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Aurea mediocritas

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„Richtiger lebst du, Licinius, wenn du weder auf das hohe Meer ständig hinausdrängst noch, während du zaghaft vor den Stürmen schauderst, allzu nah dich herandrängst ans tückische Ufer. Wer das goldene Mittelmass wertschätzt, bleibt sicher weitab vom Verfall eines herabgekommenen Hauses, weitab, nüchtern, von einem den Neid erregenden Königspalast“,

Auream quisquis mediocritatem

diligit, tutus caret obsoleti

sordibus tecti, caret invidenda sobrius aula.

Ein Bild aus der Seefahrt, von Klippen und Stürmen, ein anderes Bild von Hütte und Palast; ohne Umschweife rät Horaz einem – uns nicht weiter bekannten – Licinius gleich zu Anfang dieser Ode, dieses Liedes, zu einem „richtigeren Leben“ zwischen den Extremen, zu einem mittleren Kurs zwischen rauschhaftem Hochhinaus-Wollen und zaghaftem Sich-Zurücknehmen. „Medio tutissimus ibis“, wird Ovid etwas später den Sonnengott seinen Sohn Phaëthon mahnen lassen, als der sich anheischig macht, den Sonnenwagen zu lenken: „In der Mitte gehst du am sichersten.“

Wie in dem vielzitierten „Carpe diem“, so hat Horaz in der spannungsreichen, zugespitzten Prägung „Aurea mediocritas“ einen traditionsträchtigen, bedeutungsschweren griechischen Gedanken aufgenommen und leichtbeflügelt in den siebenten Zitatenhimmel aufsteigen lassen. Zwei jahrhundertealte lakonisch knapp gefasste Sprüche der Sieben Weisen waren da vorausgeflogen: das unter dem Namen eines Kleobulos von Lindos auf Rhodos laufende „Métron áriston!“, „Das – rechte – Mass ist das Beste!“, und das meist dem Athener Solon zugeschriebene „Medén ágan!“, „Nichts zu sehr, nichts im Übermass!“ Ein drittes, zwei Jahrhunderte jüngeres Wort zu Ehren der Mitte sei hier noch angeführt. Im 4. Jahrhundert v. Chr., auf halber Strecke zwischen den Sieben Weisen und Horaz, hat Aristoteles als erster zwischen den „Reichen“ und den „Armen“ einen dritten Stand der „Mittleren“ bezeichnet und diesen bis heute so benannten „Mittelstand“ als den eigentlich staatstragenden Stand gewürdigt:

„Die im Überfluss von allen Glücksgütern leben, von Stärke, Reichtum, Freunden und anderen solchen Gütern, sind weder willens noch fähig, sich einer Herrschaft zu fügen … Die dagegen im Übermass Mangel leiden an alledem, sind allzu unterwürfig. So sind die einen nicht fähig, irgendeine Herrschaft auszuüben, sondern allenfalls, sich einer knechtenden Herrschaft zu unterwerfen, die anderen nicht fähig, sich irgendeiner Herrschaft zu fügen, sondern allenfalls, eine herrische Herrschaft auszuüben. Daraus kann nur ein Staat von Knechten und Herren werden, nicht einer von freien Bürgern, nur ein Staat, in dem die einen mit Missgunst und Neid, die anderen mit Geringschätzung auf die Gegenseite sehen … Daraus geht klar hervor, dass die beste Bürgerschaft diejenige ist, die sich über einen breiten Mittelstand erstreckt …“

„Öfter“, fährt Horaz in jener strenggebauten, bilderreichen Ode fort, „wird die gewaltige Pinie von den Stürmen geschüttelt, hochragende Türme fallen mit schwererem Fall zu Boden, und die Blitze treffen die höchsten Spitzen der Berge. Es erhofft in widrigen, es fürchtet in glücklichen Zeiten das andere Geschick ein gut im voraus gerüstetes Herz. … Nicht, wenn es jetzt schlecht steht, muss es auch später so sein. … In bedrängter Lebenslage zeige dich mutvoll und tapfer; weise wirst du, als ebenderselbe, bei allzu günstigem Winde die schwellenden Segel einziehen.“

Das lateinische Adjektiv mediocris und die daraus gewonnene mediocritas haben nichts Herabsetzendes an sich, sie bezeichnen eine unentschiedene Mittelstellung zwischen dem einen und dem anderen oder ein angemessenes Mittelmass zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig. Schade, dass unsere Fremdwörter „medioker“ und „Mediokrität“ und ihre Lehnübersetzungen „mittelmässig“ und „Mittelmässigkeit“ ins Abschätzige abgeglitten sind; selbst der Höhenflug dieser klassischen „Aurea mediocritas“, genau: dieser „Goldenen Mittelmässigkeit“, hat das deutsche Wort davor nicht bewahren können.

Der spätantike Rhetor und Dichter Ausonius spricht einmal beiläufig von einer „temperata et, quae vocatur, aurea … mediocritas“, einem „ausgeglichenen und, wie es genannt wird, goldenen Mittelmass“, und bezeugt damit die sprichwörtliche Geläufigkeit der Horazischen Prägung. In der neuzeitlichen Umgangssprache ist aus dem „goldenen Mittelmass“ zwischen den entgegengesetzten Extremen von „Hütte“ und „Palast“ das anschauliche Bild eines „goldenen Mittelwegs“ geworden. Da hat wohl die bekannte lehrhafte Legende von Herakles am Scheidewege hineingewirkt; doch hier weist kein Wegweiser hüben die breite, verlockende Strasse zum Laster und drüben den steilen, steinigen Weg zur Tugend hinüber; den „goldenen Mittelweg“ des „goldenen Mittelmasses“ müssen wir allemal selbst neu suchen und finden.

Vgl. „Si, quod adest, gratum iuvat …“, unten Seite 124.

Geflügelte Worte aus der Antike

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