Читать книгу Ernst Happel - Genie und Grantler - Klaus Dermutz - Страница 6
ОглавлениеDANIEL KOERFER
Vorwort
Schon zu Lebzeiten wurde Ernst Happel zur Legende. Einst, in den Hochzeiten des österreichischen Fußballs, ein begnadeter Spieler, erreichte er als Trainer ganz unterschiedlicher Vereins- und Nationalmannschaften wirklichen Weltruhm. Gewiss, er war nach außen hin ein schwieriger Schweiger und gefürchteter Grantler, war ein passionierter Zocker am Karten- und Roulettetisch, ein Kettenraucher noch dazu, der manchem Sportjournalisten schlaflose Nächte bereiten sollte, nachdem er ihn zusammengestaucht und ohne auch nur einen winzigen Hauch von Information wieder fortgeschickt hatte. Und doch, wenn es einen heiligen Stein im Mekka des Fußballs geben würde, sein Name wäre für alle Zeiten eingeschrieben auf ihm. Denn Ernst Happel gelang, was nur wenige vermochten: Immer auf der Suche nach dem »perfekten« Spielzug, dem »absoluten« Spiel, revolutionierte er mit seinem »Pressing« den europäischen Fußball und schrieb wahrlich Sportgeschichte. Als er starb und sich die Massen in Wien zu Tausenden bei seinem Begräbnis drängten, titelte die Kronen-Zeitung wehmütig: »An seinem Sarg war das Pressing so, wie er es sich zu Lebzeiten immer gewünscht hat«.
»Ein Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag« – so lautete sein häufig wiederholtes Lebensmotto. Fußball wurde Ernst Happel, dem die Großmutter zum ersten Geburtstag grün-weiße Söckchen gestrickt und geschenkt hatte, tatsächlich zum Schicksal. Grün-Weiß, die Farben von Rapid Wien, ein Omen mit weitreichenden Folgen – von diesem Verein wird der kleine Straßenfußballer etwas mehr als ein Jahrzehnt später, während Hitler in Wien einzieht, unter Hunderten von Jugendlichen ausgewählt, darf mit den »Auserwählten« trainieren, darf bald schon als 17-Jähriger in ihrem Kreise mittun, mitspielen, bestaunt, bewundert ob seiner technischen Beschlagenheit.
Fußball rettet Happel im Zweiten Weltkrieg möglicherweise das Leben, sein Hauptmann war ein Fußballfanatiker, der den jungen Soldaten für Spiele in der Etappe in seiner Nähe haben wollte. Fußball führt Happel nach dem Krieg aus seinem Milieu, öffnet ihm, dem »Schmäh- und Rädelsführer« der Spieler von Rapid, Türen »von der Unterwelt bis zum Minister«, lässt ihn die Anfänge der Professionalisierung erleben. Gegen die »Königlichen« macht der »Wödmasda« das Spiel seines Lebens, schießt am 14. November 1956 innerhalb von 22 Minuten drei Tore, ein lupenreiner Hattrick. Zwei Weltmeisterschaften – 1954 und 1958 – erlebt er als Spieler, wird dabei im Halbfinale 1954 »Opfer« des Taktikfuchses Sepp Herberger und als Hauptschuldiger für den deutschen 6:1-Kantersieg in seiner Heimat verunglimpft. Wegen der massiven, ja infamen Vorwürfe geht er ins Ausland, zu Racing Paris, und kehrt erst nach knapp zwei Jahren wieder in seine Heimat zurück.
In seines Lebens Mitte, ohne jegliches Fachdiplom, wechselt er bei seinem Heimatverein ins Trainerfach – bei Rapid wird er Sektionsleiter, gewinnt gleich auf Anhieb Meisterschaft und Pokal. Die internationale Karriere des neben Sepp Herberger »interessantesten Trainers der Welt« im 20. Jahrhundert, so Der Spiegel, beginnt 1962 mit ADO Den Haag. Mit Teams von Underdogs und Außenseitern – FC Feyenoord, FC Brügge – in ganz Europa Triumphe zu feiern, sollte sein Markenzeichen werden. Aber auch bittere Niederlagen lernt er kennen und trägt sie mit stoischer Gelassenheit, etwa die brutale 1:3-Niederlage 1978 im dramatischen WM-Finale nach Verlängerung mit Holland gegen Argentinien. Rob Rensenbrink schießt kurz vor Schluss der regulären Spielzeit an den Pfosten – hätte er getroffen, Happel wäre wirklich und tatsächlich »Wödmasda« geworden. So trug er diesen Ehrentitel in seiner Heimat gewissermaßen als »Wödmasda der Herzen«, die Kerben in seinem markanten Gesicht mögen etwas tiefer geworden sein.
Happel setzt Anfang der 1980er Jahre seine Laufbahn beim Hamburger SV fort, wo er sowohl national als auch international erfolgreich ist und 1983 gegen eine mit frischgebackenen Weltmeistern gespickte Elf von Juventus Turin im Endspiel der damaligen »Champions League«, dem Europapokal der Landesmeister, in Athen einen 1:0-Sieg feiern kann. Das entscheidende Tor sollte einem seiner Lieblingsspieler, Felix Magath, gelingen. Aufgrund einer Krebserkrankung entschließt Happel sich, beim FC Tirol das nächste Engagement anzunehmen. Den Tiroler Klub führt er an die nationale Spitze, internationale Erfolge bleiben jedoch aus. Auf seiner letzten Station gibt der von der Krebserkrankung schon schwer gezeichnete Happel dem österreichischen Nationalteam neue Energie und Selbstvertrauen.
Fußball bleibt seine Leidenschaft, ein Leben lang bis in die letzten Tage hinein. Lakonisch, wortkarg, mit trockenem Witz, von seinen Spielern verehrt, von den Sportjournalisten gefürchtet, vom Publikum bestaunt, ging Ernst Happel seinen Weg. Er ist wohl stets eine hochsensible Mischung aus Sentiment und Härte gewesen, war mit seiner hinter einer Attitüde von Unnahbarkeit verborgenen Verletzlichkeit ein im Kern rastlos-einsamer Skeptiker, immer auf der Suche nach den Lösungen jenes Rätsels, das über Sieg und Niederlage, Glück und Unglück entscheidet.
Eine fundierte Biographie dieses großen und zugleich kantig-kauzigen Mannes war überfällig. Das Ernst-Happel-Porträt von Klaus Dermutz zeichnet den Lebensweg dieses großartigen Sportlers einfühlsam nach, der fünf Jahrzehnte als aktiver Fußballer und Trainer seinen Sport auf seine höchst eigenwillige Art und Weise geprägt hat. In dieser Monographie leuchtet die imposante Karriere dieses begnadeten Fußballers und Trainers noch einmal auf, der überall, auf all seinen Stationen, im Herzen doch ein Wiener geblieben ist. Wer immer ihn erlebt, wer immer unter ihm trainiert hat, behält ihn wehmütig in Erinnerung, nicht zuletzt auch seine lakonische Schlussfloskel, mit der er, gleichzeitig die Brille absetzend, seine überaus kurzen Spielerbesprechungen oder auch Pressekonferenzen zu beenden pflegte: »Danke – und schließe.«
Daniel koerfer wurde 1955 in Bern geboren, hat als Schüler noch im alten Wankdorf-Stadion trainiert und von diesem gerade für den deutschen Fußball »historischen Ort« aus sein Faible für diesen Sport entwickelt. Er lehrt Neuere Geschichte/Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin und hat in seinem Buch Hertha unter dem Hakenkreuz – Ein Berliner Fussballclub im Dritten Reich (Verlag Die Werkstatt, 2009) eine Alltagsgeschichte aus der ersten deutschen Diktatur erzählt, bei der es auch um Fußball, in erster Linie aber um das Leben und Überleben von »kleinen Leuten« in schwierigen Zeiten geht.