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Kapitel 4

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Es war punkt neun. Officer Bob Mayer war gerade von seiner ersten frühen Streife durch die Delice Shopping Mall zurückgekehrt, Sergeant Fancy und Officer Ruler waren jetzt unterwegs auf ihrem Rundgang. Bob Mayer hatte an dem Doppelschreibtisch, der den Raum beherrschte, Platz genommen.

Er nahm seine dunkelblaue Mütze mit dem großen silbernen Abzeichen über ihrem breiten Schirm ab und hängte sie über die Schreibtischlampe. Dann ließ er sich auf seinem Sessel auf Rollen nieder, schob den Tablet-PC beiseite und wischte mit dem rechten Arm über die jetzt frei gewordene Stelle, was nicht nötig gewesen wäre. Er lockerte den Knoten seiner Krawatte, bückte sich und entnahm einer speckigen braunen Ledertasche, die neben ihm auf dem Fußboden stand, sein in einer schneeweißen Serviette eingeschlagenes Frühstück. Diese Tasche war, was Dinge anbetraf, sein ganzer Stolz und gleichzeitig immer mal wieder Zielscheibe für den Spott seiner Kollegen. Er wusste nicht genau, von welchem seiner Urgroßväter sie stammte, aber sie war alles, was von deren Hab und Gut übrig geblieben war, als dieser Urahn beschlossen hatte, in der Neuen Welt zu leben.

Dem Serviettenpäckchen folgte eine weiß etikettierte Flasche Blue Mountain-Mineralwasser mit zum Namen passender Schriftfarbe. Er drehte am Verschluss, der sich sofort leise zischend öffnete, wobei ihm etwas von dem heraussprudelnden Wasser über die Finger rann. Dann wickelte er ein großes, quadratisches Sandwich aus, strich die Serviette mit einer liebevollen, fast pedantischen Geste glatt und platzierte das Weißbrot darauf. Er klappte es vorsichtig auf, schnupperte und schaute sich den Belag an, wie ein Entomologe ein äußerst seltenes Exemplar betrachtet, das er gerade in einem seiner Schaukästen säuberlich mit einer Nadel aufgespießt hat. Auf einem über den Rand des Brotes ragenden Salatblatt, das noch erstaunlich frisch aussah, lag eine dicke Tranche gelben Käses und darüber zwei große, hauchdünn mit Mayonnaise bestrichene Tomatenscheiben. Sichtlich zufrieden mit dem, was er gesehen hatte, klappte Bob Mayer das Brot wieder zusammen und begann mit einem herzhaften Biss sein zweites Frühstück – eigentlich war es das erste, da er am frühen Morgen lediglich eine Tasse Kaffee getrunken hatte, so wie fast immer.

»Von ihr, dein ›Forschungsobjekt‹?«, kam die Frage des zweiten Mannes in dem kleinen Raum. Officer Richard Pease saß ihm gegenüber und in seinem Blick, der zwischen dem Sandwich und Bob hin- und herging, lag eine Mischung aus Amüsement und Ekel. Er hatte sich für seine Pause allerdings nicht die Mühe gemacht, die Mütze abzunehmen, sondern sie nur lässig in seinen Nacken geschoben, sodass sie eine seiner vollen, tiefschwarzen Locken freigab, die ihm nun keck über der Stirn hing. Wie üblich war er über den Sportteil seiner elektronischen Zeitung gebeugt. In seinem linken Ohr steckte außerdem ein kleiner Knopf, durch den er keine Sportübertragung verpasste, sein Lieblingssport war Baseball.

In einer Hand hielt er einen Pappbecher dampfenden Kaffees, den er sich noch eben aus dem Automaten im Flur geholt hatte. Einem BOSST-Getränkeautomaten, der eine Auswahl von mehr als zwei Dutzend Getränken, heiße wie kalte, zur Auswahl bot, für die jeweils Diensthabenden kostenlos.

Mit der anderen Hand tippte er jetzt wieder konzentriert irgendwelche Zahlenreihen einer Sportwette ein. Vor einiger Zeit hatte er einen hübschen, aber viel zu kleinen Betrag gewonnen und er war sich seitdem ganz sicher, ja er spürte es regelrecht, irgendwann, und zwar in gar nicht ferner Zukunft, den ganz großen Coup zu landen. Dann könnten ihn alle mal den Buckel runterrutschen und auf die seiner Meinung nach längst fällige Beförderung zum Sergeant würde er auch dankend verzichten. Selbst wenn ihm einer seiner Kollegen die Wahrscheinlichkeit eines ganz großen Coups vorrechnete, hielt er an seiner Überzeugung fest wie ein frühchristlicher Märtyrer im alten Rom, weil er es einfach spürte. Und das hatte mit Mathematik nicht das Geringste zu tun.

Im Kollegenkreis wurde er wegen seines an Verrücktheit grenzenden Fanatismus zu dem gleichnamigen Sport, manche gebrauchten auch den umgekehrten Wortlaut, nur ›Base‹ genannt.

»Von ihr«, wiederholte Richard etwas lauter, aber jetzt ohne von seinen Glückszahlen aufzublicken, »oder etwa selbst gemacht?«

Mit ›ihr‹ war Bob Mayers Verlobte, Mia Sandmann, gemeint. Bob hatte Mia, die persönliche Assistentin von Mal Fisher, im letzten Jahr kennengelernt, als sie im Delice zum Einkaufen gewesen war. Sie hatte unterwegs irgendwo eine ihrer Einkaufstaschen stehen gelassen und war ins Sicherheitsbüro gekommen, um nachzufragen, ob sie vielleicht dort abgegeben worden war. Bob hatte gerade Bürodienst gehabt und sich auf den ersten Blick in sie verliebt. Noch nie im Leben hatte er solch wunderschöne Augen gesehen. Zum Glück hatte er den Stoffbeutel mit dem Karton unter dem Tresen hervorzaubern können, denn der war tatsächlich kurz vorher von einem ehrlichen Teenager abgegeben worden.

»Wie kann ich mich erkenntlich zeigen?«, hatte Mia mit einem Lächeln gefragt, das ihm den Rest gegeben hatte. Bob hatten schon den Finder nennen wollen, denn dessen Namen hatte er natürlich notiert. Er hätte später nicht mehr sagen können, was ihn geritten hatte, als er keck geantwortet hatte:

»Eine Kugel Eis im neuen Frozen würde durchaus genügen ... Frau Sandmann. Ich habe in zehn Minuten Dienstschluss. Kennen Sie das Frozen? Ich werde dort anrufen und einen besonders schönen Tisch reservieren.«

»Woher wissen Sie meinen Namen?«, hatte Mia erstaunt gefragt und ihn aus ihren großen blauen Augen angeschaut. Bob hatte auf die Einkaufstasche gezeigt. »Ein Kassenbeleg ... mit Ihrem Namen drauf. Ich musste doch nachschauen, was drin war. Hätte ja alles Mögliche sein können ... es sind im Übrigen ausgesprochen schöne Schuhe, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.« Seine Brust hatte zu zerspringen gedroht, so schnell hatte sein Herz geschlagen.

»Ich bin keine Terroristin, Officer«, hatte Mia charmant lächelnd geantwortet, »ich verdiene mein Geld mit ehrlicher Arbeit und genieße hier nur einen freien Tag, von denen es leider viel zu wenige gibt. Selbstverständlich kenne ich das Frozen ... und Eis mag ich auch.«

Sie hatten dann bis in den späten Abend hinein geredet und sehr viel gelacht. Obwohl sie inmitten einer weißen Landschaft mit Robben, Pinguinen, treibenden Eisschollen und Eisbären gesessen hatten, die von den Hologrammen perfekt in den Raum projiziert worden waren, war beiden immer wärmer ums Herz geworden. Irgendwann war Bobs Blick auf die Uhr neben dem Eingang gefallen und er hatte lachend festgestellt, dass er noch nie so lange für eine Kugel Eis gebraucht habe.

Ein halbes Jahr später wohnten sie schon zusammen und Bob Mayer fühlte sich immer noch wie im siebten Himmel.

Nach zwei gescheiterten Beziehungen, die in einem Desaster geendet hatten, fühlte er sich diesmal angekommen.

»Ja, es ist von ihr«, beantwortete er die Frage seines Kollegen mit vollem Mund und sagte dann kauend: »Olgas Platz ist immer noch leer«, und als keine Reaktion kam, »ich sagte, Olgas Platz ist immer noch leer, Richie, hörst du mir mal zu?«

»Ab einem Pfund wird´s undeutlich, kau erst mal fertig. Ich weiß, dass es keine Pfannkuchen gibt. Als wenn das wichtig wäre ... Junge, Junge, Bob, es gibt in dieser Welt auch noch was anderes als Pfannekuchen«, er sprach das Wort jetzt eher wie ›Pfannnnekuchen‹ aus, »... jetzt mach aber mal ´nen Punkt ... wie ich gehört habe, ist ihr Platz auch schon wieder vermietet ... kein Wunder bei der Lage. Jeder latscht dran vorbei. Irgend so ein Pizzabäcker versucht sich jetzt dort, hab´ ich gehört ... na ja, Futter geht immer. Wer verteilt hier eigentlich die Lizenzen?

Der kann doch nicht mehr alle Latten am Zaun haben! Muss es wieder so ein fettes, altmodisches Zeug sein? Unsere Fooddesigner reißen sich den Arsch auf ... ich kann das gar nicht fassen ... was manche Menschen sich antun ... du eingeschlossen ... übrigens stinkt der Käse entsetzlich. Stammt wohl aus dem letzten Jahrhundert«, erwiderte der Angesprochene mit einer Miene, die wohl Abscheu ausdrücken sollte, und fuhr im gleichen Atemzug begeistert fort: »Hast du die scharfe Braut im Frozen schon gesehen? Bedient seit zwei Tagen da. Rote Haare ... und auch sonst genau meine Kragenweite, wenn du weißt was ich meine«, und übergangslos mit einem Blick auf seinen Bildschirm, auf dem gerade eine neue Schlagzeile erschienen war, »Mann, Wahnsinn, hast du das gelesen? Pete hatte schon wieder zwei Home Runs in einem Spiel, einem Auswärtsspiel wohlgemerkt ... und ich war nicht dabei, Scheißsonntagsdienst, verflucht! Ein richtiger Teufelskerl ist das ... und garantiert die beste Investition der Tiger seit Jahren. Die hundert Mille haben sich mal gelohnt. Der Mann hat einen Schwung, unglaublich, so was hab ich noch nicht gesehen ... und ich kenne sie alle. Ich schwör´s dir ... es geht wieder aufwärts, Bob ... wir werden uns die Meisterschaft zurückholen. Das ist jetzt schon so sicher, wie deine Olga im Knast sitzt.« Der Übergang von Ekel zu Begeisterung war ihm nahtlos gelungen.

»Sag mal, hast du eigentlich auch noch was anderes als Baseball und Weiber in deiner Birne?« Bob biss erneut ein Stück von seinem Sandwich ab. Er erwartete keine Antwort.

»Wozu?«, grinste Richard. »Sind nicht die schlechtesten Themen ... jedenfalls besser als die, über die du dir Gedanken machst. Du tust ja gerade so, als seiest du mit Olga verheiratet.

Hast einen richtigen Narren an ihr gefressen ... Mann, Mann, Mann. Wenn das deine Mia erfährt, hahaha ... Mensch, Bob, nun halte aber mal den Ball flach, sie hat Drogen vertickt, die gute Frau! Hat wohl doch nicht nur Mehl verwendet ... hahaha ... clevere Tarnung, das muss man ihr lassen. Na ja, von Pfannkuchen allein wird man auch keine großen Sprünge machen können ... mit denen deiner Olga allerdings schon«, er lachte über seinen eigenen Witz.

»Ach ja?« Bob Mayer schluckte den Rest des Bissens herunter und lehnte sich auf seinem Schreibtisch nach vorne, wobei er sein Sandwich so heftig umherschwenkte, dass etwas von der Mayonnaise herabtropfte, glücklicherweise auf die Serviette. »Woher willst du das so genau wissen, Richie, hast du welche bei ihr gekauft? Nein Rich, ich sage dir, sie hat damals etwas erlebt ... gesehen oder gespürt ... was sie nicht erleben durfte. Und ich habe es auch gesehen und wenn du etwas schneller gewesen wärst, dann hättest du es auch gesehen und würdest jetzt nicht so ignorant daherreden. Da war etwas, da bin ich mir sicher, hundert pro! Sie ist weder verrückt noch verkauft sie illegales Zeug ... und die Brille hat funktioniert. Es war etwas im Infrarot, da verwette ich sogar meine nächsten drei Eintrittskarten für die Albert Hall ... und nimm mal endlich den verdammten Stöpsel aus dem Ohr! Irgendwann wächst er da fest.«

Bob Mayer hatte dabei mit dem Zeigefinger der anderen Hand auf seinen Kollegen gedeutet.

»Jetzt sperr mal deine Lauscher gut auf, mein Lieber, und hör auf, mit deinem Essen herumzufuchteln, ist ja ekelhaft, schau dir mal die Sauerei an«, er zeigte mit gespieltem Vorwurf, als wenn es sich um die Überreste einer Kannibalenmahlzeit handeln würde, auf den Mayonnaisefleck und fuhr dann fort: »Wir sollten uns da raushalten, meine ich. Erstens ... hast du nicht gesehen, wer diese Dame abgeholt hat? Das waren keine einfachen Bullen, das war die Staatspolizei. Die Fressen erkenne ich besoffen im Dunkeln, die riech ich gegen den Wind ... selbst wenn es Scheiße regnen würde ... und zweitens, höre ich noch genug.« Er tippte sich an das Ohr mit dem Stöpsel.

Richard hatte mit zusammengekniffenen Augen das Wort ›Staatspolizei‹ lang gedehnt ausgesprochen, so als hätte er einen Taubstummen vor sich, der nur von den Lippen ablesen kann. Dabei hatte er seinen Pappbecher so heftig auf den Tisch gestellt, dass ein paar Spritzer des inzwischen lauwarmen Gebräus auf seinem Bildschirm gelandet waren. Mit einer schnellen Handbewegung wischte er sie mit dem Ärmel weg.

»Mensch, jetzt versaue ich mir wegen dir und deiner Olga auch noch meine Uniform, schau dir das an!« Mir einer theatralischen Geste hob der den Arm und betrachtete den kleinen Fleck mit gespieltem Entsetzen, was Bob Mayer nur dazu veranlasste, müde abzuwinken und ihm einen Vogel zu zeigen.

Bei aller Unterschiedlichkeit mochten sich die beiden und meist nahmen sie ihre Wortgefechte nicht wirklich ernst. Es war fast so, als liebten sie ihre kleinen Kabbeleien, die immerhin eine Abwechslung in ihrem wenig aufregenden Dienstalltag darstellten, wenn man einmal von dem besagten Zwischenfall an dem Pfannkuchenstand absah. Sie wussten beide, dass sie sich aufeinander verlassen konnten, wenn es einmal hart auf hart kommen würde, womit allerdings keiner von ihnen wirklich rechnete. Ihnen war aber auch klar, dass es für Männer in Uniform Unangenehmeres und Anstrengenderes gab, als in einer Shopping Mall Streife zu laufen und dafür zu sorgen, dass die Leute in Ruhe ihre Einkäufe erledigen konnten.

»Nichts zu tun, die Herren, haben die Geschäfte heute geschlossen?« Chief Supervisor Don Wichewski war unbemerkt eingetreten und seine Glatze leuchtete mal wieder wie frisch poliert mit der großen Gürtelschnalle vor seinem Bauch um die Wette. Spötter behaupteten, beides glänze immer dann besonders, wenn er eine neue Flamme hatte. Dass die Geschäfte im Delice immer geöffnet waren, wusste er natürlich so gut wie jeder andere in Bushtown.

»Wir machen Pause, Chief. Fancy und Ruler sind draußen«, Bob lehnte sich in seinem Sessel zurück und schaute demonstrativ auf die Wanduhr. »Wir haben gerade über Olga gesprochen ... Olga Wrenolowa, wissen Sie, die Pfannkuchenfrau.«

Die Kollegen Fancy und Ruler, beides sehr erfahrene Beamte, hatten die Mannschaft des Delice-Wachdienstes verstärkt. Kurz nach dem Zwischenfall am Pfannkuchenstand waren sie in die Shopping Mall abkommandiert worden, sodass jetzt unter dem Befehl des Chief Supervisors Wichewski acht Männer im 24-Stunden-Schichtdienst im Einsatz waren.

»Ich weiß, wer Olga Wrenolowa ist, Mayer. Wollen Sie mich für dumm verkaufen? Finden Sie mir einen in der Stadt, der sie nicht kennt. Sie wurde verhaftet, Sie waren doch selbst dabei.

Was gibt es da also noch zu reden? Das ist Schnee von gestern ... im wahrsten Sinn des Wortes, hahaha ... der Pizzamann soll übrigens sehr gut sein ... hat schon eine Filiale drüben in Southend. Ein paar Kumpels von mir waren mal da ... waren ganz begeistert von dem Zeug. Die Abwechslung wird Ihnen guttun, Bob, immer Pfannkuchen kann´s ja wohl auch nicht sein«, lachte er laut über seinen Witz. Dann fuhr er ernster und mit gesenkter Stimme fort: »Ich warte stündlich darauf, dass mir von der NSPO wieder unangenehme Fragen gestellt werden. Irgendwie habe ich das im Urin. Die haben das noch nicht zu den Akten gelegt. Werden noch mal nachbohren, warum es uns entgangen ist, dass im Delice so etwas passieren konnte ... warum wir nicht in der Lage sind, Ordnung zu halten, und so weiter, bla, bla, bla. Obwohl ich denen schon alles gesagt und sogar geschrieben habe, was ich weiß. Na ja, sei´s drum, warten wir's ab. Ich regel das schon.« Er schaute dabei wie der Wettertyp vom Fernsehen, der es gewohnt war, dass seine Prognosen immer stimmten, was kein Kunststück war. Dann straffte er sich und zog seine Uniform glatt, bevor er wieder seinem Büro zustrebte, so als ob ihn dort Herr oder Frau Wichtig persönlich erwarten würde.

»Gehen Sie wieder pünktlich an Ihre Arbeit meine Herren, das Verbrechen schläft nicht, auch nicht in diesen Zeiten, wie Sie wissen«, rief er noch in wichtigtuerischem Befehlston mit einem Blick auf die Uhr, die gerade auf 9:25 gesprungen war.

Kaum an seinem Schreibtisch, griff er zu seinem privaten Mobiltelefon und Sekunden später säuselte er in einer Stimmlage in den Hörer, die ihm wohl keiner seiner Untergebenen zugetraut hätte.

»Gehen Sie pünktlich an Ihre Arbeit«, äffte Richie seinen Chef nach. »Der hat gut reden. Sitzt den ganzen Tag auf seinem Arsch und hält Maulaffen feil. Seitdem wir zu Acht sind führt er sich auf wie ein Viersternegeneral kurz vor der Verleihung seines fünften. Möchte echt mal wissen, was die an dem findet.« Mit ›die‹ meinte er die aktuelle Freundin des Chiefs.

»Steht wahrscheinlich auf schicke Uniformen ... sollte lieber mal schauen, was drinsteckt«, beantwortete er sich selbst die Frage. »Obwohl sie das wahrscheinlich schon getan haben wird, hahaha ... weißt du eigentlich, warum er sich seine Hosen immer so hochzieht?« Er war dabei aufgestanden und zog jetzt eine imaginäre Hose bis unter seine Achseln. Dabei grinste er frech.

»Lass ihn doch, Richie, solange er verknallt ist, haben wir unsere Ruhe, bist ja eh nur neidisch«, meinte Bob gelassen, der sich schon lange nicht mehr über seinen Vorgesetzten aufregte.

Er dachte an Olga, der er die angebliche Tat nie und nimmer zutraute. Musicals lieben und gleichzeitig Drogen verkaufen passte in seinem Weltbild einfach nicht zusammen.

»Neidisch?«, prustete Richard Pease. »Ich, auf den? Hast du dir die Tussi mal angesehen? Nie und nimmer. Die könntest du mir nackt auf den Bauch binden. Aber wie wir ihn kennen, wird in zwei Monaten sowieso die Nächste auf der Matte stehen, beziehungsweise liegen, hahaha.«

Fünf Minuten später, die Pause war in diesem Moment zu Ende, erschien der Chief abermals in der Tür und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war es mit der Ruhe erst einmal vorbei.

»Ich hab´s ja gewusst«, knurrte er, »hat allerdings keine Stunde gedauert.« Er zog sich mürrisch einen Stuhl heran und setzte sich. Richard Pease hatte seinen Streifengang bereits begonnen und Bob Mayer hatte gerade die Reste seines Sandwiches eingepackt und zusammen mit der halb geleerten Flasche Blue Mountain-Mineralwasser in seiner Tasche verstaut. Jetzt blickte er den Chief erwartungsvoll an und fasste sich an den Kragen, der auf einmal eng zu werden schien.

»Ich hatte gerade ein Gespräch mit einem der Chefs der NSPO, ... Mike Stunks, oder so ähnlich«, fuhr er fort. »Sie wollen noch einmal genau wissen, was da neulich hier los war.

Mein schriftlicher Bericht hat denen nicht gereicht. Mayer, Sie hatten ja Ihre Kamera eingeschaltet, als Sie dieses ›Dings‹ verfolgten, und jetzt will die NSPO wissen, was bzw. ob Sie selber etwas mit Ihren eigenen Augen gesehen haben. Meine Berichte genügen denen nicht. Jaja, das gute alte menschliche Auge, tztztz. Sie werden also persönlich befragt werden. Ich habe Sie beide in Schutz genommen, hab´ gesagt, dass Sie sich erst noch an die Brillen gewöhnen müssen, worauf ich eins draufbekommen habe, dass ich Sie gefälligst besser schulen soll. Der hat sich aufgeführt wie Graf Koks ... Sie sind mir was schuldig, geben Sie das an Ihren Kollegen Pease weiter. Ich gehe in die Pause, muss mal an die frische Luft.«

»Sie sind mir was schuldig? Das hat er wirklich gesagt? Hat der sie noch alle?«, fragte Richard empört, als sie sich kurze Zeit später in der Mall trafen. »Er und uns in Schutz nehmen, da lachen ja die Hühner, dem geht´s doch nur um seine eigene Haut. Aber warum hast du auch bloß diese Scheißbrille eingeschaltet, Mann? Der olle Wichewski macht das jetzt zur Chefsache.« Richard Pease machte bei dem Wort ›Chefsache‹ mit beiden Händen imaginäre Anführungszeichen in der Luft.

»Und wir haben jetzt wieder den Ärger am Hals.«

»Ja, ich, weil ich sie eingeschaltet habe, und du, weil du sie nicht eingeschaltet hast, mein Lieber, und hör damit auf, dauernd auf ihm rumzuhacken, es gibt schlimmere Chefs und lass ihn ›Scheißbrille‹ besser nicht hören«, konterte Bob und fuhr fort: »Also was ist jetzt mit den Drogen? Nix Drogen, hab´ ich gleich gewusst, hier geht es um was Größeres. Oder glaubst du, die NSPO kümmert sich um Drogen?«

»Was weiß denn ich«, war die lakonische und leicht resigniert klingende Antwort seines Kollegen, »mir wär´ nur lieb, wenn du uns da nicht weiter reinreitest mit deiner Pingeligkeit. Pass also auf, was du denen erzählst.« Er machte auf dem Absatz kehrt und strebte dem Frozen zu, um sich die neue Bedienung, genauer anzuschauen.

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Die Siegel von Tench'alin

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