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2. Jugendjahre. Die Vorbereitung auf ein Leben für die Politik

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Die Kinder der großen Familien Roms waren für die Politik bestimmt. Die Töchter wurden verheiratet nach den Bedürfnissen aristokratischer Familienbündnisse, und von den Söhnen wurde erwartet, dass sie sich in Krieg und Frieden durch die Tat bewährten, die Ämterlaufbahn bis zum Führungsamt des Konsulats durchmaßen und den ererbten Familienschatz an Macht und Einfluss mehrten. Um der öffentlichen Stellung willen, die ihnen vorherbestimmt war, bedurften sie gewisser physischer und psychischer Voraussetzungen und einer Erziehung, die ihnen den Habitus der regierenden Klasse vermittelte und sie auf die Aufgabengebiete vorbereitete, in denen sie sich zu bewähren hatten.25 Als Erwachsene mussten sie ihren Mann stehen als Soldaten und Feldherren, als Ankläger und Verteidiger vor Gericht, als Berater ihrer Klienten und als Gutachter in Rechtsfragen, in der Administration von Staat und Reich, bei den Verhandlungen mit fremden Gesandten und in der Gewinnung einer Meinungsführerschaft in den politischen Gremien von Senat und Volksversammlung. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Leben für die Politik nicht nur Ehrgeiz, Machtwille und Sachkompetenz voraussetzte, sondern auch auf gewisse natürliche Voraussetzungen angewiesen war: auf eine gute Gesundheit sowie auf körperliche und seelische Belastbarkeit.

Damit stand es von Haus aus mit dem jungen Gaius Octavius nicht zum Besten. Er war von Jugend auf kränklich.26 Er litt an häufig wiederkehrenden Erkältungen, er hatte erhebliche Hautprobleme, Blasensteine und Schwächezustände setzten ihm zu; im Laufe seines Lebens musste er mehrere schwere Krankheiten durchstehen, die ihn an den Rand des Todes brachten. Hitze und Kälte konnte er nicht ertragen. Sein linkes Bein war vom Hüftgelenk bis zum Unterschenkel schwächer als das rechte, so dass er oft hinkte, und seine Zähne waren schon in der Jugend schlecht. Auch seine psychische Belastbarkeit hatte ihre Grenzen. Der Ausnahmesituation einer offenen Feldschlacht war er nicht gewachsen, und seine ohnehin labile Gesundheit konnte in kritischen Momenten des Krieges und der Politik zusammenbrechen. Erziehung und Lebensführung mussten ausgleichen, was ihm die Natur versagt hatte. Er war von Jugend auf zur Selbstdisziplin genötigt. Ein Leben aus der Fülle jugendlicher Kraft zu führen war ihm versagt. Das hieß auf der anderen Seite, dass er den Versuchungen des süßen Lebens, der sich die jeunesse dorée in Rom hinzugeben pflegte, der Verschwendung von Zeit, Kraft und Vermögen, nicht ausgesetzt war. Unterstützt und geleitet von der an altrömischer Sittenstrenge festhaltenden Mutter führte er von Jugend auf ein Leben der Askese, das ganz seiner Ausbildung und der Vorbereitung einer politischen Karriere gewidmet war.27 Zeitlebens hielt er sich von dem unter seinen Standesgenossen verbreiteten Tafel-, Kleidungs- und Ausstattungsluxus fern. Er pflegte wenig zu essen und zu trinken, und mit Rücksicht auf seinen schwachen Magen nahm er mehrmals am Tage nur kleine, frugale Mahlzeiten zu sich. Wein trank er tagsüber nur ganz selten: „Anstatt zu trinken“, schreibt sein Biograph Sueton, „pflegte er ein in kaltes Wasser getauchtes Stück Brot oder ein Stück Gurke, einen Lattichstengel oder auch frisches oder getrocknetes Obst mit leichtem Weingeschmack zu sich zu nehmen.“28

Die ersten vier Lebensjahre verbrachte das Kind auf einem Landgut des Großvaters bei Velitrae. Das Kinderzimmer, das noch in der Zeit Kaiser Hadrians als heiliger Ort verehrt wurde, war klein und bescheiden, nicht größer, wie unser Gewährsmann überliefert, als eine Vorratskammer.29 Der Vater, der in Rom seine politische Karriere beförderte und nach seiner Praetur die Provinz Macedonia verwaltete, kann sich nur wenig um den Sohn gekümmert haben. Als er im Jahre 59 plötzlich starb, war Octavius gerade vier Jahre alt, zu jung also, als dass seine Erziehung bereits einem Hauslehrer hätte anvertraut werden können. Dies geschah dann im Haus seines Stiefvaters Marcius Philippus. Dort kümmerten sich die Eltern, die Mutter und der Stiefvater gemeinsam, so wird berichtet, um seine Ausbildung und vertrauten ihn einem gebildeten Sklaven namens Sphaerus an.30 Wie der Name anzeigt, stammte er wohl aus dem griechischsprachigen Osten. Zu seinen Aufgaben gehörte neben der Beaufsichtigung und Unterrichtung des Knaben in den elementaren Kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens die Einführung ins Griechische, dessen Kenntnis für alle Angehörigen der römischen Aristokratie seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. obligatorisch war. Der junge Octavius lernte die Sprache, schätzte auch die klassische Literatur der Griechen, wurde aber nie im Griechischen so heimisch, dass er es fließend sprach oder sich getraut hätte, ohne die Hilfe von Übersetzern einen griechischen Brief aufzusetzen.31 Gaius Octavius erwies seinem ersten Lehrer eine Anhänglichkeit, wie sie sonst vor allem für das Verhältnis von Amme und Zögling vielfach bezeugt ist. Als Erwachsener ließ er den ehemaligen Lehrer frei, und als Sphaerus im Jahr 40 v. Chr. starb, richtete er, obwohl er damals in einen Bürgerkrieg auf Leben und Tod verstrickt war, dem Verstorbenen ein öffentliches Begräbnis aus.32 Er würdigte ihn damit der gleichen Ehre wie seine eigene Mutter, die zwei Jahre vorher verstorben war.33 Eltern und Hauslehrer pflegten bei der Erziehung der Kinder eng zusammenzuarbeiten, und es war nicht unüblich, dass ein Vater beziehungsweise die Mutter dabei mitwirkten, ihren Kindern elementare Fähigkeiten und Kenntnisse beizubringen. Von Augustus ist überliefert, dass er später es sich nicht nehmen ließ, seine Enkel, die er adoptiert hatte, im Lesen, Schreiben und Rechnen sowie in anderen Disziplinen zu unterrichten.34 Ob Marcius Philippus sich mit seinem Stiefsohn die gleiche Mühe machte, steht dahin. Aber soviel ist überliefert, dass beide Elternteile der Erziehung des Sohnes große Aufmerksamkeit schenkten. In seiner Lebensbeschreibung des Augustus notiert Nikolaos von Damaskus: „Seine Mutter und ihr Mann Philippus kümmerten sich um ihn. Jeden Tag fragten sie die Lehrer und Beschützer, die sie dem Jungen gegeben hatten, was er getan habe, wohin er gegangen sei und wie und mit wem er den Tag verbracht habe.“35

Die Erziehung eines Heranwachsenden, der dazu bestimmt war, in die regierende Klasse Roms einzutreten, war an dem Ziel ausgerichtet, ihm die Fähigkeiten zu übermitteln, die er brauchte, sich in Krieg und Frieden zu bewähren und im Konkurrenzkampf mit seinen Standesgenossen zu bestehen. Er musste auf die Rolle des Feldherrn und auf den Kampf mit der Waffe des Wortes vorbereitet werden. Er musste Schwimmen und Reiten lernen, und er hatte sich so früh wie möglich im Gebrauch von Waffen zu üben. Auch dem jungen Octavius blieb das nicht erspart,36 aber er machte, kein Wunder bei seiner Konstitution, keine gute Figur in den Künsten des Reitens, Fechtens und Speerwerfens. Dennoch hielt er aus und setzte seine Waffenübungen über die Zeit seiner Ausbildung hinaus bis zum Ende der Bürgerkriege, also bis zum Jahr 30 v. Chr., fort. Dann gab er diese Pflichtübungen erleichtert auf und beschränkte seine körperliche Betätigung auf das Ballspiel und verschaffte sich daneben Bewegung durch Spazierengehen.37

Dafür war Octavius ein brillanter Schüler in den Disziplinen, die der intellektuellen Schulung des künftigen Redners und Politikers dienten.38 Auf diesem Feld zeigte er sich, wie wenigstens Nikolaos von Damaskus behauptet, sogar seinen Lehrern überlegen. Gelesen und interpretiert wurden Werke der griechischen und lateinischen Literatur, sowohl Dichtung als auch Prosa, dann folgte die theoretische und praktische Unterrichtung in der Kunst der Rede sowie ein ergänzendes Studium der Philosophie.39 Rhetorik und Philosophie waren von Haus aus Gewächse der griechischen Geisteskultur, und dies erklärt neben der Notwendigkeit zum Erlernen der griechischen Sprache als der lingua franca der damaligen Welt die starke Stellung griechischer Lehrer und griechischer Werke in der römischen Jugendbildung. Dem griechischen Bildungsgang war im ersten Jahrhundert v. Chr. freilich ein analoger in lateinischer Sprache an die Seite getreten. Es gab inzwischen eine lateinische Literatur, römische Grammatiker, das heißt Literaturlehrer, und Rhetoren. Nur auf dem Feld der Philosophie war Rom, wie Cicero wiederholt betonte, noch im Rückstand. Cicero selbst machte sich in der Zeit der Alleinherrschaft Caesars, also noch in Octavius’ Jugendzeit, an eine umfassende Darstellung der hellenistischen Philosophie in lateinischer Sprache, und er hatte dabei nicht zuletzt das Ziel ins Auge gefasst, einen Beitrag zur politisch-moralischen Erziehung der zur politischen Führung bestimmten Jugend zu leisten. Dieser gesellschaftlichen Rolle hatten sich seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. insbesondere die Stoiker angepasst, und es ist sicher kein Zufall, dass die beiden Philosophen, die als Lehrer des jungen Gaius Octavius genannt werden, Vertreter dieser Schule waren: der aus Alexandria stammende Areios, bei dem er zusammen mit dessen Söhnen Dionysios und Nikanor Unterricht erhielt,40 und Athenodoros, der Sohn des Sandon aus dem kilikischen Tarsos.41 Zu beiden Philosophen unterhielt er über seine Studienzeit hinaus gute Beziehungen und verwendete sie als seine Vertrauten in verschiedenen Funktionen. Areios fungierte als sein Prokurator in Sizilien, und als er seinen Rivalen Marcus Antonius beseitigt und sich in den Besitz Ägyptens gesetzt hatte, zeichnete er Areios besonders aus, indem er in Alexandria öffentlich erklärte, sein alter Lehrer sei einer der drei Gründe, warum er die Stadt verschone. Doch wusste der Philosoph seine Unabhängigkeit zu wahren. Das Angebot, die Leitung der Finanzverwaltung Ägyptens zu übernehmen, lehnte er ab. Athenodoros gelangte etwa zur selben Zeit an die Spitze seiner Heimatstadt Tarsos, wo er die Herrschaft des Boethos, eines Vertrauensmannes des Antonius, beendete und Tarsos eine neue Verfassung gab. Was die Rhetorik anbelangt, die Schlüsseldisziplin für die Ausbildung künftiger Politiker, hatte Octavius einen lateinischen und einen griechischen Lehrer: Marcus Epidius, der in Rom eine renommierte lateinische Rhetorenschule betrieb – als prominente Schüler werden neben Augustus der Triumvir Antonius und der Dichter Vergil genannt – und Apollodoros von Pergamon, einer der gefeiertsten Redelehrer der griechischen Welt, der ihn in Rom unterrichtete und gegen Ende des Jahres 45 über die Adria nach Apollonia folgte, um ihm dort in der griechischen Stadt weiter Unterricht zu geben.42

Wie es üblich war, setzte Gaius Octavius seine Studien fort, nachdem er in feierlicher Form durch Anlegung der Bürgertoga auf dem Forum für volljährig erklärt worden war. Dieses Ereignis fand am 18. Oktober 48 statt, also kurz nach seinem 15. Geburtstag.43 In seiner mit Unterbrechungen bis in die ersten Monate des Jahres 44 dauernden Studienzeit legte er die Fundamente seiner ausgezeichneten Kenntnis der griechischen und lateinischen Literatur, und er besaß zeitlebens ein sicheres ästhetisches Urteil über literarische Qualität. Als er später auf dem Gipfel der Macht stand, legte er den größten Wert darauf, dass nur die besten Autoren ihn und sein Werk sich zum Thema wählten: Er dachte dabei vorzugsweise an Vergil und Horaz.44 Die Beschäftigung mit Dichtung und Prosa führte wie bei anderen auch zu frühen Versuchen eigener Produktion.45 Er schrieb Epigramme und verstand es, Pasquille in der Art Catulls zu verfassen, eines gegen seinen Rivalen Antonius aus späterer Zeit ist erhalten.46 Aus dem Aias-Mythos nahm er den Stoff für eine Tragödie, aber als er merkte, dass seine Gestaltungskraft nicht ausreichte, tilgte er, was er geschrieben hatte. Als er von einem Freund nach den Fortschritten seines „Aiax“ gefragt wurde, antwortete er mit ironischer Anspielung auf den Selbstmord des Helden: „Er hat sich in den Schwamm gestürzt.“47 Ebenfalls in die Jugendzeit dürften die „Ermahnungen zur Philosophie“, eine Frucht des philosophischen Unterrichts, gehören.48 Ob das Gedicht über Sizilien, von dem nur der Titel erhalten ist, ein Lehrgedicht geographischen Inhalts war, wissen wir ebenso wenig wie die Abfassungszeit.49 Obwohl Augustus zeitlebens eine Sensibilität für die ästhetische Qualität von Dichtung besaß, war sein Verhältnis zur Literatur doch weitaus stärker von einer moralischen und zweckrationalen Einstellung bestimmt. Ein so eleganter und geistvoller Dichter lasziver Liebesverhältnisse wie Ovid fand später keine Gnade vor den Augen des Reformers, der sich die Wiederherstellung altrömischer Sittenstrenge zum Ziel setzte. Er war gewohnt, sich aus beiden Literaturen, der griechischen wie der römischen, Auszüge mit Vorschriften und Beispielen anzufertigen, die ihm nützlich zum Gebrauch im privaten wie im öffentlichen Leben zu sein schienen.50

Was das Reden anbelangt, so hatte Gaius Octavius von Jugend auf mit Stimmproblemen zu kämpfen.51 Wenn Erkältungen und Heiserkeit hinzukamen, war er unfähig, vor einem größeren Publikum zu sprechen. Dann musste er vorlesen lassen, was er schriftlich ausgearbeitet hatte. Bei zunehmender Schwäche im hohen Alter war er ganz auf schriftliche Kommunikation angewiesen. Aber in der Jugend kämpfte er mit aller Macht gegen die Benachteiligung mangelnder Stimmkraft an. Bei der Redeübung des Deklamierens bediente er sich eines Stimmbildners, und er lebte, wie Nikolaos von Damaskus zu berichten weiß, nach der Pubertät im Interesse einer Kräftigung seiner Konstitution und seiner Stimme ein ganzes Jahr sexuell enthaltsam52, was ihm bei seiner bleibenden Vorliebe für junge Schönheiten gewiss nicht leicht gefallen sein wird. Seine Redeübungen setzte er auch nach Beendigung seiner Ausbildung fort, selbst in den Bedrängnissen des Mutinensischen Krieges (43 v. Chr.), so erfahren wir, ließ er nicht davon ab.53 Octavius besaß die Fähigkeit der freien, flüssigen Rede, er war schlagfertig und verstand es, die scharfen Waffen der Ironie und des Sarkasmus glänzend zu handhaben.54 Doch vermied er, wenn es um wichtige Dinge ging, die Stegreifrede. Seine öffentlichen Reden arbeitete er sorgfältig bis in den Wortlaut hinein schriftlich aus und las den Text vom Blatt ab. Das entsprach nicht antiken Gepflogenheiten und wurde entsprechend vermerkt.55 Auch in wichtige Unterredungen ging er mit schriftlicher Vorbereitung, selbst bei seiner klugen dritten Ehefrau Livia, deren Rat er oft suchte, machte er keine Ausnahme.56 Offenbar hatte er sich schon in der Jugend angewöhnt, nichts dem Zufall zu überlassen und sich mit äußerster Konzentration auf jede Situation vorzubereiten.

Zweckrationalität war dem jungen Octavius schon früh zur zweiten Natur geworden, und dem entsprach sein Redestil. Ausgestattet mit überragender Intelligenz erfasste er leicht und schnell den springenden Punkt dessen, was gesagt werden musste oder sollte, und er richtete sein ganzes Augenmerk darauf, dies klar und schnörkellos zum Ausdruck zu bringen. Die Erregung von Affekten, die als höchste Leistung der Redekunst galt, war seine Sache nicht, und in Apollodoros von Pergamon hatte er einen Lehrer, der ihn in seiner Neigung zu rationalem Argumentieren und klarer Komposition bestärkt zu haben scheint.57 Wie Caesar mied er alle ungewöhnlichen Worte, und die Liebhaber eines altertümelnden Stils verlachte er ebenso wie alle diejenigen, die sich einer gesuchten oder schwülstigen Ausdrucksweise bedienten.58 Von der Höhe geistiger und sprachlicher Überlegenheit herab kanzelte er später Antonius wegen seiner Unfähigkeit, sich klar auszudrücken, und wegen seines schlechten, zwischen Extremen schwankenden Stils ab: „Und du hast noch Zweifel, ob du Cimber Annius oder Veranius Flaccus nachahmen sollst, in der Weise, dass du die Wörter verwendest, die Crispus Sallustius aus den ‚Ursprüngen‘ des Cato exzerpiert hat, oder ob du die gedankenleere Wortfülle der asianischen Redner in unsere Sprache übernehmen sollst?“59 Auch von der gezierten und verschnörkelten Redeweise seines Freundes Maecenas hielt er nichts. Aber während er den politischen Gegner im Krieg der Worte erbarmungslos bloßstellte, wurde der Freund nur mit gutmütigem Spott bedacht.60

Während seiner Ausbildungszeit geriet Octavius zunächst unmerklich, dann immer stärker in das Gravitationsfeld seines Großonkels Gaius Iulius Caesar. Im Jahre 51 v. Chr., als Caesar dabei war, die Unterwerfung Galliens zu vollenden, starb seine Schwester, Octavius’ Großmutter. Der noch nicht Zwölfjährige war nach Caesar der nächste männliche Verwandte der Verstorbenen, und so fiel ihm die Aufgabe zu, der Großmutter die Grabrede zu halten und dabei der Öffentlichkeit das Alter und den Ruhm des Iulischen Geschlechts in Erinnerung zu rufen.61 Dann brach zum Jahreswechsel 50/49 der Bürgerkrieg aus.62 Caesars Gegnern aus dem optimatischen Lager war es gelungen, Pompeius von seinem politischen Bündnispartner zu trennen und auf ihre Seite zu ziehen. Ihr Plan war, Caesar zum frühestmöglichen Zeitpunkt aus Gallien abzuberufen, damit er als amtloser Bewerber um den Konsulat für das Jahr 48 wegen der vielen Rechtsbrüche, die er in seinem ersten Konsulat begangen hatte, in Rom vor Gericht gezogen und verurteilt würde. Das hätte nach menschlichem Ermessen das Ende seiner politischen Karriere bedeutet. Dahin ließ es Caesar freilich nicht kommen. Er beantwortete den Abberufungsbeschluss vom 7. Januar 49 umgehend mit der Eröffnung des Bürgerkrieges. Er wollte seinen Feinden keine Zeit lassen, die Ressourcen Italiens und des Römischen Reiches gegen ihn zu mobilisieren. In zwei Monaten bemächtigte er sich der gesamten italischen Halbinsel und zwang Pompeius und die Regierung zur Flucht über die Adria, dann manövrierte er in einem brillanten Feldzug die Generäle des Pompeius in Spanien aus, so dass sie Anfang August 48 kapitulieren mussten, und im folgenden Jahr trug er den Krieg über das Adriatische Meer nach Griechenland, wo Pompeius eine gewaltige Streitmacht zusammengezogen hatte. Caesar gelang es, sich aus der prekären Lage zu befreien, in die er bei Dyrrhachium geraten war, und am 9. August 48 gewann er in Thessalien die Entscheidungsschlacht bei Pharsalos. Er folgte dem flüchtenden Pompeius nach Ägypten, traf ihn aber nicht mehr lebend an. Die vormundschaftliche Regierung, die in Alexandria die Geschäfte führte, hatte ihn am 28. September bei der Landung im Hafen umbringen lassen. Caesar wurde in die Thronstreitigkeiten der Ptolemäer verwickelt, blieb mehrere Monate in Alexandria und im Osten des Reiches und kehrte erst Anfang Oktober 47 nach Rom zurück. Was Gaius Octavius anbelangt, so ließen ihn die Eltern bei Ausbruch des Bürgerkrieges aus Rom in die Sicherheit eines der väterlichen Landgüter bringen.63 Als der Feldzug in Italien beendet und Pompeius mitsamt der Regierung geflohen war, kehrte er nach Rom zurück. Im Oktober 48 wurde er mit der feierlichen Anlegung der Bürgertoga für volljährig erklärt und erhielt als Fünfzehnjähriger die Priesterstelle im Leitungsgremium der römischen Staatsreligion, die durch den Tod des in der Schlacht bei Pharsalos gefallenen Caesargegners Lucius Domitius Ahenobarbus frei geworden war.64 Es bedarf keines Beweises, dass dies mit Rücksicht auf Octavius’ Verwandtschaft mit dem Sieger von Pharsalos geschah. Ungefähr ein halbes Jahr später, im Frühjahr 47, durfte der noch nicht Sechzehnjährige mit dem Titel eines Stadtpraefekten für einen Tag als Ersatzkonsul in Rom fungieren, als die ordentlichen Magistrate am Latinerfest in feierlicher Prozession zum Heiligtum des Iuppiter Latiaris in den Albanerbergen zogen, um dem Gott von Staats wegen ein Opfer darzubringen.65 Das war eine Ehre, die jungen Männern aus den großen alten Familien Roms in Vorwegnahme ihrer künftigen Stellung erwiesen wurde. Der junge Gaius Octavius, der von Haus aus nicht zu dieser Nobilität gehörte, hatte auch diese Ehre wiederum seinem Großonkel zu verdanken. Offenbar hatte er sich auf seinen öffentlichen Auftritt gut vorbereitet. Nikolaos von Damaskus weiß zu berichten, dass der junge Stadtpraefekt mit den Rechtsauskünften, die er anstelle der Konsuln und Praetoren gab, großes Aufsehen erregte. Die Übermittlung von Elementarkenntnissen im römischen Recht gehörte zum Ausbildungsprogramm künftiger Senatoren, und durch die Prägung im Elternhaus, in das ratsuchende Klienten ein- und auszugehen pflegten, mag ein junger Mann die Sachkenntnis und die Selbstsicherheit gewonnnen haben, die ihn die Probe des ersten Auftritts in amtlicher Funktion bestehen ließen. Überhaupt rückte Octavius immer stärker in den Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit. Als nächster männlicher Verwandter Caesars drängten sich Altersgenossen und Mitschüler an ihn heran, die sich von ihm eine Förderung ihrer Karriere oder sonstige Vorteile versprachen. Wenn er die Stadt verließ, um sich im Reiten zu üben oder um Besuche zu machen, gaben sie ihm in großer Zahl das Geleit.66 Damals schloss er mit Marcus Vipsanius Agrippa, der später sein wichtigster Helfer und sein Schwiegersohn werden sollte, Freundschaft fürs Leben.

Caesar kehrte im Oktober 47 nach Rom zurück, doch schon im Dezember brach er nach Nordafrika auf, um das neue republikanische Widerstandszentrum, das sich dort gebildet hatte, zu zerschlagen. Octavius wollte seinen Großonkel begleiten, um unter dessen Aufsicht erste praktische Erfahrungen im Kriegswesen zu sammeln. Ein derartiges Praktikum gehörte ebenso zur Vorbereitung auf die Ämterlaufbahn, den so genannten cursus honorum, wie das intensive Studium der Rhetorik und der enge Anschluss an einen der als Sachwalter und Politiker auf dem Forum tätigen erfolgreichen Senatoren. Freilich war im Lärm des Bürgerkriegs die Redekunst verstummt. Auf dem Feld der Auseinandersetzungen vor Gericht und Volksversammlung gab es ähnlich wie zur Jugendzeit Ciceros nichts zu lernen. Anders stand es mit der Kunst des Krieges. Hier hätte Octavius bei dem größten Feldherrn der Zeit in die Lehre gehen können. Doch Atia, die Mutter, erhob Einspruch, und der Sohn gehorchte.67 Seine Gesundheit war viel zu ungefestigt, und man hielt es in der Familie für besser, wenn er zu Hause bliebe und seine gewohnte Lebensweise beibehalte.

Octavius’ Fernbleiben vom afrikanischen Kriegsschauplatz hinderte Caesar nicht daran, seinen Großneffen anlässlich seines mit großem Aufwand gefeierten Triumphes (20.–30. September 46, das entspricht der Zeit vom 20. bis 30. Juli nach dem reformierten Julianischen Kalender) mit militärischen Auszeichnungen zu ehren. Im Schmuck dieser Auszeichnungen durfte er dem Triumphwagen folgen, „als ob er Caesars Zeltgenosse in diesem Feldzug gewesen wäre“.68 Vor allem aber: Caesar ließ ihn als Mittelsmann gewähren, der die Anliegen von Bittstellern vor dem Diktator vertrat. Der Bruder seines Freundes Agrippa hatte auf Seiten der Republikaner gekämpft und war in Gefangenschaft geraten. Agrippa bat den Freund, sich für den Gefangenen zu verwenden, und Octavius erwirkte die Begnadigung durch Caesar.69 Überhaupt hatte seine Vermittlungstätigkeit meist Erfolg,70 und es darf wohl mit gutem Grund vermutet werden, dass die Rolle, die er spielte, mit seinem Großonkel abgesprochen und Teil des von Caesar verfolgten Planes war, seinem Großneffen den Weg zu Einfluss und Macht zu ebnen. Ihn einer größeren Öffentlichkeit bekannt machen sollte die ihm von Caesar übertragene Ausrichtung der Aufführungen im griechischen Theater. Octavius ging mit vollem Einsatz seiner Kräfte zu Werke, aber seine schwache Konstitution war überfordert. Er brach zusammen. An den heißesten Tagen des Jahres setzte er sich im Theater der Sonne aus und erlitt einen Hitzschlag.71

Als Caesar im November 46 nach Spanien in den Krieg gegen die Söhne des Pompeius zog, war Octavius noch immer nicht von dem Zusammenbruch, den er im Sommer erlitten hatte, wiederhergestellt. Er musste wieder zu Hause bleiben. Erst zu Beginn des folgenden Jahres reiste er Caesar mit kleinem Gefolge nach – die Begleitung der Mutter lehnte er ab. Die Reise war nicht ohne Gefahren. Er erlitt Schiffbruch und musste zu Lande seinen Weg auf Straßen nehmen, die vom Feind bedroht waren. Als er Caesar schließlich in der Nähe von Carteia erreichte, hatte dieser schon die Entscheidungsschlacht bei Munda (17. März 45 v. Chr.) gewonnen.72 Nun fand er Aufnahme in den Stab seines Großonkels, der ihn genau beobachtete und häufig ins Gespräch zog. Folgt man der Darstellung des Nikolaos von Damaskus, dann bestand er die Probe auf das glänzendste: „Als Caesar erkannte, dass Octavius treffsicher, verständig und prägnant im Ausdruck war und immer die passenden Antworten gab, schloss er ihn in sein Herz und mochte ihn sehr.“73 Wieder wurde Octavius Gelegenheit gegeben, sich als Vermittler und Fürsprecher, dieses Mal bei der Neuordnung Spaniens, zu bewähren und sich so eine eigene Klientel zu erwerben, die ihm durch die Verpflichtung zur Dankbarkeit verbunden war. Besonderes Aufsehen erregte sein erfolgreiches Eintreten für Sagunt, das im Krieg auf der Seite der Pompeianer gestanden hatte. Nikolaos von Damaskus schreibt: „Er nahm sich ihrer (der Saguntiner) an, und da er gegenüber ihm (Caesar) sehr gut argumentierte, entlastete er sie von den Vorwürfen und entließ sie in freudiger Stimmung nach Hause. Allen Leuten gegenüber priesen sie ihn als ihren Retter.“74

Der gute Eindruck, den Caesar von seinem Großneffen gewann, veranlasste ihn, Octavius in seinem letzten Testament vom 13. September 45 unter der Bedingung, dass ihm vor seinem Tod kein eigener Sohn geboren würde, zum Haupterben einzusetzen und zu adoptieren.75 Etwa zu der Zeit, als Caesar in Oberitalien sein Testament abfasste, erbat und erhielt Octavius seinen Abschied und kehrte nach Rom zurück. Beim Betreten der Stadt ging ihm mit großem Gefolge ein gewisser Amatius alias Herophilus entgegen, der sich als Sohn des Gaius Marius ausgab und aufgrund der Verwandtschaftsbeziehung zu Caesar – Marius hatte Caesars Tante geheiratet – den Anspruch erhob, in das Iulische Geschlecht zu gehören. Der falsche Marius wollte Octavius für seine Sache gewinnen, doch dieser vermied es, klug wie er war, sich festzulegen, und verwies den Bittsteller an Caesar als das Oberhaupt der Familie, der ihn dann, nach seiner Rückkehr, aus Rom verbannte.76 Im Herbst 45 verbrachte Octavius einige Wochen in Rom. Er lebte wieder unter der strengen Aufsicht der Mutter, zwar in einem eigenen Haus, das vorher dem Redner und Dichter Licinius Calvus, dem Freund Catulls und Antipoden Ciceros im Streit um den besten Redestil, gehört hatte, aber dieses Haus lag in der Nähe des elterlichen, und die Mutter tat alles, um ihren Sohn von den Versuchungen des süßen Lebens, vor allem vom Umgang mit Frauen fernzuhalten.77

Octavius hatte anscheinend schon vor dem spanischen Feldzug darum gebeten, ihn zum Stellvertreter des Diktators zu ernennen, zum Reiterführer (magister equitum), wie der altertümliche Titel lautete. Er war jedoch abgewiesen worden.78 Aber als Caesar dann seinen Ostfeldzug plante, um das neue pompeianische Widerstandszentrum in Syrien zu zerschlagen und Krieg gegen die Parther im Zweistromland zu führen, gewährte er seinem Großneffen den zuvor abgeschlagenen Wunsch und erhob ihn zum zweiten Mann im Staate. Nicht nur, dass er ihn in den Patrizierstand, den alten Uradel Roms, befördert hatte:79 Er designierte ihn auch für den bevorstehenden Feldzug zum magister equitum.80 In dieser Eigenschaft sollte er den Diktator in den Osten begleiten. Schon gegen Ende des Jahres 45 begab er sich mit seinem Freund Marcus Agrippa über die Adria zur Ausgangsbasis des geplanten Feldzugs. Ihr Aufenthaltsort war die Hafenstadt Apollonia, das heutige Pojani in Albanien. Sie lag ein Stück südlich von Dyrrhachium, dem Brundisium gegenüberliegenden Haupthafen an der Ostküste der Adria, von dem die durch Makedonien nach Thessalonike führende große Heerstraße nach Osten, die via Egnatia, ihren Anfang nahm. In Dyrrhachium landeten die für den Ostfeldzug bestimmten Truppen und wurden in der Umgebung entlang der via Egnatia einquartiert. Octavius und Agrippa wurden von ihrem Redelehrer Apollodoros von Pergamon begleitet, und sie füllten die mehrere Monate dauernde Wartezeit bis zur bevorstehenden Ankunft Caesars mit der Fortsetzung ihrer Studien und mit Exerzieren aus.81 Nacheinander wurden aus Makedonien Reitereinheiten nach Apollonia abkommandiert, mit denen sie sich in den Reitkünsten der Kavallerie übten. Offiziere besuchten den Großneffen Caesars, und dieser verstand es, mit ihnen allen freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen. So führte er sich gut bei der Armee ein. Alles war zum Aufbruch nach Osten vorbereitet und wartete auf den Feldherrn. Da erreichte sie in der zweiten Märzhälfte die Nachricht, dass Caesar in Rom am 15. des Monats einem Attentat zum Opfer gefallen war. Der Diktator war tot, die Designation zu seinem Stellvertreter war hinfällig. Die unter der Ägide Caesars hoffnungsvoll begonnene Karriere erschien beendet.

Augustus

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