Читать книгу Unglaubliches überstanden - Klaus G. Förg - Страница 8
ОглавлениеBeim Reichsarbeitsdienst (RAD)
Zuerst einmal musste ich meinen Pflichtarbeitsdienst absolvieren. Ich bekam meinen Einstellungsbefehl nach Schlüchtern in der Rhön – wie sich herausstellte, ein gottverlassenes Nest, dessen Bedeutung allein darin bestand, dass es ein Eisenbahnknotenpunkt war, an dem zwei D-Zug-Linien sich kreuzten. Dort wies die Strecke eine so starke Steigung auf, dass die Züge bergauf eine zusätzliche Schublokomotive benötigten.
Die Weihnachtsferien wollte ich als frischgebackener Abiturient noch zum Schifahren ausnützen und ging daher auf die »Pionierhütte« am Ross- und Buchstein südlich des Tegernsees. Die Hütte trug diesen Namen, weil sie auf eine Anregung meines Vaters hin als Ausbildungszentrum für den Gebirgsdienst der Pioniere samt Anfahrtsweg durch Arbeitseinsätze der Kompanien des Pionierbataillons 7 gebaut worden war. Die drei Gebäude konnten eine komplette Kompanie aufnehmen. Als Hüttenwart fungierte ein ehemaliger Feldwebel. Da der Weg für Fahrzeuge zu schmal und zu steil war, gehörte zum ständigen Inventar auch ein Muli, der Verpflegung und sonstiges Material von Wildbad Kreuth hinaufzutragen hatte. Zusammen mit meinen Eltern traf ich dort viele alte Bekannte aus München, für Spaß war also gesorgt.
Für den Silvesterabend hatten sich ein paar junge Leutnants etwas Besonderes ausgedacht: Sie hatten Leuchtpistolen mit einer Menge Leuchtmunition dabei. Um Mitternacht gab es einen großen Feuerzauber, der die Rehe im Wald sicher erschreckt hat. Ich war natürlich mitten dabei, und zufällig drückte ein Leuchtraketenschütze unmittelbar neben meinem Ohr ab. Es knallte so laut, dass mein Trommelfell überdehnt wurde. Von diesem Augenblick an hörte ich nichts mehr, und mit dieser Behinderung fuhr ich am 1. Januar 1936 mit meinen Siebensachen zu meinem neuen Standort.
Dort stieß ich auf dieselben Schwierigkeiten wie damals beim Schulwechsel in Ulm: Die Mannschaft war schon ein Vierteljahr beisammen. Nun kam ein Neuling hinzu, von dem man munkelte, dass er nur die Hälfte des Arbeitsdienstes ableisten müsse, weil er Offizier werden wolle. Also was Besseres! Vielleicht irgend so ein arroganter Adeliger mit einem Monokel im Auge!
Der »Kammerbulle« sah meine Klamotten, die schifahrermäßig in einem Rucksack untergebracht waren, und war sehr zugeknöpft bei der Ausgabe der Uniformstücke. Ich bekam ein Paar uralte, gebrauchte Knobelbecher, an denen innen am Knöchel Lederflicken angenäht waren, die mir bei jedem Schritt Schmerzen verursachten. Dass die Stimmung gegen mich auch von oben her angeheizt wurde, war mir klar, als ich erfuhr, dass unser Lagerkommandant, ein Feldmeister, unehrenhaft aus der Reichswehr ausgeschieden war, weil er Untergebene misshandelt hatte. Da musste schon allerhand passiert sein, denn zimperlich war der Umgangston dort wahrhaftig nicht!
Jeden Samstagvormittag war der sogenannte »Appell« angesagt. Wir mussten mit all unseren Klamotten antreten und wurden bis zur letzten Hosennaht gefilzt. Wer auffiel, durfte übers Wochenende nicht in Urlaub. Ich konnte machen, was ich wollte, ich fiel immer auf und wusste bald: Da steckte System dahinter!
Meine Situation veränderte sich schlagartig zum Besseren, ohne dass ich das zunächst erwartet hätte, und das kam so: Es gab im Lager noch keine WCs, sondern nur Plumpsklos. Wenn die Grube voll war, musste sie von uns geleert werden – natürlich am Samstag, natürlich von den »Aufgefallenen«, und selbstverständlich war auch ich dabei.
Der Betondeckel der Grube wurde geöffnet, ein Mann fischte mit einem Schöpfeimer, der an einer Stange befestigt war, die Scheiße heraus und kippte sie in Eimer. Die anderen trugen dann jeweils zwei davon in den lagereigenen Garten zum Düngen. Als man mit der Schöpfkelle nichts mehr erwischen konnte, sich aber noch Reste in der Klogrube befanden, befahl der diensthabende »Vormann«, dass ein Freiwilliger hinabsteigen sollte, um den Rest zusammenzukratzen. Einer Eingebung folgend, meldete ich mich. Großes Staunen! Der Offiziersanwärter meldet sich zu dieser, im wahrsten Sinn des Wortes, Scheißarbeit! Ich zog mich bis auf die Unterhose aus, schlüpfte in ein Paar Holzpantinen, zündete mir eine dicke Zigarre an und stieg paffend in den Orkus hinab. Nach getaner, zugegebenermaßen unappetitlicher Arbeit kam ich wieder hoch, ging zum Duschen und bekam sogar noch Sonntagsurlaub. Was ich nicht erwartet hatte: Diese Tat sprach sich schnell im Lager herum, und von da an hat mich keiner mehr gehänselt!
Mein Image sollte sich aber noch weiter verbessern. Für den Sommer war ein großes Manöver geplant, und zwar im Umkreis der Rhön. In dem landwirtschaftlich wenig genutzten Gebiet würden sich die Flurschäden in Grenzen halten. Der Stab des Heeresgruppenkommandos in Kassel bereitete vor Ort die beabsichtigten Gefechtshandlungen vor. Mein Vater, inzwischen schon Generalmajor, war für den Pionierbereich verantwortlich und bereiste das vorgesehene Manöverfeld. So kam er auch nach Schlüchtern. Er wusste ja von meinem Verbleib, rief im Arbeitsdienstlager an und fragte an, ob er mich besuchen könne. Das löste eine unerhörte Aktivität im Lager aus: Ein General besichtigt unser Lager! Alles auf Vordermann bringen, Stuben schrubben und so weiter. Ich wurde nochmals auf saubere Uniform und Stiefel überprüft und dann kam der große Augenblick: Mein Vater fuhr am Lagertor vor, nahm seinen Sohn in Empfang und brachte ihn in ein Schlüchterner Café, wo wir uns ungestört eine Stunde unterhalten konnten. Zurück am Lagertor, stand der Feldmeister in devoter Haltung bereit und bot meinem Vater an, ihm das Lager zu zeigen, doch der lehnte dankend ab mit dem Hinweis auf andere Verpflichtungen. Von dieser Stunde an hat mich sogar mein Arbeitsführer korrekt behandelt.
Was hatten wir in Schlüchtern zu tun? Jeden Morgen rückten wir in geschlossener Kolonne aus. Es ging auf den Drasenberg, ein paar Kilometer entfernt, wo wir die Aufgabe hatten, Meliorationsarbeiten für die Landwirtschaft zu leisten. Wir mussten Feldwege an- oder im Rahmen der Flurbereinigung Felder zusammenlegen. Jede Arbeit wurde von Hand mit dem Spaten und mit Loren zum Erdtransport durchgeführt.
Apropos Spaten: Jeder von uns Arbeitsmännern hatte einen Exerzierspaten. Der durfte ja nicht zur Arbeit verwendet werden, sondern war stets auf Hochglanz poliert. Damit wurden Spatengriffe eingeübt, so ähnlich wie Gewehrgriffe im Heer.
In meine Dienstzeit fiel eine besondere Veranstaltung in Fulda – es könnte wieder einmal zu Hitlers Geburtstag gewesen sein. Zuvor exerzierten wir wesentlich häufiger als üblich und vernachlässigten dafür unsere eigentliche Arbeit. Ich weiß noch: Wir marschierten im Gleichschritt durch Fulda und präsentierten dann unsere Spaten. Das muss ganz gut geklappt haben. Und wirklich: Wenn plötzlich hundert Spatenblätter auf Kommando gedreht werden und in der Sonne blinken, ist das schon ein Effekt. Und auf derlei Inszenierungen verstanden sich unsere damaligen Oberen in perfekter Weise.
Das Vierteljahr im Arbeitsdienst ging zu Ende. Ende März wurde ich entlassen mit dem Vermerk: »Zum Vormann geeignet«. Vormann war das, was beim Militär dem Gefreiten entsprach. Da stand mir ja noch eine große Laufbahn bevor, so dachte ich damals, ohne zu wissen, was wirklich auf mich zukommen würde.