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Kapitel 3
ОглавлениеThailand
Milde 32 Grad in Bangkok. Durch den Zoll hinaus in die klimatisierte Ankunftshalle. Rechts oder links? Auf gut Glück schob ich mein Wägelchen mit dem Koffer nach rechts. Ganz am Ende der Halle standen sie hinter der Sperre: Reiseführer, illegale Taxifahrer, Hotelboys. Fast alle hielten Tafeln mit Namen hoch. Wie auf einer Demo. Ich studierte den Schilderwald, fand meinen Namen, sogar richtig geschrieben. Bravo, gute Organisation. Ein freundlicher Thai lächelte mir entgegen, spindeldürr, schlechte Zähne. Schnappte sich meinen Koffer. "Willkommen in Bangkok."
"Danke. Wo ist der Käptn?" - "Oh, Käptn hat kleines Problem, konnte nicht weg aus Pattaya. Wir fahren gleich hin." Verdammt, schlechte Organisation.
"Wie weit ist das denn?"
"Nicht weit, dauert nur zwei oder drei Stunden. Minibus wartet schon."
Wir fuhren per Rolltreppe ins Untergeschoss. Eine dunkle Garagenhöhle, stickig, feucht. Der Geruch von Kerosin und Abgasen schnürte mir die Kehle zu. Ein zweiter Thai übernahm meinen Koffer, hielt mir die Wagentür auf. Das Innere des Autos vollgepumpt mit eiskalter Luft. Abfahrt.
Von der Rückbank aus starrte ich wie gelähmt durchs Seitenfenster. Hinter einem graubraunen Klong drängten sich schmierige Hütten aus Wellblech, Holzbrettern und Eternit bis dicht ans Wasser heran.
Hier hausten offensichtlich die Ärmsten der Armen. Halbnackte Kinder plantschten fröhlich in der trüben Brühe. Nach 30 Minuten verschwanden die Baracken. Brachland, hypermoderne Fabrikhallen mit Glas- und Alu-Fassaden, Autowerkstätten, eine Universität, dann eine kleine Stadt an einer Straßenkreuzung, Hügel mit Palmen, Wasserbüffel. Der Fahrer fuhr zügig, routiniert. Vermutlich kannte er die Strecke auswendig.
Nach zweieinhalb Stunden bog er rechts ab. Der Begleiter klärte mich auf, dass wir nun gleich in Pattaya ankommen würden.
Müde schleppte ich mich in mein Hotelzimmer. Zog die Vorhänge auf. Es dämmerte bereits, 17.45 Uhr Ortszeit. Schräg gegenüber das grüne Neon-Kreuz auf dem Dach des PATTAYA-MEMORIAL-HOSPITAL. Dahinter ein malvenfarbener Aquarellhimmel. Die Sonne verzieht sich, löst sich am Horizont im graublauen Dunst auf. Lärm dringt von der Straße ins Zimmer. Eine Art Dampframme meißelt Löcher ins Trommelfell. Touristenbusse lassen ihre Motoren laufen, verpesten die Luft, bis in alle Ewigkeit.
In einer halben Stunde will der Käptn mich abholen. Duschen, frische Klamotten anziehen.
*************************
Wir saßen in einer Nische des Malibu. Auf der kleinen Show-Bühne versuchte sich ein schmächtiger Thai als Elvis-Kopie.
"You are nothing but a Hounddog....."
Er bewegte die Lippen zum Playback und ließ die Hüften kreisen.
"Wirkt ziemlich echt, was?" meinte der Käptn. "Sie können übrigens Olli zu mir sagen. Das sagen hier alle."
Er grabschte sich eine Hand voll Erdnüsse und ließ sie in seinem Mund verschwinden.
Dass er sich ausgerechnet das Malibu als Lokal für unser erstes Treffen ausgesucht hatte, fand ich ziemlich verwunderlich. Der Lärm von der Hauptstraße vermischte sich mit den Bässen der Musikanlage, und man musste beinahe brüllen, um sich verständlich zu machen.
"Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl", fragte er jetzt. "Bevor wir mit dem Geschäftlichen beginnen, sollten wir uns erst etwas kennenlernen, dachte ich. Hoffe, es ist Ihnen recht."
"Klar, kein Problem."
"Nachher schauen wir noch im Mau-Mau vorbei. Vielleicht ist es besser, wenn Sie dann morgen früh in mein Haus kommen. Da haben wir mehr Ruhe."
"Gute Idee." Ich nahm einen Schluck aus der kleinen Singha-Bier-Flasche. Auf der Bühne erschien eine thailändische Tina Turner mit perfekt einstudierter Mimik.
"Ist übrigens ein Ladyboy", bemerkte Olli. Als sie mit "Simply the best" fertig war, zahlte der Käptn unser Bier und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter.
"Weiter geht's. So ein Nachtleben werden Sie in den nächsten Wochen wohl nicht mehr erleben", meinte er dann.
"Pattaya, das ist wie Pop-Art." Olli hielt Ausschau nach einer Lücke in dem Strom aus knatternden, hupenden Mopeds, Autos, Reisebussen. Als wir die Straße endlich überquert hatten, deutete er auf das knallrote Flugzeug, das die Architekten des "Royal Garden Plaza" in einem abenteuerlichen Winkel an der Außenwand befestigt hatten. Es sah aus, als wäre die Maschine nach einem Sturzflug in die Wand des Einkaufszentrums gekracht.
"Das meine ich", fuhr der Käptn fort. "Pure Pop-Art. Vulgär, spektakulär, durchgeknallt. Und das trifft auf ganz Pattaya zu, nicht nur auf dieses Schrott-Kunstwerk."
Ich betrachtete das diagonal in den Himmel ragende Heck der Maschine, halb verwundert, dass Olli sich auch mit moderner Kunst auskannte. "Und wozu soll das gut sein?" fragte ich. "Kunst am Bau?"
"Nein. Das ist Reklame, ein riesiges Hinweisschild für das Ripley's Museum. Eine Art Kuriositätenschau mitten im Einkaufstempel. Anscheinend das einzige Museum, das den Geschmack der Thais trifft. Mit richtiger Kunst locken sie hier keinen Hund hinterm Ofen hervor. Immer nur Sanook, Sanook - Spaß muss sein. Vom Nachdenken bekommt der Durchschnitts -Thai angeblich Kopfschmerzen."
Insgeheim ärgerte mich sein pauschales Urteil, doch ich hielt mich vorläufig zurück. Wir passierten die neue Kläranlage, groß wie ein Kriegsbunker und stinkend wie ein Silo voller Pisse und faulem Fisch, liefen an einem Hühnerstall mit johlenden Barladies vorbei - "Hello welcome, sexy man!!" - und erreichten schließlich die relativ ruhige Fußgängerzone von South-Pattaya. Vor den maroden Fassaden der Häuser hingen die bunten Leuchtreklamen wie gehisste Segel und erzeugten die Illusion eines aufregenden, mondänen Nachtlebens.
Typen mit Waranen und kleinen Affen auf der Schulter lungerten herum, boten Polaroid-Schnappschüsse an. Ein dickbäuchiger Tourist mit einem LEO-Bier-T-Shirt ließ sich eine Boa um den Hals wickeln.
"Dekadent", zischte der Käptn. Dann hellte sein Blick sich auf. "Gucken Sie mal die da!" Eine Thai mit dürren Beinen, einem knalleng sitzenden Minirock, der kaum ihren Po bedeckte, und orangerot gefärbten Haaren stiefelte an uns vorbei. "Die war echt", meinte er. "Kein Ladyboy."
"Und deshalb gefällt es Ihnen in Pattaya?" stichelte ich.
"Ach was", brummte er. "Nein, bei aller Dekadenz, trotz des Lärms und der tumben Reisegruppen, die wie die Heuschrecken täglich über dieses Nest herfallen - besser als in Bangkok ist es hier allemal. Man hat das Meer vor der Tür. Das heißt, so schlimm kann die Luftverpestung also nie werden. Und hier ist alles in Reichweite: Reisebüros, Internet-Shops, die ganze Logistik. Abgesehen von den Fischrestaurants, den Steakhäusern, den Einkaufszentren oder Massagesalons. Es ist easy. Und billig. Da..." Er bog nun in eine Seitenstraße zur linken, vom Meer abgewandten Seite, "da vorne müssen wir hin."
Nachdem ich in einer der butterweichen Lederbänke versunken war, die sich in einem engen Kreis um die Arena der Tanzfläche schmiegten, dauerte es eine Weile, bis ich die Optik und Akustik des Ladens im Griff hatte. Die halbnackten Go-Go-Girls, es mussten vierzehn oder fünfzehn sein, hatten Nummern auf ihren Slips und hielten sich an blitzenden Stangen fest. Ihre gelangweilten Gesichter nahmen kaum Notiz von dem überwiegend männlichen Publikum.
Der Käptn hatte sich neben mir in die Polster fallen lassen, zwei Singha Bier geordert und nun schien er sich wohl zu fühlen. Da die Musik brüllend laut war, konnte ich mir einen Kommentar zu diesem Amüsierschuppen vorerst ersparen. Ich grinste vielsagend und prostete ihm mit der Flasche zu. Daraufhin machte er eine Bewegung mit dem Arm, als wollte er mir den Ellbogen in die Rippen stoßen. "Das ist nur Kinderkram", brüllte er. "Aber, gucken Sie mal nach oben!"
Ich folgte seinem Blick zur Decke und hielt für einen Moment den Atem an. Dort oben tanzten noch mehr Mädchen. Sie trugen karierte grüne Miniröckchen und darunter trugen sie gar nichts. Das war unschwer zu erkennen, denn die Decke zwischen Bar und Obergeschoss bestand aus einer stabilen, wunderbar durchsichtigen Glasscheibe. "Die lassen sich immer was Neues einfallen", gröhlte der Käptn.
Etwas verschämt studierte ich die wackelnden Pobacken einer drallen Tänzerin und spürte eine leichte Erregung. Kein Wunder. Hier offenbarten sich die Geheimnisse der weiblichen Anatomie aus der Froschperspektive, noch dazu in wippender, rhythmischer Bewegung. Eine raffiniert eingefädelte Inszenierung, deren Reizen man sich höchstens durch stures Wegschauen entziehen konnte. Die Spanner in meiner Umgebung saßen alle mit offenen Mündern da, die Köpfe grotesk verrenkt, um ja nichts von dieser himmlischen Erscheinung zu verpassen.
"Können die uns auch sehen von da oben?" brüllte ich zurück.
Der Käptn hatte die Frage in dem Lärm nicht verstanden und erhob seine Singha-Flasche.
"Tschok dee!"
"Prost."
Dann zupfte er am Ärmel meines T-Shirts und deutete mit der Flasche in Richtung einer Treppe gleich neben dem Ausschank.
"Wir gehen nach oben. Da ist es ruhiger."
Ich folgte ihm die engen Stufen hinauf, bis wir das Niveau der gläsernen Plattform mit den hüpfenden Minirock-Mädchen erreicht hatten. Wir verzogen uns in eine Nische, und während sich Olli mit seliger Miene den tapsigen Girls widmete, versuchte ich mir ein Bild von ihm zu machen. In der Atmosphäre dieses Striplokals wirkte er wie ein Oberstudienrat, der ausnahmsweise mal über die Stränge schlagen wollte. Er musste fast 60 sein, sah mit seinem vollen, gescheitelten Haar aber wesentlich jünger aus. Für sein Alter war er ungewöhnlich schlank und drahtig. Nur seinem Gesicht, dem Gespinst von tiefen Falten, den Tränensäcken, die wie kleine Kissen unter seinen Augen lagen, sah man an, dass es schon eine Menge erlebt hatte.
Warum hatte er mich in diesen Laden geschleppt? Wollte er meine Reaktion testen, mich schockieren, oder, wie Männer das zur Auflockerung gerne tun, ein kleines Geheimnis mit mir teilen? Mir fiel ein, dass dieses männertümelnde Zeremoniell ja sogar in der Politik gang und gäbe war. Man marschierte gemeinsam in die Sauna, ins Geisha-Haus, in eine Strip-Bar, man amüsierte sich, rückte zusammen, entspannte sich, betrank sich, Schulter an Schulter im Dunst von Bieratem und Männerschweiß. Vermutlich war es ihm schlicht zur Gewohnheit geworden, hier zu sitzen und zu trinken. Jeder sucht die Verbindung zu Dingen oder Ritualen, die er kennt. Das war seine Stammkneipe.
"Gehört einem Freund von mir, das Mau Mau, Jean-Pierre, Franzose", erklärte er jetzt und nahm einen Schluck aus der Flasche. Wollte er mir mit seinen Kontakten imponieren? Der Laden war technisch auf dem neuesten Stand. Allein die Lichtanlage, die Lautsprecher, die Elektronik und die gläserne Decke dürften grob geschätzt zwei Millionen Baht verschlungen haben.
Nun winkte er eine kleine Tänzerin an unseren Tisch.
"Die hat gerade Pause", sagte er. Das Mädchen verbeugte sich mit einem Wai und nahm links neben ihm Platz. Als er sie mit einer Wischbewegung näher zu sich heranzog, verschwand ihr winziger Po beinahe in seiner kräftigen Pranke. Sie lachte ihn an, winzige Nase, das ganze Gesicht nur Augen und Zähne.
"Suchen Sie sich ruhig eine aus", munterte er mich auf. "Dann hocken wir nicht so alleine hier. Ich hoffe doch, das Geschäftliche kann bis morgen warten, oder?"
Ich wollte nicht als Spielverderber dastehen und stimmte ihm zu.
"Wie wär's mit der Nummer 2?" schlug ich vor.
Die 2 tanzte noch auf der Glasscheibe, etwas tapsig, unsicher, sah nicht so abgebrüht aus wie der Rest der Truppe.
"Kein Problem", lachte der Käptn. "Müssen Sie nur warten, bis sie mit dem Rumhopsen fertig ist."
Er hielt mir sein Singha entgegen, und wir ließen die Flaschen aneinander knallen.
Als die Techno-Nummer in einem Echo von elektronischen Schlagzeug-Beats verebbte, zog die 2 ihren Slip an und trippelte an unseren Tisch.
"Sawadee kah!" Ihre Handflächen berührten sich als sie mich mit dem Wai begrüßte. Das Sittsame dieser traditionellen Geste rührte mich. Vielleicht weil es einen merkwürdig absurden Kontrast zu dem schamlosen Treiben auf der Tanzfläche bildete.
"What is your name?"
"Max. And you?"
"My name Tup."
Mir gefielen ihre braun getönten Haare, die wie ein Vorhang bis zum Po herabfielen. Ich streichelte diese weiche Pracht, vorsichtig auf ihre Reaktion achtend, doch sie lächelte nur und legte ihr Hand auf meinen Oberschenkel.
"You pay drink for me?"
Der Käptn hatte Max noch zum Songthaew-Taxi begleitet und dem Fahrer den Namen des Hotels genannt. "Geben Sie ihm 20 Baht, nicht mehr", rief er Max zu, während das Taxi losfuhr und sich in den immer noch dichten Verkehr einreihte. Max winkte lässig und kontrollierte den Sitz seiner Baseballkappe, deren Schirm vom Fahrtwind nach hinten geklappt worden war. Der Käptn machte kehrt und bahnte sich mit rudernden Schulterbewegungen seinen Weg durch Trauben von Touristen zurück zum Mau Mau.
Die Luft hatte sich kaum abgekühlt, und die Vorstellung, sich jetzt alleine ins Bett zu legen, gefiel ihm überhaupt nicht. Die kleine Tänzerin, die er vor wenigen Minuten wieder ihrem Schicksal überlassen hatte, spukte noch in seinem Kopf herum und er spielte mit dem Gedanken, sich die Nacht mit ihrer Hilfe um die Ohren zu schlagen. Es war einen Versuch wert. Zunächst musste er herausfinden, ob sie noch frei war.
Gleich nachdem er das eisgekühlte Lokal betrat, erkannte er ihre nackten Beine und die roten Pumps dort oben auf der Glasscheibe. Ohne Gefühl für den Rhythmus der Musik trabte das Mädchen auf der Stelle, offensichtlich ein Kind vom Land, gefangen im Glaskäfig eines stumpfsinnigen Rituals.
Olli stieg die Treppe hinauf und bemerkte, dass sein Platz noch frei war. Sie winkte ihm fröhlich zu und zeigte wie auf Knopfdruck etwas mehr Begeisterung für ihren Job. Lachend ließ sie ihre Hüften in einer Art Twist hin und her schwingen.
Olli grinste, als das karierte Röckchen für eine Sekunde hochflog und zwei wackelnde Pobacken freilegte. Mit einem wohligen Kribbeln in der Bauchgegend begann er damit, sich den weiteren Verlauf des Abends auszumalen.
Zwei Techno-Hämmer folgten noch, dann hatte die 24 ihr Soll erfüllt und nahm wieder an seiner Seite Platz. Er wollte keine Zeit mit überflüssigen Höflichkeits-Drinks verschwenden und kam gleich zur Sache.
"You come with me?"
Sie strahlte zu seinem Gesicht empor, wieder nur Augen, Zähne und eine niedliche Stupsnase. ‚Eine ehrliche, unverdorbene Haut', dachte der Käptn und er wischte ihr die winzigen Schweißperlen von der Stirn.
"Okay. Du bezahlst 500 Baht für Bar?"
"Kein Problem."
Sie bedankte sich mit dem Wai und huschte in Richtung des Umkleideraums davon. Der Käptn bezahlte die Ablösesumme und nahm noch einen Schluck aus der Flasche.
Die letzten versprengten Gäste lümmelten sich auf den Lederbänken. Thai-Mädchen hockten daneben und massierten die Oberschenkel und Schultern der Kerle, mechanisch und mit müden Blicken. Einer der Typen rammte seinem Nachbarn den Ellbogen in die Seite und gröhlte dann in die Runde, bierselig und mit breitem amerikanischen Akzent: "Now I have a new addiction: THAILAND!"
Schneller als erwartet baute sich die 24 vor seinem Tisch auf. "Sorry, wie heißt Du überhaupt?" fragte Olli.
"Mein Name Pim", behauptete sie.
Jetzt trug sie Jeans, eine billige Bluse mit gerüschtem Kragen und einen Rucksack, dessen Beutel aber nicht auf dem Rücken, sondern unter ihrer kleinen Brust verzurrt war.
‚Schulmädchen-Mode', dachte er und nahm sie bei der Hand.