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Wehrmacht

Im April 1936 trat ich in das Pionierbataillon 47 in München ein. Das war eine wirkliche Zäsur in meinem Dasein, denn ich verpflichtete mich auf Lebenszeit. In einer Baracke am Rande des Oberwiesenfeldes in der Nähe des bekannten Moosacher Gaskessels wurden alle Offiziersanwärter von Bayern zusammengezogen. Es waren etwa dreißig. Dort wurden wir, abgeschieden von den übrigen Truppenteilen des Bataillons, nach allen Regeln der Kunst geschliffen. Rückblickend muss ich heute feststellen: Die Ausbildung war zwar hart, aber nicht gemein oder verletzend. Und wenn unser Gefreiter Stöffler aus der Pfalz am Abend einen Eimer Wasser in unser Zimmer goss und rief »Die Bud werd g’schrubbt«, dann nahmen wir das gelassen hin.

Zwischendurch wurden wir vereidigt und zum »Fahnenjunker-Gefreiten« befördert. Gleichzeitig mussten wir die Führung einer Pioniergruppe von zwölf Mann übernehmen. Damit waren wir auch in das Unteroffizierskorps aufgenommen, mussten uns allerdings den damals geltenden Ritualen unterziehen: Es gab etwa zwölf Unteroffiziere in einer Kompanie. Zu der Zeremonie kam jeder mit einem Glas Schnaps zu mir, um mir zuzuprosten. Jeder hatte eine andere Sorte. Ich bekam ein Tablett mit zwölf Schnäpsen und musste nun jedem mit »seinem« Schnaps Bescheid geben. Das war die Härteprobe. Ein Blödsinn, aber so war es eben. Ich habe die Prüfung zwar bestanden, war aber drei Tage lang krank.

Es folgte der tägliche Dienst, der die mir anvertraute Pioniergruppe befähigen sollte, all das zu leisten, was Pioniere alles können müssen: Brücken bauen, Sprengdienst, Sperrdienst mit Minen und Sprengladungen. Es war ein interessantes Tagesprogramm. Eine Abwechslung brachte die Teilnahme an einer »Lehrsperrübung« im Raum Landshut. Dort wurde uns vorgeführt, wie man sich vor dem angreifenden Feind durch Sperren kräftesparend verteidigen konnte. Natürlich war da auch wieder mein Vater beteiligt. Er leitete die ganze Übung, wusste, dass sein Söhnchen auch in der Nähe war, und fragte in aller Unschuld nach, ob er mich denn einmal sprechen könne.

Die Reaktion war die gleiche wie beim Arbeitsdienst: Mein Spieß, der einzige Preuße in unserer Kompanie, ließ mich zu sich kommen, verkündete mir, der Herr General wünsche mich zu sprechen, und befahl, ich solle mich in 15 Minuten appellfähig machen. Ich bürstete also meine Uniform auf, wichste meine Stiefel und meldete mich wieder bei meinem Kompaniefeldwebel. Natürlich wurde ich einiger angeblicher Mängel wegen noch einmal zurückgeschickt. Also erneut antreten: »Warum nicht gleich!« Dabei hatte ich nichts mehr zu meiner weiteren Verschönerung getan.

Ein Kübelwagen brachte mich nach Landshut in die Gaststätte, wo der Kommandostab untergebracht war. Ein Offizier, sozusagen der Türsteher, empfing mich ziemlich unwirsch und fragte, was ich denn hier wolle.

»Herrn General Dennerlein sprechen!«

Sein Gesicht versteinerte sich. »Wieso?«

»Ich bin sein Sohn.«

Sein Gesicht hellte sich auf. »Einen Moment, ich melde Sie dem Herrn General!«

Ich wartete eine Weile, dann kam mein Vater heraus ins Foyer. Ich machte stramm mein »Männchen«. Wir zogen uns dann eine Weile zurück, plauderten wie Vater und Sohn, kamen wieder hervor ins Foyer, ich salutierte wieder und verabschiedete mich von ihm.

Im Januar 1937 wurde ich an die Kriegsschule Dresden abkommandiert. Die kannte ich ja schon, bloß aus einer anderen Perspektive. Wir lernten alles, was ein Offizier wissen musste oder was man glaubte, dass er wissen müsse, von der Taktik bis zum Veterinärwesen. Ein spezielles Fach war das Heerwesen. Dahinter verbarg sich alles, was mit dem Wort »Etikette« zu umschreiben wäre. Und das waren zum Teil verstaubte Gepflogenheiten, die selbst damals uns junge Menschen zum Lachen reizten.

Zum Beispiel: Wie mache ich bei meinen Vorgesetzten einen Antrittsbesuch? Ein solcher war Pflicht für jeden neu an den Standort und in seine neue Einheit Versetzten. Das lief ungefähr folgendermaßen ab: Man nahm sich von der Einheit eine Kutsche, fuhr damit am Wohnsitz des zu besuchenden Vorgesetzten vor und klingelte. Das obligate und schon vorgewarnte »Dienstmädchen« knickste, man fragte, ob die Herrschaften Besuch empfangen würden. Zeitpunkt der Veranstaltung war in der Regel am Sonntag gegen elf Uhr. Das Mädchen teilte dann mit »Die Herrschaften lassen bitten!«

Der Besucher holte zwei Visitenkarten heraus, die für diesen Zweck eigens gedruckt worden waren, und legte sie auf ein dargereichtes Silbertablett. Das Mädchen verschwand, kam ohne Tablett wieder und führte den Besucher in das Empfangszimmer, wo ihn die Besuchten erwarteten. Man meldete sich beim Vorgesetzten als zu der und der Einheit versetzt, küsste der Dame des Hauses die Hand, wurde aufgefordert, Platz zu nehmen, setzte sich auf den dargebotenen Stuhl, legte Mütze und weiße Handschuhe neben sich auf dem Boden ab. Als Offizier hatte man schon den reichlich hinderlichen Säbel an der Seite, den man nun auch aushängen und an der Hüfte entlang ablegen durfte. Natürlich trug man seine beste Ausgehuniform. Man sprach mehr oder weniger locker über dies und das. Angeboten wurde einem nichts, höchstens ein paar Kekse, die man dankend abzulehnen hatte. Nach spätestens einer Viertelstunde hatte man aufzustehen und sich zu verabschieden. Das »Mädchen« begleitete einen hinaus, die Tortur war beendet.

Wer jetzt glaubt, ich hätte übertrieben, der irrt. Wir wurden tatsächlich auf solche, auch für uns schon überlebte Rituale getrimmt. Dass dann draußen in den Garnisonen die meisten Vorgesetzten lockerer mit den Dingen umgingen, steht auf einem anderen Blatt.

Auch für das Schreiben von Briefen an Vorgesetzte wurden uns ähnlich strenge Regeln beigebracht. Beispielsweise mussten wir uns grundsätzlich der »deutschen« Schrift bedienen. Nur Orts- und Eigennamen waren lateinisch zu schreiben. Das galt auch für Prüfungsaufgaben. Verstöße gegen diese Schreibregeln wurden als Fehler angekreidet.

Großer Wert wurde auf den Sport gelegt. Wir wurden fast so vielseitig wie Zehnkämpfer gefordert. Ein besonderer Höhepunkt war das Boxen. In der Person von Hugo Murero hatten wir einen berühmten Lehrer, der sich später als Sportreporter einen Namen machte. Wir lernten also die verschiedenen Schläge und Abwehrmaßnahmen. Am Ende des Boxunterrichtes, gleichzeitig die Grundlage für die Sportnote in unserem Abgangszeugnis, war ein Kampf über drei Runden angesagt. Etwa gleich starke und gleich schwere Gegner mussten gegeneinander antreten. Mein Partner war ein Kamerad, mit dem ich mich gut verstand. Wir verabredeten, zwar wacker aufeinander loszuboxen, uns aber nicht allzu weh zu tun. Überraschend erschien zu unserem Kampf der Kommandeur der Schule, General Lemelsen, um zuzuschauen. Das beflügelte natürlich unseren Kampfgeist. Wir legten also wie verabredet los. Ich hatte dabei das Handicap, dass ich kurzsichtig war und normalerweise eine Brille trug, die ich natürlich abnehmen musste. Dadurch konnte ich einen Schlag meines Kontrahenten nicht rechtzeitig im Ansatz erkennen. Er traf mich mit voller Wucht auf die Nase. Ich sah im wahrsten Sinn des Wortes rot, schlug ebenfalls kräftig zu und traf seine Mundpartie. Erfolg: Auf beiden Seiten floss Blut, der Kampf wurde abgebrochen, wir bekamen die Bestnote für unseren Kampfeinsatz und wurden in das Krankenrevier geführt. Dort wurde diagnostiziert, dass mein Nasenbein angebrochen war. Die Nase wurde längere Zeit durch ein Klebepflaster in gerader Stellung gehalten. Und meinem Freund und Kontrahenten hatte ich die beiden vorderen Schneidezähne ausgeschlagen und den Kiefer gebrochen. Obwohl wir Zurückhaltung vereinbart hatten, waren wir beide übel verletzt worden.

Im Sommer, etwa zur Mitte unserer Kriegsschulzeit, wurden wir nach einer bestandenen Prüfung vom Fahnenjunker-Unteroffizier zum Fähnrich befördert. Wir traten mit einer neuen Verzierung auf unseren Schulterklappen einen Heimaturlaub an und begannen dann mit dem zweiten Abschnitt unserer Ausbildung zum Offizier.

Schön und interessant war unsere sogenannte Belehrungsreise, die uns zu verschiedenen Truppenteilen nach Schlesien führte. Jede besuchte Truppengattung führte uns Ausrüstung und Waffen unter Einsatzbedingungen vor. Unter anderem veranstaltete die Artillerie ein Gefechtsschießen auf dem Truppenübungsplatz Neuhammer. Wir standen auf einem Aussichtshügel, und die Artillerie feuerte über uns hinweg auf Zielattrappen. Das war eine neue Erfahrung. Die Granaten zischten über uns nach vorne, und dann erst hörten wir den dumpfen Knall des Abschusses hinter uns, dicht gefolgt vom Krach des Einschlags vor uns.

Plötzlich schrie ein kriegserfahrener Offizier: »Volle Deckung!«

Wie oft geübt, warfen wir uns zu Boden, und gleich danach detonierte eine Granate in der Nähe unserer Gruppe. Jener Offizier hatte gehört, dass das Geschoss auf uns zuflog und konnte uns noch warnen. Der Beinaheunfall wurde damit erklärt, dass wir auf unserem Beobachtungshügel direkt unter der Flugbahn der Geschosse standen und der Richtschütze dessen Höhe unterschätzt hatte, sodass die Granate sozusagen am Hügel hängen blieb und dort detonierte. Außer dieser brenzligen Situation verlief die Reise wie geplant, und wir bekamen einen Einblick in die Tätigkeiten und Kampfweise aller Truppenteile.

Unsere Freizeitgestaltung auf der Schule war unterhaltsam, wird aber heute bei manchem ein Lächeln hervorrufen. Zunächst einmal bekamen wir, wenn wir nichts angestellt hatten, Wochenendurlaub am Samstag und Sonntag. In Zivil durfte man nur fort, wenn man als Grund zum Beispiel »Wandern in der Sächsischen Schweiz« angab. Man musste dann aber sogenannte Knickerbockerhosen anziehen. Mit Knickerbockers durfte man andererseits nicht in ein Tanzlokal, wo es uns natürlich mehr hinzog als in die Sächsische Schweiz. Wenn man offiziell zum Tanzen gehen wollte, was grundsätzlich erlaubt war, musste man Uniform tragen. Der Ausweg aus dem Dilemma war, dass viele Kameraden und auch ich ein Ziviljackett mit zwei Hosen hatten, nämlich Knickerbockers und langen Hosen. Man ging in Knickerbockers zum Kasernentor hinaus, hatte die »Lange« in einer Aktentasche dabei und zog sich dann in der Toilette des Schnellzuges einfach die andere Hose an. Der Trick kam nie auf, vielleicht, weil unsere Aufsichtsoffiziere ein paar Augen zudrückten.

Berlin war als Urlaubsort sehr beliebt. Der letzte Zug zurück nach Dresden traf dort am Sonntagabend zwanzig Minuten vor Mitternacht ein – wenn er pünktlich war. Wir hatten grundsätzlich nur bis Mitternacht Ausgang. Das wussten auch die Dresdener Taxifahrer, und so warteten am Ausgang Scharen von Taxis auf uns. Ankunft des Zuges, im Laufschritt zu den Taxen, immer vier Mann rein und ab zur Schule, die in Dresden-Neustadt lag und eine gute Viertelstunde Fahrzeit benötigte. Meistens haben wir es gerade so geschafft, und wenn nicht, dann war der nächste Wochenendurlaub flöten.

Es war uns übrigens strikt verboten, mit Mädchen »engeren Umgang« zu pflegen. Wenn so etwas herauskam, wurde man sofort vom Lehrgang suspendiert. Dagegen hatten wir dienstlich verordnete Tanzstunden zu absolvieren, weil dies ja auch zur Etikette in den »besseren Kreisen« gehörte. Die dafür erforderlichen Mädchen wurden von den höheren Mädchenschulen Dresdens »gestellt« und fuhren selbstverständlich zum Ende der Veranstaltung geschlossen wieder ab. Da war natürlich nichts zu machen.

Ausgerechnet der katholische Militärpfarrer bot uns seine Hilfe an, indem er Kontakte mit christlichen Familien vermittelte. Ich meldete mich aus Neugier, bekam auch eine Adresse, machte dort meinen Besuch, und siehe da, es gab eine Tochter im Hause. Weil ich wusste, dass künftige Offiziere bei Dresdener Familien als künftige Schwiegersöhne begehrt waren, wurde ich misstrauisch. Es wurde für den nächsten Sonntag eine gemeinsame Fahrt mit dem Auto vereinbart, was alles andere als üblich war. Dabei zeigte es sich, dass das Töchterlein bereits einen Freund hatte, der mit von der Partie war. Ich war erleichtert und genoss fortan unbeschwert die wirklich wohlgelungenen Familienausflüge in die nähere und weitere Umgebung.

Das Jahr ging zu Ende und damit unser Offizierslehrgang. Es gab noch eine umfassende Prüfung, bei der unser gesamtes neu erworbenes Wissen abgefragt wurde, dann wurden wir zum Oberfähnrich befördert. Als solcher hatte man schon einen Säbel zur Paradeuniform zu tragen, die bis auf die Schulterklappen der eines Offiziers entsprach – aber selbst beschafft werden musste. Von der Kriegsschule wurden wir dann noch bis Ende Januar auf die Pionierschule geschickt, um unser Fachwissen zu vertiefen.

Dann aber ging es mit stolzgeschwellter Brust und natürlich in der neuen Uniform nach München zu meiner alten Kompanie. Der Erste, der mir dort begegnete, war der alte preußische Spieß. Er sah mich, schlug die Hacken zusammen, stand stramm und gratulierte mir zur Beförderung. Ich stand nun im Rang über ihm. Trotzdem arbeiteten wir gut zusammen. Er erkannte mich an, ich ihn auch. So meldete er mir zum Beispiel am Morgen die Kompanie, was ihm überhaupt keine Schwierigkeiten bereitete. Das militärische Prinzip von Befehl und Gehorsam funktionierte unter allen Bedingungen.

Am 5. Februar 1938 rückte meine Kompanie zum Winterschießen und Gebirgsdienst auf die Pionierhütte am Ross- und Buchstein in die Tegernseer Berge ab. Aber damit war es bald vorbei. Bereits nach fünf Tagen, also am 10. Februar, klingelte das alte Feldtelefon, die einzige Verbindung mit unserer Münchener Garnison. Das Gespräch war nicht lang, aber bedeutungsvoll. Es wurde nämlich das Codewort für die Mobilmachung durchgegeben. Es war gegen 22 Uhr, die meisten schliefen schon. Raus! Aufstehen! Klamotten packen! Eine Stunde Fußmarsch hinunter auf dem Pionierweg zur »Schwarzen Tenn«, wo unsere Gefechtsfahrzeuge warteten. Aufsitzen zur Fahrt nach München. In der Kaserne scharfe Munition und Sprengstoff laden – ein wohlorganisierter Ameisenhaufen. Wir waren morgens um drei Uhr in der Kaserne angekommen und konnten schon um sieben Richtung Süden losfahren. Es war dies der Beginn des »Unternehmens Otto«, der Militäraktion zum Anschluss Österreichs an das Reich, und damit der Anfang einer Reihe von Annexionen, die dann im Zweiten Weltkrieg ihr Ende fanden.

Da man nicht sicher war, wie sich das österreichische Bundesheer des Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg verhalten würde, waren wir vorsichtig und auf das Schlimmste gefasst. Unser Bataillon hatte den Auftrag zu erkunden, ob die Brücken über die Salzach vor Salzburg noch intakt oder gesprengt oder zur Sprengung vorbereitet seien. In letzterem Falle sollten sie im Handstreich genommen werden. Mir fiel die Ehre und die Verantwortung des Vorauskommandos zu. Vor der regulären Truppe ein Pionierkübelwagen mit aufgesatteltem MG, dahinter mein Wagen und wieder dahinter eine Pioniergruppe mit Gefechtsfahrzeug, auf dem Führerhaus wieder ein MG. So ging es am 12. März 1938 über die deutsch-österreichische Grenze gen Salzburg. Je näher wir kamen, desto zahlreicher wurde die Bevölkerung am Straßenrand, die uns begeistert zujubelte. Bald war die Straße von Menschen so überfüllt, dass wir nicht mehr weiterfahren konnten. Wir wurden aus unseren Wagen gezerrt, auf irgendwelche Schultern gehoben und herumgetragen.

Auftragsgemäß musste ich ja melden, was mit den Salzachbrücken los sei. Ich fragte in all dem Trubel die Leute, ob diese Brücken wohl noch in Ordnung seien. Sie brüllten: »Ja, ja, freili! Die Heimwehr ist auf und davon und hat ihre Uniformen auszogen!«

Daraufhin wagte ich den Funkspruch nach hinten, dass auf den Brücken keine Gefahr drohe. Im Triumphzug und im Schritttempo erreichten wir als erste deutsche Truppe Salzburg. So habe ich den Anschluss erlebt. Wir fuhren im Laufe der nächsten Tage weiter durch das Land mit der Aufgabe, alle Brücken, vor allem im Bereich der Mur, zu verstärken, die unserem Militärstandard nicht entsprachen. Da bewährte sich unsere Ausbildung im Behelfsbrückenbau, weil wir diese Verstärkungen berechnen und mit Balken und Bohlen aus den umliegenden Sägewerken umsetzen konnten.

Solch ein Brückenbau hielt uns manchmal auch mehrere Tage an einem Ort fest, so zum Beispiel in Frohnleiten an der Mur, wo wir im Schloss der Familie von Meyer-Möllnhoff einquartiert waren. Der Baron war offensichtlich kein Freund Hitlers, was aber der herzlichen Gastfreundschaft keinen Abbruch tat. Wir wurden von livrierten Dienern geradezu verwöhnt, und auch die beiden Baronessen waren sichtlich davon angetan, dass ihr scheinbar recht eintöniger Tagesablauf eine Abwechslung erfuhr. Der Quartiermacher hatte vorausschauend meinen Freund Schorschl, Leutnant Georg Freiherr von Schatte, mit in das Schloss eingeteilt. So blieb alles einigermaßen standesgemäß. Die beiden Baronessen haben uns im Übrigen später einmal zum Fasching in München besucht.

Zum Ende des »Unternehmens Otto« fand dann eine große Feldparade in Graz statt, bei der ich zum ersten Mal als Fahnenoffizier eingeteilt war, wieder mit meinem Freund Schorschl. Alle Teilnehmer an diesem Einsatz bekamen danach noch eine Medaille an die Brust geheftet, die auf der Vorderseite zwei Jünglinge zeigte, nackt und nach oben schreitend, der eine mit Hakenkreuzfahne, der andere, wie er seine Fesseln zerbricht. Auf der Rückseite steht die von fast allen Österreichern bis zur Heiserkeit gebrüllte Parole: »Ein Volk – ein Reich – ein Führer« und das Datum des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, der 13. März 1938.

Ende März in die Garnison zurückgekehrt und demobilisiert, ging es Schlag auf Schlag weiter. Schon Mitte April wurde ich mit mehreren Offizieren in die Pfalz geschickt zu einer Erkundung für eine geplante »Sperrübung Pfalz«. Als das ganze Bataillon nachrückte, erwies sich diese »Übung« als Vorbereitung für den Ernstfall, einen künftigen Krieg gegen Frankreich. Zug um Zug wurde die Westgrenze des Deutschen Reichs mit einer 630 Kilometer langen Befestigungslinie gesichert, die nach der nationalsozialistischen Bautruppe »Organisation Todt« offiziell »Todt-Linie« genannt wurde. Später bürgerte sich dafür die Bezeichnung »Westwall« ein.

Mein Vater wurde kurze Zeit später Inspekteur der Westbefestigungen mit Sitz in Wiesbaden und war für die taktische und operative Führung verantwortlich. Die Ausführung übernahmen die genannte Organisation Todt sowie zivile Baufirmen. Vielleicht hat sich in der Personalabteilung jemand daran erinnert, dass mein Vater schon vor dem Ersten Weltkrieg in den Festungen Metz und Ingolstadt eingesetzt war.

Unsere Aufgabe als Pioniere bestand im Bau feldmäßiger Sperren. So wurden Wälder abgeholzt, wobei die Bäume in 1,50 Metern Höhe abgeschlagen wurden. Waldwege wurden durch quer über den Weg geschlagene Bäume gesperrt, an freien Stellen wurden Stücke von Eisenbahnschienen senkrecht in den Boden gerammt, Brücken wurden auf ihre Sprengmöglichkeiten erkundet, Sprengpläne angefertigt und die erforderliche Sprengmunition in der Nähe bereitgestellt. An Brennpunkten wurden sodann die ersten »Panzer-Tetraeder« aus Stahlbeton aufgestellt, die ein unüberwindliches Hindernis für Kettenfahrzeuge darstellen sollten.

Im Nachhinein erscheint mir diese ganze Aktion als ein mehr politisch zu bewertender Reflex, um zu zeigen, dass sich »Großdeutschland« nunmehr jedwede Einflussnahme auf sein Territorium verbitte.

Mit den Pfälzern kamen wir blendend aus. Man verstand sich als ein Teil Bayerns. Ich musste nur meine Soldaten daran gewöhnen, dass man Wein nicht wie Bier literweise trinken kann, ohne Schaden zu erleiden.

Um diese Erkenntnis reicher traten wir den Rückmarsch nach München an, wo uns schon der nächste Einsatzbefehl erwartete. Wir waren dazu bestimmt, als Organisationstruppe für den Reichsparteitag in Nürnberg zu fungieren. Da viele Besucher zu erwarten waren, mussten wir an verschiedenen Stellen der Stadt Übergänge schaffen, sodass die Besucherströme die Straßenkreuzungen leichter überqueren konnten. Außerdem galt es besondere Vorbereitungen zu treffen für den Tag der Wehrmacht auf dem sogenannten Märzfeld. Es war dies eine Riesenshow, wie man heute sagen würde, bei der zum ersten Mal deutsche Panzer, allerdings sehr kleine Exemplare, paradierten. Durch den Versailler Vertrag waren uns ja grundsätzlich Panzer verboten worden. Das Volk jubelte! Sinnigerweise hieß dieser Parteitag »Parteitag des Friedens«. Man wollte die Welt glauben machen, dass Deutschland nur friedliche Absichten hegte. Der Rest ist bekannt!

Inzwischen verdichteten sich die Nachrichten über die Unstimmigkeiten mit den Westmächten wegen der Pläne der Reichsregierung zur Okkupation der Tschechoslowakei. Hitler hielt eine Brandrede. In diesem Zusammenhang ist wirklich kurios, dass ich als späterer Kommandeur des Pionierbataillons 10 der Bundeswehr in Ingolstadt im Jahre 1966 die Aufgabe hatte, alle zwölf Türme des damaligen Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg-Langwasser zu sprengen, um dieses Relikt der Nazizeit auszulöschen. Sic transit gloria mundi – so vergeht der Ruhm der Welt!

Kaum in die Garnison zurückgekehrt, erwartete uns ein neuer Auftrag. Ende September 1938 wurde unser Bataillon unter Gefechtsbedingungen nach Niederbayern verlegt. Unsere Kompanie landete in Ortenburg. Das sollte für mich eine schicksalhafte Wendung bedeuten.

Mein Freund Schorschl wurde in der Fellermühle einquartiert, einem renommierten Betrieb mit Sägewerk, Mühle und Landwirtschaft. Ich traf es etwas schlechter. Eines Tages sagte Schorschl zu mir: »Komm doch einmal vorbei, da sind zwei nette Mädels in der Familie!«

Ich besuchte die Familie, und der gutmütige Vater stellte uns für das nächste Wochenende seinen komfortablen »Wanderer«-Pkw für einen gemeinsamen Ausflug zur Verfügung. Wir spielten »High Society«: Im Fond saßen Schorschl und Melanie als die adligen Respektspersonen. Vorn am Steuer nahm ich als Chauffeur Platz, neben mir Karin als Hausdame. Wir haben viel Quatsch gemacht, merkten während der Fahrt jedoch, dass uns das Benzin ausging. Also haben wir unsere Kreuzer zusammengetan und gerade noch fünf Mark zusammengebracht, um bis nach Ortenburg bei Passau zurückzukommen. Peinlich! Das war dann gar nicht High Society gemäß.

Im Zuge der »Befreiung des Sudetenlandes« wurden wir im Oktober von Ortenburg nach Haidmühle verlegt. Der Schlagbaum zur tschechischen Grenze wurde weggeräumt, und wir rückten in bislang nicht zum Deutschen Reich gehörendes Land ein. Im Gegensatz zur Besetzung Österreichs war der Beifall hier schon schwächer. Wir richteten Straßen, Wege und Brücken her in dem Land, das Adalbert Stifter so treffend und naturverbunden beschrieben hat. Auch vom Urwald am Kubany waren wir sehr beeindruckt.

Ende Oktober waren wir wieder in unserer Garnison, der Alltagsdienst nahm uns in Anspruch. Da ich als einer der Wenigen schon einen Führerschein besaß, kam ich zur Ausbildung als Fahrlehrer. Nach Bestehen der militärischen Fahrlehrerprüfung in allen drei Klassen, also Pkw, Lkw und Krad Mitte Dezember war meine Aufgabe die Schulung von Bataillonsangehörigen zu Kraftfahrern.

Das neue Jahr begann zunächst ganz undramatisch mit normalem Ausbildungsdienst. Mitte März braute sich wieder etwas zusammen. Dieses Mal ging es um die »Rest-Tschechei«. Der Meinungskrieg wurde heftiger. Die Hoffnung der Nazis, es käme vielleicht wieder zu einem »Münchner Abkommen«, zerschlug sich. Am 12. März 1939 hieß es: »Marschbereitschaft herstellen!« Das lief nun fast automatisch ab, da wir es schon zweimal geübt hatten.

Am nächsten Tag rückte unser Bataillon »feldmarschmäßig« mit scharfer Munition aus. Diesmal ging es über das Fichtelgebirge nach Eger. Es war eine harte Fahrt und eine Meisterleistung unserer jungen Fahrer, denn es tobte ein unerbittlicher Schneesturm, der die Straßen in höheren Lagen verwehte. Die Pioniere schaufelten die Straßen zwar frei, aber nach kurzer Zeit waren diese schon wieder zugeweht.

Völlig erschöpft trafen wir zunächst in Eger ein und erreichten nach einem Ruhetag unseren Bestimmungsort Rokycany. Einen Tag später, am 16. März, wurde das »Protektorat Böhmen und Mähren« ausgerufen. Die Westmächte griffen, vermutlich zähneknirschend, trotz dieser eklatanten Völkerrechtsverletzung nicht ein. Hitler hatte wieder einmal Glück gehabt.

Rokycany liegt unweit der Bierstadt Pilsen, was uns nicht unangenehm war. Zum Essen gab es »Böhmisch Knedlik«, beides schmeckte uns richtig gut. Unsere Aufgabe war es, Kanonen, Panzer und andere schwere Waffen der sang- und klanglos entwaffneten tschechischen Armee zum Abtransport ins Reich zu verladen. Wir besuchten auch einmal die alte Kaiserstadt Prag und waren tief beeindruckt.

Ende März ging’s dann wieder zurück nach München, um relativ langweiligen Routinedienst zu schieben. Zwischendurch gab es glücklicherweise auch mal einige Tage Urlaub.

Unglaubliches überstanden

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