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Zugvögel aus der Antike
ОглавлениеGeflügelte Worte, zumal diese von weither uns zugeflogenen Zugvögel aus der Antike, sind allemal ihrem Nistplatz entflogene Worte; sie tragen kein Ringlein am Fuss, auf dem ihre „Stelle“ mit Autor und Werk, Buch und Kapitel, Paragraph und Vers punktgenau verzeichnet wäre. Wer seine Rede nicht ab ovo beginnen, sondern gleich in medias res gehen will, denkt nicht daran und schert sich nicht darum, dass er mit diesem „ab ovo“ und diesem „in medias res“ Horazens poetische Epistel „Über die Poetik“ zitiert; wer ein Diskussionsvotum mit einem taktvoll lateinisch chiffrierten „Si tacuisses …“ quittiert, denkt nicht daran, dass dieser Zwischenruf dem Spätwerk des gelehrten Boëthius, dem „Trost der Philosophie“, und einem grausam harten Psycho-Test auf stoische Unerschütterlichkeit entflogen ist.
Viele dieser geflügelten Worte haben sich früh aus ihren ursprünglichen Bezügen gelöst und in einem langen Zitiergebrauch neue, oft allgemeinere Bedeutung angenommen. Catos ständig wiederholtes „Ceterum censeo …“ ist heute, mehr als zwei Jahrtausende nach dem Untergang Karthagos, zum Wort für jedwede unbeirrbare Beharrlichkeit geworden; Horazens epikureischer Imperativ „Carpe diem!“ findet sich allenthalben auch jenseits aller Horazkennerschaft im Sinne jedweden gegenwartsfrohen Lebensgenusses zitiert. Bei einem „Heureka!“ denkt mancher noch an Archimedes – aber was hatte der geniale Gelehrte damals eigentlich gefunden, was war das für ein Geistesblitz, der ihn „nackt“ aus dem Bad nach Hause stürmen liess?
Die hier gesammelten, grösstenteils zuvor in der Zeitschrift „Antike Welt“ erschienenen Kolumnen zitieren die geflügelten Worte mitsamt ihrem „Kontext“ im buchstäblichen und im weiteren Sinne; sie betrachten die Nistplätze und beschreiben die Flugrouten, sie bezeichnen die Rastplätze und verfolgen die vielerlei Irrflüge und Federwechsel. Juvenals Empfehlung für ein vernünftiges, reueloses Beten, „dass da sei ein gesunder Geist in einem gesunden Leib“, hat sich auf der Berliner Hasenheide zu der frisch-fromm-fröhlich-freien Turnerdevise „Mens sana in corpore sano“ gemausert; Senecas bittere Schulkritik „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“ hat sich in ebendieser Schule in die schöne Schulmoral „Non scholae, sed vitae discimus“ verkehrt. Auch das vielzitierte „Alea iacta est“ ist derart verquer in die Irre geflogen; Caesars Ruf am Rubikon bedeutet ja gar nicht „Der Würfel ist gefallen“, wie er durchweg verdolmetscht wird; er deutet vielmehr auf das unwiderrufliche Wagnis des Wurfs.
Ausgewählt ist das Interessante, Beziehungsreiche, Geschichts- und Geschichtenträchtige, auch einiges Jüngere und weniger Geläufige. Die Texte der „Antike Welt“-Kolumnen sind für die Buchausgabe nochmals durchgesehen und vielfach erweitert worden. Die bis heute auf griechisch zitierten geflügelten Worte „Heureka!“ und „Panta rhei“ sind unter diesem griechischen Titel präsentiert und in die alphabetische Folge eingereiht, die übrigen unter ihrer jeweils „geflügelten“ lateinischen oder deutschen Version. Das Register verzeichnet die sämtlichen unter eigenem Titel besprochenen oder im Vorübergehen angesprochenen Worte mitsamt den übrigen mehr oder weniger geläufigen Versionen. Die Stellennachweise sind im Anhang zusammengestellt.
Dem traditionsreichen Verlag Philipp von Zabern und seinem Leiter Dr. phil. Jürgen Kron gilt hier aufs neue der grosse Dank des Autors für das treue verlegerische Engagement und die ansprechende Buchgestaltung. Zu dem Nachschlagewerk des „Veni vidi vici“ hat sich mit der Sammlung dieser 49 Kolumnen zu einzelnen Worten ein eigentliches „Lese“-Buch gesellt. „Si, quod adest, gratum iuvat …“: So hat Horaz seinen Schutzgott Merkur einmal um glückliches Gedeihen für seine Herden im Sabinischen gebeten (vgl. Seite 124), und unter dieser so schönen wie schlichten Condicio darf der Kilchberger Ornithophilologe zu guter Letzt auch diesen „Geflügelten Worten“ einen glücklichen Flug und viele „Birdwatcher“ wünschen.
Kilchberg am Zürichsee, 15. Mai 2013 | Klaus Bartels |