Читать книгу Der Tigeraffe - Klaus Hoffmann-Reicker - Страница 4

1 Warum aus Schildaern Schildbürger wurden

Оглавление

Wir wissen spätestens seit Heraklit, daß alles fließt. Offensichtlich betrifft das sogar den Deutschlehrplan. Vor 1918 las man von Königen und ihren Taten, nach 1933 kam das teutsche Wesen in die Lesebücher, ab 1948 gab es Geschichten vom revolutionären Proletariat. Sozusagen abgesegnet wurde dieser seltsame Belletristikbrei bei allen Gesellschaftsordnungen seltsamerweise von Goethe, dessen Klassik diese Farbwechsel sozusagen unbeschadet überstand. Erst in neuerer Zeit hat man sich von ihm und vielen anderen Lehrplaninhalten getrennt. Man weiß nun gar nicht mehr, wie was einzuordnen und zu bewerten ist. Dieses bedeutende Volksbuch könnte ein Beispiel dazu sein.

Lalebuch 1597

Auf diese Weise nicht nachzuvollziehende Weise verschwand auch irgendwann ein Lesestoff, der lange in unseren Lesebüchern überdauert hat – das Schildbürgerbuch. Der Sinn dieses Buches war offensichtlich nicht nur der Frau Lehrerin verborgen Auf diese Weise nicht nachzuvollziehende Weise verschwand auch irgendwann ein Lesestoff, der lange in unseren Lesebüchern überdauert hat – das Schildbürgerbuch. Der Sinn dieses Buches war offensichtlich nicht nur der Frau Lehrerin verborgen geblieben. Auf diese Weise nicht nachzuvollziehende Weise verschwand auch irgendwann ein Lesestoff, der lange in unseren Lesebüchern überdauert hat

Auf diese Weise nicht nachzuvollziehende Weise verschwand auch irgendwann ein Lesestoff, der lange in unseren Lesebüchern überdauert hat – das Schildbürgerbuch. Der Sinn dieses Buches war offensichtlich nicht nur der Frau Lehrerin verborgen geblieben. Ein neues Lexikon spricht von „Schwänke als törichte Unternehmung“, also etwas, das als Comedy durch alle Fernsehprogramme geistert. Mein alter Meyer von 1876 definiert: „ Schwanksammlung, welche groteske Narrenstreiche von Kleinstädtern im fiktiven Laleburg schildert. Stichelschwänke von Leuten, die klüglich reden und töricht handeln.“ Das klingt in meinen Ohren schon besser, nicht so bei meiner Enkelin Tanja (6).

Weil diese Geschichten ja eigentlich lustige Schwänke sind, las eine Mutter den Kindern Die Kuh auf der Mauer vor: Der Bürgermeister von Schilda hatte festgestellt, daß auf der Mauer eines Hauses, das vor Jahren altersmüde eingestürzt war, schönes grünes Gras und würzige Kräuter wuchsen.

Am nächsten Morgen wurde also die bürgermeisterliche Kuh feierlich zur Mauer geleitet. Der Bürgermeister band das Halfter los und sagte: »So, Minna! Nun klettre hinauf und friß! « Aber die Kuh Minna dachte nicht im Traum daran, auf die Mauer zu klettern! Man schob sie, sechs Mann hoch, dicht an die Mauer. Der Bürgermeister schlug ihr eins hintendrauf. Es half alles nichts. Minna wollte nicht.

Da holten sie einen langen Strick, banden ihn der störrischen Kuh um den Hals, warfen das Ende des Stricks über die Mauer und zogen und zerrten und hingen am Seil wie die Küster an der Kirchenglocke. Dem armen Tier quoll, wie es so in der Luft baumelte, die Zunge aus dem Maul.

»Seht ihr?« rief der Schneider. »Sie kriegt schon Appetit!«

Tanja fand, das sei Tierquälerei und die Leute müßten bestraft werden. Die Mutter war völlig von der Rolle. So etwas hatte es in ihrer Schulzeit nicht gegeben, Vorschulkinder kritisieren die Weltliteratur.

Bauern dürften kaum so gehandelt haben, da sie von der Kuh lebten. Tanja hat schließlich völlig Recht. Nach dem Tierschutzgesetz von 1982 wird zudem jemand, der ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet, mit bis zu 2 Jahren Gefängnis bestraft.

Es bleibt unserer Weisheit zunächst noch verborgen, weshalb studierte Germanisten bei ihrem unzähmbaren Drange nach Interpretation nicht zu dieser Erkenntnis kamen. Es könnte an der Zeit sein, dies nachzuholen. Das Schildbürgerbuch sollte künftig nicht mehr als Volksbuch seinem Ursprung nach, sondern als wichtige kulturhistorische Satire eines Einzelautors aus der Regierungszeit Kurfürst Christians I. betrachtet werden. So gesehen ist das Buch eigentlich ein politisches Buch.

Gedruckt wurde das Buch eines zunächst anonymen Autors 1597 in Straßburg. Im Vorspann steht, daß es in Misnipotamia handele, worin unschwer das Meißner Flußland zwischen Schwarzer Elster, Mulde und Elbe zu erkennen ist. Genau dort liegt Schilda, der scheinbare Schauplatz der sehr übertrieben ironischen Streiche.

Der Autor dieses Bestsellers (über Jahrhunderte) hat sich wegen seines Ranges und der Zensur verstecken müssen, schließlich wollte er vorsätzlich schaden. Als Pseudonym steht auf dem Titelblatt: Conradus ( = der Mit –Rat ) Agyrta (= der Anekdotensammler) von Bellemont ( = von Schönberg) – ein damals übliches gelehrtes Namensspiel. Dahinter verbirgt sich offensichtlich der kurfürstlich Rat, Hofrichter und Hauptmann der Festung Wittenberg Johann Friedrich von Schönberg.

Er war in einer der größten Zeiten Kursachsens hineingeboren worden, stand aber auf der stockkonservativen Seite.

Hans Friedrich von Schönberg kam mitten in der Dahlener Heide auf Gut Sitzenroda am 28.02.1543 bei Schilda zur Welt. Sein Vater, Heinrich von Schönberg, war einer der Großen als „dreyer Churfürsten zu Sachsen bestallter Rat, Hofmarschall und Rittmeister“. Ab 1553 besuchte er die Fürstenschule zu Grimma. Zehn Jahre später wurde er an der Universität Wittenberg immatrikuliert. Nach seinem Examen an Jurist – Politiker waren offenbar schon oft als Rechtsverdreher ausgebildet – ging er auf Reisen, um sich weiterzubilden. 1577 rief ihn Kurfürst August zunächst als Assessor an das Hofgericht Wittenberg. Er machte sich schnell einen Namen bei der Bekämpfung der letzten Melanchthon – Anhänger, welche die Renaissance gleich an die Aufklärung anschließen wollten, um so den Einfluß von Adel und evangelischer Kirche zugunsten des beamteten Bürgertums stark einzuschränken. 1580 ist von Schönberg bereits der Kommissar der Universität, einige Jahre danach wurde er zum Hofrichter ernannt. In dieser Eigenschaft ging er nach dem plötzlichen Tode Kurfürst Christians I. als führendes Mitglied des Ausschusses der Ritterschaft gegen Dr. Nikolaus Krell, den damals weltberühmten kursächsischen Kanzler, vor. Ihn wählte man unter die Direktoren, welche den Prozeß gegen bereits halbtoten Krell zu führen hatten und schließlich den Stab auf dem Neumarkt 1601 über ihm brachen.

Hans Friedrich von Schönberg dagegen starb hochgeachtet auf Gut Falkenberg.

Er war einer derer, die Kursachsen vor einem Absturz ins Bürgerliche wie in Holland und England bewahrt hatten. Dazu gehört an herausragender Stelle ausgerechnet sein Schildbürgerbuch.

Man kann sich den Direktor der Universität als einen gern gehörten Erzähler in den Bierrunden der Professoren mit dieser Unterhaltungskost vorstellen. Dazu sammelte er die Geschichten aus den Schwänken sein Zeit, wo es um höfische Narretei, akademischen Witz oder Kanzleihumor ging. Er sagt im Lalebuch Blatt 2a, daß „ die groben Zoten im Rollwagebüchlein, der Gartengesellschaft, dem Katzpori wohl des Ausschneiden bedurften.“ Diese Geschichten sind heute ein interessantes Zeugnis über die Vergnügungen in Kursachsen am Ende des 16. Jh.s

Anläßlich der General-Visitation im Jahre 1592 zur Bekämpfung des Calvinismus ärgerte er sich besonders über die "liederlichen Sitten und Verhältnisse in Schilda". Das Städtchen Schilda war landtagsfähig, wollte sich aber nicht durch Schönberg aus dem Mandat drängen lassen. Das brachte ihn wohl dazu, die bösen satirischen Geschichten den Ackerbürgern von Schilda zuzuschreiben, um sie so dem allgemeinen Gelächter preiszugeben. Die Geschichte, wie ein Schildbürger sein Pferd schont, stammt aus Freys „Gartengesellschaft“ ( Frankfurt 1590). Die Geschichte des armen Krebses, der sich in eine Schneiderei verirrt und dort als Schneidergeselle angestellt wird, ist dem „Wendunmuth“ Kirchhofs entnommen. Anderes findet sich in Bebels „Facetie“ (1561) und dem „Grobianus“ Kaspar Scheits

( 1551). Quellenangaben spielten damals in der Politik noch nicht die Rolle, die ihnen heute zukommen.

Hans Friedrich von Schönberg war nicht nur Anekdotensammler, sondern er hat die Einzelteile zu einem Ganzen komponiert. Dazu hatte er einen Plan, der die Akteure oft sogar romanartig zu einem bürgerlichen Gemeinwesen zusammenfaßte, auch wenn der journalistischen Bogen nur sehr locker ist. Aus dem nur scheinbar harmlosen Lachen klingt oft genug deutlich boshafter Spott, der verletzen und herabziehen will l- eine beabsichtigte Geißel des Satirikers. Es ist der gestaltete Widerspruch zwischen der elbländischen Dorfstadt und der Metropole Wittenberg, der Gegensatz zwischen Leinenkittel und samtenen und seidenen Gewändern der Herren, zwischen Unbildung und akademischen Bildung. Es geht um den ins Lächerliche gezognen Typ des Kleinbürgers, der es sich anmaßt im Landtag mitreden zu wollen über die Geschicke des Landes. Die Schildbürger waren nach seiner Ansicht so dumm, daß sie nicht einmal zwei Verszeile merken konnten, wenn sie gereimt waren( S. 90). Meine Frau, die heißt Katrine, wär gerne Bürgermeisterin, ist schwerer als das schwerste Schwein und trinkt am liebsten Bayerisch Bier.

Ein stotternde Schildbürger hatte sich einmal beim Herrn Hofrichter in Wittenberg als Schreiber beworben. Als ein fiktiver Kaiser ( Administrator Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen – Weimar) Schilda besucht, empfängt ihn der Bürgermeister auf dem Misthaufen stehen, um größer zu wirken, warum haben sie auch den besonders dummen Sauhirten zum Schultheißen gemacht. In der Hand hatte er ein Stück Brot, das war ganz schwarz und grob von rauher Kleie bedeckt, dazu ein Stück Käse.

Diese Hinterwäldler aus einem Nest, wo sich die Füchse Gute Nacht sagen, mußten ästhetischen Ekel erwecken. Und man muß dem kurfürstlichen Rat und obersten Richter bescheinigen, er hat das erreicht. Schildbürgereien sind zu einem festen Bestandteil der deutschen Sprache geworden, welcher Autor außer Goethe kann das schon vorweisen.

Mehrmals betont Schönberg daß sich Schilda zwar als Stadt aufspiele, faktisch aber höchstens ein Dorf sei . 1592 endlich hat Administrator Wilhelm von Weimar auf eine Vorlage von Schönbergs alle kleineren Städte von Landtag ausgeschlossen.

Das Schildbürgerbuch ist also mehr als nur eine Schwanksammlung, es ist der Versuch eines satirischen Romans mit aristokratischer Zielrichtung, der die Zeiten überdauerte, weil die Germanisten ihn als humorig einstuften.

Der Tigeraffe

Подняться наверх