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III

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In diesem Zustand vollständiger Verlorenheit und notdürftiger Aussöhnung betraten sie einen Raum, in dem eine junge Frau leicht entblößt zwischen griechischen Säulen schlief. Aus der Selbstverständlichkeit, mit der sie dort lag, schlossen Piranesi und Salametti, dass sie keine Schwierigkeiten mit dem Raum hatte. Freudig stürzten sie über zwei Treppen hinunter auf die Frau zu, die sich, als sie die beiden Männer bemerkte, errötend bedeckte.

„Du scheinst dich hier auszukennen“, sagte Salametti ohne Umschweife.

„Die Kenntnis des Raumes ist schwierig“, antwortete die junge Frau freundlich. „Das Problem ist, wie ihr sicher bemerkt habt, die Ähnlichkeit seiner Elemente. Alles ist mehr oder weniger gleich, erscheint aber in immer neuen Kombinationen und Perspektiven. Diese Ähnlichkeit bewirkt, dass ihr nicht wisst, wo ihr schon wart und wo ihr noch nicht gewesen seid. Wenn ihr euch also orientieren wollt, braucht ihr einen zuverlässigen Indikator dafür, welche Wege ihr bereits zurückgelegt und welche ihr noch nicht beschritten habt. Ansonsten werdet ihr euch wiederholen, ohne es zu wissen oder glauben, euch zu wiederholen, obwohl ihr fortgeschritten seid. Ihr benötigt also ein Mittel, an Hand dessen ihr erkennen könnt, was ihr bereits erkannt und durchdacht habt.“

„Kennt ihr ein solches Mittel“, fragte Piranesi.

„Der Raum ist komplex“ fuhr die junge Frau fort, „das Mittel, den Gang durch ihn zu ordnen aber ist einfach. Nehmt diesen Faden, befestigt ihn an eurem Ausgangspunkt und ihr werdet immer wissen, wo ihr bereits gewesen seid. Vor allem werdet ihr euch auf diese Weise niemals im Weglosen verlieren, denn der Faden verbindet euch mit dem Ausgangspunkt. Die Sicherheit, die ihr dadurch gewinnt, wird eure Schritte schließlich beflügeln. Den Ausgang aber werdet ihr sicher finden, ist er doch das, was übrig bleibt, wenn ihr alles erforscht habt.“ Damit übergab sie den beiden ein Knäuel feinen Fadens.

Piranesi und Salametti befestigten den Faden an einem Balken und setzten ihren Weg fort. Sie kamen dabei in einen Raum, der auf mehreren Ebenen von besonders vielen Brücken und Galerien durchzogen war.


Mitten darin befanden sich zwei turmartige Konstruktionen. Um den größeren der beiden Türme wand sich von einer Galerie am unteren Ende eine Treppe in schwindelnde Höhe, die zu einem Kreuz von sechs weiteren Galerien führte. Bei näherer Betrachtung erwies sich der Turm daher als gigantische Säule zur Abstützung dieses Kreuzes. Piranesi und Salametti schien es, dass sie nur über diese Galerien weiterkommen würden und daher in die Höhe steigen mussten. Sie gerieten aber darüber in Streit, auf welche Weise die Höhe zu erreichen sei. Piranesi meinte, man müsse über den größeren Turm aufsteigen, da dort das Galerienkreuz aufliege. Salametti wandte ein, dass die Position dieses Turmes im Raum viel zu unklar sei. Er stehe je nach Blickpunkt in der Mitte oder aber auch neben der Galerie, die ihn im unteren Bereich tangiere. Angesichts dieser Ungereimtheiten sei es besser, über den kleineren Turm aufzusteigen. Da sie aber nur einen Faden hatten, war an eine Trennung nicht mehr zu denken.

„Wir gehören nun wohl zusammen, wie Huhn und Ei“, bemerkte Salametti schließlich und folgte Piranesi zähneknirschend auf den größeren Turm.

Merkwürdigerweise bereitete die unklare Position des Turmes beim Aufstieg über die Wendeltreppe aber nicht die erwarteten Schwierigkeiten. Das Problem löste sich unmerklich auf, als die Treppe den Schnittpunkt von Turm und unterer Galerie durchlief. Oben angekommen mussten die beiden aber festzustellen, dass das Galerienkreuz nicht weiterführte. Die Wege verloren sich im Raum. Daher stiegen sie über den kleineren Turm wieder ab, nicht ohne heftig darüber zu diskutieren, wer nun im Recht gewesen sei.


Piranesis Räume

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