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Die römische Kirche nach der Konstantinischen Wende: Zur Entwicklung der Roma christiana in Kirchenbau und Liturgie
ОглавлениеDie Konsequenzen der „Wende“ wurden in der Stadt Rom selbst deutlich. Als Konstantin sein Bekehrungserlebnis hatte, bekleideten in Rom Miltiades (310/11–314) und danach Silvester I. (314–335) das Bischofsamt. Beide treten in den zeitgenössischen Quellen nicht besonders hervor, erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts sind Anzeichen erkennbar, die eine besondere Wertschätzung Silvesters und seiner Rolle im Zusammenspiel mit Konstantin unterstreichen. Wie in vielen anderen Fällen wurde auch hier erst aus der Rückschau eine einheitlich wirkende Vergangenheit entworfen. Miltiades hatte von Konstantin – gleichsam als Dank für den durch Hilfe des Christengottes gewährten Sieg – das Gelände des Kaiserpalastes auf dem Lateran geschenkt bekommen: Der Kaiser selbst noch hatte darauf eine Basilika zu Ehren des Erlösers, ein Baptisterium (Taufkirche) und wahrscheinlich einen (sicher erst seit dem 6. Jahrhundert nachgewiesenen) Amtssitz (episcopium) für den römischen Bischof errichten lassen. Auch deshalb wurde die dem Erlöser geweihte Lateranbasilika bis weit ins Mittelalter hinein als Basilica Constantiniana bezeichnet. Sie ist bis heute die Bischofskirche des römischen Sprengels und gilt als Zentrum des christlichen Rom; schon kurz nach ihrer Errichtung hieß sie caput et mater omnium ecclesiarum (Haupt und Mutter aller Kirchen). In diesem Gotteshaus fanden bis zu 10.000 Menschen Platz, das Innere wurde reich ausgestattet: Rechnet man die Edelmetalle zusammen und auf heutige Gewichte um, so kommt man auf ein Gesamtgewicht von 82 Kilogramm Gold und 775 Kilogramm Silber.10 An den sieben Altären neben dem Hauptaltar, wo der Bischof zelebrierte, nahmen wohl sieben Diakone die Gaben der Gläubigen (Brot und Wein) entgegen. Der Lateran lag am Rand des damals (noch dichter) besiedelten Rom; diese Randlage sollte sich später bei Konflikten mit der Einwohnerschaft als günstig erweisen.
Neben der Lateranbasilika entstanden weitere Kirchen, die teilweise ebenso auf Stiftungen der kaiserlichen Familie zurückgingen. Als Bauform wurde die in Rom übliche „Mehrzweckhalle“ der Basilika bevorzugt. Die Kaiserinmutter, Helena, die aus Palästina ein Stück vom Kreuzesholz mitgebracht haben soll, errichtete beim Sessorianum eine Andachtsstätte, die später den Beinamen „Jerusalem“ erhielt und heute „Santa Croce in Gerusalemme“ heißt. Andere, später wichtige Kirchen dienten zunächst vor allem der Bestattung von Angehörigen der kaiserlichen Familie und lagen an wichtigen Straßen: S. Marcellino e Pietro (Via Labicana), S. Lorenzo (Via Tiburtina), S. Agnese (Via Nomentana), weiterhin St. Peter auf dem vatikanischen Hügel und S. Sebastiano (Via Appia); vielleicht zählte dazu auch ein kleines Haus über dem Paulusgrab an der Straße nach Ostia vor den Mauern der Stadt. An diesen für Bestattungen vorgesehenen Zoemeterialkirchen fanden anfangs noch keine Eucharistiefeiern statt. Von den genannten Kirchen wurden nur die wichtigsten Grabeskirchen St. Peter und bedingt St. Paul, die vor allem die Erinnerung an die beiden Apostel evozierten, in die stadtrömische Liturgie zunehmend eingebunden.
Neben Basiliken und Zoemeterien sei eine dritte Form sakraler Bauten und deren Funktion im frühchristlichen Rom genannt: Seit der Spätzeit Konstantins errichteten Bischöfe und Presbyter, manchmal auch vermögende Laien, sogenannte Titelkirchen in Privathäusern. Oft mals wurden die Kirchen nach dem Stifter, später zunehmend nach einem Heiligen bezeichnet. Hier versahen Presbyter den liturgischen Dienst, sie feierten mit der Hilfe von Ostiariern, Lektoren und Akolythen die Eucharistie, und manche bereiteten mit den Exorzisten auf die Taufe vor. Da es offensichtlich viele Taufwillige gab und da sich die Kindertaufe zunehmend durchsetzte, delegierte der römische Bischof seine Taufvollmacht. So wurden an einigen Titelkirchen, aber auch an Zoemeterialbasiliken wie St. Peter oder S. Lorenzo, Baptisterien zur Taufe errichtet. Mit den Titelkirchen entstand aber insgesamt ein Netzwerk, das in der Folge die Stellung der Presbyter an diesen Kirchen stärkte. Römische Titelkirchen bestehen bis heute und sind die den Kardinälen zugewiesenen Kirchen. Das halboffiziöse Papstbuch (Liber pontificalis, vgl. Kapitel III, S. 51) berichtet mehrfach von ihrer Übertragung an römische Priester. Die Zahl der Titelkirchen stieg von 18 auf 25 (um 400). Spätere Verzeichnisse stammen von 499 und 595 (römische Synoden), sowie aus karolingischer Zeit. Die Titelkirchen waren in Rom Vorläufer der Pfarreien, weil die Titelpriester zunehmend sakramentale Befugnisse besaßen. Sie beteiligten sich an der Papstliturgie und erhielten vom Papst zum Zeichen der Gemeinschaft das fermentum (Teil des eucharistischen Brotes), das sie bei den eigenen Feiern in den Kelch legten. Seit dem 8. Jahrhundert blieb nur der erste Priester einer Titelkirche im Presbyterium des römischen Bischofs. Die Vorsteher der Titelkirchen wurden seit dem 8. Jahrhundert auch Kardinäle beziehungsweise Kardinalpriester genannt.
Die neue sakrale Topographie der Stadt Rom zeigt, wie sehr die Christen in der alten Reichshauptstadt seit dem 4. Jahrhundert an Bedeutung gewannen, was neben eigenen Bemühungen auch der kaiserlichen Förderung zu verdanken war. Jedoch war Rom noch nicht ausschließlich von Christen bevölkert. Zurückhaltend blieben vor allem die Senatoren und deren Familien, die oft noch den alten Göttern anhingen. Erst zu Beginn des 5. Jahrhunderts wechselten konservative Senatorenfamilien wie die Symmachi oder Nicomachi zum Christentum. Den wohl wichtigen Erfolg der Christianisierung auch bei den Senatorenfamilien lässt das Apsismosaik von S. Pudenziana (von etwa 400) erkennen, denn hier werden Petrus und Paulus in Senatorentracht gezeigt (Abb. S. 31).
Die Einheit des Glaubens förderten nicht nur symbolische Akte. Abweichler, die fast alle Päpste der fraglichen Zeit entdeckten, wurden in ihre Schranken gewiesen. Zur Bekämpfung suchten die römischen Bischöfe die Unterstützung der weltlichen Gewalt, die Konstantin und seine Söhne gewährten. Nach dem Wegzug vieler griechisch sprechender Personen in den Osten wurde die lateinische Liturgiesprache leichter durchsetzbar und stiftete Einheit. Allerdings zog sich dieser Prozess bis in das beginnende 5. Jahrhundert hin und verlief nicht ohne Widerstände, wie einzelne griechische Formeln in der Liturgie (z.B. Kyrie eleison) bis heute belegen. Die vom Bischof ausgehende Liturgie band die zahlreichen Kultorte in Rom in verschiedenster Weise zusammen. So feierte der Bischof die Hochfeste in bestimmten Kirchen: Weihnachten (im Westen anders als im Osten am 25. Dezember) in St. Peter, Ostern im Lateran, Pfingsten wiederum in St. Peter. Unsicher ist, inwieweit die nach dem Konzil von Ephesos (431) erbaute Marienkirche (S. Maria Maggiore) sowie weitere vor den Mauern gelegene Basilikalkirchen schon in dieser Zeit in den bischöflichen Gottesdienstzyklus einbezogen waren.
Das Anwachsen der römischen Gemeinde, die Zunahme von Sakralbauten und von Klerikern mit verschiedensten Aufgaben veranlassten dazu, Bedingungen für den Klerikerstand genauer zu regulieren. Dies betraf beispielsweise das Zutrittsalter. Seit Papst Zosimus (417–418) mussten Diakone und Presbyter mindestens 25 bzw. 30 Jahre alt sein. Die höheren Kleriker, also Diakon und Presbyter und gegebenenfalls außerhalb Roms auch Bischöfe, wurden meist an einem Termin im Jahr – oft im Dezember – geweiht.11 Im Vorfeld konnte der Lebenswandel der Kandidaten geprüft werden, und seit dem späten 4. Jahrhundert gab es Versuche, den höheren Klerus auf den Zölibat zu verpflichten. Manche Kandidaten wurden nicht akzeptiert, zum Beispiel Personen, die vorher bestimmte Berufe ausgeübt hatten oder die bereits ein zweites Mal verheiratet waren. Aufgrund solcher Ausschlussbestimmungen rekrutierte sich der Klerus bald nur noch aus der gehobenen Mittel-, später auch aus der senatorialen Oberschicht. Die damit entstehende Distanz zur übrigen Bevölkerung verstärkte die Steuerfreiheit des Klerus. Da aber nur Presbyter und Diakone zunehmend zölibatär lebten und der Beruf des Klerikers attraktiv war, bildeten sich auf der Ebene der niedrigeren Weihegrade sogar Familientraditionen und Klerikerdynastien aus; trotzdem blieben Presbyter und Diakone die wichtigsten Weihegrade. Sie waren gleichgestellt, aber die Presbyter hatten in liturgischer Hinsicht größere Rechte, während die Diakone aufgrund ihrer Nähe zum Bischof und der geringen Zahl von sieben meist die größere Chance besaßen, in Rom selbst Bischof zu werden.
Thronender Christus mit den Aposteln und den Heiligen Pudenziana und Praxedis (im Hintergrund das Himmlische Jerusalem und die vier Evangelistensymbole). Apsismosaik in S. Pudenziana, Rom, vom Ende des 4. Jh.
Der römische Bischof wurde gewählt. Weltliche Kräfte versuchten wiederholt, Einfluss auf die Wahlen zu gewinnen. Wahlberechtigt waren Klerus und Volk; die Berichte lassen erkennen, dass damit in der Regel Presbyter und Diakone sowie die Vornehmen der Stadt Rom gemeint waren. Bei zwiespältigen Wahlen sollten die Mehrheit der Stimmen aus dem Klerus und die rechtmäßig erteilte Weihe entscheidend sein. Dies konnte auf lange Sicht zum Beispiel den Einfluss des Bischofs von Ostia steigern, der unter Assistenz von zwei weiteren aus dem römischen Umland (Porto und Albano) stammenden Bischöfen das Weiherecht des künftigen Papstes erlangte. Wie strikt die Grundsätze befolgt wurden, ist nur umrisshaft zu erkennen, denn Parteiungen und Interessen führten zu – in Einzelfällen dokumentierten – zwiespältigen Wahlen, die nicht mit den genannten Mitteln geklärt und entschieden werden konnten.
Die Wählerschaft begünstigte Kandidaten aus Rom sowie Personen aus angesehenen, höhergestellten Familien, denn nur diese konnten als römische Bischöfe soziale Pflichten wahrnehmen. Dies wurde immer wichtiger, weil die staatlichen Strukturen für die Versorgung der römischen Bevölkerung zunehmend ausfielen. Armenspeisungen oder Auslösungen von Gefangenen gehörten inzwischen zu den Aufgaben der römischen Bischöfe. Spätestens seit dem Ende des 5. Jahrhunderts war in Rom bei der Aufteilung des kirchlichen Vermögens der vierte Teil für die Armen vorgesehen (daneben je ein Viertel für den Bischof, den Klerus und die kirchlichen Bauten).
Das Kirchenvermögen wuchs durch Spenden und testamentarische Vermächtnisse und bestand neben städtischen Immobilien auch aus Landgütern, die nach staatlichem Vorbild verwaltet wurden. Für die praktischen Regelungen waren defensores (Verteidiger) zuständig, deren Name darauf hindeutet, dass sie für eventuell anfallende Streitigkeiten rechtlich beschlagen sein sollten. Sie brachten des Weiteren auch wirtschaftliche Kenntnisse ein. Die Gruppe wurde in einer Gemeinschaft, der schola, von einem primicerius (Oberster im Rang) geleitet. Auch die Schriftführung knüpfte an staatliche Organisationsformen an, denn Rechtsgeschäfte wurden nach römischem Recht weiterhin schriftlich getätigt. Entsprechend waren Notare (abgeleitet von notaria = Kurzschrift) als eine weitere schola unter einem primicerius gruppiert. Für die langfristige Kontinuität der späteren Institution Papsttum wurde besonders wichtig, dass angeblich schon Julius I. (337–352) die Aufb ewahrung der Schriftstücke im scrinium (Schrein) begründet haben soll. Damit waren verliehene Rechte, Ansprüche oder andere Entscheidungen langfristig rekonstruierbar. Da dies auf römischen Traditionen aufb aute, pflegten die römischen Bischöfe auch die Kommunikationsformen, wie vorher die Kaiser mit den Provinzstatthaltern: Dekrete und Antworten (responsa). Siricius (384–399), nutzte erstmals den Brieftypus der Dekretale: Im Jahre 385 schickte er die älteste erhaltene Dekretale, die rechtliche Streitigkeiten regeln sollte, an die spanischen Bischöfe.12 Wenn auch zunächst nur auf Einzelfälle zielend, ergab sich später das kirchliche Recht vor allem aus der abgeleiteten Allgemeingültigkeit der Dekretalen sowie aus den Konzilsbeschlüssen (canones). Der Name „Dekret“ leitet sich von dem wichtigsten rechtssetzenden Verbum solcher Briefe ab: decernere (decretum est = es ist beschlossen worden). Unter Kanones versteht man hingegen allgemein Regeln in verschiedenster Hinsicht; so wird auch das Herzstück der Messe als nach festen Regeln fixierter Bestandteil, als Canon Missae bezeichnet. Vor allen Dingen bezeichnen Kanones aber kirchliche Rechtssätze, die auf Konzilien beschlossen werden.
Wurden damit verschiedene Traditionen römischer Staatlichkeit in Recht, Wirtschaft und Verwaltung aufgegriffen, so förderten Märtyrerkult und Gedenktage eine räumlich und zeitlich erkennbare einheitliche Formierung der römischen Kirche. Blutzeugen des Glaubens wurden schon bald besonders geschätzt – eventuell in Anknüpfung an den alten Heroenkult. Die Verlegung von Gebeinen widersprach dem römischen Sakralrecht, deshalb wurden die Märtyrer an ihren Grabesstätten verehrt, und zunächst konnten nach dem Besuch allenfalls Berührungsreliquien mitgenommen werden. Die Bedeutung der Märtyrer wuchs, als unter dem römischen Bischof Liberius um 354 ein Katalog (Chronograph13) erstellt wurde, der deutlich machte, welche Märtyrer für die römische Kirche besonders wichtig waren. Sein Nachfolger Damasus I. ehrte viele Märtyrer zusätzlich durch eigene Gedichte, die als in Stein gemeißelte Epitaphien erhalten sind.14 Die höchste Zahl an Gedenktagen lag zwischen Pfingsten und dem Ende des Kirchenjahres, so dass sich mit dem Weihnachts- und Osterfestkreis bald ein insgesamt abgerundeter Jahreszyklus an Festen ergab. Die jeweiligen Gedenkorte bezogen verschiedene Örtlichkeiten in Rom in einen Gesamtzusammenhang ein.
Auch in den feststehenden Teil der Messe, den Kanon, wurden römische Märtyrernamen aufgenommen. Im 6. und 7. Jahrhundert traten die Namen der ersten Nachfolger Petri – Linus, Cletus und Clemens – hinzu. Die Memorierung in jeder Messe hielt das Gedächtnis an die harten Anfänge der römischen Gemeinde ständig wach; ein solche liturgische Memoria dürfte über die Gründungsmythen anderer Gemeinschaften deutlich hinausgegangen sein. Das kulturelle Gedächtnis schuf sich durch Verschriftlichung, Kanonisierung und liturgisches Handeln wichtige Orientierungspunkte; die stetige Wiederholung evozierte in verschiedener Form den Beginn der römischen Gemeinschaft und, darunter besonders prominent, die Rolle von Petrus und Paulus. Die Verbreitung und die Memorierung der wichtigsten fundierenden römischen Namen auch außerhalb Roms gehörten erst einer späteren Zeit an. Nachdem seit dem 7. Jahrhundert zunehmend stadtrömische Heilige in Italien, Gallien und England verehrt wurden, sorgten besonders seit dem 9. Jahrhundert Märtyrerverzeichnisse (Martyrologien) und Kalendare in Burgund und Mitteleuropa für eine weitere Verbreitung.15
Zu den Gedenktagen gehörten die wichtigsten Feste des hl. Petrus: Als Doppelfest gab es den 29. Juni für Peter und Paul; am 22. Februar wurde ein Fest zu Petri Stuhlsetzung (Cathedra Petri) eingeführt, das auf die Bedeutung der sedes apostolica abhob und in dem von der altgallischen Liturgie beeinflussten Martyrologium Hieronymianum (dort zum 18. Januar und 22. Februar) belegt ist. Seit dem 6./7. Jahrhundert wurde meist die Berufung Petri auf den 18. Januar, das Fest Cathedra Petri auf den 22. Februar gelegt. Neben diesen Feiertagen festigte eine wichtige ikonographische Darstellung das Bild des Himmelspförtners: In Anlehnung an die traditio legis, die Übergabe des Gesetzes an Mose, wurde nun die traditio clavum, die Übertragung der Schlüssel an Petrus, häufiger dargestellt.