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Kapitel 2

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Düsseldorf, Rheinhafen

Andre Blumfeld deutete auf den Bildschirm seines Computers. "Hier ist die Seite." Ich las die Headline "MONKEEPAGE", darunter eine ausschweifende Erklärung in englischer Sprache.

#Diese Seite wendet sich an alle, die die unschuldige Schönheit junger Mädchen zu schätzen wissen. Warum sollte, was von Gott gegeben ist, unanständig oder pervers sein? Wir zeigen diese verborgenen Schönheiten, wie Gott sie schuf - für ihre persönliche Fotosammlung. Pornografie ist auf dieser Seite ausdrücklich nicht erwünscht.#

"Hört sich fast an wie der Jargon von einer Sekte - ich meine: "Gott gegeben"...".

"Womöglich gibt es diese pädophile Sekte sogar. Zumindest im Internet haben sie ihre mehr oder weniger geheimen Treffpunkte," erklärte Blumfeld.

"Und auf dieser "Monkeepage" gibt es wirklich keine pornografischen Fotos?"

Blumfeld klickte mit der Maus und wartete, bis sich die nächste Seite aufgebaut hatte.

"Ach, Unsinn. Jede Menge Dreckszeug gibt es da. Dieses Gefasel soll eine Art von freiwilliger Selbstkontrolle vortäuschen und die Sittenhüter davon abhalten, den Inhalt dieses "Affenbuches" genauer unter die Lupe zu nehmen. Ach..." - er schloss die Seite und beendete seine Internetsitzung - "es kotzt mich an, wirklich. Ich gebe Ihnen die Adresse von dieser Seite und wenn sie mögen, schauen Sie sich den Dreck später einmal an."

Er stand auf, begann in seinem Büro herumzuspazieren, zündete sich eine dünne Zigarre an, inhalierte und redete dann weiter. "Wie ich schon gesagt habe: der Betreiber dieser Seite hat einen kleinen Privatkrieg mit mir angefangen. Wenn mein Bruder davon erfährt, läuft er Amok. Das ist meine größte Sorge."

In Sekundenschnelle rekapitulierte ich, was ich von den Brüdern Blumfeld wusste. Andre und Lutz hatten das Möbelimperium ihres Vaters vor circa 15 Jahren übernommen. Ihre Kaufhäuser und Designläden waren in jeder deutschen Großstadt präsent. Mit ihren Familien lebten sie zurückgezogen. Ihr Privatleben gab wenig Stoff für Tratsch oder Skandale her. Nur hin und wieder, wenn sie mit ihren Ehefrauen an einer Party oder einer Wohltätigkeitsgala teilnahmen, gab es ein Foto in der Klatschspalte. Das hatte sich brutal geändert, als die zehnjährige Tochter von Lutz Blumfeld vor ungefähr zwei Jahren gekidnappt worden war. Die Tragödie der Entführung ließ die Auflagen der Boulevardblätter und Illustrierten in fabelhafte Höhen steigen. Die Erfolgsgeschichte der Familie wurde bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt. Reporter lauerten den Freundinnen der kleinen Vanessa am Schultor auf. Man spekulierte über Lösegeldforderungen in Millionenhöhe. Der Spuk endete nach 15 Tagen mit der Geldübergabe an einem unbekannten Ort. Die Presse behauptete, die Entführer hätten mit einer Reihe von Fotos Druck ausgeübt. Fotos, auf denen das Mädchen unbekleidet, mit Handschellen an ein Bett gefesselt, zu sehen war. Entsetzt, entnervt hatte Lutz Blumfeld nachgegeben und gezahlt. Ein paar Stunden später war Vanessa an einer Landstraße bei Dormagen aufgegriffen worden, vor Kälte zitternd, verwirrt, aber körperlich unversehrt.

Wenn ich mich recht erinnerte, waren die Entführer nur vier Wochen später in eine Falle der Polizei getappt. Das Lösegeld hatte man freilich bis heute nicht gefunden.

"Damals schien die Sache erledigt," fuhr Andre Blumfeld fort. "Vanessa wird zwar immer noch von einem Psychologen betreut, doch sie hat das Ganze gut verkraftet und zeigt keine auffälligen Verhaltensweisen. Doch dann tauchten diese Fotos von ihr im Internet auf." Er blickte aus dem Fenster, fixierte einen Punkt an der Kaimauer des Düsseldorfer Hafens. "Vorher waren wir so erleichtert, wir hatten die Abzüge, die Negative. Lutz hat alles sofort verbrannt. Doch offensichtlich haben diese Verbrecher ein paar von den Abzügen verkauft oder selbst ins Internet gestellt. Das wissen wir bis heute nicht."

Ich stand nun ebenfalls auf und ging zu dem merkwürdig schrägen Fenster des Gehry-Baus hinüber.

"Und Sie befürchten, dass das nicht zu stoppen ist, hab ich Recht?"

"Natürlich. Jeder x-Beliebige kann sich so ein Foto runterladen und selbst wieder ins Netz stellen. Doch ich hatte die Hoffnung, dass das Interesse mit der Zeit nachließe. Mein Gott," - er schlug mit der flachen Hand gegen den Fensterrahmen - "es gibt Milliarden Fotos im Internet, warum sollte nicht irgendwann Gras über die Sache wachsen?"

Das Telefon läutete. Er ging hinüber zum Schreibtisch, nahm den Hörer ab, meldete sich. Dann, nach ein paar Sekunden: "Ja, sagen Sie meinem Bruder, ich komme in zehn Minuten rüber." Er legte auf, fixierte mich mit seinen wässrig blauen Augen, sprachlos, als hätte er den Faden verloren.

"Und dann fanden Sie das Foto von Vanessa auf dieser MONKEEPAGE?"

"Ja richtig. Vor ungefähr drei Wochen. Und da bin ich ausgerastet, habe einen Riesenfehler gemacht."

Er lehnte sich an die Kante des Schreibtischs, stützte sich mit beiden Händen ab.

"Ich hätte überhaupt nicht reagieren sollen auf diesen Dreck, doch ich war.....ich war so wütend, ich war außer mir vor Wut und habe diesem Mistkerl auf seiner Webpage den Krieg erklärt."

"In so einem Chatroom, oder wie?" fragte ich.

Er begann wieder, im Zimmer hin und herzuwandern. "Auf einem Teil dieser Seite können die Besucher wie in einem Gästebuch ihre Kommentare absondern. Hunde, die ihren Urin abschlagen...." Blumfeld griff sich in das kurz geschnittene Haar, verwühlte es, strich es wieder glatt. "Die meisten tauschen dort Internet-Adressen von ähnlichen Drecksseiten aus. Ein pädophiler Flohmarkt mit Tipps und Geheimcodes."

"Und da haben Sie sich eingeklinkt?"

"Ja. Das war mein Fehler."

WENN DU NOCH EINMAL FOTOS VON VANESSA B. AUF DEINER SEITE ZEIGST; WERDE ICH DIR DIE HÖLLE HEISS MACHEN, ICH KRIEG DICH, ICH LIEFERE DICH AUS, DU WIRST KEINE RUHIGE MINUTE MEHR HABEN, DU PÄDOPHILES AFFENSCHWEIN....!!!!

"Wie hat er reagiert?"

Blumfeld seufzte. "Er hat das widerliche Bild mit den Handschellen sofort auf Seite 1 gesetzt."

NIEMAND WIRD MONKEE FANGEN. DAS INTERNET IST UNENDLICH. WIR WERDEN UNSERE FEINDE DEMÜTIGEN!!!

"Ich habe dann noch einmal reagiert und gedroht, doch es ist offensichtlich sinnlos. Er fühlt sich zu sicher. Können Sie verstehen, dass ich ihn zur Strecke bringen will?"

Er schaute mich fast flehentlich an. Ich wusste, dass diese Aufgabe kaum zu lösen sein würde. Viel Hoffnung konnte ich ihm wahrlich nicht machen.

"Bitte missverstehen Sie mich nicht", fuhr er fort. "Ein Feldzug gegen diesen Kinderporno-Dreck ist ziemlich aussichtslos, das weiß ich. Aber meine schlimmste Befürchtung ist, dass mein Bruder von diesen Fotos im Internet erfährt. Das darf nie geschehen - er würde wahnsinnig, durchdrehen. Jetzt, wo das Kind und die Familie dieses traumatische Drama ziemlich gut verarbeitet haben." Er schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk. "Ich muss noch rüber ins Büro meines Bruders. Was glauben Sie? Wollen Sie mir helfen, diesen Monkee aufzuspüren?"

Ich versuchte, seinem Blick nicht auszuweichen.

"Geben Sie mir vier, fünf Tage Zeit. Ich werde diese Seite und die Fotos einmal genauer unter die Lupe nehmen. Viel Hoffnung habe ich nicht, aber ich will es wenigstens versuchen."

Er ergriff meine Hand mit beiden Händen, drückte kräftig zu, ein säuerliches Lächeln auf dem Gesicht. "Also bitte, versuchen Sie es. Und....alles muss diskret ablaufen."

Ich marschierte raus, nahm den Fahrstuhl, trat ins Freie und spazierte noch etwas über die Wiese neben dem Fernsehturm. Hunde tollten herum, Liebespaare gingen Hand in Hand, wattige Kumuluswolken schwebten bewegungslos wie weiße Ballons am Himmel. Die Menschen genossen die milden Temperaturen dieses perfekten Juni-Nachmittags. Das silberne Gebäude, das ich soeben verlassen hatte, war das niedrigste in dem schwankenden Trio der Gehry-Bauten. Seine Fassaden sahen aus, als hätte man sie in knisterndes Stanniolpapier eingeschlagen. Die Sonne blitzte an den Rundungen, verstärkte mit ein paar grellen Reflexen die Bewegung im Faltenwurf der Außenwände.

Mit schweren Flügelschlägen hob ein verirrter Reiher von der Wasseroberfläche ab. Kleine Yachten dümpelten im olivgrünen Rheinwasser. Ein friedliches Bild.

Wenn man allerdings zu lange auf dieses wankende Häusertrio starrte, konnte man leicht den Glauben an die Schwerkraft und die Ordnung der Dinge verlieren.

Allmählich nahm die silberne Fassade eine rotgoldene Farbe an. Ob sie irgendwann Rost ansetzen würde? Verfallen würde? Meine Gedanken schweiften ab.

Diese Häuser blieben stumm. Reine Zeitverschwendung, länger hier herumzulungern. Ich fuhr zurück in meine Bude.

Schatten über Burma

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