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0 Auf – und Abstieg der Bürgerlichkeit

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Der Schriftsteller Kurt Arnold Findeisen kommt in seinem „Hausbuch sächsischer Dichtung“ zu der Feststellung, daß Sachsen nur wenige herausragende Dichter und Denker hervorgebracht habe, wenn man einen Riesen wie Lessing als Ausnahme betrachte. In dieser Überlegung fehlen möglicherweise einige wichtige Bestsellerautoren der Vergangenheit, über welche die Zeit dahin ging, weil sich der Wertekanon des Bürgertums seit 1525 ständig wandelte, angetrieben durch die wirtschaftlich – politische Entwicklung. Der sogenannte dritte Stand strebte schließlich unaufhaltsam auf die ungeheure, alles infragestellende wissenschaftlich – technische Revolution am Ende des 19. Jahrhunderts zu. Dabei kam den Schriftstellern als Vordenkern eine zentrale Rolle zu. Ausgerechnet auch von den heute meist vergessenen Männern der Feder sind bedeutende Impulse für Deutschland ausgegangen. Sie waren es, die auch an dem universalen bürgerlichen Modell arbeiteten, das Freiheit, Gleichheit und Teilhabe aller am Staat formulierte und damit die Verallgemeinerung von bürgerlicher Kultur und Lebensweise anstrebte. Logen, Kirchen, Schulen, Lesegesellschaften, Zirkel, Zeitschriften formten langsam dann alle in diesem Sinne.

Das diese oft imponierenden Entwürfe für eine neue Gesellschaft, Politik und Kultur von Anfang an etwas Utopisches hatten, blieb damals noch im Verborgenen, da sich das Tempo des Fortschritts erhöhte und nicht vorausschaubare Wege ging. Alles kam auf den Prüftisch kommerzieller Tauglichkeit. Die Denkmodelle waren allerdings oft genug bereits beim Schreiben überholt.

Im ausgehenden Mittelalter erst erkämpfte sich das Bürgertum in den größeren Städten zwischen Bauern und Adel seine bürgerlichen Freiheiten. Seitdem mußten die bürgerlichen Werte immer wieder neu ausgehandelt werden. Ablesbar ist dieser Prozeß sehr gut an der Entwicklung literarischer Inhalte, Genres und Formen.

Der geniale Bergmannssohn Luther aus Eisleben eröffnete die beträchtliche Reihe bürgerlicher Autoren und hauchte ihr jenes keimfreie, schulmeisterlich-disziplinierte Christentum ein, das für seinen Bierkonsum bekannt war. Danach ging es Schlag auf Schlag.

Während des Kampfes um eine zweite bürgerliche Reformation am Ende des 16. Jahrhunderts bereits kam ein Buch heraus, das sich in den entstehenden heftigen Streit einmischte – das Schildbürgerbuch - ein konservatives Werk mit eindeutig reaktionären Zügen. Sein Autor blieb deshalb absichtlich im Verborgenen, wollte er doch die von Kurfürst Moritz eingeleitete Stärkung des Bürgertums untergraben, was ihm wohl auch gelungen ist.

Mit Sachsens Aufstieg zu einem der führenden deutschen Teilstaaten und seinem unkontrollierten Belehrungsdrange der von Leibeigenschaft zumeist verschonten Bürger kam die Aufklärung. Sie prägte in der Zeit des Frühkapitalismus die bürgerliche Denkart aus, die eng mit den bürgerlichen Tugenden Leistung, Fleiß und Sparsamkeit verbunden ist. Dabei formten sich die bürgerlichen Intellektuellen selbst zum Bildungsbürgertum um, das nicht selten auch Kritik an den vorherrschenden bürgerlichen Vorstellungen und Ideen zu formulieren vermochte.

In diese Zeit gehören solche Autoren wie Winckelmann mit seiner radikalen Abkehr von allem Barocken, Böttiger und die Kritik an der Weimarer Klassik, Elisa von der Recke mit ihren Gedanken zur Emanzipation der Frau und Eduard Vehse, ein konsequenter Liberaldemokrat, der gegen alles Feudal –Höfische stritt. Fichte legte in dieser Zeit seinen utopisches Gesellschaftsmodell vor, welches den Sozialismus ddr - scher Prägung vorweg nimmt, eine literarische Besonderheit, welche offenbar nur Ernst Bloch aufgefallen ist.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Bürgertum durch die anschwellende Arbeiterschaft defensiver. Es schrumpfte auf etwa 7 % der Bevölkerung, was blieb, wird oft wilhelminisches Bürgertum genannt und ist von den Autoren wahrgenommen und im Professor Unrat ausreichend karikiert worden.

Nach 1900 begann die stufenweise Demontage des Bürgerlichen und dürfte mit der Spaßgesellschaft um 1990 abgeschlossen worden sein. Seither nehmen die gesellschaftlichen Entwürfe der Künstler rapide ab, wenn man von Sience - Fiktion – Autoren einmal absieht.

Mit Blick auf den gesellschaftlichen Wandel wird schon seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die Ansicht vertreten, daß das Bürgertum als beispielgebender Lebensstil insgesamt bereits museumswürdig ist. Ein solches Refugium des Bürgertums war möglicherweise die Gesellschaft auf dem Dresdner Weißen Hirsch bis 1989. Heute ist auch dort daraus eine nachbürgerliche Gesellschaft von Angestellten, Beamten und anderen Gruppierungen hervorgegangen, die im Wesentlichen einen neuen Mittelstand bilden und sich ungeachtet ihrer bürgerlichen Wurzeln im Stil nicht von der übrigen Industriegesellschaft zu unterschieden sind. Da entfällt diese formende Aufgabe der Schriftsteller. Er kann nur noch resümieren.

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