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2. Mündlichkeitsgrundsatz
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Der Grundsatz der Mündlichkeit, der sich aus den §§ 261, 264 ergibt,[22] besagt, dass nur der in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragene und erörterte Verfahrensstoff dem Urteil des Gerichts zugrunde gelegt werden darf.[23] Hiermit ist es schwerlich zu vereinbaren, dass es zulässig sein soll, den Schöffen in der Hauptverhandlung „zum besseren Verständnis der Beweisaufnahme“ beim Anhören von Tonbandaufnahmen aus einer Telefonüberwachung Protokolle als „Begleittext“ zur Verfügung zu stellen.[24] Dienstliches Wissen des Richters darf nur nach der Vernehmung der Auskunftsperson in der Hauptverhandlung (oder durch Vorhalt) verwertet werden.[25] Das Mündlichkeitsprinzip umfasst auch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der z.B. in den §§ 257 Abs. 1, Abs. 2, 258 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 eine Konkretisierung in der Strafprozessordnung gefunden hat. Zwei für die Verteidigung wichtige Durchbrechungen des Mündlichkeitsprinzips sind das Selbstleseverfahren gemäß § 249 Abs. 2 (vgl. im Einzelnen hierzu Rn. 610 ff.) und die Anordnung schriftlicher Antragstellung gemäß § 257a (vgl. im einzelnen Rn. 439 ff.).
Hinweis
Die Verweigerung der Akteneinsicht gegenüber den Schöffen als Ausfluss des Mündlichkeitsprinzips ist durch die Verständigungspraxis und deren gesetzliche Regelung hochproblematisch geworden, ohne dass dies in Rechtsprechung oder Literatur der praktischen Bedeutung angemessen thematisiert worden wäre.[26] Eine Verständigung erfolgt gem. § 257c durch „das Gericht“, nicht durch den Vorsitzenden und nicht durch die Berufsrichter. Dies bedeutet, dass die Schöffen in vollem Umfang und mit vollem Stimmrecht an einem verständigungsbasierten Urteil beteiligt sind. Wer die Praxis kennt, weiß, dass Verständigungsgespräche häufig – mit dem Ziel einer Beschränkung der Beweisaufnahme – zu Beginn der Hauptverhandlung geführt werden. Zu diesem Zeitpunkt sollen die Schöffen aber außer dem verlesenen Anklagesatz keine Kenntnis des Verfahrens haben. Wie sollen sie aber beurteilen können, ob der Sanktionsvorschlag des Gerichts (tatsächlich der des Vorsitzenden), der sich stets daran orientieren wird, welches Ergebnis eine streitig durchgeführte Hauptverhandlung erbringen würde, sachgerecht ist? Wie sollen sie die Werthaltigkeit eines Geständnisses ohne Kenntnis der Sache beurteilen können? Alleine in der (ohne Aktenkenntnis völlig unkontrollierten) Unterrichtung der Schöffen durch den Vorsitzenden über die Beweissituation und die Strafzumessungsgesichtspunkte oder den „Plädoyers“ im Beratungszimmer kann ein gleichwertiger Ersatz für die Beweisaufnahme nicht gesehen werden.
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Aus dem Mündlichkeitsprinzip leitet sich auch der Grundsatz der Verhandlungseinheit her, der die ununterbrochene und gleichzeitige Gegenwart sämtlicher Richter, eines Vertreters der Staatsanwaltschaft und eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in der Hauptverhandlung fordert (§ 226). Die Besetzung des Gerichts darf daher bis zur Urteilsverkündung nicht wechseln; andernfalls muss die ganze Hauptverhandlung wiederholt werden.[27] Allerdings können gem. § 192 Abs. 2 GVG bei Verhandlungen von längerer Dauer Ergänzungsrichter zugezogen werden, die der Verhandlung beiwohnen und im Falle der Verhinderung eines Richters für ihn eintreten. Dies gilt auch für Schöffen (§ 192 Abs. 3 GVG). Allerdings müssen die Ergänzungsrichter, um wirksam eintreten zu können, von Anfang an der Hauptverhandlung beigewohnt haben.[28] Staatsanwälte und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle können dagegen nebeneinander und nacheinander tätig werden (ausdrücklich für die Staatsanwaltschaft: § 227). Die (ununterbrochene) Anwesenheit eines Verteidigers ist nur in den Fällen der notwendigen Verteidigung zwingend.[29] Ergeben sich deren Voraussetzungen erst während der Hauptverhandlung, und wird nunmehr ein Verteidiger bestellt, so muss die Hauptverhandlung in dessen Anwesenheit in ihren wesentlichen Teilen wiederholt werden.[30] Hierzu gehören jedenfalls die Vernehmung des Angeklagten zur Person und Sache,[31] die Verlesung des Anklagesatzes und des Eröffnungsbeschlusses,[32] die Beweisaufnahme,[33] die Feststellung der Vorstrafen,[34] die Schlussvorträge[35] und die Verlesung der Urteilsformel.[36] Für andere Verfahrensbeteiligte, etwa Nebenkläger, Dolmetscher oder Sachverständige ist die ununterbrochene Anwesenheit nicht vorgeschrieben.
Teil 2 Allgemeines › III. Wesentliche Verfahrensgrundsätze in der Hauptverhandlung › 3. Unmittelbarkeitsgrundsatz