Читать книгу Ernst Happel - Genie und Grantler - Klaus Dermutz - Страница 9
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Grün-Weißer – Spieler bei Rapid
Durch den Angriff auf die Sowjetunion werden die Privilegien der Fußballer nicht nur in Wien weniger. Viele Spieler sind nicht mehr in der Stadt, und dadurch können Nachwuchskicker wie Happel vorzeitig in den Kader der 1. Mannschaft aufsteigen.1 Happel zieht 1991 gegenüber dem Autor ein nüchternes Fazit, wie seine Laufbahn während der NS-Zeit begonnen hat: »Ich war nicht für das Regime, aber was hast machen wollen, du kannst nichts machen. (…) Ich war noch in Wien stationiert, weil Rapid Wien ist im 41er Jahr Großdeutscher Meister geworden, in einem halben Jahr waren alle Spieler an der Front, sonst wäre ich nie mit 16 in die 1. Mannschaft gekommen, und dadurch, dass ich mit 16, 17 Jahren in der 1. Mannschaft gespielt habe, habe ich die Chance gehabt, außerhalb von Wien stationiert zu sein im Arbeitsdienst und in Wien später stationiert beim Militär, bei den Nachrichten, wo ich ein halbes Jahr war.«
Laut Informationen der »Wehrmachtauskunftstelle (WASt)« Berlin liegen die Personalpapiere (Wehrpass, Wehrstammbuch, Stammrolle) nicht vor, diese sind vermutlich durch Kriegseinwirkung verloren gegangen. Ein Einberufungsdatum ist nicht verzeichnet, auch kein Dienstgrad. Happel gehörte zu folgenden Truppenteilen:2
Datum nicht verzeichnet | 1. Stammkompanie, Nachrichten-Ersatz-Abteilung 17 | |
Ab 06.09.1943 | 2. Nachrichten-Ausbildungs-Abteilung 17, Wien | |
Ab 31.01.1944 | 3. Marschkompanie, Nachrichten-Ersatz-Abteilung 17 | |
Am 31.01.1944 | 2. Nachrichten-Ausbildungs-Abteilung 17 | |
Am 20.03.1944 | 3. Marschkompanie, Nachrichten-Ersatz-Abteilung 17 | |
Ab 05.041944 | Eisenbahn-Fernsprech-Kompanie 159 | |
Am 21.06.1944 | Nachrichten-Ersatz-Abteilung 10 |
Debüt kurz vorm 17. Geburtstag
Mitten im Zweiten Weltkrieg bestreitet Happel am 21. Februar 1943 sein erstes Spiel für Rapid Wien. »Die Hände trug er in den Hosentaschen, die Schuhe unterm Arm. Im Mundwinkel hing eine Zigarette«, so betrat Happel nach der Erinnerung eines Kollegen im Sport Magazin (1.3.1991) als junger Spieler die Bühne des Fußballs.
Der erste Gegner ist der FC Wien, der die Hütteldorfer mit 6:4 schlägt. Auch die beiden anderen Partien, in denen der junge Happel in dieser Spielzeit mitwirkt, gehen verloren. Am Beginn seiner Spielerkarriere stehen somit drei Niederlagen. Auf der »Pfarrwiese« erobert der exzellente Techniker dennoch schnell die Herzen der Rapid-Fans.
Rapid wird in der Spielzeit 1942/43 nur Sechster in der Meisterschaft. In der nächsten Saison ist Happel in der Gauliga Donau-Alpenland (»Ostmark«) in elf von 16 Partien mit von der Partie. Das letzte Mal während des Krieges läuft er am 19. März 1944 gegen den WAC auf. Rapid gewinnt vor 7.000 Zuschauern im Praterstadion mit 4:2, wird in der Saison 1943/44, deren Endabrechnung nur neun Mannschaften berücksichtigt, der SK Amateure Steyr steigt mitten in der Saison aus, nur Siebter.
Happel befindet sich in guter Gesellschaft mit vielen Wienern, die tschechische Wurzeln haben. Der Sozialwissenschaftler Karl Brousek berichtet, dass es die Wiener Tschechen »im Umgang mit dem Nationalsozialismus leichter« hatten, sich zu distanzieren: »National standen sie in Gegensatz zum ›Germanismus‹, und viele Junge fühlten sich durch die tschechenfeindliche Politik provoziert oder bedroht. In Wien gab es in der tschechischen Minderheit keine politische Kraft, die dem äußersten rechten Lager zuzurechnen gewesen wäre; die konservativen Organisationen waren aus nationalen Motiven entstanden. Die nationale Klammer, also das Bekenntnis als Tschechen und Tschechinnen, war in der NS-Zeit stärker als die politische Differenz.«3
Der Widerstand der tschechischen Minderheit setzte für Brousek Impulse für die Beibehaltung eines weltoffeneren Wiens. Propagandaminister Joseph Goebbels hielt in einer Tagebucheintragung vom 9. April 1945 fest, was er über Wien denkt. Für Brousek ist die Notiz Goebbels’ »politisches Resümee der Geschichte Wiens im Dritten Reich«4: »Das haben wir von dem sogenannten Wiener Humor, der bei uns in Presse und Rundfunk sehr gegen meinen Willen immer verniedlicht worden ist. Der Führer hat die Wiener schon richtig erkannt. Sie stellen ein widerwärtiges Pack dar, das aus einer Mischung zwischen Polen, Tschechen, Juden und Deutschen besteht. Ich glaube aber, dass die Wiener doch besser hätten im Zaum gehalten werden können, wenn dort eine anständige und vor allem energische Führung am Ruder gewesen wäre.«5
Fronteinsatz und Gefangenschaft
Im Frühjahr 1944 muss Happel in den Krieg: »Sie haben mich nach Nürnberg überstellt«, erinnert er sich 1991, »und von Nürnberg bin ich nach Russland, ich war da bis Borisow, im Mittelabschnitt, mein Regiment war in Minsk, meine Kompanie war in Borisow, das war 500 Kilometer hinter der Front, weil wir die Nachrichten waren, wir haben gearbeitet wie die Pioniere, wir haben die Leitung gelegt und die haben die Schienenstränge gelegt, wir haben auch dort Fußball gespielt, wir haben eine Kompaniemannschaft gehabt, ich habe einen Schlesier als Hauptmann gehabt, der war ein Fußballfanatiker, der war ganz crazy vom Fußball.«
Der Fußball lässt Happel immer wieder für eine kurze Zeit die Gräueltaten der Nazis und die Schrecken des Krieges vergessen. Drei Jahre lang, vom 2. Juli 1941 bis 1. Juli 1944, betreiben die Nazis in Borisow und Umgebung sechs Todeslager, in denen mehr als 33.000 Menschen ermordet werden. Borisow wird 1944 von den Truppen der 3. Weißrussischen Front befreit. 13 Kampfeinheiten werden mit dem »Borisowski«-Orden ausgezeichnet. Die Stadt erhält den »Orden des Großen Vaterländischen Krieges«. 29 Personen aus der Region Borisow werden zu »Helden der Sowjetunion« ernannt, der höchsten Auszeichnung und des höchsten Ehrentitels, der in der UdSSR für »persönliche und kollektive, mit einer Heldentat verbundene Verdienste für Staat und Gesellschaft« vergeben wurde.
Auf dem Rückzug gelangt Happel in den Nordosten Deutschlands. In der Nähe von Schwerin lässt er sich von den amerikanischen Streitkräften gefangen nehmen, flieht und schlägt sich nach Wien durch.
Happel spricht 1991 in ruhigem Tonfall über seine Rückkehr nach Wien: »Ich bin in die amerikanische Gefangenschaft gekommen, und ein halbes Jahr später war ich in Wien. In Schwerin bin ich von die Amerikanern gefangen genommen worden, ich bin von den Russen weg, ich habe haargenau gewusst, wo die Amerikaner, wo die Russen sind, ich bin nicht interessiert, nach Sibirien zu gehen, ich bin zu den Amerikanern, die haben am Abend ein Feuer angezündet, unter Tags haben sie über die Lautsprecher durchgegeben, wir sollen unsere Gewehre wegschmeißen, und dann sind wir in die amerikanische Gefangenschaft, das haben wir auch gemacht, das war in Schwerin, die Amerikaner waren als Erste in Schwerin, und drei Tage später waren die Russen, das war später die DDR, in Schwerin, 30.000 waren dort im Lager, wir sind überstellt worden in die Lüneburger Heide, von der Lüneburger Heide bin ich nach Emden, nach Ostfriesland, dann bin ich stiften gegangen, du bist in den Zug eingestiegen und bist vom Roten Kreuz versorgt worden und hast eine Suppe gekriegt, bei einer Station hast du einen Aufenthalt gehabt und vom Roten Kreuz hat es eine Suppe gegeben, wir haben noch immer unseren Sold bekommen im Monat, Geld haben wir gehabt für die Fahrkarten, die hast du nicht einlösen können, weil es eine Kontrolle am Bahnhof gab, du bist zu einem Zivilisten hingegangen und hast gesagt, gehen’s, zahlen Sie mir einen Fahrschein, Richtung München, viermal, du hast ihm das Geld gegeben, er hat dir das geholt und du bist von hinten am Bahnhof rein und von hinten bist du in den Zug eingestiegen auf der anderen Seite, vorne war eine Kontrolle von den Engländern, den Kanadiern und den Amerikaner, du bist halt in dem Abteil gesessen, da waren schon amerikanischen Soldaten, aber sie haben sich nicht um dich gekümmert, wenn du einmal in dem Zug gesessen bist, konnte dir nichts mehr passieren.
Ich bin abgehauen in der Uniform, bin runter bis nach München, dort war wieder ein Gefangenenlager von 30.000, ich habe gefragt, wie lang sind die schon hier, sagen sie mir, schon ein paar Monate, dann weiter nach Bad Reichenhall, in Bad Reichenhall war ein SS-Lager, die Amerikaner haben die SS schon entlassen, ich bin dort hingegangen, wir waren zu viert, wir sind stiften gegangen von Ostfriesland, in Bad Reichenhall haben sie uns nach drei Tagen entlassen. Aber jetzt komme ich nicht nach Wien, in Wien waren alle vier Siegermächte und rund um Wien war die russische Zone, ich habe sagen müssen, ich bin nicht von Wien, sondern ein Linzer, wohne in der Wienerstraße, ich habe mich durch die Demarkationslinien bis nach Wien geschmuggelt, ich habe nicht gewusst, steht das Haus, leben die noch, meine Großmutter, du hast ja nichts gewusst mehr, ich habe schon von Weitem gesehen, als ich am Westbahnhof war, dass das Haus noch steht, die haben gelebt, und ich hab’ bei Rapid wieder angefangen zu spielen.«
Lässiger Spielstil
Schon bald nach dem Ende des Krieges wird in Österreich der Spielbetrieb wieder aufgenommen. Bereits 1945/46 wird eine reguläre Meisterschaftsrunde gespielt.
Auf den Wiener Fußballplätzen wird jetzt jedoch eine andere Spielphilosophie bevorzugt als in der Zwischenkriegszeit. Der Fußballhistoriker Matthias Marschik erläutert in seiner Studie Massen, Mentalitäten Männlichkeit: »Nach 1945 war der bevorzugte ›Wiener Spielstil‹ nicht länger von der Leichtigkeit und technischen Präzision des ›Donaufußballs‹ geprägt. Vielmehr hatten die Zerstörungen der Stadt und der Kampf zunächst ums Überleben und dann um den ›Wiederaufbau‹ ihre Spuren auch in den fußballerischen Praxen hinterlassen: Wenn die WienerInnen zahlreiche Entbehrungen zu erdulden hatten, dann verlangte man auch von den Spielern Härte, Wettkampf und Einsatz. Verdeutlicht wurden Härte und Einsatz nicht nur durch den miserablen Zustand der wenigen verbliebenen Spielfelder, sondern noch mehr durch den Umstand, dass nun auch bei schlechtesten Witterungsverhältnissen, bei Regen und Schnee, im Schlamm und im Morast, gespielt wurde. Als selbst der Fußballverband Spiele bei Minustemperaturen um die 18 Grad untersagte, protestierten die zahlreich erschienenen Zuschauer so lange, bis die Spieler doch antraten. (…) Härte gegen sich selbst und Härte gegen die anderen waren die hervorstechenden Merkmale des Wiener Nachkriegsfußballs und wurden auch von den Medien und Zuschauern eingefordert. Äußerster Einsatz bedeutete natürlich auch eine Forcierung des Männlichkeitskultes im Sport – das ›beschädigte‹ Leben der Heimkehrer wurde im harten Fußballhelden aufgehoben.«6
Für Happel gilt das nur bedingt. Mit seinem lässigen Spielstil schließt er durchaus an die Eleganz des Wunderteams vor dem Zweiten Weltkrieg an. Er bedient damit die Bedürfnisse derjenigen Zuschauer, die sich nicht nur nach Härte und Einsatz sehnten, sondern auch nach technischer Brillanz, famosen Tricks und dem Wiener Schmäh.
Wien ist eine Stadt der Schauspieler. Die Wiener Fans sprechen über die Fußballer wie Schauspieler, sie gehen ins Stadion, um zu sehen, wie ein Stürmer seine Rolle interpretiert. Auch die Beziehung zur Welt des Films ist eng. So wird Happel von seinen Teamkollegen auf einer Tournee in Athen »Aschyl« getauft, nach einem Helden in einem Liebesfilm, der nach Alfred Körners Erinnerung eine verblüffende Ähnlichkeit mit Happel hatte – »ein fescher Bursche«, der die »gleichen Kracherl- oder Kipfleraugen wie der ›Weltmasta‹ hat, wenn er sich aufregt.«7
Welche hohe Wertschätzung bei den Kollegen und welche Verehrung bei den Fans Ernst Happel genießt, zeigt auch der Umstand, dass der Ehrentitel »Da Wödmasta«, den ursprünglich der Verteidiger des Wunderteams Josef »Pepi« Blum (1898-1956) innehatte, nach dem Zweiten Weltkrieg auf Happel übergeht. Blum war wegen seines hervorragenden Stellungsspiels geschätzt und galt beim First Vienna FC 1894 (1918-1933) und in der Nationalmannschaft, deren Kapitän er von 1920 bis 1931 war, als ein gefürchteter Freistoß- und Elfmeterspezialist. Diese Eigenschaften gehen gleichsam auf Happel über und zeichnen auch ihn aus. Was für eine Gemeinsamkeit bei der Spielanlage und den Einsätzen in der Nationalmannschaft: Beide »Wödmasta« spielen 51-mal in der österreichischen Auswahl. Weder der eine noch der andere »Wödmasta« wurde in all den Länderspielen vom Platz gestellt. Blum schoss für das Nationalteam drei Tore, Happel erzielte fünf.
Ein Spieler, der in Wien die besondere Wertschätzung des Publikums erlangen will, muss auf dem Platz technisch versiert und außerhalb des Spielfelds ein charmanter Plauderer und schlagfertig sein. Der Austrianer Ernst »Ossi« Ocwirk (1926-1980) erwähnt 1975 in einem Rückblick auf die späten 1940er und frühen 1950er Jahre, die österreichischen Spieler seien in den Kritiken ausländischer Zeitungen als »Artisten«, »Jongleure« und »Balletteusen« gepriesen worden und das Nationalteam sei für ihn selbst »die fußballerische Inkarnation des Wunderteams« gewesen: »Auch ich durfte ein wenig stolz sein, als ich aus den Zeitungen erfuhr, dass mich das Pariser Fachblatt France Football, 1952 war’s, zum ›besten Fußballspieler der Welt‹ gewählt hatte. Wir waren wer, Österreich war wer im populärsten, im verbreitetsten Sport der Welt.«8
Professionalisierung durch den Staat
Als der Spielbetrieb nach dem Zweiten Weltkrieg wieder beginnt, muss sowohl eine Balance innerhalb der Mannschaft wie auch zwischen Sport und Beruf gefunden werden. Die Hierarchie zwischen den Stars und den Nachwuchskräften, die den Sprung in die 1. Mannschaft schaffen, ist klar geregelt. Die Rapid-Legende Alfred Körner erinnert sich, dass er Franz »Bimbo« Binder ein halbes Jahr lang mit »Sie« ansprach, bevor der Stürmer und Star der Medien ihm das »Du« anbot.
Neben dem Fußballsport gehen die Spieler, wie »Körner II« erzählt, einer regelmäßigen Arbeit nach: »Ich habe immer nebenbei gearbeitet. Bei Rapid hat es immer geheißen: ›Geh auch noch etwas hackeln.‹ Über Rapid habe ich einen Job bei der Niederösterreichischen Landesregierung bekommen, gemeinsam mit Ernst Happel. Mein Bruder war in der Bibliothek, der Merkel in der Reifen-Abteilung bei der Ausgabe. Ich war zum Beispiel im Kultur-Referat (…). Bei Auslandsreisen hat mich das Land NÖ (Niederösterreich, Anm. d. A.) immer freigestellt. Insgesamt waren wir sieben von Rapid. Die anderen waren beim Gas- und beim E-Werk, aber da war für uns kein Platz mehr frei. Bei Rapid muss man viel arbeiten – ganz allgemein, weil jeder die Rapid schlagen will. Das war schon in unserer Jugend so. Da haben wir es nicht immer leicht gehabt. Im Kabinen-Bereich haben wir einen Kessel mit 200 Liter Warmwasser gehabt. Da sind dann die Alten zuerst zum Duschen drangekommen und am Ende wir – wenn es nur noch kaltes Wasser gegeben hat. Beim Massieren bist auch als Letzter drangekommen. Aber wehe, wenn Du früher gegangen wärst! Da hätte es ein Tamtam gegeben. Weil da war ja alles viel disziplinierter. Von nichts kommt nichts. Zum Beispiel die Rapid-Viertelstunde – bei uns hat man immer bis zum Ende alles geben müssen, das war die Mindestvoraussetzung. Für den zahlenden Zuschauer, der dann hinter dir steht, wäre es ein Affront gewesen, wenn du nicht alles gibst. Das Ergebnis war erst an zweiter Stelle, wichtiger war das Probieren, der Kampfgeist. Wir sind noch auf 80 Spiele im Jahr gekommen und heute jammern’s bei 45.«9
Renommierte Spieler erhalten, da in Österreich in den 1950er Jahren keine Profis erlaubt sind, bei staatlichen Institutionen eine Anstellung. Happel wird wie Alfred Körner bei der Niederösterreichischen Landesregierung untergebracht, ist der Abteilung »Urgeschichte« zugeordnet, dürfte aber, wie Teja Fiedler 1983 im Stern (1.6.1983) anmerkt, seinen Schreibtisch höchstens zwei Stunden am Tag gesehen haben, »und oft mit schweren Lidern, wenn die Nacht am Spieltisch lang gewesen war«.
Alfred Körners Lieblingsregisseur ist Franz Josef Antel, ein Heimatfilmer, der über 100 Spielfilme mit ausgeprägtem Hang zur Unterhaltung drehte und sich bei internationalen Koproduktionen François Legrand nannte. Happels Filmliebling ist der Grantler Hans Moser, er sei jedoch, betont er 1987, nicht so geizig wie dieser Schauspieler.
»Busenfreund« Zeman
Bei Rapid wird Happels engster Freund der Torwart Walter Zeman, der ihm von allen Rapid-Spielern aufgrund einer ähnlichen Mentalität am nächsten steht. Zeman ist ein Kind aus Favoriten. Wie die Sozialhistoriker Michael John und Albert Lichtblau berichten, hat der grandiose Keeper einen tschechischen Vater und besitzt somit die tschechische Staatsbürgerschaft. Obwohl dies im Wien der NS-Zeit untersagt war, habe Zeman als Protektoratsangehöriger spielen können: »1945 suchte Zeman sofort um die österreichische Staatsbürgerschaft an und erhielt sie, offensichtlich wegen bürokratischer Schlamperei, erst 1947 — ihm wurde in dieser Zeit sogar ein Bescheid zugesandt, dass er Österreich innerhalb von 48 Stunden verlassen müsse.«10
Beim kleinen Favoritner SV Wienerberger beginnt Zeman seine Karriere. 1945 wechselt er 18-jährig vom Favoritner Erstligaklub FC Wien zu Rapid. Dort setzt er sich rasch gegen den starken Konkurrenten Josef Musil durch und wird zum Stammtorhüter. Bereits in seiner ersten Saison bestreitet er 19 Meisterschaftsspiele und steht viermal im Cup zwischen den Pfosten. Happels erster Nachkriegseinsatz erfolgt am 27. März 1946 beim 10:0-Sieg gegen Ostbahn XI.
Happel und Zeman, die beiden Ausnahmekönner, werden ein legendäres Freundespaar. Anfang der 1990er Jahre setzt Happel Zeman ein Denkmal, es klingt wie eine Liebeserklärung: »Mein Tormann, Busenfreund, Schlafgenosse, nur getrennt durch meine 26 Jahre im Ausland. (…) Wir haben acht Jahre zusammen gespielt, mindestens 35 Matches pro Jahr, viel gewonnen, viel gefeiert. Kennst seinen alten Spruch? Nach Mitternacht trinkt der Tiger nur Champagner… Wir waren ein unzertrennliches Paar, am Feld und außerhalb. Zeman war erstens leichtathletisch durchgebildet von der tschechischen Sokol-Schule: einer der schnellsten Fußballer, die es je gab. Schneller als Melchior (Ernst Melchior, von 1946-1953 Stürmer der Wiener Austria und des Nationalteams, genannt der »G’scherte«, Anm. d. A.) über 100 Meter – wenn’s im Training um einen Preis ging. Wenn nicht, hat ein anderer gewonnen. Und dann hatte er unglaubliche Reflexe auf der Linie. Beim 1:1 in Budapest haben die Ungarn auf ihn eingeschossen, von drei, vier Metern, unglaublich: Er fliegt von einer Ecke in die andere – und die Ungarn verzweifeln. (…) Er hat große Spiele geliefert. Seine Hauptstärke: Die Reflexe und Reaktionen. Enorme Sprungkraft, geflogen wie ein Gummiball, hoch heruntergekommen, hat sich geschmissen und ist gleich wieder gestanden.«11
Zeman wird als »Tiger von Budapest« und »Panther von Glasgow« gefeiert. Er ist wie Happel ein schlampiges Genie, das nur seine enormen Leistungen abruft, wenn es wirklich darauf ankommt. Ansonsten geben sich die beiden auf dem Rasen allerlei Kunststücken hin. Bisweilen prüft Happel seinen Hintermann mit harten Schüssen. Der Keeper lässt es sich meistens nicht nehmen, die verfluchten »Rückgaben« zum Amüsement der Zuschauer mit glanzvollen Paraden zu parieren. Gelingt Happel dennoch ein Eigentor, schmäht er den Torwart mit einem frechen Spruch, der auf Zemans Herkunft anspielt: »Heast Böhmischer, den Schuss hätte ich mit mein Kapperl rausg’haut.« Oder er ruft dem Keeper zu: »Sei froh, dass i di net am Kopf dawischt hab, sonst wärst totgangn.«
»Genie mit dem Ball«
Für den Sportjournalisten Walter Smekal ist Happel als Fußballer »immer ein Genie mit dem Ball« gewesen, »nie ein Athlet«: »Er hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er den Spielwitz mehr schätze als den athletischen Fußballer, der, wie er sagte, zwar ›wie ein Wilder rennt, aber das Hirn in der Garderobe vergessen hat.‹« Auf Smekals Frage, wie er als Verteidiger mit den Sprintern ausgekommen sei, antwortet Happel: »Eigentlich hab’ i in Österreich mein Hetz’ g’habt mit den Rennern! Da war zum Beispiel der Pepi Epp vom Sportklub, einer der schnellsten 100-Meter-Läufer Österreichs. Ich hab’ nur g’lauert auf den Pass, und natürlich ist der Ball dem Pepi mindestens fünf Meter vom Fußerl g’sprungen, da war i schon am Ball!« Und wenn der Ball dem Gegner nicht vom Fußerl gesprungen ist?, fragt Smekal nach, und Happel gibt die lakonische Antwort: »Na ja, das war a Pech, dann war er halt furt in Richtung auf unser Goal!«12
Vom Soziologen Georg Simmel stammt eine Überlegung zur Deutung des Geniebegriffes, die man auf Happel und Zeman anwenden kann, weil sie Eigenschaften von den Tschechen übernommen haben, die um die Jahrhundertwende nach Wien gekommen waren. Für Simmel braucht das Genie viel weniger zu lernen als der gewöhnliche Mensch bei gleichartiger Leistung, es weiß »Dinge, die es nicht erfahren hat – dieses Wunder scheint auf eine ausnahmsweise reiche und leicht ansprechende Koordination vererbter Energien hinzuweisen. (…) Der besonders ›begabte‹ Mensch wäre demnach derjenige, in dem ein Maximum von Arbeit seiner Vorfahren in latenter und zur Weiterverwertung disponierter Form aufgehäuft ist; so dass der höhere Wert, den die Arbeit eines solchen durch ihre Qualität besitzt, im letzten Grunde auch auf ein quantitatives Mehr von Arbeit zurückgeht, das er freilich nicht persönlich zu leisten brauchte, sondern dem er nur durch die Eigenart seiner Organisation das Weiterwirken ermöglicht.«13
Zu dieser Sichtweise kann man noch die des Soziologen Norbert Elias hinzufügen. Ähnlich wie Simmel sieht auch Elias ein Genie nicht als ein isoliertes Individuum. Am Beispiel von Mozarts Werdegang stellt er fest: »Man begegnet nicht selten der Vorstellung, dass die Reifung einer ›genialen Begabung‹ ein selbsttätiger, ›innerer‹ Prozess sei, der sich gleichsam in Isolation vom menschlichen Schicksal des betreffenden Individuums vollziehe. (…) Diese Trennung ist künstlich, irreführend und unnötig. Der heutige Stand unseres Wissens erlaubt es zwar noch nicht, die Zusammenhänge zwischen der sozialen Existenz und den Werken eines Künstlers wie mit einem Seziermesser offenzulegen, aber man kann sie mit der Sonde ausloten.«14
Gut gepflegte Feindschaft
Nach dem Krieg wechselt Max Merkel vom Sportclub zu Rapid. Hier bildet der spätere Bundesligatrainer, der 1966 mit dem TSV 1860 München und 1968 mit dem 1. FC Nürnberg Deutscher Meister wird, mit Happel ein Verteidigergespann, das einigen Bewährungsproben ausgesetzt ist.
Merkel wirft dem sieben Jahre jüngeren Kollegen vor, er müsse für ihn die Laufarbeit übernehmen. Happel hingegen kontert Merkels Attacke mit dem Hinweis, er selbst müsse deshalb nicht so viel Laufarbeit verrichten, weil er immer im entscheidenden Moment am Ball sei; er sehe schon, was der Gegner mit dem Ball vorhabe, er brauche nur noch schnell dazwischenzufahren, um die Gefahr zu bannen. Da die Gegner meistens über keine sichere Ballbehandlung verfügen würden, nehme er einfach den von den Füßen abspringenden Ball und leite den nächsten Rapid-Angriff ein. Der »Lange«, wie Merkel bei Rapid genannt wird, hat freilich nicht viel übrig für Happels Äußerungen, sie sind für ihn nur die Ausreden eines faulen Verteidigers.
Die Beziehung zwischen Happel und Merkel ist eine gut gepflegte Feindschaft. Immer wieder geraten die beiden aneinander. Bei einem Rapid-Spiel im Pariser Prinzenparkstadion kommt es fast zu einer Prügelei. Beide verlassen das Spielfeld, kehren aber wieder auf den Rasen zurück, als sie merken, dass ihr Trainer die Kabinentür zugesperrt hat.
Merkel wird als die »G’wandlaus« gesehen, die die Gegner zermürbt. Er selbst sieht es als seine Aufgabe, bei Kopfbällen die Stürmer abzudrängen, der technisch versierte Happel werde mit dem Ball schon etwas anzufangen wissen. Die Rivalität wird auch durch den Umstand geschürt, dass der jüngere Happel der erfolgreichere Spieler ist. Happel ist nicht nur eine Stütze von Rapid, sondern auch der Nationalmannschaft. Merkel hingegen bringt es 1952 nur zu einem einzigen Spiel im österreichischen Nationalteam. Außerdem durfte er 1939 einmal für die »großdeutsche« Mannschaft auflaufen.
1956 wird für Happel bei Rapid aus dem Mitspieler Merkel der Trainer Merkel. Merkel hatte seine Trainerkarriere in den Niederlanden bei HSB Den Haag begonnen. Anschließend hatte er in zehn Spielen die niederländische Nationalmannschaft betreut. Zu Rapid zurückgekehrt, spielt er seine neue Autorität gegenüber Happel aus. Genüsslich erzählt er von einem Schlagabtausch vor einem Training: »Als ich die Mannschaft zum Training rausschick’, durch den berühmten Tunnel, sag’ ich: ›Happel, du bleibst da!‹ Und pack’ ihn: ›Du hast alle Schlechtigkeit der Welt, aber als Fußballer bist du genial. So begnadet wie Mozart für die Musik. Wenn man bei dir bei einem Ohr reinschaut, sieht man beim anderen wieder raus. Nix im Schädel.‹«15
Für Trainer Merkel ist komplette Erniedrigung des Spielers eine motivationsfördernde Maßnahme. Die Hassliebe zwischen Merkel und Happel wird auch viele Jahre nach der gemeinsamen Rapid-Zeit gut gepflegt. Happel macht sich über seinen ehemaligen Mitspieler und Trainer in den 1980er Jahren mit der Bemerkung lustig, dass auch ein schlechter Fußballer ein guter Trainer werden könne. Happel nennt keinen Namen, aber die Fußballinteressierten wissen, wer damit gemeint ist.
Die Erfindung des »statischen Liberos«
In der Saison 1945/46 wird Happel im Alter von 20 Jahren zum ersten Mal Österreichischer Meister und auch Pokalsieger. In der Meisterschaft kommt er auf sechs Einsätze, im Pokal auf drei.
Franz »Bimbo« Binder spielt nach seinem Abschied aus dem Nationalteam am 5. Oktober 1947 noch ein gutes Jahr bei Rapid und macht es sich – ab 1946 auch in der Funktion des Sektionsleiters – zur Aufgabe, eine Mannschaft zu formen, die auch international bestehen kann.
Happel erlebt unter Binder einen kometenhaften Aufstieg, avanciert zu einem der größten Rapid-Spieler und zum Liebling der Fans. Er genießt, wie Marschik schreibt, die »ungeheure Fußballbegeisterung der Nachkriegsjahre. Die Zuschauerzahlen erreichen enorme Ausmaße. Happel ist ein Star in seiner Heimatstadt, wird überall erkannt und bejubelt. (…) Es war die nationale wie die persönliche Euphorie, die aus Happel einen überaus kreativen Spieler machte. Das betraf seine viel zitierten Kunststückchen (etwa das Ballstoppen mit dem Hintern) ebenso wie seinen Mangel an Lauffreudigkeit, den er sich nur leisten konnte, weil er die weitere Entwicklung des Spiels vorausahnte. Diese Fähigkeit hatte er entwickelt, indem er seine Kontrahenten, aber auch die Taktik der gegnerischen Teams stets genau beobachtete. So war es Ernst Happel, der Neuerungen im Spielstil am schnellsten begriff und in die Praxis umsetzte.«16
Für Entwicklungen im Fußball ist Happel äußerst aufgeschlossen. Was er an innovativen Ideen kennenlernt, bezieht er in sein Spiel ein. Als Rapid 1949 zum 50-jährigen Vereinsjubiläum eine Brasilien-Tournee unternimmt, wird die gesamte Mannschaft unter Trainer Hans Pesser in den Bann einer neuen Spielweise gezogen, die für die Verteidiger eine größere Freiheit mit sich bringt. Für Pesser setzt das brasilianische System eine flexible Spielweise voraus, »in dem sich alle Spieler zu jeder Zeit ständig bewegen müssen. Mit Ball und auch ohne. Die deckenden Läufer und Verbinder müssen sich, wenn die Mannschaft in Ballbesitz ist, blitzschnell in den Angriff einschalten. ›Mit neun Mann stürmen, mit neun verteidigen.‹ Das war Pessers Formel, die nicht selten hämisch kommentiert wurde: ›Ja, weil zwei und zwei fünf ist.‹ Selbst den Vergleich mit der Ziehharmonika wollten die meisten nicht gelten lassen. Dabei war es, wie alles Geniale, im Prinzip ganz einfach. Wenn die Wucht des Angriffs die Rapidspieler wie geplant nach hinten drückt, verengt sich automatisch der Raum, der Angriff läuft sich fest. Und schafft umgekehrt den Raum für die ›spezifiken Kontraattacks‹, wie es der Ausputzer Happel viele Jahre später nennen würde.«17
Während die Verteidiger die Angriffe zu stoppen versuchen, hat Happel einen enormen Zeitvorteil, um sich einen Überblick zu verschaffen und gefährliche Situationen zu bereinigen. Außerdem nutzt er immer wieder die Möglichkeit, mit genauen 40-Meter-Pässen Angriffe einzuleiten. Er »erfindet« den »statischen Libero«, den er sich von den südamerikanischen Mannschaften abschaut und für die eigenen Fähigkeiten modifiziert. Er hätte auch den »beweglichen Libero« spielen können: »Es geht nur um die Laufarbeit. Aber taktisch versiert war ich dafür prädestiniert. Das hat unser Sektionsleiter Bimbo Binder auch erkannt und sofort umgeschaltet: Wir waren die erste Mannschaft, die 1950 in Brasilien gegen übermächtige Gegner spielte und draufkam: Unser Pyramidensystem – zwei Verteidiger, drei Läufer, fünf Stürmer, davon einer zurückgezogen – war nicht mehr aktuell! Da waren uns die Brasilianer weit voraus. Wir übernahmen deren System, hatten einen Bombenerfolg, von 70 Spielen nur eines verloren – und innerhalb von drei Monaten spielte auch unser Nationalteam mit sechs bis neun Rapidlern ›brasilianisch‹.«18
Merkel macht aus der Umstellung im Nachhinein einen flotten Spruch und sagt, die Rapidler hätten sich bei den Begegnungen mit den brasilianischen Mannschaften ihr Wiener Spiel ins Haar schmieren können.
Wiener Pioniere
Nach der Rückkehr aus Brasilien ist Happel ein gern gesehener Gesprächspartner bei den Journalisten, er kann Spiele analysieren, und dies in einer Weise, dass auch Journalisten, die nicht dabei waren, verstehen, wovon er redet.
Als die Rapidler ihre neuen Ideen in der Meisterschaft umsetzen, überflügeln sie die Konkurrenten. Als sichtbares Zeichen dieser Umstellung erscheint 1950 Rudolf Kastls Publikation Die Geheimnisse des brasilianischen Systems, die in Zusammenarbeit mit Bimbo Binder und Hans Pesser entstanden ist. Franz Beckenbauer wird den Libero, den Happel 20 Jahre zuvor noch statisch angelegt, am Beginn der 1970er Jahre zur spielerischen Perfektion bringen.
Die Rapidler bringen nicht nur ein neues Spielsystem nach Hause mit, sondern auch Anregungen für ihre Ausrüstung. Die Schuhe der Brasilianer, so Happel, habe man »wie nix biegen können«, die Hosen waren kurz geschnitten, und die Spieler trugen offene, luftige Trikots. Kulturwissenschaftler Gerhard Urbaneck schreibt über die grün-weißen Südamerika-Eindrücke: »In Europa hatte man außer dem Spiel selbst auch das dafür nötige Zubehör aus England mit übernommen. ›Die Hosen gingen bis zu den Knien runter, sahen unmöglich aus, und man hatte wenig Bewegungsfreiheit‹, beschrieb Merkel die Spielkleidung der Fußballer nach 1945. ›Die schweren und harten Fußballstiefel‹ hätten den Fuß eingezwängt und gefühllos gemacht. Die Südamerikaner trugen flache Schuhe aus weichem, samtenem Leder, eben ›Fußball-Mokassins‹. Und für Ernst Happel, dessen unorthodoxer, individualistischer Spielstil sich nie richtig einordnen ließ, erfand das Trainerduo Binder/Pesser die Position jenes Spielers, der die Fehler seiner Vorderleute auszubessern hatte – die des ›Ausputzers‹ neben dem Stopper im W-M-System. Später sollte man diesen ›Libero‹ nennen. Die Hütteldorfer begriffen schnell: Beim 2:2 gegen Corinthians spielte bereits Merkel Stopper, und Happel dahinter den ersten ›Ausputzer‹ Europas.«19
»Wir waren überall die Pioniere«, erinnert sich Alfred Körner an die Auslandsreisen, »sei es in Südamerika, in Australien, Holland, Dänemark. Und Russland. Aber ohne Bankgarantien. Wir sind auf gut Glück hingefahren. Wenn wir ein Pech gehabt hätten, hätten wir nach Hause schwimmen müssen. Rapid hat immer in der ganzen Welt einen guten Namen gehabt. Uns haben die Russen zuerst geholt. Die Geschenke, die wir dort bekommen haben, haben wir dann vier Wochen später in Südamerika wieder verkauft. Nach dem Krieg waren dann die Russen bei uns als Besetzungsmacht. Da haben sie ihre Pferde auf unseren Platz geschickt. Die Viecher haben dann unseren Rasen gemütlich aufgefressen. Und statt ein Training abzuhalten, haben wir oft gegen die angetschecherten Russen gespielt, die vom ›Hütteldorfer Bräu‹ gekommen sind.«20
Auf den Reisen lernen die Rapid-Spieler auch die Kurse der verschiedenen Währungen für sich zu nutzen. Happel soll immer gewusst haben, wo Geld getauscht werden kann, und angeblich beim gewinnbringenden Geldwechseln einer der Aktivsten gewesen sein.
Rapid in Höchstform
In den Reihen von Rapid stehen bisweilen neun Nationalspieler. Nach der Meisterschaft 1946 hat die Mannschaft auch 1948 den Titel geholt, 1947, 1949 und 1950 wird man »Vize«, und die Ansprüche steigen. Eine Saison ohne Meistertitel betrachten die Spieler mittlerweile als eine verlorene. In der Saison 1950/51 gewinnt Rapid von 24 Spielen 20, spielt dreimal unentschieden, verliert nur ein einziges Mal. Mit fünf Punkten Vorsprung vor Wacker Wien wird Rapid Meister, die Austria wird mit neun Punkten Rückstand Dritter. Rapid schießt in den 24 Pflichtspielen 133 Tore und kassiert nur 40. Happel ist in allen Punktspielen dabei, nur Johann Riegler bringt es auf dieselbe Anzahl. Robert Dienst mit 37 und Erich Probst mit 28 Treffern schießen fast die Hälfte der gesamten Rapid-Tore. Der LASK wird in dieser Saison mit 11:2 vom Platz gefegt, und die Vienna muss zu Hause eine 0:9-Niederlage hinnehmen.
Auch der Zentropa-Cup wird gewonnen, ein Vierer-Turnier, das Anfang Juli 1951 in Wien ausgetragen wird und an dem außer Rapid noch Wacker Wien, Lazio Rom und Dinamo Zagreb teilnehmen. Im Halbfinale erringt Rapid gegen Lazio Rom einen triumphalen 5:0-Sieg. Im Finale wird Wacker Wien 3:2 geschlagen. Den Siegtreffer der Grün-Weißen markiert Happel in der 89. Minute vom Elfmeterpunkt. Rapid ist in dieser Saison zur Höchstform aufgelaufen. Happel und sein Team bleiben in insgesamt 37 Spielen ungeschlagen.
Auch in der nächsten Saison 1951/52 wird Rapid Meister – zum 18. Mal in seiner Geschichte. Erst in der Spielzeit 1952/53 muss Rapid mit den Lokalrivalen Austria und Wacker wieder anderen Teams den Vortritt lassen, bevor man sich ein Jahr später den Titel zurückholt.
In das Gedächtnis nicht nur der österreichischen Fußballfans hat sich ein Rapid-Spiel eingeprägt, das oft mit den glanzvollen Siegen des Wunderteams verglichen wird. Am 24. Mai 1953 schlägt Rapid, inzwischen von der Vereinslegende Josef »Pepi« Uridil betreut, in Brügge den englischen Meister Arsenal London 6:1 und wird aufgrund der spielerischen Eleganz und der Torgefährlichkeit neben Honved Budapest und dem Lokalrivalen Austria als eine der besten Vereinsmannschaften Europas gefeiert.
Auf der Homepage von Rapid wird dieser Sieg in einem Freundschaftsspiel noch 2010 mit einer Eloge bedacht: »Es war ein eindrucksvoller Sieg Wiener Mutterwitzes und ausgereifter Technik gegenüber Kraft und Schnelligkeit. Und in der 89. Minute fixierte Rapid ein Resultat, von dem die Sportwelt damals sprach. Hanappis Erinnerung an das sechste Tor: ›Happel trat zu einem Freistoß an, Körner-Robert lief am Ball vorbei, die Engländer fielen prompt auf diese Finte herein, die Mauer löste sich auf, und Happel schoss seelenruhig ein…‹ So einfach ging den Rapidlern an diesem Tag alles vom Fuß. Nach dem Schlusspfiff bildeten alle Arsenal-Spieler – außer dem verbitterten Forbes – ein Spalier und applaudierten in diesem bitteren Moment den Siegern. Für Robert Körner war es der bewegendste Augenblick seines sportlichen Lebens, für viele seiner Kollegen auch. (…) ›Arsenal-Vater‹ und -Manager Tom Witthaker war einer der ersten Gratulanten in der Rapid-Kabine und lobte Uridil: ›Ich entsinne mich nicht eines gleichen Debakels meiner Mannschaft. Was habt ihr Österreicher doch für wunderbare Fußballer. Rapid ist ein Begriff in der Fußballwelt.‹ Der Middlesbrough-Präsident meinte nach dem Arsenal-Match, noch nie ein so exzellentes Spiel gesehen zu haben, ›jeder einzelne Mann ein so überragender Könner‹. Dem schloss sich Rapid-Trainer Uridil an. Wirklich erschüttert wurde das Mutterland des Fußballs aber nicht, denn: ›England verschweigt das Arsenal-Debakel‹, war in den heimischen Gazetten zu lesen. Mit der Schlagzeile ›Wiener Schule bleibt Trumpf!‹ wurde die Beibehaltung der Wiener Eigenart gefordert. ›Die Rapidler haben in Brügge die berühmte Arsenal-Elf gerade damit aufgerollt, dass sie durch kluges Stellungsspiel und Laufenlassen des Balles den Gegner ausmanövrierten.‹«21
Die Rapid-Stars hatten ihr Vergnügen mit Arsensal, sie ließen Ball und Gegner laufen, danach meinten sie, sie hätten mit dem englischen Team »Einmal-Berühren« gespielt. (Einige Jahrzehnte später wird Arsenal selbst zum Repräsentanten eines »Einmal-Berühren«-Fußballs. Unter dem französischen Trainer Arsène Wenger gehen die »Gunners« zum »one-touch«-Fußball über.)
Der in der Saison 1955/56 erstmals ausgetragene lukrative Europapokal der Landesmeister kommt für die ältere Spielergeneration zu spät. Und damit auch die Möglichkeit, bei einem ausländischen Verein gutes Geld zu verdienen. Die österreichischen Spieler dürfen erst mit 28 Jahren zu einem Klub ins Ausland wechseln.
Happel hätte sich mit Rapid gern mit den großen Mannschaften Europas gemessen, als er im Zenit seiner Laufbahn steht. Im Europacup absolviert Happel nur fünf Spiele, drei gegen Real Madrid und zwei gegen den AC Milan.
Wechsel nach Paris
Zu Beginn der Saison 1954/55 bestreitet er noch bis Mitte September zwei Spiele für Rapid, dann unterschreibt er für zwei Jahre einen Vertrag beim Racing Club de Paris, dem traditionsreichsten Fußballverein aus der französischen Hauptstadt. Anfang der 1990er Jahre blickt Happel auf diese Zeit zurück. Er sieht sich als ersten und einzigen Spieler, der ins Ausland wechselt, was jedoch nicht stimmt: »Ich war der erste und einzige europäische Spieler, der damals ins Ausland gegangen ist. Ich hab den Libero-Posten gespielt. Es war ein Ausputzer, mehr statisch eigentlich, ich bin nur bei den Standardsituationen nach vorne gegangen. Ich war eigentlich der Mann, der hinten die Abwehr organisieren musste. Ich bekomm’ ein Handgeld von 25.000 Dollar – in Österreich hätt’ ich mir nie eine Existenz aufbauen können. Ich hab’ gut gelebt, muss ich sagen, konnte mir aber eine Existenz schaffen mit dem Arabia-Geschäft, das natürlich heute schon wieder verkauft ist – weil ich dann ja Trainer geworden, marschiert bin – ich war ja 26 Jahre im Ausland. Aber für diese Zeit war das damals für einen Abwehrspieler viel Geld. Man muss das umrechnen, heute ist es das Zehnfache.«22
Happel steht kurz vor seinem 29. Geburtstag, als er nach Paris geht. Mit dieser Entscheidung ist eigentlich noch viel mehr verbunden als nur ein Vereinswechsel. Er tut einen Schritt ins Ungewisse. Mit dem Entschluss, Wien zu verlassen, um in der Weltstadt Paris zu leben, erwirbt Happel das Renommee eines Lebemannes, der nun lernt, wie man sich in der feinen Gesellschaft bewegt. Er eignet sich eine legere Weltläufigkeit an. Mit der Zeit wird ihm bewusst, dass die französische Hauptstadt eigentlich keine Stadt für einen Fußballer ist. Zu viele Verlockungen lenken von der Konzentration auf den Fußball ab. Dennoch beeindruckt er die Franzosen sportlich: Happel gibt Racing Paris den notwendigen Rückhalt und wird in der Mannschaft größtenteils sehr geschätzt.
Zur Saison 1956/57 ist Happel zurück in Wien. Er demonstriert seinen erworbenen Wohlstand mit einem Vater-und-Sohn-Bild. Er setzt den 1953 geborenen Sohn Ernst auf die Kühlerhaube seines eleganten Autos. Happel ist endgültig der Armut seiner Kindheits- und Jugendtage entkommen. Trotz aller Spielleidenschaft, der er schon als Spieler frönt, achtet er stets darauf, dass das Geld bei ihm bleibt.
Lupenreiner Hattrick
Wieder bei Rapid, liefert Happel gegen die Stars von Real Madrid eines seiner größten Spiele ab. Im Achtelfinale des Europacups der Landesmeister muss Rapid am 1. November 1956 zuerst in Madrid antreten. Die Madrilenen starten vor 125.000 Zuschauern gut in die Partie, Alfredo di Stéfano erzielt in der 9. Minute die Führung und erhöht in der 22. Minute auf 2:0. Dienst gelingt nach der Pause (58. Min.) der Anschlusstreffer. Doch dann schlägt Marsal innerhalb von zwei Minuten gleich zweimal zu (61. und 63. Min.). Kurz vor Schluss können die Rapidler noch auf 2:4 verkürzen.
Beim Rückspiel wird im Praterstadion zum ersten Mal unter Flutlicht gespielt. Rapid muss mit einem Vorsprung von drei Toren gewinnen, denn die Regelung, wonach Auswärtstore höher gewertet werden, existiert noch nicht. Vor dem Spiel sucht Trainer Merkel das Vier-Augen-Gespräch mit Happel: »Er hat mir die ganze Verantwortung auferlegt, obwohl der Robert Körner der Kapitän war. Merkel hat auch entschieden, dass ich alle Strafstöße schießen soll oder zumindest bestimmen soll, wer sie schießt.«23
Zur Halbzeit führt Rapid 3:0 und wäre damit eine Runde weiter gewesen. Alle Tore erzielt Happel – ein lupenreiner Hattrick. In der 19. und 41. Minute schießt er zwei unhaltbare Freistöße, und in der 38. Minute verwandelt er einen Elfmeter. Happel hat es auf den Torwart abgesehen: »Nach dem ersten Freistoßtor hab’ ich mir gedacht, da ist was drinnen, das machst alles selber. Und dann hab’ ich auch den Elfer und den nächsten Freistoß verwandelt. Der Tormann war nicht allzu groß, das nützte ich aus. Im Training hab’ ich das auch immer geübt. Ob sich der Alonso wirklich den Finger gebrochen hat, weiß ich nicht, er spielte beim dritten Match jedenfalls nicht mehr.«24
Für den Reporter Heribert Meisel schließt Rapid in der ersten Hälfte an die Leistungen des »Wunderteams« an. Die in Rot-Schwarz spielenden Grün-Weißen kombinieren mit traumwandlerischer Sicherheit, die Madrilenen kommen minutenlang gar nicht an den Ball. Nach dem Seitenwechsel verschärft sich die Gangart des »weißen Balletts«, fast jeder Zweikampf ist ein Foul, der Schiedsrichter lässt sich von den »harmlosen Don-Quichotte-Gesichtern der Spanier düpieren«.25 Bester Angreifer ist Robert Körner. Seine Flanken gleichen einem »Reißverschluss: Ratsch – und die Abwehr war offen!«.26 Die 53.000 Zuschauer sind aus dem Häuschen. Das Unmögliche scheint möglich. Doch in der 57. Minute erzielt di Stéfano mit einem Fallrückzieher das 1:3 und zerstört Rapids Traum vom Einzug ins Viertelfinale erst einmal.
Happel soll sich über das 3:1 sein Leben lang geärgert haben: »Das hätte einfach nicht passieren dürfen, aber man konnte einfach nichts machen. Es war das Supertor eines Superkickers, einmalig hat er reagiert. Im Training habe ich Alfredo beobachtet, da gelang ihm das nicht. Aber so ist das eben im Fußball. Vor diesem Match waren wir auch nicht gerade in Hochform, in Graz verloren wir sogar gegen Sturm. In Wien haben wir gegen Real nicht nur Glück, sondern auch viel Pech gehabt: zwei oder drei Lattenschüsse, ein nicht gegebener glatter Elfmeter. Bei dem Cornerstand von 13:2 hätte für uns noch viel mehr drinnen sein müssen, die Spanier spielten ja fast in Panik. Hätte ihr Tormann nicht so gut reagiert, wären sie sicher draußen gewesen.«27
Heribert Meisel würdigt in einer ausführlichen Analyse im Kurier (16.11.1956) die famose Leistung von Rapid und hebt mit hymnischen Worten Happels Leistung hervor: »Endlich! Der österreichische Fußballsport hat gestern beim Flutlichtspiel wieder ein Lebenszeichen gegeben. Endlich! Nach Jahren die erste wirklich gute Leistung einer Wiener Mannschaft im Kampf gegen einen internationalen Gegner von Format. Wenn Rapid auch ›nur‹ ein 3:1 (3:0) erreichte (…), so steht doch über allem die große Mannschaftsleistung Rapids und das phänomenale Schussvermögen Happels, der die Madrider mit zwei Freistoßbomben und einer Elfmeterkanone sozusagen allein geschlagen hat. Hätte der französische Schiedsrichter Guigue Rapid nicht in zwei Fällen krass benachteiligt – er gab ein Hands der Spanier im Strafraum nicht und anerkannte ein reguläres Kopftor durch Riegler gleich zu Beginn wegen angeblichem Abseits nicht – und wären die Rapidler nicht vom Schusspech verfolgt gewesen – drei Latten- bzw. Stangenschüsse –, der berühmte Vorjahressieger im Europacup, Real Madrid, hätte schon die erste Runde des heurigen Bewerbes nicht mehr lebend überstanden. (…) Happel muss man einen Sonderabsatz widmen. Unheimlich seine Tagesverfassung im Schießen! Schon der erste Freistoß pendelt genau von der rechten Kreuzecke, als er aus gut 30 m Entfernung loskanoniert hatte. Dann kam seine Elfmeterrakete, die dem vorangegangenen Feuerwerk würdig gewesen wäre, und schließlich jagte er, diesmal aus 25 m Distanz, (…) den Ball ins Netz. Da gab es für die Wiener Zuschauer kein Halten mehr. Sie sprangen von den Sitzen, umarmten einander und warfen die Hüte in die Luft. Plötzlich herrschte eine Madrider Atmosphäre im weiten Prateroval! Man muss Happel für seine Leistung danken!«
Es sei eine reine Augenweide gewesen, berichten die Kommentatoren, die Rapidler groß aufspielen gesehen zu haben. Die Namen der famosen Spieler lauten: Zeman; Halla, Happel, Golobic; Hanappi, Gießer; Körner I, Riegler, Dienst, Körner II, Höltl.
Das »verkaufte« Spiel
Aufgrund der gleichen Anzahl geschossener Tore muss ein weiteres Spiel ausgetragen werden. Real Madrid bietet Rapid sein Bernabéu-Stadion anstatt eines neutralen Spielorts an. Die beiden Mannschaften würden sich dann die Einnahmen teilen. Rapid willigt ein, auch wenn der Spielort Madrid das fast sichere Ausscheiden bedeutet. Aber eben auch die Hälfte – oder nach einer anderen Quelle sogar 60 Prozent – der gesamten Einnahmen. In den österreichischen Zeitungen wurde Rapid eher als ein willfähriges Schlachtopfer denn als ernsthafter Gegner gesehen.
Die Grün-Weißen haben am 13.12.1956 im Bernabéu wie erwartet keine Chance. Vor 90.000 Zuschauern geht das »weiße Ballett« bereits in der 2. Minute durch Joseito in Führung. 20 Minuten später erhöht Kopa auf 2:0, was auch der Endstand sein wird. Die Madrid-Fans stimmen bei jeder Ballberührung von Rapid ein Pfeifkonzert an. Es ist ein äußerst hart geführtes Spiel. Ein schweres Foul an Dienst, ein Spanier tritt ihm in die Brust, bleibt ohne Folgen. »Bei Ernst Happel war der englische Schiedsrichter Bond nicht mehr nachsichtig – nach einer Attacke wurde der Abwehrchef des Feldes verwiesen und musste auf dem Weg in die Kabine einen Flaschen- und Polster-Hagel über sich ergehen lassen. ›Vor einem Publikum wie in Madrid kann man einfach nicht spielen‹, beschwerte sich der Rapid-Stopper danach. Der Frust bei Happel muss nach den ›nutzlosen‹ drei Toren in Wien groß gewesen sein!«28
Bis zu seinem Ausschluss eine Minute vor Schluss hatte Happel eine Meisterleistung geboten. Real-Präsident Santiago Bernabéu wollte den Abwehrchef gleich in Spanien behalten. Happel erzählt später: »Reals Präsident war ein feiner Mann. Ich hätte in Madrid wirklich alle Möglichkeiten gehabt. Im Grunde genommen wollt’ ich aber gar nicht mehr ins Ausland, ich war ja kaum erst wieder nach Österreich zurückgekehrt. Nach meinem Frankreich-Abenteuer war ich schon drauf und dran, meine Karriere zu beenden. Der Transfer wurde nichts, man sagte mir, Real hätte wegen meinem Alter – ich war schon 31 – zurückgezogen. Einen Stopper brauchten sie aber dringend. Im nächsten Jahr holten sie sich Santamaría aus Uruguay, der war sechs Jahre jünger (vier Jahre, Anm. d. A.) als ich.«29 Seit den Kindertagen als Admira-Fan hat Happel eine Vorliebe für weiße Trikots. Der Transfer findet in Form einer Fotomontage statt: Happels Kopf wird in ein Real-Trikot kopiert.
Trotz der Niederlage hat sich für Rapid die Fahrt nach Madrid bezahlt gemacht. Max Merkel hat einmal recht offen die Beweggründe der Rapidler, das Entscheidungsspiel in Madrid auszutragen, benannt: »Einen ganzen Rucksack voll Geld haben wir mitgebracht nach Hütteldorf, wir haben es auch gebraucht. Es gab nicht wenige Anhänger, die uns gram waren, weil wir – wie sie meinten – den Spaniern in die Falle gegangen seien und dort gespielt hatten. Wir hätten durch diesen Entschluss auch den treuen Sportplatzbesuchern, die zu jedem Match nach Hütteldorf kamen, die Möglichkeit genommen, mit dabei zu sein. Ehrlich gesagt, wie viele wären denn nach Belgien oder Holland zu diesem Entscheidungsspiel gefahren? Ein paar Hundert, und dafür hätten wir in einem an dieser Begegnung nicht sehr interessierten Land vor halbleeren Rängen gespielt. Fußball in der höchsten Klasse ist aber ein Geschäft, und deshalb muss die Kasse stimmen.«30 Laut Happel brachte Rapid eine Million Schilling aus Madrid mit. Die spanische Presse schrieb: »Rapid ist an dem goldenen Köder erstickt.«31
Insidern erzählt Happel schon damals offen, wie es um das dritte Spiel wirklich bestellt war. In seinem Porträt Grantiger Zauberer erwähnt Reinhard Krennhuber, dass sich in jenen Tagen erstmals die Wege von Happel und Josef Huber gekreuzt haben: »Der junge Kurier-Journalist trifft den Starverteidiger regelmäßig im Gasthaus Jäger in der Westbahnstraße. ›Das war ein Rapid-Lokal und der Kurier ist halt auch hingegangen. Ich bin ganz gut ausgekommen mit ihm‹, erzählt der spätere Sportchef der Zeitung. ›Er hat mir erzählt, dass das dritte Match gegen Real ›verkauft‹ war, aber es war klar, dass ich das damals nicht schreiben konnte.‹«32
Ende der Spielerkarriere
In der nächsten Saison wartet im Europacup mit dem AC Mailand bereits in der ersten Runde ein schwerer Gegner. Das Hinspiel im San Siro gewinnen die Rossoneri mit 4:1. Das Rückspiel vor 50.000 Zuschauern im Praterstadion gewinnt Rapid nach 90 dramatischen und denkwürdigen Minuten mit 5:2. So wird, wie schon gegen Real, eine dritte Begegnung notwendig.
Ein Zwanzigjähriger am Beginn seiner internationalen Karriere, Dezember 1945.
Aufgrund exzellenter Technik und vorausahnenden Spielverständnisses wird Happel bereits als junger Spieler zum Liebling der Fans.
Rapids Jugendmannschaft 1939: Links Trainer Kuthan, rechts Leopold Nitsch, sitzend im Anzug: Jugendwart Vana. Untere Reihe sitzend: Robert Körner (Erster von links), Alfred Körner (Dritter von links) Ernst Happel (Fünfter von links). Mit den Körner-Brüdern verbindet Happel eine lebenslange Freundschaft, Jugendtrainer Nitsch ist sein Ersatz-Vater.
Ernst Happel holt ein Autogramm von seinem Idol Franz »Bimbo« Binder. Binder ebnet Happel knapp 30 Jahre später den Weg zu ADO Den Haag, der ersten Trainerstation in den Niederlanden.
Karl Decker (links) und Ernst Happel (rechts) im Cupfinale Rapid gegen Vienna, 20. Juni 1946. Rapid gelingt das Double. 1948, 1951, 1952, 1954 und 1957 wird Happel mit Rapid Meister.
Rapid-Mannschaft 1946 auf der »Pfarrwiese«, hintere Reihe: Ernst Happel (Zweiter von rechts, neben Franz »Bimbo« Binder). Rapid hat in den 1940er und 1950er Jahren den Ruf einer Weltklassemannschaft.
Ernst Happel (Dritter von links) besucht mit Rapid-Kollegen die Tankstelle von Ernst Ocwirk. Austria-Star Ocwirk und Happel gehören zu den sechs österreichischen Spielern, die 1953 für die FIFA-Auswahl gegen England nominiert werden.
Walter Zeman und Ernst Happel im Praterstadion beim Teamtraining, 1957. Zeman hat wie Happel tschechische Wurzeln, für Happel ist der »Panther von Glasgow« und »Tiger von Budapest« sein »Busenfreund«.
Ernst Happel, Walter Zeman und Hans Schäfer im WM-Halbfinale Deutschland – Österreich, Sankt-Jakob-Stadion, Basel, 30. Juni 1954. Happel und Zeman werden nach der 1:6-Niederlage mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien bestochen worden. Happel bringt es nicht über sich, der Teamleitung zu sagen, dass Zeman ein Alkoholproblem hat.
Ernst und Elfriede Happel bei der Eröffnung eines Lebensmittelgeschäfts in der Neubaugasse, 9. Dezember 1958, Wien. Der Fußball bleibt jedoch weiter Happels »Lebensmittel«, das Arabia-Geschäft wird als zusätzliche Einkommensquelle betrieben.
Mit einem Paris-Souvenir: Happel spielt von 1954 bis 1956 beim FC Racing de Paris. Nach Wien kehrt er mit der Erkenntnis zurück, die Metropole an der Seine biete für einen Fußballer zu viele Ablenkungen.
Happels Trophäen- und Souvenirsammlung während seiner Zeit als aktiver Spieler. Als Vereinstrainer wird er weltweit einer der erfolgreichsten. Wien, 17. September 1958
Ernst Happel (rechts) vor dem Abflug zu einem Spiel in Sofia, 4. August 1958. Die berühmten österreichischen Fußballer werden im Wien der 1950er Jahre verehrt wie heute Film- oder Popstars. Happel lässt sich einen Clark-Gable-Bart wachsen.
Dieses Mal verkaufen die Rapidler das Spiel nicht. Der Zorn der Anhänger hat die Vereinsführung eines Besseren belehrt. Doch trotz des neutralen Spielorts Zürich scheidet Rapid auch dieses Mal aus. Vor 24.000 Zuschauern im Hardturm-Stadion geling Happel zwar in der 37. Minute der zwischenzeitliche Ausgleich zum 1:1, aber am Ende gewinnt der AC Mailand souverän mit 4:2. Die Niederlage ist zugleich der Schlusspunkt von Happels Spielerkarriere im Europapokal.
Da Rapid in der Spielzeit 1957/58 (nach der 21. Meisterschaft im Vorjahr) hinter dem Sportclub nur Zweiter wird, ist der Wiener Traditionsklub im folgenden Jahr im Europacup nicht mehr vertreten. Rapid kämpft nun vergeblich um internationale Anerkennung.
Seine Karriere als Aktiver beendet Happel als 33-Jähriger am 11. April 1959 mit einer 2:3-Niederlage gegen den Sportclub. Bei der Vergabe des Meistertitels muss Rapid dem Sportclub erneut den Vortritt lassen. Happel ist in 19 von 26 Meisterschaftsspielen mit von der Partie. Im österreichischen Cup läuft er nur in der ersten Runde beim 3:1-Auswärtssieg gegen Wiener Neustadt auf. Rapid dringt bis ins Finale vor, das jedoch gegen den WAC mit 2:0 verloren geht.
Happel hat für Rapid von 1943 bis 1954 und 1956 bis 1959 insgesamt 240 Meisterschaftsspiele bestritten (25 Tore) und liegt damit in der »ewigen« Wertung der meisten Rapid-Einsätze an 24. Stelle.
Sechs nationale Meisterschaften hat er mit Rapid geholt (1946, 1948, 1951, 1952, 1954, 1957) und einmal (1946) den ÖFB-Pokal. Außerdem gewinnt er in der Saison 1950/51 den Zentropa-Cup. Von 1948 bis 1951 wird Happel viermal ins »Team der Saison« gewählt. Für Ernst Ocwirk ist Happel, der »beste Verteidiger, den unser Land jemals hervorgebracht hat«.33
Als gegen Ende des 20. Jahrhunderts das »Jahrhundert-Team« von Rapid gewählt wird, ist Happel selbstverständlich in dieser Auswahl vertreten. In der Leserwahl des Rapid Magazin wird 1999 folgende Mannschaft zum »Jahrhundert-Team« von Rapid auserkoren: Michael Konsel, Ernst Happel, Heribert Weber, Peter Schöttel, Antonin Panenka, Andreas Herzog, Gerhard Hanappi, Dietmar Kühbauer, Josef Uridil, Hans Krankl, Franz Binder. In der Wertung »Rapidler des Jahrhunderts« belegt Happel hinter Hans Krankl den zweiten Platz, vor Gerhard Hanappi, Franz Binder, Peter Schöttel und Josef Uridil.
Tod des »Fetzenlaberls«
Knapp zwei Monate nach Happels Karriereende erscheint in der Wochenendbeilage des Kurier (4.7.1959) der Abgesang auf eine ganze Ära und Spieler-Generation. »Das Fetzenlaberl ist tot!«, lautet der Titel des wehmütigen Beitrags von Walter Schwarz: »Durch die Vorstadtstraßen, wo einst die dramatischen ›Gassenmatches‹ tobten, rollt pausenlos der Autoverkehr. Aber sie wären auch sonst verwaist von ›kickenden‹ Buben. Ebenso wie die ›Wieserln‹ draußen verlassen sind. Die Buben von heute spielen nicht mehr Fußball. Nur ein verschwindender Bruchteil von ihnen hat sich die Liebe zum ›runden Leder‹ von den Generationen vor ihnen abgeguckt. (…) Warum das so ist? Die Fachleute haben versucht, sich einen Reim darauf zu machen. Sie haben eine Lösung unschwer gefunden: Vor allem ist der soziale Aufstieg daran ›schuld‹, dass die Fußballbegeisterung nachließ. Die Konjunktur, die Tatsache, dass der Wohlstand gewachsen ist, hat das ›Fetzenlaberl‹ umgebracht. – Ja es wird von manchen sogar die Ansicht vertreten, dass nur eine ›ordentliche Wirtschaftskrise‹ zu kommen braucht, um mit einem Schlag wieder Aufschwung im Fußballsport zu bringen. Um man führt die Krise der dreißiger Jahre an, die das berühmte ›Wunderteam‹ geboren hatte. Früher war das Fußballspielen wirklich oft das einzige Vergnügen, das sich ein Vorstadtbub – oder sogar ein Erwachsener leisten konnte. Mit knurrendem Magen und zerrissenen Schuhen – meist aber überhaupt ›bloßhappert‹ – ging es hinaus auf die Straße oder auf die Wiese. Die Schultasche flog in irgendeine Ecke. Da gab es kein Geld für Zuckerln oder Schokolade, das Kino kannten sie nur vom Hörensagen – ein richtiger Fußball oder gar ein Fahrrad waren unerreichbare Träume. Aber das Fußballspielen konnte sich jeder leisten, ohne Schuhe, mit dem ›Fetzenlaberl‹. Man konnte es sogar zu einer wahren Perfektion bringen – das merkten die ›Goldgräber‹, die so halb verhungerte Buben vom ›Wieserl‹ wegholten und in ihre Mannschaften steckten. Sie kannten und konnten jeden ›Schmäh‹, hatten den Großen alles abgeguckt.
Heute ist das anders. Die Buben haben Schuhe, meistens recht schöne. Geflickte Kleider, wie damals, gibt es nicht mehr – und wenn schon die Mutter nicht die mahnende Stimme erhebt, der ›junge Herr‹ achtet schon selbst peinlich auf sein Äußeres. In einem Alter, wo wir außer der ›Kurzen‹, einem Rollkragenpullover und im Sommer ein Ruderleiberl wenig Kleidungsstücke kannten, kommen unsere Herren Söhne schon mit der langen ›Röhrlhose‹, mit der Krawatte und sorgsam frisiertem Haupt daher. In diesem Aufzug denkt niemand ans Fußballspielen. Sie haben ihr Taschengeld, ihr Fahrrad, sie haben kleine ›Hobbys‹. Dazu gehört manchmal auch das Fußballspiel. Aber es ist bei ihnen meistens eine halbe Sache. Sie gehen auch zu den Fußballklubs, um in den Jungmannschaften aufgenommen zu werden; nur haben die Vereinstrainer selten Freude an ihnen. (…) Die Fußballbuben von früher marschierten zu Fuß durch ganz Wien, um etwa aus Favoriten zu einem Match in Döbling zu gelangen, oder aus Hütteldorf zu einem Match in Floridsdorf. Sie kletterten über Planken oder krochen unter Zaunlücken, nur um mit dabei zu sein – weil sie kein Geld hatten, nicht einmal die 40 Groschen, die eine Kinderkarte kostete. Die jungen Herren von heute fahren mit der Tramway, mit dem Radl oder gar mit dem Moped zum Match.«
Auch Happel äußert später die Meinung, die besten Fußballer kämen von der Straße. Denn Straßenfußballer bilden Tag für Tag in stundenlangem Spiel ihre Technik aus und sehen den Fußball als einzigen Weg, der Armut zu entkommen. Sie stillen durch Erfolg ihren Hunger.