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Der große Bär erzählt »Pooh's Corner« von Harry Rowohlt
ОглавлениеEs ist ein großes Glück für die deutschsprachige Literatur, dass Harry Rowohlt nach einer Pause von ein paar Jahren seine »Pooh's Corner«-Kolumne in der Zeit wieder aufgenommen hat. Wenn nicht sogar für die internationale Literatur. Aber bis sich in Frankreich oder England mal herumgesprochen hat, was denen entgeht, das dauert. Wenn man bedenkt, was alles aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wird, nur weil da mal jemand einen Kurs in Creative Writing besucht hat, ist das eigentlich ein Skandal. Aber so müssen die eben weiter ihre Creative Writers lesen, oder Günter Grass. Und das für Humor halten, weil Günter Grass mal an seiner Pfeife suckelnd behauptet hat, auch er hätte selbstverständlich Humor. Womit er zumindest in diesem Fall sogar mal recht hatte.
Harry Rowohlt hingegen hat zwar keinen Roman geschrieben, sondern »nur« welche übersetzt, aber er hat mit seinen Kolumnen die beiläufige Plauderei zu einer Kunstform gemacht, die einzigartig ist, denn seine »Pooh's Corner« sind funkelnde Kleinode, geschmiedet (falls Kleinode geschmiedet werden) mit scharfem Verstand, grimmigem Humor, mit schrägem Witz und wenn es sein muss auch mit satter Beleidigung.
Rowohlts neuer Kolumnen-Band »Pooh's Corner. Meinungen eines Bären von sehr geringem Verstand. Kolumnen, Gespräche, Aufsätze und Berichte. 1997-2009« ist große Klasse! Denn obwohl ich die Kolumnen selbstverständlich schon in der Zeit gelesen habe, und deshalb, um nicht in dem Papierberg zu ersticken, beim Zeitungshändler wegen des unhandlichen Formats mit Mühe und unter missbilligender Beobachtung im Feuilleton nach »Pooh's Corner« gefahndet habe, ob es sich lohnt, diese Papiermengen nach Hause zu schleppen, wo ich die Kolumne herausgerissen und gelagert habe, um sie bei Bedarf wieder hervorziehen und vorlesen zu können, obwohl die also für mich eigentlich alte Kamellen waren, war die Vorfreude auf das Buch groß und noch größer dann das Lesevergnügen, denn in diesem Fall lese ich gerne noch mal nach, denn man vergisst ja auch mal was.
Zum Beispiel, dass Harry Rowohlt einer von fünf Autoren war, der für den Heinrich-Heine-Preis vorgesehen war, jedenfalls erkundigten sich die Preisvergeber beim Schweizer Verlag Kein & Aber nach seiner Telefonnummer »für falls«. »Andere Leute hätten die Inlandsauskunft angerufen, aber so geht es natürlich auch. Ich stehe dick und fett im Telefonbuch, weil ich Geheimnummern für unterschicht halte, unterschicht mit kleinem u. Mit kleinem u wie Adjektiv.« Harry Rowohlt wurde dann doch nicht gefragt, aber hätte man, dann hätte man erfahren, dass er am Tag der Preisverleihung sowieso nicht gekonnt hätte, weil er da bereits eine Lesung in Halle hatte. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich mag solche schönen Gemeinheiten, denn die sind viel gemeiner als irgendein hohles, anprangerndes Statement, aus dem man nur erfährt, wie gemein die Welt im allgemeinen und in diesem Fall aber besonders ist.
Am lustigsten finde ich die Kolumne »Freiheit für Mumia Abu-Jamal!« Harry Rowohlt hält eine Rede auf einer Demo in Hamburg für ... aber das sagt ja bereits der Titel der Kolumne. Und jetzt muss ich ein bisschen ausführlicher zitieren, weil der hintergründige Witz so viel deutlicher wird als ich das nacherzählen könnte: »Wir sind etwa neunzig Menschen, und die CIA hat ein kleines Mädchen geschickt, welches jeden einzelnen Redebeitrag mühelos mit seinem Geplärr übertönt.« Dann wird Harry Rowohlt angekündigt, und er sagt,
»vielleicht einen Tick zu subjektiv: ›Am meisten bewundere ich an Mumia Abu-Jamal, dass er jede Woche eine Kolumne raushaut. Ich kann immer nur eine Kolumne schreiben, wenn ich vorher was erlebt habe, und auch dann nur selten. Aber Mumia Abu-Jamal kommt ja so gut wie nie vor die Tür.‹ Rückkopplung, eisige Blicke, Rückkopplung. ›Ich würde empfehlen, ihn eiligst freizusprechen, denn wenn das so weitergeht, wird seine Haftentschädigung unerschwinglich, und wenn er dann freigelassen ist, kann er auf Lesereisen gehen, was erleben und darüber seine Kolumnen schreiben.‹ Eisige Blicke, Rückkopplung, eisige Blicke. ›Wenn er aber beschließen sollte, mit dem Geld von seiner Haftentschädigung einen Zeitungs-und-Tabakwaren-Laden mit Lotto-und-Toto-Annahme aufzumachen, so gönne ich ihm auch das von Herzen.‹ Eisige Rückkopplungen.«
Es gibt noch jede Menge solcher schönen Stellen. Aber ich kann die ja nicht alle zitieren, und deshalb rate ich Ihnen dringend: Besorgen Sie sich das Buch. Eine gute Investition, und gar nicht teuer. Und man hat was fürs Leben, denn in Zeiten von Alzheimer kann man das Buch immer wieder neu lesen. In jedem Fall gehört es in das Regal, in dem die große Weltliteratur steht. Aber nicht bei Grass und Walser.
2009