Читать книгу Grundlagen der Psychiatrie - Klaus Paulitsch - Страница 70
2.4Psychosoziale Ursachen
ОглавлениеDie Forschung konnte zeigen, dass auch persönlichkeitsrelevante Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer psychischen Störung vorliegen können. Dazu zählt man u. a. Intelligenzminderung, schwieriges Temperament, fehlende Passung des Temperaments von Erziehungspersonen und Heranwachsenden, gering entwickelter Selbstwert oder perfektionistische Persönlichkeitszüge. Als prädisponierenden Faktor kann auch ein Persönlichkeitszug angesehen werden, den man als „externer locus of control“ bezeichnet: Hierbei legen Betroffene die subjektiv empfundene Ursache für den eigenen Zustand in die Umwelt und betrachten sie als ihrer Kontrolle entzogen. Diese PatientInnengruppe neigt eher zu Depressionen als solche mit „internem locus of control“ und ungünstigen Coping-Strategien wie vermeidenden Umgang mit Stress.
Im psychosozialen Bereich sind folgende Faktoren von Relevanz: Bindungsprobleme in der Kindheit, Fehlen intellektueller Stimulation, autoritärer oder antiautoritärer Erziehungsstil, Missachtung bzw. Ignorieren der Bedürfnisse eines Kindes und inkonsistenter Erziehungsstil wie „Double-bind“-Situationen, wo inkompatible Botschaften an das Kind weitergegeben werden und das Kind in einen innerseelischen Konflikt gebracht wird.
Missbrauch, Misshandlung, Alkoholabusus bzw. Drogenabusus der Eltern, Kriminalität der Eltern, massiver elterlicher Streit, Gewalt zwischen den Eltern und delinquente Geschwister sind besonders schwerwiegende Stressoren, die die Anfälligkeit von psychischen Störungen erhöhen. Aber auch andere Belastungen von unterschiedlicher Stärke, Potenz und Dauer sind risikosteigernd. Dazu zählt man Trauer, Trennungssituationen, Heimerziehung und emotionaler Missbrauch wie beispielsweise Parentifizierung. Dabei werden Kinder als Betreuer der Eltern herangezogen, mit der Aufgabe, sich um diese emotional und praktisch zu kümmern (z. B. auch den Haushalt zu führen). Im sozialen Bereich gelten auch Armut und Migrantenstatus als Risikofaktoren.
Eine lineare, eindeutige und direkte psychosoziale Ursache für die meisten psychischen Störungen im psychosozialen Bereich ist nicht vorhanden. Beispielsweise wurde in der Vergangenheit bei der Schizophrenie von der krankheitsauslösenden bzw. verursachenden Mutter ausgegangen (siehe Kapitel VI, 1.3.4). Bei der Anorexie wurden ursächlich eindeutige Familientypologien, die spezifisch zu Magersucht führen würden, postuliert. Beide Hypothesen konnten empirisch nicht bestätigt werden. Dennoch hatten diese Theorien starken Einfluss auf das Laienverständnis und führten zu falschen Schuldzuweisungen. Paradoxerweise erwarten Eltern selbst heutzutage noch, dass sie für die Entstehung der Krankheit ihrer Kinder schuldig gesprochen werden. Diese Meinung setzt sich oft bis ins Erwachsenenleben fort, sodass auch in der Psychotherapie der Erwachsenen dem entgegenzuwirken ist.