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Geleitwort von Tobias Altmann

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Wenn man an Marshall B. Rosenberg denkt, kommen vielen von uns sicher unmittelbar Bilder in den Kopf, in denen er mit einer Wolfs- und einer Giraffenpuppe an den Händen zu sehen ist. Manchmal sah man ihn in seinen Seminaren auch mit Wolfs- oder Giraffenohren und gelegentlich sogar mit einer ganzen Stofftiergiraffe auf dem Kopf. Doch das Besondere an M. B. Rosenberg war nicht nur die tiefe Ernsthaftigkeit, die er selbst mit einer Giraffe auf dem Kopf auszustrahlen vermochte, sondern auch seine ansteckende Authentizität und die berührende Kraft seiner Worte. Die von ihm entwickelte Gewaltfreie Kommunikation (GfK) hat über die Jahre hinweg viele Menschen erreicht und bereichert, hat in vielen verhärteten Konflikten echte Lösungen ermöglicht und hat in unzählbaren, oftmals sehr schwierigen Gesprächen zu Entspannung beigetragen und die Gesprächspartner wieder miteinander verbunden.

In den letzten Jahren ist die GfK (oder zumindest einzelne Bausteine davon) von recht vielen Menschen angewandt worden. Einerseits ist eine große Verbreitung natürlich sehr erfreulich, andererseits ist dadurch jedoch auch eine Vielzahl unterschiedlicher Umsetzungsvarianten entstanden, was wiederum auch problematisch sein kann. So sind viele Anwenderinnen und Anwender leider nicht ausreichend tief mit der Grundidee, den vier Schritten und den zugehörigen Differenzierungen, den Voraussetzungen, den Wirkprinzipien etc. vertraut und hinreichend darin erfahren. Zu unbedacht werden oftmals Äußerungen als »zentrale Bedürfnisse« akzeptiert, zu vorschnell wird an einer Lösung gefeilt, zu achtlos werden nonverbale Signale übersehen, zu hektisch wird ein echtes Einlassen auf den Prozess einer zu oberflächlichen Ergebnisorientiertheit geopfert. Mir scheint es wichtig, zu betonen, dass die GfK vielmehr ein Prozess der authentischen Kommunikation ist, auf den man sich als Anwenderin und Anwender einlassen muss, wenn man die Früchte ernten will. Es braucht also nicht nur allgemeines Wohlwollen und die vielzitierten vier Schritte der GfK, sondern auch die wirkliche Auseinandersetzung – sowohl mit dem Gegenüber als auch mit sich selbst.

Entsprechend darf die GfK nicht nur als eine Technik gesehen werden, die wie ein Kuchenrezept angewendet werden kann. Sie erfordert auch (oder vielmehr) eine entsprechende innere Haltung. Beide Aspekte – Technik und Haltung – sind erst in ihrer Kombination wirksam. Die Haltung gibt die Richtung vor, die Technik liefert den Antrieb. Eine reine Anwendung der Technik ohne die passende innere Haltung kann in ungünstige Richtungen führen, Widerstände wecken und sogar in eine gewaltvolle Kommunikation umschlagen, die auf der Oberfläche auch noch gewaltfrei klingen mag. Die innere Haltung ohne die passende Technik bleibt unkonkret und die Energie verpufft. Es lohnt sich also, sowohl genauer auf die Technik zu achten als auch im Herzen gewaltfrei auf unser Gegenüber und gleichzeitig auch gewaltfrei auf und in uns selbst zu blicken.

Das vorliegende Buch gibt zu all diesen und vielen weiteren Aspekten der GfK wertvolle Impulse, dienliche Hinweise, hilfreiche Anleitungen und zudem auch viele pointierte praktische Beispiele. Der besondere Fokus des Buches liegt dabei auf einem sehr wichtigen Bereich im menschlichen Leben, der in den üblichen GfK-Trainings selten eine Rolle spielt, aber uns alle früher oder später intensiv und unumgänglich betrifft, nämlich die eigene Endlichkeit.

Am Ende des Lebens keine Zeit mehr zu haben und doch noch Zeit zu brauchen, um die eigenen Bedürfnisse zu klären, den Mut zu finden, die eigene Verletzlichkeit zu erfahren und sich mit dieser Verletzlichkeit anderen mitzuteilen – für solche Prozesse brauchen wir einen Menschen als Gegenüber, der unseren Prozess geduldig und wertschätzend begleitet, der sich die Zeit für uns nimmt, der unsere inneren Umwege mitgeht und unsere Launen und Anspannungen aushält, und der uns auf dem Weg zur Übernahme der Verantwortung für unsere eigenen Bedürfnisse auch in diesen existenziellen Zeiten kompetent unterstützt. Gerade bei der Pflege anderer Menschen, in der Zeit immer eine kritische Mangelware ist, ist es schwer, sich diese Zeit für einen anderen zu nehmen. Dann zusätzlich jetzt auch noch Fortbildungen zur GfK besuchen und Bücher darüber lesen? Das ist auf den ersten Blick fast schon eine Zumutung.

Allerdings lohnt sich dieser Weg wie kaum ein anderer. Wer sich die Zeit nimmt und wer sich immer wieder neu auf den individuellen Prozess seines Gegenübers einlässt, erfährt die zutiefst erfüllende Verbindung mit diesem Menschen. Die GfK ermöglicht eine authentische, vertraute und produktive Ebene im Gespräch. Und das sowohl für unser Gegenüber als auch für uns selbst als Anwenderinnen und Anwender der GfK.

Ich wünsche diesem Buch viele Leserinnen und Leser, denn es ist reich an Erkenntnissen, intensiv in der praktischen Anwendung und potent für die individuelle Entwicklung. Und nicht nur für professionelle Betreuende und Pflegekräfte: Jeder von uns, der mit dem Thema Tod und Sterben anderer Menschen in Berührung gekommen ist oder kommen kann, wird von diesem Buch profitieren. Und so schwer dieses Thema auch klingen mag, so dankbar kann man sein, wenn man gerade in dieser Zeit von einem Menschen begleitet wird, der auf diese wunderbare Art empathisch zuhören kann, wie es die GfK beschreibt. Egal ob mit oder ohne Stofftiergiraffe auf dem Kopf.

Dr. phil. Dipl.-Psych. Tobias AltmannAkademischer Rat an der Universität Duisburg-EssenEssen, im Frühling 2021
Empathische Kommunikation in der Palliativbetreuung

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