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7 Girl Called Alex

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Wieder im Wagen sitzend drückt er auf dem Handy Alex' Nummer. Sie verabreden ein Treffen in zehn Minuten bei ihr zu Hause.

Peter lernte Alex vor zwölf Jahren kennen, kurz nach dem Tod seines Vaters. Damals gab er mehr aus Pflichtgefühl statt aus Überzeugung dem Wunsch des Vaters nach und übernahm das elterliche Bestattungsinstitut. Damit erfüllte er dem von einer schweren Krankheit gezeichneten Mann, der nicht mehr mit dem Sohn als Nachfolger rechnete, den letzten Willen. Dass er dafür das Studium der Betriebswirtschaft abbrach, hatte der Vater nicht erwartet. Aber nachdem Peter an wichtigen Prüfungen scheiterte, nutzte er die Übernahme als Rechtfertigung für den Studienabbruch.

Da er über keine berufsspezifische Ausbildung im Verarbeiten von Holz verfügte, stellte er für die handwerklichen Arbeiten einen befreundeten Tischler ein. Er selber kümmerte sich um kaufmännische Belange, die Kundenbetreuung und Akquise.

Mit dem Universitätsklinikum gewann er einen verlässlichen Auftraggeber, der die finanzielle Grundversorgung sicherstellte. Es war sein bedeutendster Akquiseerfolg, was dem Vater imponiert hätte und ihn selber mit Stolz erfüllte.

Die Anfragen führten ihn regelmäßig in die Abteilungen der Geriatrie. Er bekam Kontakt zur Altenpflegerin Alex. Rasch entstand eine innige Freundschaft, bald darauf ihre Beziehung.

Das Geschäft lief. Finanziell brauchte er sich nicht zu sorgen. Aber Freude oder zumindest Befriedigung verschaffte ihm die Arbeit nicht. Er hoffte, dass die Zeit daran etwas änderte. Aber sie änderte nichts. Im Gegenteil.

Nach fünf Jahren begleitete wachsender Widerwille die betrüblichen Gespräche mit den trauernden Angehörigen. Und täglich bedrückten sie ihn mehr. Allmählich entstand eine Barriere zwischen ihm und den Kunden. Bald erreichte er sie kaum mehr und ließ sie unzufrieden zurück. Das sprach sich herum, sodass er Aufträge verlor. Mehr und mehr.

Er war Mitte dreißig und sein Bedürfnis nach ständiger Konfrontation mit dem Tod gesättigt.

Zunächst verhinderte sein Versprechen gegenüber dem Vater die Aufgabe des Geschäfts. Aber nach einer Weile gewann er die Erkenntnis, dass ein Versprechen keine lebenslange Verpflichtung bedeutet. Der Vater würde gewiss nicht wollen, dass er sich unnötig quält und ihm zu einer Veränderung raten, ihm ein neues, selbstbestimmtes Leben wünschen. Ja, außer Zweifel, das würde er.

Auch bei Alex hinterließ die jahrelange Arbeit als Altenpflegerin ihre Spuren. Der Ernüchterung folgte Ermüdung. Ihr anfänglicher Enthusiasmus wich nach und nach der Erkenntnis, nicht in der Weise helfen zu können, wie sie es sich erhofft hatte. Sie mag ältere Menschen, sieht sie aber lieber glücklich oder wenigstens zufrieden. Und je weniger Zufriedenheit sie selber verspürte, umso mehr wuchs der Wunsch nach Veränderung.

Alex und Peter dachten über berufliche Alternativen nach. Zahlreiche Ideen wurden entwickelt, diskutiert, auf ihre Wirtschaftlichkeit untersucht und schließlich verworfen.

Die Agentur zur Verwirklichung letzter Wünsche war der Einfall, für den sich beide begeisterten und der einen ausreichenden wirtschaftlichen Erfolg versprach. Nicht, um Reichtümer anzuhäufen, sondern um ein normales, bodenständiges Leben führen zu können.

Peter fährt die Rittensteiner Straße zurück. Inzwischen haben sich die Etablissements gefüllt. Gute Laune liegt in der Luft. Man sitzt an Tischen und hält Besteck in den Händen oder raucht bei einem Drink im Stehen. Die einen reden gedämpft, andere diskutieren lautstark, je nach Lokalität und Mentalität. Als er 'Giovanni' passiert, sieht er aus den Augenwinkeln, wie Edda und Caren mit erhobenen Gläsern anstoßen.

Alex' Wohnung liegt in der Floragasse, einer der verkehrsberuhigten Seitenstraßen der 'Rittensteiner', unweit der Agentur. Zehn Minuten nachdem Peter den 'Fernblick' verlassen hat, steht er vor ihrer Haustür und drückt den Klingelknopf. Das Schloss spring auf.

Die Wohnungstür ist angelehnt. Aus dem von der Diele abgehenden Bad hört er das eintönige Summen des Föhns. Er schließt die Tür hinter sich und geht durch in den Wohnraum. Es läuft Musik. Ein hypnotisch entrückter Gitarrensound, modifiziert mit den typischen Soundeffekten der Siebzigerjahre und einem schnoddrig warmen, darüber schwebenden Sprechgesang weckt Erinnerungen an sein Austauschjahr in Kalifornien.

Er nimmt die oberste der neben dem Player liegenden CDs vom Stapel. 'Kurt Vile: Wakin On A Pretty Daze'. Das Display verweist auf Stück Nummer vier: 'Girl Called Alex'.

»Gefällt's dir?« In zerschlissener Jeans, weißer Bluse und eleganten Ledersandalen steht Alex neben ihm. Sie trägt die Haare offen und duftet nach ihrem Lieblingsparfüm.

»Siehst bezaubernd aus«, antwortet Peter.

Alex grinst. »Danke. Aber ich meine nicht, was du siehst. Ich meine, was du hörst.«

Aber weniger das, was er hört, sondern vielmehr das, was er sieht, hemmt ihn augenblicklich. Alex. Ihre grazilen Bewegungen, ihre samtig warme Stimme, ihr strahlender Gesichtsausdruck - auch ohne dass sie lacht -, ihre unbekümmerte Art, hinter der sich so viel Ernsthaftigkeit verbirgt, wie er weiß.

Es passiert ihm noch immer. Er kann sich nicht dagegen wehren. Und vielleicht möchte er das auch nicht. Denn da sind wieder die Erinnerungen. Erinnerungen an Vertrautheit, gemeinsame Ziele und Träume. Erinnerungen, die schnell geweckt sind - manchmal zu schnell - und zu Begehrlichkeiten führen. In der Agentur behält er das im Griff und lässt sich im Beisein von Alex nichts anmerken, glaubt er. Auf keinen Fall möchte er Anlass dafür bieten, dass sich daran etwas ändert. Und wenn es ihn zerreißt - heute Abend wird er kämpfen müssen.

Wieder tauchen dieselben Fragen auf: War ihre Trennung wirklich die beste Lösung? Doch eher im Gegenteil, oder nicht? Letztendlich beseitigte die Trennung kein einziges Problem. Anstatt an ihren Problemen zu arbeiten, stellten sie die Grundsätzlichkeit der Beziehung infrage. Das allerdings ist keine Erkenntnis, derentwegen er eine zweite Chance erhalten wird, oder vielleicht doch? Und wenn er die Zeichen einer zweiten Chance nicht erkennt?

Sofort verwirft er den Gedanken. Jetzt ist weder der passende Zeitpunkt zu hoffen, noch Zweifel an einer gemeinsam gefassten Entscheidung zu thematisieren.

»Erinnert mich an meine Jugend«, sagt er.

»Brachte mir ein Freund aus L.A. mit.«

Peter schluckt. »Du Glückliche.«

»Schön, oder? Ich kann sie dir kopieren, wenn Du magst.«

»Danke, mach' dir keine Umstände.«

»Wieso Umstände?«

»Ich meine ... ich meine ja, doch. Ich hätte gerne eine.« Peter legt die CD-Hülle wieder zurück auf den Stapel und wechselt das Thema.

»Lass uns los. Ich habe noch nichts gegessen heute. Was hältst du von 'Gino'?«

»Immer wieder gerne.«

Als Gino die beiden empfängt, befinden sich Edda und Caren bereits auf dem Weg in eine vor wenigen Tagen eröffnete Cocktailbar. Mit einer Bemerkung des Bedauerns über den belegten Stammtisch geleitet Gino Alex und Peter an den noch nicht abgedeckten Tisch der Kolleginnen. Das Damenquartett am Stammtisch kämpft noch mit dem Nachtisch.

Alex bestellt ein Viertel des weißen Hausweins und einen Salat mit gebratenen Scampi, Peter ein Bier, einen gemischten Salat und eine große Pizza Napoli mit der doppelten Menge Anchovis. Unmittelbar nach der Bestellung stehen die Getränke zusammen mit einer Karaffe Mineralwasser auf dem Tisch.

Peter erwartet eine längere Diskussion und möchte keine Zeit verlieren. »Was denkst du?«

»Was meinst du?«

»Du weißt schon.«

»Mhh, ich bin da eher skeptisch. Ist das wirklich unsere Sache? Zugegeben, das Honorar ... Aber widerspricht das nicht unserer Maxime. Wo ist das positive, lebensbejahende Element?«

»Wir handeln positiv, Alex. Er wünscht sich etwas - wir erfüllen ...«

»Nicht etwas, Peter. Er wünscht sich ein Duell. Und niemand wird mich überzeugen, dass ein Duell ein harmloser, untadeliger Wunsch sein soll.«

»Aber wir helfen ihm«, wirft Peter ein.

»Okay, vielleicht helfen wir - zumindest in seinem Selbstverständnis. Aber ist das auch unseres? Ich denke vielmehr, dass wir von unserem Weg abweichen würden. Außerdem sehe ich zu viele Unwägbarkeiten und befürchte, dass wir das Geschehen nicht ausreichend kontrollieren können. Darüber hinaus kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Duell, juristisch betrachtet, etwas vollkommen Normales ist - im Gegenteil. Es geht schließlich um die Gesundheit eines Menschen.« Alex gießt ihrem Wein etwas Wasser hinzu, setzt das Glas an ihre Lippen, zögert, entfernt es wieder und fügt einen Gedanken an: »Der Gute wäre mit psychologischem Beistand besser beraten als mit einem Duell im Morgengrauen.«

»Aus meiner Sicht leisten wir den Beistand, Alex.«

»Schöner Versuch, Peter, aber wir sind keine Psychologen.«

»Nein, aber unserem Handeln folgt ein psychologischer Effekt.«

»Ein ziemlich weit hergeholtes Argument, meinst du nicht auch?«

Zu anderer Gelegenheit würde Peter diskutieren und versuchen, Alex von seiner Position zu überzeugen. Aber heute Abend erscheinen ihm ihre beruflichen Differenzen unbedeutend. Denn es ist schon eine Weile her, dass er Alex außerhalb des geschäftigen Agenturbetriebs so nahe war. Er genießt das und muss sich zwingen, beim Thema zu bleiben.

»Was die juristischen Fragen angeht, müssen wir Eddas Bericht abwarten. Bei allem anderen liegt es an uns. Entscheidend ist eine professionelle Vorbereitung.«

»Peter, wir bereiten uns immer professionell vor.«

»Ja, aber dieses Mal noch gewissenhafter. Dann werden wir die Sache im Griff behalten.«

»Vielleicht. Aber damit wäre die Frage nach der Angemessenheit unseres Handelns nicht beantwortet.«

Für Peter gerät der Abend zu einem Auf und Ab. Überwältigt von Alex, ist er kaum in der Lage Berufliches und Privates zu trennen und verliert sein eigentliches Ziel aus den Augen.

Erst als sie Gino um die Rechnung bitten, fällt ihnen auf, dass sie die letzten Gäste sind. Sie begleichen die Rechnung und kippen Ginos Grappa ›aufs Haus‹ herunter.

Peter glaubt nicht, dass er ausreichend schlüssige Argumente vorbrachte, um Alex zu überzeugen. Innerlich hat er den Auftrag bereits abgeschrieben, ist aber bei bester Laune.

Alex möchte die Annahme des Auftrags ablehnen. Einerseits. Andererseits möchte sie der Agentur bei einem finanziell derart lukrativen Angebot nicht im Wege stehen.

Gerade als Peter im Begriff ist aufzustehen, verblüfft ihn Alex mit einem Vorschlag. »Lass uns über den Gesellschaftervertrag reden. Wir könnten das festgeschriebene Abstimmungsverhältnis ändern. Von einem einheitlichen zu einem mehrheitlichen. Falls Edda für die Annahme des Auftrages stimmte, würdet ihr über eine Zweidrittelmehrheit verfügen. Das wäre für mich akzeptabel, wenn ich aus den wesentlichen Auftragsangelegenheiten herausgehalten würde.«

Mit diesem Zugeständnis hatte Peter nicht gerechnet. »Alex, Du bist ein Schatz.« Er umgreift ihre Hand.

Alex lächelt milde und entzieht sich ihm. Sie hadert mit dem Kompromiss, sieht darin aber - wie auch in der Trennung von Peter - die beste Lösung.

Mitten im Schlaf reißen Peter Geräusche aus einem Traum, an den die Erinnerung schon beim Aufwachen gelöscht ist. Weckte ihn soeben ein Schrei? Er horcht. Vom Hof klingt das letzte abebbende Fauchen und Quieken rivalisierender Katzen hoch. Schlaftrunken tastet er nach Alex und greift ins Leere. Vielleicht ist sie im Bad. Er wartet.

Allmählich setzt die Erinnerung ein. Alex kam noch auf ein Glas Wein mit nach oben. Zum ersten Mal seit der Trennung. Aber sie blieb nicht.

Enttäuscht steht er auf, öffnet ein Bier und verbringt den Rest der Nacht im Campingstuhl auf der Dachterrasse.

Selbstverständlich Pistolen

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