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Kapitel 5

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Bangkok

Lutz Blumfeld hängt mit gebeugtem Rücken über seinem Laptop. Hin und wieder lüftet er seine randlose ultraleichte Lesebrille, reibt sich die übermüdeten Augen, tippt eine neue Adresse ein und stellt sich vor, wie seine Anfrage durch die Korridore des endlosen Raums jagt. Seine Aktien haben sich in den letzten Tagen nicht besonders gut entwickelt. Die Seite des Internet-Brokers baut sich quälend langsam auf. Er stöhnt, trommelt nervös mit den Fingern auf der Tischplatte, dann erscheint sein Depot auf dem leuchtenden Schirm. Die Daten sind von gestern. Er flucht leise, begreift, dass er den Zeitunterschied von fünf Stunden nicht einkalkuliert hat, lässt den Blick schweifen, über die Dächer von Bangkok, die verrosteten Satellitenschüsseln, die Baustellen und Hotelhochhäuser. Hier und da zeichnen sich auf ihren grauen Betondächern azurblaue, nierenförmige Swimming-Pools ab. Die glänzende Halbkugel eines Tempels reflektiert das Licht der Morgensonne.

Er ruft die Seite von wallstreet-online auf, liest die neuesten Gerüchte, die von Zockern, Pushern, Börsen-Gurus und Absahnern in Umlauf gebracht werden, schmunzelt über ihre altklugen, marktschreierischen Tipps. Dann klinkt er sich in die Charts von Medigene ein, ärgert sich gleichzeitig, dass er seine Neugierde nicht zügeln kann. Vor zwei Wochen hatte er den Pushern geglaubt und die Biotech-Aktien für 57 Euro gekauft. Am nächsten Tag sackte der Kurs ab, dann stieg er leicht, erreichte schlappe 63 Euro, bevor er wieder den Rückwärtsgang einlegte. Entnervt, gelangweilt hatte er das Ding für 61 wieder abgestoßen, froh darüber, wenigstens keinen Verlust erlitten zu haben. 48 Stunden später explodierte der Kurs, jagte auf 80, 85. Lautlos erscheint die Fieberkurve des Vortages auf dem Top: 94 Euro. Er verzichtet darauf, sich den Verlust auszurechnen. Was ihm fehlt, ist Geduld. Dennoch kann er die Finger nicht von diesem Börsenspiel lassen. Geistesabwesend beobachtet er zwei winzige Ameisen, die aus dem Schacht des Modems krabbeln. Er wischt sie fluchend von der Tischplatte, dann klickt er die Seite weg und fährt den Computer runter.

Er ist stolz darauf, dass er der Versuchung widerstanden hat, die andere Seite anzuklicken, die Seite seines unsichtbaren Feindes. Es macht ihn nur von Tag zu Tag wahnsinniger, dass er diesem Phantom nicht persönlich gegenüberstehen kann. Vielleicht bald, bald. Deshalb ist er hier. Und die Freunde oder Detektive seines Bruders werden ihm helfen, sie werden ihn ans Ziel bringen, ohne es zu wissen.

Er geht zum Kühlschrank, greift sich ein Fläschchen Yakult und einen Strohhalm, saugt den eiskalten Joghurt in zwei Zügen heraus, massiert sich den Bauch. Er hat zwei oder drei Kilo zuviel, doch das stört ihn nicht weiter. Er fühlt sich fit. Nur die Hitze in Asien und der Jetlag machen ihn müde. In der Bangkok-Post hat er gelesen, dass die Temperaturen in Yangon noch höher sind als hier in Thailand. 36 Grad. Er schaut auf die Uhr. Morgen früh wird er nach Burma fliegen, den ganzen Aktienmist und die virtuelle Scheinwelt des Internet hinter sich lassen. Er ist ungeduldig, ja, und er spürt den behäbigen Dämon der Langeweile, der sich in der feuchten Luft ausbreitet und ihm das Atmen schwer macht.

Jemand klopft an die Tür.

"Ja, was ist? Arei kap?" Er öffnet die Tür und sieht das dunkelhäutige Zimmermädchen.

"Ich jetzt Zimmer saubermachen?"

"Komm später wieder." Er schließt die Tür und wirft sich stöhnend auf das zerwühlte Bett.

Die letzten Tage in Düsseldorf sind eine Tortur für ihn gewesen. Doch als wollte er Ordnung in seine herumgeisternden Gedanken bringen, ruft er sich das Geschehene noch einmal in Erinnerung. Wenn er die Augen schließt, sieht er alles ganz klar vor sich. Es ist ja erst drei Tage her. Er sieht sich mit Tasso, dem gutmütigen Familienhund. Es muss im Arbeitszimmer gewesen sein. Geistesabwesend krault er dem neben ihm dösenden Hund das raue, leicht gelockte Fell. Der sandfarbene Pudelpointer streckt sich, blinzelt kurz und rollt sich träge auf die Seite.

Seit gestern lastete eine bedrückende Stille über dem Haus am Niederkasseler Deich. Wie zu einem unbekümmerten Familienausflug waren sie am frühen Morgen aufgebrochen. Er selbst, seine Frau Anja, Vanessa und der Chauffeur. Hatten versucht, sich selbst und dem bockigen, verstörten Mädchen einzureden, dass es sich um nichts anderes als einen kurzen Erholungsurlaub drehte. Und das war eine Lüge. Die Wahrheit sah so aus, dass Vanessas Psychiater ihnen eindringlich geraten hatte, das Kind in einer Privatklinik mit viel frischer Luft, sportlicher Betätigung und vor allem mit ärztlicher Betreuung rund um die Uhr unterzubringen. Denn Vanessas Zustand hatte sich wieder verschlechtert. Mitten in der Nacht wachte sie auf, schreckte mit dem Echo eines Todesschreis auf den Lippen hoch, schweißgebadet und bibbernd. Sie litt unter Albträumen und Wahnvorstellungen.

Mit dem Versprechen, sie an jedem Wochenende zu besuchen, hatten sie sich verlegen lächelnd im Foyer der Klinik von ihrer Tochter verabschiedet.

Tasso seufzte im Halbschlaf, als wollte er einen Kommentar zur trübseligen Stimmung seines Herrn abgeben. Lutz streichelte dem Hund beruhigend über den Kopf und klickte sich dann in die e-mail seines Bruders ein. Er musste sich eingestehen, dass dieser Vorfall - alle im Haus sprachen immer nur von dem "Vorfall" - nicht nur die Psyche, das Verhalten, die Zukunft seiner Tochter verändert hatte. Alle im Haus waren betroffen. Und bisweilen, so wie jetzt, da er in der e-mail seines Bruders herumschnüffelte, erkannte er sich selbst nicht wieder.

Seit einigen Tagen ahnte er, das Andre etwas vor ihm verbarg. Sobald Lutz den Raum betrat, beendete er seine Arbeit am Laptop, hektisch, mit einem nervösen Lachen und nichtssagenden Floskeln. Lutz kannte seinen Bruder lange genug um zu wissen, wann er etwas im Schilde führte. Offenkundig etwas, das er vor ihm geheimhalten wollte. Früher hätte er den Gedanken, die Post seines eigenen Bruders zu öffnen, als absurd und obszön empfunden. Doch seit dem Vorfall lagen die Dinge anders - alles hatte sich geändert, und Vanessas Einweisung in eine Klinik hatte ihm den Rest gegeben. Wie ein Eitergeschwür oder eine schlecht verheilte Wunde waren die im Laufe der Zeit verebbte Wut, der Hass auf diese Verbrecher erneut aufgebrochen. Er ahnte, dass Andre ihn schonen, ihn in Watte packen wollte. Doch wenn er tatsächlich eine Spur hatte, dann wäre es bei aller Rücksicht seine Pflicht gewesen, die Karten offen auf den Tisch zu legen.

Er hatte ihn darauf angesprochen, in einem ehrlichen Gespräch unter Brüdern. Doch er stritt alles ab und wich ihm aus. Von da ab war es für ihn keine Frage mehr gewesen, dass Andre irgendein Ding auf eigene Faust vorantrieb. Für das Knacken seines e-mail-Passworts hatte er weniger als zwei Minuten benötigt. Denn Andre hatte sich wahrlich nicht viel Mühe bei der Verschlüsselung seines Postfachs gegeben. Es war genauso wie jetzt gewesen: Nachdem Lutz die Buchstaben TASSO eingetippt hatte, erschien der Posteingang der letzten Wochen in einer sauber datierten Reihe auf dem Schirm

Schatten über Burma

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