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2 Bedeutung und Verständnis von Lernaufgaben

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Schüler: «Warum machen wir das?»

Lehrer: «Für die Prüfung.»

Die Gestaltung von Unterricht und Aufgaben sind zweifelsfrei die zentralen Schwerpunkte der beruflichen Tätigkeit von Lehrkräften. In der Auseinandersetzung mit beiden Arbeitsbereichen überwiegt jedoch der Unterricht. Das zeigt sich nicht nur in der Anzahl der Veröffentlichungen zu didaktischen Modellen und Methoden des Unterrichts, sondern es muss dabei ernüchternd konstatiert werden, dass Aufgaben in didaktischen Modellen leider zu wenig bis keine Beachtung geschenkt wird (vgl. Blömeke; Müller 2008, 241).

Das trifft auch lehramtsübergreifend auf die Studien- und Ausbildungsinhalte von Lehrkräften zu. Fortbildungsangebote über den unterrichtlichen Einsatz von Methoden finden sich in Fülle, solche zur Aufgabendidaktik jedoch eher selten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass in der Unterrichtspraxis eher Aufgaben dominieren, die den Unterricht methodisch ergänzen − und dies im Sinne von «den Stoff abarbeiten».

«Lernende sind keine Aktenordner.»


Abbildung 1: Warum wir die Schule schwänzen (Quelle: APA/BMUK)

Schule und Unterricht sollten Lernende nicht entmutigen, sondern bestärken und ihnen eine echte Freude bereiten, sodass Schüler*innen wieder «Bock aufs Lernen» und Unterricht haben. Über eine veränderte Aufgabenkultur können Lehrkräfte ganz gezielt Einfluss darauf nehmen, und hierbei kommt Lernaufgaben eine entscheidende Bedeutung zu, dass z. B. das Schulschwänzen seinen Reiz verliert.

2.1 Eine neue Aufgabenkultur entwickeln

Ergebnisse einer U. S.-amerikanischen Befragung durch die National Association of Independent Schools besagen, dass 79 Prozent der befragten Lernenden das eingesetzte Unterrichtsmaterial für uninteressant halten. 39 Prozent geben an, dass die Aufgabenstellungen keinerlei Relevanz für sie besitze.[1] Zu ähnlichen Ergebnissen würden wir sicherlich auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen. Um gerade dies zu verändern, haben wir den Aufgabendidaktischen Kompass entwickelt, ein Instrument, das Lehrkräfte bei der Etablierung einer neuen Aufgabenkultur unterstützt.

Es steht außer Frage, dass eine gute Lernaufgabe viele Funktionen übernehmen muss, die früher von der Lehrkraft getragen wurden. Sie muss u. a. Informationen bereitstellen, die Problemstellung verständlich machen, anregend und interessant sein, verschiedene Lösungswege bereitstellen und Rückmeldung geben. Daher kann eine neue Aufgabenkultur nur erfolgreich sein, wenn sie gut geplant an den Start geht. Mit am Start sollte auch der Aufgabendidaktische Kompass sein, denn er hilft, die Unterrichtsplanungen und den Einsatz von Lernaufgaben zu professionalisieren.

In der Schulzeit einschließlich der Hochschulzeit erledigen Schüler*innen bzw. Studierende unzählige Abarbeitungsaufgaben, und als spätere Lehrkräfte praktizieren sie demzufolge genau das Gleiche. Das wird als transgenerative Weitergabe bezeichnet, in der das Altbekannte unreflektiert weitergeführt wird: Zum einen geben diese alten Muster erst einmal Sicherheit und zum anderen verfügen viele Lehrkräfte nicht über die entsprechenden aufgabendidaktischen Kompetenzen. Ein Kreislauf mit dem Ergebnis, dass in Schulen das Lehren dominiert und nicht das Lernen. Schüler*innen nehmen am Unterricht jedoch dann mit Interesse teil, wenn sie lernen können und nicht durchgängig belehrt werden. Eine Unterrichtskultur, in der die Belehrung und das Abarbeiten von Aufgaben ohne echte Problemstellung überwiegt, wird den Lernenden und den gesellschaftlichen, privaten sowie betrieblichen Anforderungen nicht gerecht. Demzufolge braucht es in Schule und Unterricht einen Wechsel:

weg von einer, wie wir es nennen, Donutpädagogik, in der der Kern, eine zeitgemäße Aufgabendidaktik, immer hohler wird, und das Drumherum, wie Methodenzauber, didaktiklose Apps, häufige Gesamtlehrerkonferenzen über Budgets statt über Pädagogik und Didaktik, immer aufgeblähter,

hin zu einer Pädagogik, in deren Fokus die Lernprozesse der Schüler*innen und damit adäquate Lernaufgaben stehen. Diese bilden das Herzstück bzw. den Motor einer neuen Unterrichts- und Aufgabenkultur und machen Unterricht zu dem, was er sein sollte, und dies sind Sternstunden des Lernens in der Gemeinschaft.

Der Aufgabendidaktische Kompass wurde aus der Unterrichtspraxis entwickelt und eignet sich optimal als Werkzeug beim Erstellen von solchen Lernaufgaben. Er unterstützt diese veränderte Unterrichts- und Aufgabenkultur.

Lernaufgaben können sehr vielseitig konstruiert und durchlaufen werden. Sie sollten aber stets selbstgesteuertes Lernen der Schüler*innen fördern. Deswegen muss der Problemcharakter in jeder Lernaufgabe auffindbar sein, jedoch nicht immer in seiner vollen Komplexität, was wiederum vom Entwicklungsstand und Kompetenzniveau der Lernenden abhängt. Es wird deutlich, dass eine Lernaufgabe kein Puzzleteil des Unterrichts darstellt, sondern selbst den Rahmen bildet, in dem Lernen überhaupt erst stattfinden kann. Damit wird die Vorstellung überwunden, dass Lernaufgaben kleinschrittige Arbeitsabfolgen im Unterricht sind. Das Motto lautet: Think big, not small!

Es ist nicht unser Anspruch, alle Kriterien für die Qualität von Lernaufgaben allumfassend zu erheben, sondern wir konzentrieren uns mit dem Aufgabendidaktischen Kompass auf die fünf wesentlichen Merkmale, die eine qualitativ hochwertige Lernaufgabe kennzeichnen:

ein Problem, das neugierig macht,

eine Situation aus dem Leben,

eine Handlung, die einen mehrschrittigen Ablauf beinhaltet,

Kompetenzen, die mehrdimensional sind,

Lernende, die berücksichtigt werden und sich aktiv beteiligen können.

2.2 Eine Lernaufgabe ist keine Prüfungsaufgabe

Unter dem Begriff «Lernaufgabe» wird vieles subsumiert. Mittlerweile sind Lernaufgaben fast alles, bloß nicht das, was sie sein sollten − nämlich: qualitativ hochwertige Aufgaben, die Lernprozesse im Unterricht anstoßen und ermöglichen. Eine einheitliche Definition der Lernaufgabe existiert bis dato noch nicht, jedoch finden sich etliche Überschneidungen. Eine Gemeinsamkeit besteht in der Literatur allerdings darin, sie von Kontroll- bzw. Leistungsaufgaben abzugrenzen. Diese werden nach Abschluss einer Lernaufgabe und somit eines Lernprozesses durchgeführt und dienen der Leistungsermittlung und -bewertung. In unserem Verständnis sind Lernaufgaben grundsätzlich bewertungsfrei und unterscheiden sich damit von Prüfungsaufgaben. Nichtsdestotrotz sollten die Prüfungsanforderungen in Lernaufgaben ihre Berücksichtigung finden.

Lernaufgaben werden traditionell definiert als «Aufforderung an Lernende, eine bestimmte Handlung auszuführen, eine Frage zu beantworten, ein Problem zu lösen, eine Anweisung umzusetzen, einen Auftrag zu realisieren, aber auch eine Entscheidung zu fällen und selbst Fragen zu stellen, die helfen, ein Problemfeld zu erhellen» (Pahl 1998, 13, in Bloemen et al. 2011, 21).

Neulich in der S-Bahn: Zwei Lehrkräfte unterhalten sich über die Funktion von Lernaufgaben und kommen zu dem Ergebnis, dass diese hier und da zur Veranschaulichung und Übung dienen, wenn Lehrstoff durchgenommen wurde.

Kontrolleur: «Das ist zu wenig, bitte nachlösen, ähm nachlesen.»

Diese Aussagen der beiden Lehrkräfte führen in die Lernzieldiskussion der 1960er-Jahre zurück. Die leitende Frage zu dieser Zeit war, durch welche exakte Handlung zeigt ein Lernender, dass er oder sie ein spezifisches Lernziel erreicht hat. Daran anknüpfend wurden Unterrichtsaufgaben entwickelt, die sehr eng an Prüfungsaufgaben herankamen, z. B. Multiple-Choice-Aufgaben und Lückentexte. In diesem Sinne werden Lernaufgaben als Instrumente verstanden, die zur Lernzielerreichung führen und sich sehr eng an den Vorgaben für das gewünschte Verhalten orientieren. Die Folge einer solchen Unterrichts- und Aufgabenpraxis ist das sogenannte «teaching to the test».

Bezogen auf die Aufgabenpraxis, die überwiegend heutzutage praktiziert wird, bedeutet dies, dass Unterricht und Lernaufgaben auf die Prüfung hin ausgerichtet sind. Das Ergebnis einer solchen Unterrichts- und Aufgabenpraxis ist für Lernende frustrierend und demotivierend. Mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag hat dies beileibe nichts zu tun, und der angesammelte Haufen Wissen ist größtenteils nutzlos, da es kaum Bezüge zur Praxis gibt und auch keine Anwendung stattfindet, was wir als isoliertes Wissen bezeichnen.

Dies veranschaulicht folgender Post einer Schülerin im Internet, die ihren Unmut über das für sie nutzlos angehäufte Schulwissen kundtut.

«Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen.»

User @nainablabla auf Twitter

Die von B. Bloom vorgelegte Taxonomie kognitiver Lernziele berücksichtigt nicht ausschließlich das Wissen rund um das Auswendiglernen und Erinnern, sondern auch das Verstehen, Anwenden oder gar Analysieren, Entwickeln und Bewerten. Somit bewegen wir uns also weg von rein mechanischen Prinzipien hin zu eher selbststeuernden Tätigkeiten und dem Lösen von Problemen durch die Lernenden selbst. Das Problemlösen ist dabei ein individueller Vorgang. Um diesen Problemlöseprozess besser zu verstehen und ihn sinnvoll unterstützen zu können, wird zunächst das typische Expertenhandeln analysiert und versucht, die dahinter liegenden kognitiven Prozesse abzubilden. Zudem ist es ebenso wichtig, die Wissensstruktur der Novizen bzw. Anfänger zu analysieren, denn erst aus dem Abgleich von Experten und Novizen lassen sich letztendlich Konsequenzen für die Entwicklung von sinnstiftenden und gehaltvollen Lernaufgaben ableiten. So gibt es für viele Probleme zumeist mehrere richtige Lösungswege, und oftmals sind diese mit unterschiedlichen Inhalten realisierbar. Ein Businessplan kann für jede Art von Geschäft erstellt werden, egal ob für den Verkauf von Fahrrädern, Computern oder Kaffee. Interessant sind natürlich inhaltsspezifische Besonderheiten, aber auch hier gilt es, Unterschiede zu erkennen und zu berücksichtigen. Außerdem ist wichtig, die individuellen Unterschiede der Lernenden zu berücksichtigen, zum Beispiel in Bezug auf ihr Vorwissen, Arbeitstempo oder ihre Motivation. Zudem ist es sinnvoll, dass bestimmte Arbeitsaufgaben eher allein oder in Kleingruppen bearbeitet werden. Diese Überlegungen zeigen, dass die Anforderungen an eine Lernaufgabe recht bald komplex werden.

2.3 Alles Lernen ist Problemlösen − Ansätze aus der Forschung

Seit den großen Schulleistungstests wurde erkannt, dass der problemlösende Zugang zu einer Aufgabe viel stärker beachtet werden muss. Zentrale Fragen sind:

Was muss der Lernende können?

Wie zeigt sich das in der Performanz bzw. im Outcome?

Wie muss eine Lernaufgabe gestaltet sein, damit der Lernende seine Kompetenzen entsprechend der gesetzten Ziele entwickeln oder verändern kann?

Wie können wir Lernaufgaben gestalten, die für Nutzer*innen mit unterschiedlichen Fähigkeiten sinnvoll bearbeitbar sind?

Wie können Lernende aus Fehlern lernen?

Wie lernen Schüler*innen eigentlich das Lernen, damit sie auch nach der Schule und Ausbildung eigenständig weiterlernen können?

Mit Hilfe des Aufgabendidaktischen Kompasses ist es möglich, komplexe Lernaufgaben zu konzipieren, die eine Antwort auf die oben aufgeworfenen Fragestellungen geben. Somit erleben Schüler*innen ihre Anwesenheit im Unterricht als sinnvoll und gewinnbringend. Infolge der Befassung mit den zu bearbeitenden Lernaufgaben können sie ihre Ressourcen entfalten und neue erschließen, was zu einer Stärkung ihres Selbstkonzepts führt. Der Lernaufgabe kommt somit eine Schlüsselfunktion für erfolgreichen Unterricht zu. Um diesen Schlüssel auch nutzen zu können, gilt es, zu erfassen und zu verstehen, was eine Lernaufgabe überhaupt ist und wie diese sich von den üblichen, eher traditionellen Aufgaben der Abarbeitung unterscheidet. Hilfreiche Hinweise finden sich dazu u. a. bei U. Maier et al. (2014), G. Gerdsmeier und C. Köller (2008), J. Leisen (2010) sowie C. Arnes (1992), auf die wir nachfolgend kurz eingehen.

Im ersten Schritt stellen wir mit dem Kategorisierungsraster von U. Maier et al. (2014) ein allgemeindidaktisches Konzept zur Aufgabenkonstruktion und -analyse vor. Darüber kann bestimmt werden, ob eine Lernaufgabe auch tatsächlich das bewirkt, was von ihr verlangt wird.


Tabelle 1: Kategorisierungsraster (Quelle: Maier et al. 2014, 48)

Die vorgeschlagenen Dimensionen lassen sich in einer Lernaufgabe in verschiedenen Ausführungen realisieren und zeigen deren vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten auf. Dies kann mit einem Mischpult verglichen werden, bei dem die unterschiedlichen Einstellmöglichkeiten in der Folge zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Einen bedeutsamen Einfluss auf die Gestaltung von Lernaufgaben haben die Dimensionen Wissensart und kognitiver Prozess, wie Forschungsarbeiten hinreichend belegen (vgl. ebd. hier.). Diese wiederum korrelieren mit dem Umfang des in einer Lernaufgabe zu bearbeitenden Wissens, was U. Maier et al. als Wissenseinheiten bezeichnen und Einfluss auf die Komplexität einer Lernaufgabe hat.

Die Dimension Offenheit gibt an, wie viele Lösungswege zum Ziel führen und ob das Ziel eindeutig bestimmbar oder eher offen ist, also wie viele richtige Lösungen es geben kann. Mit der Dimension Lebensweltbezug wird ausgedrückt, wie realistisch das dargestellte Problem bzw. die Situation überhaupt ist. Ferner ist die Sprachkompetenz der Lernenden bei der Aufgabenstellung zu berücksichtigen. Eine sprachsensible Aufgabengestaltung zeigt sich in den sprachlichen Formulierungen und Ausführungen und eröffnet damit wieder die Möglichkeit, die Komplexität einer Aufgabe zu steuern. Die Dimension Repräsentationsform geht auf die Darstellung der in einer Aufgabe präsentierten Information ein, die symbolisch oder bildhaft gemacht werden. Damit ist auch gemeint, ob z. B. die Schüler*innen eine Grafik zum Text anfertigen, was wiederum einen Wechsel des Repräsentationsformates bedeutet und dadurch herausfordernder wird.

Das Kategorisierungsraster verdeutlicht, dass eine Lernaufgabe über eine inhärente Struktur verfügt und idealerweise auf die Lerngruppe hin ausgerichtet ist. Demzufolge wäre es also möglich, für jeden Lerner eine individuelle Lernaufgabe zu konstruieren. Bleiben wir beim Bild des Mischpults: Es geht darum, für jeden Lerner ein aufgabenspezifisches Feintuning vorzunehmen. Dieser Gedanke des Customizings von Lernaufgaben übertrugen wir auf den Aufgabendidaktischen Kompass. Wir sind der Überzeugung, dass Lernaufgaben nicht der 7-G-Logik[2] folgen sollten.

Die Bedeutung von selbstgesteuertem Lernen in Lernaufgaben untersuchten G. Gerdsmeier und C. Köller (2008). Sie sehen darin ein großes Potenzial zur Gestaltung von anregenden und kompetenzfördernden Lernumgebungen. Aus Gründen der Praktikabilität komprimierten sie die unzähligen Möglichkeiten von Lernaufgaben in fünf Aufgabentypen:

Aufgabentyp 1: Aufträge ohne Problemorientierung.

Einfache Zuordnungsaufgaben oder Lückentexte geben exakt vor, wie zu handeln ist, und zumeist gibt es auch nur eine gültige Lösung.

Aufgabentyp 2: Gegebene geschlossene Problemstellung.

Typisch hierfür sind Knobelaufgaben. Ein Sachverhalt wird vorgestellt und klare Anweisungen für die auszuführende Handlungsabfolge gegeben. Unter Zuhilfenahme von Denkwerkzeugen wie Skizzen, Berechnungen, Simulationen kann die Aufgabe erschlossen werden.

Aufgabentyp 3: Gegebene komplexe Problemstellung.

Hier liegt ein echtes Problem vor, wozu diverse weitere Fähigkeiten und Kenntnisse aus anderen Bereichen benötigt werden. Beispiel: Wenn Schüler*innen einen Handkarren bauen möchten, der 100-kg-Traglast hat, so muss dieser geplant, konstruiert und ggf. ein Modell angefertigt werden. Später muss vielleicht die Konstruktion zusammengeschweißt werden und das erfordert entsprechende handwerkliche Fertigkeiten.

Aufgabentyp 4: Kommunikativ erzeugte kognitive Störung, großer Suchraum für Lösungen.

Wenn beispielsweise über den Bau neuer Windkraftanlagen auf einem Berg diskutiert wird, sind die Meinungen dazu sehr unterschiedlich. Die dahinterliegenden Interessen auch, Lösungen sind demzufolge mehrere in Sicht. Eine genaue Arbeitsanweisung gibt es nicht, das Problem muss diskursiv erschlossen werden. Oft sind viele Informationen verdeckt oder müssen in ihrer Wichtigkeit zuerst bestimmt werden.

Aufgabentyp 5: Partizipative Entwicklung eines komplexen Problems mit vielfältigen Implikationen und affektiver Involviertheit.

Das Thema «Klimaschutz» und die politischen Diskussionen darüber verdeutlichen die Komplexität dieses Aufgabentyps. Konkrete Arbeitsanweisungen gibt es nicht, ebenso wenig muss hier eine Regel gefunden werden, um das Problem zu lösen. Wohl aber wird das Problem erst durch Diskussion mit verschiedenen Interessenvertretern erschlossen, denn es ist nicht direkt ersichtlich. Es gibt zudem mehrere Lösungswege und vielseitige Probleme. Eine Lösung ist schließlich nur durch gemeinsames Handeln möglich. In diesem Aufgabentyp spiegelt sich die größtmögliche Komplexität wider.

G. Gerdsmeier und C. Köller weisen darauf hin, dass eine echte Lernaufgabe die Aufgabentypen 3 bis 5 umfasst und die Aufgabentypen 1 und 2 keine wirklichen Lernaufgaben darstellen. Dieser Auffassung können wir uns anschließen und sehen deutliche Parallelen zum Kategorisierungsraster von U. Maier et al. und zum Verständnis einer Lernaufgabe nach A. Müller. Er verwendet drei Aufgabentypen: Lernstep, Lernjob und Lernunit. Lernsteps sind kleinschrittig und fachbezogen, Lernjobs komplex und themenübergreifend, Lernunits projektartig mit Weltbezug. Analog zu G. Gerdsmeier und C. Köhler können die Aufgabentypen 1 bis 2 als Lernstep, die Aufgabentypen 3 bis 4 als Lernjob und der Aufgabentyp 5 als Lernunit bezeichnet werden.

Letztendlich ist die Bezeichnung einer Lernaufgabe, z. B. ob als Aufgabentyp 3 oder Lernjob, nicht entscheidend. Relevant ist das zugrunde gelegte Aufgabenverständnis, was eine Lernaufgabe kennzeichnet und wie sie sich von Nichtlernaufgaben unterscheidet. Der Aufgabendidaktische Kompass hilft sozusagen, Äpfel von Birnen zu trennen, d. h. ein Verständnis der Lernaufgabe zu erlangen, ihren Einsatz und ihre Wirkungsweise zu erfassen und sie von Nichtlernaufgaben abzugrenzen.

Für den naturwissenschaftlichen Unterricht hat J. Leisen (2010) ein kompetenzbasiertes Konzept für Lernaufgaben entwickelt, das an die vorherigen Ausführungen gut anschließt. Im Kern einer Lernaufgabe steht für J. Leisen eine Problemstellung, von der aus sich die Entwicklung der Kompetenzen bei den Lernenden vollzieht. Für ihn ergänzt eine Lernaufgabe nicht den Unterricht, sondern wird selbst zur Lernumgebung, indem sie die Steuerung des Lernprozesses übernimmt und die Lernenden aktiv mit einbezieht. Demzufolge muss eine Lernaufgabe nachfolgende vier Bestandteile aufweisen:

1.Aufgabenstellung

2.Lernmaterialien und Methoden

3.Gesprächsführung und Moderation

4.Diagnose, Rückmeldung und Reflexion

Die ersten beiden Bereiche weisen materialen Charakter auf und finden verstärkt in der Planungsphase statt. Die letzten beiden Bereiche haben personalen Charakter und steuern die Interaktionen zwischen allen am Lernprozess Beteiligten. Das von J. Leisen vorgelegte Aufgabenkonzept knüpft an reformpädagogische Ideen zur Konstruktion von Lernaufgaben an.

Ein weiteres Modell, das die Bedeutung einer Lernaufgabe für motivierendes Lernen herausstellt, ist das TARGET-Modell von C. Arnes (1992). TARGET steht für:

Twie Task oder Aufgabe, die herausfordert, aber nicht unter- oder überfordert

Awie Autonomie, die Selbststeuerung und -wertgefühl fördert

Rwie recognition oder Anerkennung

Gwie Gruppenfokus, gemeinsam geht es besser

Ewie Evaluation, Lernen braucht Feedback

Twie time oder Zeit, es muss genügend Zeit zur Verfügung stehen beim Lernen.

Eine erfolgreiche Lehr-Lern-Strategie baut auf diesen Postulaten auf und hat als Ausgangspunkt eine problemhaltige Lernaufgabe. Diese fördert die Kollaboration, lässt Individualität zu und ist fehlertolerant. Die Fehlertoleranz ist eine Voraussetzung für erfolgreiches Lernen, damit sich Lernende voll entfalten können. In der Industrie wird zur Verbesserung der Qualität von Produkten und Prozessen häufig die Null-Fehler-Strategie praktiziert. In Schule und Unterricht geht es jedoch beim Lernen nicht darum, Fehler auszuschließen oder gar zu sanktionieren. Ganz im Gegenteil, diese sind willkommen und bieten Lernanlässe sowie Raum zum Experimentieren, Neues zu erfahren, gemeinsam zu arbeiten und weiterhin Fehler machen zu dürfen.

«Keine Fehler zu machen, ist auch keine Lösung.»

Die im Kapitel 2 vorgestellten Konzeptionen verdeutlichen die Komplexität, die es bei der Konstruktion einer Lernaufgabe und deren Einbettung in ein Lehr-Lern-Arrangement zu beachten gilt. Damit gaben wir Ihnen Einblicke in die Vielschichtigkeit einer Lernaufgabe. Was Sie jetzt noch brauchen: ein passendes Werkzeug zur Aufgabenkonstruktion. Der Aufgabendidaktische Kompass knüpft an die vorgestellte Konzeptionen an und unterstützt Sie im Prozess der Konstruktion einer problembasierten Lernaufgabe.

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