter Schmitz, ließ wehmütig das blonde Haupt sinken, er legte die Feder, die er hinter den Ohren trug, hin, band die Ladenschürze ab und ging ins Comptoir, um seinem Prinzipal das Schicksal, welches ihn betroffen hatte, mitzuteilen.

„Das ist fatal, sagte der Materialwarenhändler, als er einen Blick auf die Einberufungsordre seines Gehilfen geworfen hatte. „Ich wollte Ihnen die interimistische Führung meines Geschäftes übertragen, denn, wie Sie sehen, bin ich ebenfalls einberufen.“

Er schob bei diesen Worten einen Schein, der vor ihm lag, seinem überraschten Gehilfen hin.

„Sie sind wenigstens Gefreiter, während ich Gemeiner bin“, fuhr er fort, „also erhalten Sie pro Tag einen Silbergroschen Zulage und der Wachtdienst ist für Sie nicht so unangenehm, wie für mich.“

„Und der Hausknecht Unteroffizier!“ seufzte Schmitz.

Der Materialwarenhändler zuckte die Achseln. „Daran ist nun einmal nichts zu ändern“, sagte er ruhig, „indes glaube ich kaum, dass man Sie bei der Fahne behalten wird; Sie sehen ja aus, als ob Sie schon Ihr Testament gemacht hätten. Lassen Sie sich untersuchen; ich bin überzeugt, man wird Sie wieder entlassen.“

Das war ein schwacher Hoffnungsschimmer, der plötzlich in die dunkle Nacht fiel. Peter Schmitz übertrug die Sorge für den Detailverkauf dem Hausknecht, über den er heute noch gebieten konnte, und eilte zu seiner Braut, um sie zu trösten und bei ihr Trost zu holen. Da wurde gar mancher Plan entworfen, aber unter all’ diesen Plänen befand sich nicht einer, der ausgeführt werden konnte.

„Ich werde Dich begleiten und selbst mit dem Major sprechen“, seufzte Marie.

„Wozu könnte das nützen?“ erwiderte Peter. „Ich habe keine Gründe zur Reklamation.“

„Deine angegriffene Gesundheit …“

„Es ist Sache der Ärzte, darüber zu entscheiden.“

„So werde ich mit dem Arzt reden.“

„Er würde Dir die Tür zeigen.“

„Aber was soll ich denn tun?“

„Nichts; was die Schickung bringt, ertrage“

„Auch wenn die Österreicher Dich erschießen?“

„Nicht jede Kugel trifft.“

„Ich wollte ruhig sein und geduldig mich in Alles fügen, wenn ich nur wüsste, dass Du mit heiler Haut zurückkehrtest“, sagte die Braut. „Lass Dich im ersten Treffen gefangen nehmen –“

Purpurglut übergoss die Wangen des jungen Mannes; diese Zumutung kränkte seine Ehre.

„Nimmermehr!“ rief er. „Der erste Schritt ist der schwerste; ist man über ihn hinweg, so geht’s schon besser. Wenn es denn sein muss, in Gottes Namen, dann auch tapfer darauf los.“

Marie schüttelte missbilligend das Haupt. „Ich wende dagegen nichts ein“, sagte sie, „aber mir zu Liebe könntest Du doch versuchen, durch Reklamation oder körperliche Untersuchung Dich frei zu machen.“

„Ich will’s versuchen“, erwiderte Peter Schmitz, „eine Reklamation fruchtet nichts, da ich keine Gründe habe, aus welche ich mich stützen kann, dagegen hoffe ich durch die Untersuchung als dienstuntauglich bezeichnet zu werden.“

Der Montag brach an, Peter Schmitz nahm von seiner Braut Abschied und wanderte zum Bahnhofe.

„Seht die Heringsseele!“ donnerte eine Stimme ihm entgegen, als er in den Wartesaal trat. „Na, Er hat sich wohl vorgenommen, zu simulieren? Wird Ihm schlecht bekommen, guter Freund; die Kriegsgesetze spaßen nicht.“

Jakob Schulz, der ehemalige Hausknecht, war es, der sich erlaubte, in diesem Tone den entrüsteten Jüngling anzureden, während die zahlreich versammelten Kameraden sofort einen Kreis um die Beiden schlossen.

„Sehe schon, was dem schlappen Kerle fehlt!“ fuhr der Hausknecht fort, ohne den drohenden Blick seines ehemaligen Vorgesetzten zu beachten. „Ihm ist noch kein Licht aufgegangen, er hat noch kein Öl auf die Lampe gegossen. Gieße Er diesen Krätzmannshäuser hinter die Binde, dann wird’s Ihm wohl werden und Er hört die Engel im Himmel pfeifen.“

„Nehmen Sie die Flasche“, flüsterte der Materialwarenhändler, der sich unter den Umstehenden befand, seinem Kommis zu; „mit den Wölfen muss man heulen und unser Hausknecht ist augenblicklich unser Vorgesetzter.“

Mechanisch ergriff der Jüngling die Flasche. Er tat einen herzhaften Zug, der den ganzen innern Menschen erwärmte und durch das raschere Wallen des Blutes den schweren Druck vom Herzen wälzte.

„So noch Einer unter Euch sich befindet, der dieser Kur bedürftig ist, möge er vortreten!“ rief Schulz. „Ich verlange als Honorar für meine Bemühungen nur, dass er die Flasche wieder füllen lässt.“

„Hier ist Stoff genug!“ entgegnete ein elegant gekleideter junger Mann, während er dem Unteroffizier einen Krug überreichte. „Echter Münsterländer.“

Jakob Schulz blickte fragend den freundlichen Spender an.

„Herr Lieutenant?“ fragte er.

„Gott bewahre“, fuhr der junge Herr fort, „ich bin Gemeiner, aber drüben an der Tür steht unser Kompagnieführer.“

„Donnerwetter, das ist ja der Buchbinder, der uns die Düten liefert!“ sagte Schmitz überrascht. „Der ist Offizier?“

„Er hat sein Offizierexamen schon vor zehn Jahren gemacht und das Offizierpatent im Jahre 1859 erhalten“, erwiderte der Materialwarenhändler.

Jakob Schulz hatte den Krug entkorkt und nach einem kräftigen Zuge dem nächsten Nachbar überreicht.

„Lauter Münsterländer, lauter Geldverschwender!“ sang er, dann sich hoch emporrichtend, rief er: „Stillgestanden! Rechts und links schwenkt zum Kreise, marsch!“

Willig führten die Anwesenden den Befehl aus, der Spiritus hatte seine Wirkung schon getan.

„Leute, wir sind zu der Fahne des stehenden Heeres einberufen“, begann der ehemalige Hausknecht, während er gravitätisch an den Spitzen seines roten Schnurrbartes drehte. „Weshalb? Das weiß wohl Niemand, aber im Grunde ist’s auch gleichgültig, wir sind einberufen und wir folgen dem Ruf als stramme Soldaten, nicht als schlappe Schwammklöpper, denen es, wie der ehemaligen Reichsarmee, nicht darauf ankommt, ob sie heute oder morgen das Quartier erreichen. Also stramme Haltung, Kopf in die Höhe, Brust heraus! Ich bitte mir aus, dass in Ordnung und geschlossenen Reihen eingerückt wird! Wollt Ihr Euch nicht schon jetzt an Disziplin gewöhnen, was soll es später geben?“

Ein donnerndes Hoch war die Antwort aus diese improvisierte Anrede.

„Unteroffizier Schulz soll unser Führer sein!“ riefen Einige und die Übrigen stimmten ihnen bei.

„Ich nehme die auf mich gefallene Wahl an, Kinder“, erwiderte Schulz mit herablassendem Kopfnicken. „Wer führt einen Stock bei sich?“

Sofort erschienen ein Dutzend Stöcke über den Köpfen der Versammelten.

„Wohlan, sucht den größten aus und bindet ein weißes Taschentuch an ihn, auf dass wir eine Fahne haben, die uns voranweht“, fuhr der Unteroffizier fort. „Aber hoch zu Ross muss Euer Führer an der Spitze sein, wer will mir den Liebesdienst erzeigen?“

Ein stämmiger Metzgergeselle trat vor.

„Bon, ich will Ihm die Ehre erzeigen, auf dem Bahnhofe in Düsseldorf meldet Er sich. Lieber wäre es mir gewesen, wenn Er sich dazu gemeldet hätte, Peter Schmitz, Er hat so oft auf mir geritten, dass Er mir nun wohl auch erlauben könnte, einmal auf Ihm zu reiten.“

Die Glocke läutete, die Türen zum Perron wurden geöffnet. Jakob Schulz machte dem Posten, auf den er erhoben worden war, Ehre; er trug dafür Sorge, dass Niemand, sei es wissentlich oder unwissentlich, zurückblieb, er warnte die, welche bereits allzu tief in die Flasche geblickt hatten, und reichte den zur Hälfte noch gefüllten Krug allen denen, in deren Gesichtszügen er las, dass sie sich mit dem eisernen Walten des Geschicks nicht befreunden konnten. Und als der Zug sich in Bewegung setzte, war es wieder Jakob Schulz, der das alte Volkslied: „Muss i denn, muss i denn zum Städtle hinaus“ anstimmte und gar manches bedrückte Herz durch den Vers: „Übers Jahr, da ist meine Zeit vorbei“ aufrichtete.

Inzwischen machten die Flaschen und der gespendete Krug gar fleißig die Runde, und als der Zug an der ersten Station hielt, versäumte Niemand, seine Flasche wieder füllen zu lassen. In Düsseldorf angekommen, versammelte Schulz seine Mannschaften um sich.

„Angetreten! Stillgestanden! Man führe mein Ross vor! Rechts um! Marsch!“

Jakob Schulz saß stolz auf den Schultern des Metzgergesellen; Peter Schmitz, der bereits seine Braut, sein eigenes, noch zu gründendes Geschäft, seine blaue Ladenschürze und die Heringstonnen vergessen hatte, trug die Fahne. In wohlgeordneten Reihen marschierten die Reservisten und Landwehrmänner hinter ihrem Führer; sie hatten sich, Dank dem Geiste, der in sie gefahren war, in das Unvermeidliche gefügt und nur wenige befanden sich noch unter ihnen, die an die Fleischtöpfe Ägyptens zurückdachten. Es war eine stille, einsame Straße, in der Jakob Schulz plötzlich „Halt!“ kommandierte. Er schwang sich von seinem Sitz herunter und warf einen Blick des Wohlwollens über die Köpfe seiner Kameraden.

„Nach diesen Strapazen und Mühen, liebe Kinder, dürfen wir uns eine kurze Ruhe erlauben“, sagte er, während er auf das Schild einer Bierbrauerei zeigte.

„Aber es ist bereits zehn“, wandte der Fahnenträger ein.

„Wäre ich nicht so gutmütig, wie ich es leider stets gewesen bin, würde ich Ihm augenblicklich drei Tage Arrest diktieren, Er Sakramenter!“ donnerte der Unteroffizier. „Denkt Er vielleicht, Er stehe noch hinter der Schnupftabakwage? Binnen fünf Minuten hat Jeder sein Glas geleert und dann geht’s weiter, verstanden?“

„Zu Befehl.“

„Er treibt mir’s zu bunt“, flüsterte Schmitz seinem ehemaligen Prinzipale zu.

„Lassen Sie ihn“, erwiderte der Spender des Münsterländers, „wir kommen höchstens fünf Minuten zu spät und bei solchen Gelegenheiten darf Niemand den Spaß verderben.“

Jakob Schulz hatte nicht ohne tieferen Grund seiner Mannschaft diese Erholung erlaubt. Er war mit dem Schenkmädchen befreundet und unter den obwaltenden Umständen hielt er es für ratsam, die alte Freundschaft zu erneuern, bevor ein gefährlicher Nebenbuhler ihm zuvorkam. Nach einem Aufenthalt von fünf Minuten marschierte die kleine Schar wieder ab. Als sie auf dem Exerzierplatze anlangte, ließ der Unteroffizier seine Mannschaft aufmarschieren. Der Regen goss in Strömen, nichtsdestoweniger hatte eine unübersehbare Menschenmenge sich eingefunden, um ihre Neugierde zu befriedigen. Einige Kompagnien Infanterie hielten den Platz besetzt, die Zuschauer mussten sich hinter den Kanal, der den Exerzierplatz von der Allee trennt, zurückziehen.

„Stillgestanden!“ kommandierte Jakob Schulz, den das zweibeinige Ross gehorsam vom rechten zum linken Flügel trug.

„Nehmt die Richtung auf, Ihr Sakramenter! Er da, ich glaube, Er ist zu Hause Ökonom gewesen, will Er nicht so gut sein und den übermäßigen Bauch etwas einziehen? Da soll der Kuckuck eine genaue Richtung aufnehmen! Der dritte Mann mit der langen Nase zurück! Der Schneidergeselle auf dem linken Flügel vor! Er kann sich noch immer hinter seinem Nebenmann verstecken, wenn die Kugeln pfeifen.“

Jakob Schulz schien anfangs vorzuhaben, sich auf seinem zweibeinigen Ross dem Kommandeur des Landwehrbataillons vorzustellen, der kaum hundert Schritte entfernt sich mit den Offizieren unterhielt und das Treiben der kleinen Schar nicht bemerkte, aber er zog es vor, den Metzgergesellen von seiner Pflicht zu entbinden und auf des Schusters Rappen sich dem gestrengen Herrn zu nähern.

„Melde mich zur Stelle“, sagte er, als er vor dem Major stand, „ein Unteroffizier und sechsundzwanzig Mann.“

Der Blick des Majors ruhte mit Wohlgefallen auf der kräftigen Gestalt des ehemaligen Hausknechts.

„Sie sind Unteroffizier?“ fragte er.

„Unteroffizier Jakob Schulz.“

„Und Sie haben diese Leute hierher geführt?“

„Zu Befehl, Herr Oberstwachtmeister!“

„Na, Alles in Ordnung hergegangen?“

„Alles. Es befinden sich nur noch Einige unter ihnen, die ihrer Mutter Vorratsstube nicht vergessen können.“

„Sind Sie verheiratet?“ fragte der Major lächelnd, der an dem Manne Gefallen zu finden schien.

„Nein, aber ich war Hausknecht.“

„Hm, dann wird Ihnen die Einberufungsordre keinen Kummer bereitet haben.“

„Mir nicht, aber meinem Prinzipal und seinem Herrn Kommis, die Beide als Gemeine demütigst in meiner Korporalschaft den Wechsel der Dinge empfinden werden.“

Der Major winkte. „Treten Sie ein mit Ihrer Mannschaft, „sagte er; „Sie scheinen Humor zu besitzen.“

„Zu Befehl, Herr Oberstwachtmeister“, erwiderte der Unteroffizier, „der Humor hilft über Alles hinweg.“

Peter Schmitz verließ seinen Prinzipal nicht, er folgte ihm auf Schritt und Tritt, war doch der Materialwarenhändler die einzige befreundete Seele, die er unter der großen Menge besaß. Aber vor ihm, hinter ihm und neben ihm standen auch noch Leute und er konnte ihnen nicht verbieten, dass sie ihn zur Zielscheibe ihres mitunter derben Spotts wählten. Seitdem der leichte Rausch verflogen war, hatte der Mut des jungen Mannes wieder einer gelinden Verzweiflung Raum gegeben, er gedachte seiner Braut, die mit fieberhafter Ungeduld seiner Rückkehr harrte. Er klammerte sich an die Hoffnung, dass man ihn dienstuntauglich erklären werde, wie der Ertrinkende sich an den Strohhalm klammert, durch den er sein Leben zu retten hofft.

„Wie steht’s?“ fragte Schulz, der, während die Namen verlesen wurden, bald mit diesem, bald mit jenem Kameraden einige Worte wechselte. „Ist der Mut Ihnen schon wieder entfallen?“

„Mir scheint, Sie haben den Humor auch schon verloren“, erwiderte Schmitz.

„Bah, glauben Sie, er sei erzwungen gewesen? Halten Sie den Kopf oben; durch Ihren Trübsinn ändern Sie die Sache nicht, durch den Humor gewinnen Sie ihr eine heitere Seite ab, und das ist schon viel wert. Sie waren ja vorhin so vergnügt!“

„Das tat der Münsterländer“, sagte der Materialwarenhändler.

„Ach ja“, fuhr Schmitz fort, „leider ist der Krug geleert und auch in meiner Flasche findet sich kein Tropfen mehr, aber ich will die Flasche drüben füllen lassen.“

„Zurück!“ rief der Infanterie-Sergeant, als Schulz den Versuch machte, den Platz zu verlassen. „Sie müssen hier bleiben, bis es dem Bataillon erlaubt wird, die Quartiere aufzusuchen.“

„Lieber Freund, ich komme ja wieder“, wandte Schulz ein. „Ich will nur die Flasche füllen lassen, denn sehen Sie, wenn der Mensch auswendig nass wird, soll er es auch inwendig werden, weil er es sonst nicht auszuhalten vermag.“

Der Sergeant schüttelte den Kopf; Schulz trat zurück.

„Das ist unangenehm“, sagte er, „aber der Mensch soll in den Zeiten der Not nicht verzagen.“

Er blickte sich um; jenseit des Kanals standen die Zuschauer noch immer. Der Unteroffizier besann sich nicht lange, er hielt die leere Flasche empor und schleuderte sie darauf über den Kanal hinüber.

„Wollte die Infanterie Sie nicht durchlassen?“ fragte in diesem Augenblick ein bärtiger Landwehrmann den Unteroffizier.

„Nein, Niemand darf den Platz verlassen“, erwiderte Schulz.

„Aber drüben ist meine Frau.“

„Wo?“

„Sehen Sie dort auf der anderen Seite des Kanals die beiden Frauen? Ich muss zu ihr; sie hat den weiten Weg gemacht, um noch einmal Abschied von mir zu nehmen.“

„So versuchen Sie’s.“

Der Landwehrmann ging; er kehrte gleich darauf missmutig zurück, und zwar in demselben Augenblick, in welchem die gefüllte Flasche des Unteroffiziers über den Kanal zurückgeworfen wurde.

„Nun?“ fragte Schulz, während er seinem ehemaligen Vorgesetzten die Flasche reichte.

„Man will mich nicht durchlassen.“

„So müssen Sie sich gedulden.“

„Das ist hart, sehr hart.“

Schulz zuckte die Achseln. „Können Sie schwimmen?“ fragte er.

Der Landwehrmann bejahte.

„Na, der Kanal ist doch wahrhaftig nicht so breit wie der Rhein und nass sind Sie ohnedies bis auf die Haut.“

Der Landwehrmann nickte zustimmend und sprang, ehe die Soldaten es verhindern konnten, in den Kanal. Er schwamm hinüber, umarmte seine Frau und kehrte nach wenigen Minuten auf demselben Wege zurück.

„Sehen Sie, das nenne ich Mut“, sagte Schulz, „aber nun geben Sie Acht, unser kleines Kontingent wird verlesen.“

Das Bataillon war formiert, der Major forderte alle Diejenigen, die sich dienstuntauglich hielten, auf, vorzutreten.

Peter Schmitz und dessen Prinzipal befanden sich unter denen, die dieser Aufforderung Folge leisteten.


Kavallerieverladung durch Hessenböcke. Nach der Natur aufgenommen von A. Nikutowski.

Der Unteroffizier blickte ihnen, als sie zur Kaserne abmarschierten, in welcher der Arzt ihrer harrte, kopfschüttelnd nach.

In der Seele Peters war die Hoffnung neu erwacht; er glaubte in diesem Augenblick selbst, ein unheilbares Übel zu besitzen. Er war einer der Ersten, welche untersucht wurden. Der Arzt blickte ihn eine geraume Weile forschend an.

„Wo fehlt’s?“ fragte er kurz angebunden.

„In der Brust“, erwiderte Peter leise mit zitternder Stimme.

„Hm, unter Hundert, die sich zur Untersuchung melden, leiden in der Regel neunundneunzig an Schwindsucht“, fuhr der Arzt fort, während er bedächtig eine Prise nahm. „Sie haben wohl auch die Schwindsucht?“

„Ich glaube, ich habe sie schon vor einigen Jahren einmal gehabt.“

„In der Tat? Ah, wenn Sie damals Kuriert wurden, wird man Sie auch jetzt Kurieren können.“

„Aber ich fühle mich vollständig unfähig, einen weiten Marsch zu machen“, wandte Schmitz ein, „ich habe stets Seitenstechen und Brustschmerzen, Atemnot und Husten.“

„Sie armer Schelm!“ spottete der Arzt, während er die Brust des jungen Mannes untersuchte.

„Man hat mir schon oft gesagt, dass ich an der Schwindsucht leide“, fuhr Peter, durch die Antwort des Arztes, in der er den Spott nicht herausfand, ermutigt, fort; „ich sehe auch stets leidend und angegriffen aus.“

„Lieber Freund, man legt weniger Wert auf den Anstrich, als auf den soliden Bau“, erwiderte der Arzt. „Haben Sie Familie?“

„Meine Eltern und zwei Brüder.“

„Keine Frau?“

„Nein, aber ich gedenke in der nächsten Zeit zu heiraten.“ „Dann trösten Sie sich mit denen, die Weib und Kinder zurücklassen müssen, und marschieren Sie getrost mit.“

Betroffen blickte Peter’ den Arzt an. „Ich bin also tauglich?“ „Wäre Jeder so tauglich wie Sie, dann würden die Lazarette weniger in Anspruch genommen werden.“

„Aber ich habe auch schon an Rheumatismus gelitten.“

Der Arzt öffnete die Tür. „Unteroffizier, führen Sie den Mann zum Bataillon zurück“, sagte er kurz angebunden, „und was Sie betrifft, so rate ich Ihnen, keine weiteren Versuche anzustellen, das Leben im Lazarett kann unter Umständen sehr unangenehm gemacht werden.“

Die Hoffnung war geschwunden, die Braut Peters harrte vergeblich der Rückkehr ihres Verlobten. Aber die Kameraden sollten keine Ursache haben, ihn abermals zur Zielscheibe ihres Spottes zu wählen; Peter Schmitz trat mit erhobenem Haupte und einem Lächeln auf den Lippen, welches seinem Denken und Fühlen allerdings fremd war, in die Reihen zurück. Vorzüglich fürchtete er die beißenden Bemerkungen des ehemaligen Hausknechts, indes enthielt dieser sich des Spotts.

„Fehlgeschlagen?“ fragte Schulz.

„Ja, ich hatte es nicht erwartet“, erwiderte Peter mit erzwungener Ruhe; „nun mir aber der Arzt gesagt hat, dass ich körperlich gesund sei, will ich gerne die Muskete tragen.“ Der Unteroffizier zuckte die Achseln, er wusste, wie er diese Antwort zu nehmen hatte. Die Quartierbillets wurden jetzt ausgegeben; Schulz und Schmitz erhielten eine Anweisung auf ein sogenanntes Massenquartier, in welchem fünfundvierzig Mann gespeist und beherbergt werden sollten. „Wenn Sie den Prinzipal noch einmal sehen und ihm Grüße mitgeben wollen, so kommen Sie heute Abend an den Bahnhof“, sagte Schulz im Laufe des Nachmittags zu seinem Kameraden, „ich habe gehört, er sei wieder entlassen und werde mit dem vorletzten Zuge heimkehren.“


Kavallerieverladung durch Hessenböcke.

Nach der Natur aufgenommen von A. Nikutowski.

„Entlassen?“ Der Neid regte sich in der Seele des Jünglings. Als die Beiden am Abend zum Bahnhof kamen, stand der Zug schon zur Abfahrt bereit, der Materialwarenhändler saß bereits im Coupé zweiter Klasse und blickte stillvergnügt den blauen Dampfwölkchen seiner Zigarre nach. „Wie haben Sie das nur angefangen?“ fragte Peter unmutig. „Lieber Freund, es ist die einfachste Sache von der Welt, ich bin so glücklich, eine Krampfader zu besitzen.“ „Eine Krampfader? Davon habe ich nie etwas gewusst.“ „Glauben Sie, ich sei verpflichtet gewesen, das an die große Glocke zu hängen?“ erwiderte der Materialwarenhändler. „Gehen Sie getrost mit; vorläufig haben Sie nichts zu verlieren, ich werde Ihre Braut von Ihnen grüßen und Sie, soviel ich kann, unterstützen. Adieu!“

Der Inspektor gab das Zeichen, die Lokomotive pfiff, der Zug setzte sich in Bewegung. Peter Schmitz blickte ihm nach, bis der letzte Waggon seinem Blick verschwunden war, dann kehrte er, Arm in Arm mit dem ehemaligen Hausknecht, in sein Quartier zurück.

E. A. K.

Erinnerungen aus dem deutschen Kriege 1866

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