Читать книгу Der Seelenfänger von Capri - Klaus Witt - Страница 9

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Ich kletterte in la Brasilienne des Dottore und wir rasten wieder einmal die Serpentinen nach Anacapri hinauf. An einer bestimmten Stelle, mit einer Heiligenfigur in der Felswand, bekreuzigte sich der Dottore, wie jeder Caprese, der diese Stelle passiert. Ich hätte mich, aus anderen Gründen allerdings, bei jeder Kurve, jedem Überholmanöver und jedem Gegenverkehr auch bekreuzigen mögen oder können. Der Dottore betrachtete ausgerechnet diesen gefährlichsten Straßenabschnitt der weitgehend autofreien und fußgängerfreundlichen Insel wohl als seine Privatrennstrecke. Ich riskierte ab und zu in den Kurven einen Blick in den Abgrund unmittelbar neben uns und fragte mich ängstlich, ob der Draht, den mein Kollege zu seinen Heiligen zu haben glaubte, denn auch gut genug sei …

Mit quietschenden Reifen bog er in den Park, der unser Hotel umgab. Der lockere Kies knirschte, als er la Brasilienne neben dem Eingang stoppte, so dass man fürchten musste, er würde noch mit der schönen Brasilianerin in die Mauer der Hotelhalle rutschen. Seltsam, so ein ruhiger und besonnener Mensch er doch sonst war, beim Autofahren ging das italienische Temperament mit ihm durch. Noch wilder war es bei seinem Lieblingshobby, dem Motorradfahren, aber das sollte ich erst noch später erleben.

An der Rezeption sagte uns Carmines hübsche, blonde Schwester, dass meine Mutter zusammen mit dem Rest der Familie bei dem kleinen Nero wäre.

„Keine Angst, es geht ihm gut!“, rief sie uns hinterher, denn wir waren schon beunruhigt um die Ecke geeilt und auf dem Weg in den Keller.

Da hockten sie alle in Carmines Wohnung auf dem Fußboden um den kleinen Hund herum und redeten auf ihn ein, er solle doch noch ein Stück gegrillten Hühnerfleisches essen.

„Nero, Nerino, mangia, mangia!“

Dabei streichelten sie ihn abwechselnd und hielten ihm kleine Häppchen vor die Nase. Aber Nero wollte und konnte offensichtlich nichts mehr essen, sondern lief, wenn auch schwach und tapsig, von einem zum anderen. Er wollte spielen und sich kraulen lassen.

Das war ein gutes Zeichen! Wenn er auch noch keinen großen Appetit hatte, so behielt er doch bis jetzt alles zu sich Genommene in seinem rebellischen Magen. Sein Kot war schon fester geworden und es war kein Blut mehr dabei zu sehen, wie uns Carmines Mutter freudig berichtete. „Senza sangue!“

Der Dottore ging zum Auto. Er holte eine feine Arzttasche aus Leder, wie man sie aus alten Wildwestfilmen kennt. Sie war schon rundherum abgewetzt. Wie er mir später einmal erzählte, hatte -seine Mutter sie ihm geschenkt, als er sein Studium erfolgreich beendet hatte. Deshalb hielt er sie sehr in Ehren.

Er wühlte in dem heillosen Durcheinander, das in der Tasche herrschte, und bereitete die Injektionen für den Abend vor. Bis heute ist es mir unerklärlich, wie er ohne den sprichwörtlichen Kompass jedesmal so schnell fand, was er suchte.

Er erklärte mir noch einmal alles ganz genau. Dann gab jeder von uns dem kleinen Kerlchen zwei Spritzen, während meine Mutter ihn hielt, kraulte und ablenkte. Sie machte das so gut, dass er von den Einstichen gar nichts spürte. Er musste sich ja langsam schon vorkommen wie ein Nadelkissen, aber er wehrte sich überhaupt nicht gegen unsere Maßnahmen.

Dann tauchte der Dottore noch einmal in das Labyrinth seiner Tasche und bereitete die Injektionen für den nächsten Morgen vor. Er sagte, er müsse schon gleich bei Sonnenaufgang aufs Festland hinüberfahren und deshalb solle ich die Vormittagsbehandlung übernehmen. Am Spätnachmittag käme er dann wieder zurück und sähe gleich nach Nero.

Ich schaute überrumpelt in die Runde, ob es wohl den Angehörigen Neros recht sei. Alle nickten mir jedoch aufmunternd zu. Ja, ich solle das tun, riefen sie, zu mir hätten sie ebenso Vertrauen wie zu dem Dottore. Sie hätten schon bemerkt, dass sich der kleine Hund voller Ruhe und Zutrauen von meiner Mutter und mir behandeln lasse.

Sowohl der Auftrag selbst, als auch das entgegengebrachte Vertrauen rührten mich sehr. Ich schluckte und sah zu meiner Mutter hinüber. Sie lächelte nur.

Der Seelenfänger von Capri

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