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Nüchterns München

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Nüchtern mag München. Das ist für mich ein Glück, denn ich wohne in München. Regelmäßig reist er in unsere Stadt und quartiert sich in meiner von Eichhörnchen umtanzten Jugendstilvilla ein, die den treueren unter den Lesern seiner Kolumnen langsam ein Begriff sein sollte. Das sichert mir eine zwar bescheidene, aber dauerhafte Stellung in der Statisterie seiner Kolumnen. Für so etwas muss man dankbar sein – gerade hier bei uns in Deutschland, wo die soziale Kälte immer bedrohlicher durch die Fugen unserer nur noch schlecht isolierten Fenster dringt.

Was aber mag Nüchtern an München? Ehrlich gesagt: Ich kenne Nüchterns München kaum. In der Innenstadt bevorzugt er ein Lokal, um das unsereins aus verschiedenen guten Gründen einen weiten Bogen macht (das muss wenigstens hier einmal gesagt werden). Seine Sakkos kauft er in Boutiquen, die auch erfahrenen München-Flaneuren bis dato verborgen geblieben waren (an dieser Stelle: Danke für den Tipp!). Nüchtern lehrte mich das Sortiment Münchner Zigarrenhändler schätzen, das ich ganz einfach zu den Selbstverständlichkeiten einer doch eigentlich kultivierten Großstadt gerechnet hatte. Sogar die DVD-Abteilung eines Drogeriemarkts vermag ihn in Begeisterung zu versetzen; ich kann und mag es bis heute nicht glauben, dass es Derartiges in Österreich nicht geben soll. Kurz: Ich kenne keinen Gast, der es wie Nüchtern verstünde, einer Stadt durch hochdifferenzierten Konsum so elegante Komplimente zu machen. (Nur einmal wurde er giftig: als er auf dem Viktualienmarkt, dem Naschmarkt sehr wohl ebenbürtig, keine gelben Rüben fand. Kein Wunder. Die besorgen wir, wenn überhaupt, beim Futtermittelhändler.)

Aber mag München Nüchtern? Für den Einzelhandel ist das überhaupt keine Frage. Auch Münchner Journalistenkollegen treffen sich gern auf ein Stamperl mit der „Stalinorgel unter den österreichischen Metaphernschleudern“, wie man Nüchtern in Deutschlands Medienmetropole – augenzwinkernd, schulterklopfend – gerne tituliert. Der Falter aber (und mit ihm die hier versammelten Kolumnen) hat es in München über den Geheimtipp nie hinausgebracht. Wer fährt auch schon von hier aus nach Salzburg, Innsbruck oder Kufstein, nur um sich schnell mal am Bahnhof eine Zeitung zu kaufen?

Und doch. Zu seiner ersten Lesung in München, seinem ersten Auslandsauftritt überhaupt, kamen massenhaft Frauen (junge! hübsche!!) in ein Szenelokal, das, Sie erraten es, unsereins vorher nicht einmal dem Namen nach kannte. Nüchtern war von deren Anblick schwer beeindruckt. Und die Mädels schlossen Nüchtern sofort ins Herz, bald musste er nur noch die Augenbrauen hochziehen – wie er es ja nicht selten und völlig unspektakulär zu tun pflegt –, und im Saal erhob sich hysterisches Kreischen. Seit diesem Abend werde ich in München gefragt, ob es wahr sei, dass ich den Nüchtern kenne. Ich gebe mir dann Mühe, sehr cool zu wirken. Klar kenne ich ihn. Und zwar verdammt lange schon.

Tobias Heyl

Kleine Quittenkantate für Kastratensopran und Querflötenquintett

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