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Der Beginn der Ämterlaufbahn: Quaestur
ОглавлениеIm Zuge seiner Gesetzgebung vergrößerte der Diktator Sulla den Senat von 300 auf 600 Mitglieder und bestimmte, dass er künftig durch die Aufnahme derjenigen ergänzt werden solle, die das Amtsjahr der Quaestur absolviert hatten. Die Zahl der Quaestoren setzte er auf zwanzig fest. Dies war die Quote, die dem Bedarf an Amtsträgern und der notwendigen Ergänzungsrate zur Aufrechterhaltung der Sollstärke des Senats entsprach.1 Die Aufgaben des Amtes lagen im Bereich der Finanz- und Steuerverwaltung; die Amtsinhaber waren in Rom und Italien den Konsuln, in den Provinzen den Statthaltern, Prokonsuln oder Propraetoren, untergeordnet. Die Zuweisung des Amtsbereiches erfolgte durch Auslosung im Senat. Die Quaestoren wurden vom Volk gewählt, das Mindestalter war das vollendete dreißigste Lebensjahr. Wie alle der durch Volkswahl vergebenen Ämter der römischen Republik war auch die Quaestur unbesoldet, und das hieß: Zur Wahl konnten sich nur Vermögende melden, die über die Mittel zur Bestreitung des von einem Amtsträger erwarteten finanziellen Aufwandes und über freie Zeit verfügten. Was die finanziellen Anforderungen anbelangt, so stiegen sie mit jeder Stufe der Ämterlaufbahn. Für die Quaestur waren sie noch am geringsten. Aber schon für diese Eingangsstufe galt: Bewerben konnte sich nur, wer der Schicht wohlhabender Grundbesitzer angehörte und als absentee landlord standesgemäß vom Ertrag seiner Güter leben konnte.
Sullas Vermehrung der Stellenzahl begünstigte Aufsteiger aus den lokalen Aristokratien Italiens und damit auch einen Bewerber wie Cicero, aber es war keineswegs so, dass jeder, der zur Wahl zugelassen wurde, auch gewählt wurde. Ein Kandidat brauchte Beziehungen zu einflussreichen Leuten, die Wähler mobilisieren konnten. Wer der alten Aristokratie angehörte, dem waren diese Beziehungen in einer Gesellschaft, deren Struktur durch ein Geflecht von ererbten Freundschafts- und Patronatsverhältnissen bestimmt war, in die Wiege gelegt. Wer nicht dazu gehörte, musste sie sich durch Leistungen verschaffen. Ciceros Familie hatte durchaus Beziehungen zur stadtrömischen Aristokratie gehabt, zu dem princeps senatus Aemilius Scaurus, zu dem großen Redner Licinius Crassus, zu so bedeutenden Juristen wie dem älteren und jüngeren Mucius Scaevola, aber sie alle waren nicht mehr am Leben, und das zurückgezogene, den Studien gewidmete Leben des Vaters war der Anbahnung neuer Beziehungen zur stadtrömischen Aristokratie nicht günstig. So war Cicero ganz darauf angewiesen, seine einzigartige Redegabe als Prozessvertreter zu bewähren und sich so die Beziehungen zu schaffen, die ihm von Haus aus mangelten. Damit hatte er, wie im vorigen Kapitel zu zeigen war, bereits vor seiner Bildungsreise begonnen und erste Erfolge erzielt: Bei der Verteidigung des Sextus Roscius aus Ameria konnte er auf die Unterstützung adliger Hintermänner aus den alten Familien Roms zählen. Bei seiner Rückkehr aus dem Osten nahm er den Faden da wieder auf, wo er ihn hatte fallen lassen. Er übernahm, wie er sich später ausdrückte, „berühmte Fälle“,2 und eine beiläufige Bemerkung aus dem Jahre 70 gibt Anlass zu der Vermutung, dass er sich besonders der Interessen der einflussreichen Gruppe der Staats- und Steuerpächter, der sogenannten publicani, vor Gericht annahm: „Denn weil ich mich wohl die meiste Zeit meines Lebens mit den Angelegenheiten der Staats- und Steuerpächter beschäftige und mich mit großer Aufmerksamkeit ihrem Stand widme, glaube ich, durch Umgang und Erfahrung hinlänglich mit ihrer gewöhnlichen Handlungsweise vertraut zu sein.“3 Tatsächlich verrät Cicero in seinen Reden und Briefen nicht nur eine genaue Kenntnis der Usancen der Geschäftswelt, sondern auch der subtilen Zusammenhänge zwischen der großen Politik und dem Finanzmarkt in Rom. In einem aufschlussreichen Appell aus dem Jahre 66 zugunsten der Staats- und Steuerpächter sowie der römischen Geschäftsleute in der Provinz Asia beschreibt er diese Verflechtung wie folgt: „Die Steuereinnahmen aus den übrigen Provinzen sind so gering, ihr Bürger, dass sie uns kaum für den Schutz der Provinzen genügen können. [Die Provinz] Asia dagegen ist so reich, dass sie durch die Ergiebigkeit der Landwirtschaft, die Vielfalt ihrer Erträge, die Größe ihres Weidelandes und die Menge der für die Ausfuhr bestimmten Waren alle anderen Länder übertrifft. Ihr müsst daher diese Provinz, wenn ihr das, was den Nutzen für den Krieg und einen würdevollen Frieden begründet, behalten wollt, ihr Bürger, nicht nur vor Unheil bewahren, sondern sogar vor der bloßen Befürchtung eines Unheils. Denn sonst hat man den Schaden erst, wenn das Unheil eintritt. Doch bei den Steuereinnahmen bringt nicht erst der Eintritt eines Übels, sondern schon die bloße Befürchtung Verluste mit sich. Denn wenn feindliche Truppen nicht fern sind – es braucht noch gar kein Einfall stattgefunden haben –, so verlässt man gleichwohl die Herden, gibt die Feldarbeit auf und stellt die Handelsschifffahrt ein. Unter diesen Umständen lassen sich weder aus dem Hafenzoll noch aus dem Zehnten noch aus der Weidenutzungsgebühr Einnahmen erzielen. Daher gehen oft die Einnahmen eines ganzen Jahres verloren, wenn nur einmal das Gerücht einer Gefahr aufkommt oder ein Krieg auszubrechen scheint. Wie stellt ihr euch demnach die Stimmung derer vor, die uns Steuern zahlen und die sie verwalten oder eintreiben, wenn sich zwei Könige [Mithradates von Pontos und Tigranes von Armenien] mit riesigen Heeren in unmittelbarer Nähe befinden, wenn ein Streifzug der Reiterei in kürzester Zeit das Steueraufkommen eines ganzen Jahres hinwegraffen kann, wenn die Staatsund Steuerpächter glauben, dass ihre zahlreichen Bediensteten, die sie auf den Salzfeldern, auf den Ländereien, in den Häfen und an den Verkehrskontrollstellen beschäftigen, sich in großer Gefahr befinden? Glaubt ihr, aus alledem noch Nutzen ziehen zu können, es sei denn, ihr bewahrt diejenigen, die euch von Nutzen sind, nicht allein vor dem Unheil, sondern, wie ich schon sagte, auch vor dem Schreckbild eines Unheils? Und auch den Gesichtspunkt solltet ihr nicht geringachten, den ich mir an letzter Stelle vorgenommen hatte, als ich über die Beschaffenheit des Krieges zu sprechen begann: Er betrifft das Vermögen zahlreicher römischer Bürger. Ihr solltet darauf, wenn ihr vernünftig seid, sorgsam Bedacht nehmen. Denn erstens haben die Staats- und Steuerpächter, hochangesehene Leute, ihre Gelder und Mittel in dieser Provinz angelegt. Deren Interessen und Verhältnisse müssen um ihrer selbst willen eure Teilnahme erregen. Denn wenn uns die Steuereinnahmen stets als der Nerv des Staates gegolten haben, so dürfen wir mit Recht behaupten, dass der Stand, der sie verwaltet, die Stütze der übrigen Stände ist. Da sind zweitens Angehörige der übrigen Stände, tüchtige und regsame Leute. Sie treiben zum Teil selber in Asien Geschäfte, und ihr müsst euch in ihrer Abwesenheit um sie kümmern, teils haben sie beträchtliche Kapitalien in dieser Provinz angelegt. Ihr seid es deshalb eurer Menschenfreundlichkeit schuldig, eine große Zahl von Bürgern vor dem Unglück zu bewahren, und eurer Klugheit einzusehen, dass die allgemeine Wohlfahrt nicht unabhängig von dem Unglück vieler Bürger bestehen kann. Denn einmal will es wenig heißen, dass ihr den Pächtern die verlorenen Steuern hernach durch euren Sieg [über die genannten Könige] wieder beschaffen könnt; denn den bisherigen Bewerbern [um den Zuschlag der Steuerpacht] werden wegen der Verluste die Mittel zur Pacht und anderen aus Furcht die Bereitschaft zu ihrer Ersteigerung fehlen. Zum anderen, was uns eben diese [Provinz] Asia und eben dieser König [Mithradates] zu Beginn des asiatischen Krieges [88 v. Chr.] gezeigt haben, das müssen wir, durch Schaden klug geworden, jetzt unbedingt im Auge behalten. Denn wir wissen ja, dass, als in Asia sehr vielen Leuten große Vermögenswerte verloren gingen, in Rom der Zahlungsverkehr stockte und der Kredit zusammenbrach. Wenn nämlich in einem Staat viele Leute Geld und Vermögen einbüßen, kann es nicht ausbleiben, dass sie andere mit in dasselbe Verderben ziehen: Bewahrt euer Gemeinwesen vor dieser Gefahr! Denn glaubt mir, was ihr ja selber seht: Das Kredit- und Geldwesen, das hier in Rom, das hier auf dem Forum seine Stätte hat, ist mit den Kapitalien in [der Provinz] Asia verflochten und davon abhängig. Jene Kapitalien können nicht zusammenbrechen, ohne dass der hiesige Geldmarkt, von derselben Bewegung erschüttert, in Verfall gerät.“4
Damit brach Cicero in seiner ersten politischen Rede, mit der er für den Oberbefehl des Pompeius im Krieg gegen die beiden genannten Könige eintrat, eine Lanze für die römische Geschäftswelt, deren Spitze die Gesellschaften der Staats- und Steuerpächter darstellten. Er tat dies aufgrund der Erfahrungen aus den 80er Jahren und aus der intimen Kenntnis, die ihm aus der Vertretung ihrer Interessen zugewachsen war. Dies alles brachte ihm Beziehungen zu einflussreichen und wohlhabenden Leuten ein, und diese konnten sich bei Wahlen, unter Umständen auch jenseits strikter Legalität, durch Geldzahlungen zur Beeinflussung von Wählern erkenntlich zeigen. Auf der anderen Seite trug ihm die Vertretung der Interessen seiner Mandanten vor Gericht keine Reichtümer ein. Die Tätigkeit des Sachwalters galt als eine Ehrenpflicht, als nobile officium, und es war sogar gesetzlich durch eine lex Cincia Anwälten verboten, Geld und Geschenke anzunehmen.5 Freilich wäre es eine Illusion zu glauben, dass sich alle an die gesetzliche Vorschrift hielten, und so kommt es, dass Ciceros Gesetzestreue Staunen erregte. Sein Biograph Plutarch zumindest berichtet: „Da er nur ein kleines, aber hinlängliches Vermögen besaß, so staunte man über ihn, dass er weder Honorare noch Geschenke für seine Anwaltstätigkeit annahm.“6
Als Cicero von seiner Bildungsreise zurückkehrte, lebte sein Vater noch – er starb im November 687 –, und so hatte er, in welcher Form auch immer, nur einen Anteil an den Erträgen des Familiengutes. Umso wichtiger war für ihn eine Eheschließung, die ihm eine gute Mitgift einbrachte. Ehen waren dazu bestimmt, den Bestand und den Rang einer Familie durch Fortpflanzung und Vergrößerung ihrer materiellen Grundlagen und Beziehungen zu sichern. Entsprechend dieser nüchternen Auffassung wurden Ehen arrangiert, geschlossen und wieder geschieden. Bei Cicero war es gewiss nicht anders. Das genaue Datum seiner Eheschließung steht nicht fest, vermutlich fand sie unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Osten im Jahre 77 statt. Seine Frau war eine Terentia. Sie stammte wie er aus einer wohlhabenden Gutsbesitzerfamilie. Ob sie aus einem Zweig der im Sabinerland beheimateten Sippe der Terentii Varrones stammte, die bereits im 3. Jahrhundert in die stadtrömische Nobilität Eingang gefunden hatte, wissen wir nicht. Terentias Halbschwester mütterlicherseits, eine Priesterin der Vesta, gehörte einer berühmten Familie des römischen Uradels, den Fabiern, an.8 Noch im Jahr 77 oder 76 gebar Terentia eine Tochter, die der Vater abgöttisch liebte. In dem ersten erhaltenen Brief an seinen Freund Atticus vom November 68 nennt er sie „meine kleine Tullia, unser ganzer Liebling“, von seiner Frau heißt es nur in einer trockenen Mitteilung, dass sie an Gelenkschmerzen litt.9 Weitere Kinder blieben zunächst aus. Erst im Juli 65 wurde endlich der Familienerbe, der nach seinem Vater Marcus genannte Sohn, geboren. Die Anzeige, die der Vater seinem Freund zukommen ließ, war in einem feierlichen Ton gehalten: „Wisse, dass mir nach Wahl der Konsuln Lucius Julius Caesar und Gaius Marius Figulus ein Söhnchen geschenkt wurde“ – von der Mutter heißt es nur: „Terentia ist wohlauf“.10 Die Ehe hielt entgegen den in der vornehmen Gesellschaft vorherrschenden Usancen lange, die Scheidung erfolgte erst im Jahre 46, als Cicero an der Schwelle seines siebten Lebensjahrzehnts stand. An sexueller Freizügigkeit und Neigung zur Promiskuität scheiterte sie jedenfalls nicht. Cicero ließen die Vergnügungen der jeunesse dorée von Jugend auf kalt, und auch die Reize schöner Frauen konnten seinen wahren Leidenschaften, der politischen Karriere und den geistigen Interessen, keinen Abbruch tun. Im Jahre 46 berichtete er einem Freund von einem Gastmahl, bei dem die Schauspielerin Cytheris, eine stadtbekannte Schönheit, neben ihm platziert worden war, und er fügte hinzu. „Nun, mich haben diese Dinge nicht einmal in jüngeren Jahren berührt, geschweige denn jetzt im Alter.“11 Auch Terentia scheint nicht an außerehelichen Amouren interessiert gewesen zu sein. Sie war eine selbstbewusste Frau, und sie hatte den Ehrgeiz, nicht nur in familiären Dingen mitzureden. Wie es um die emotionale Bindung der Eheleute stand, ist schwer zu beurteilen. Am ehesten wird davon etwas in der Bedrängnis erkennbar, als sie in der Zeit der Verbannung Ciceros im Jahre 58/57 voneinander getrennt waren. In der zweiten Periode einer längeren Abwesenheit Ciceros von Rom, in den Jahren 51 bis 47, entfremdete sich das Ehepaar so sehr, dass eine Versöhnung unmöglich wurde.
Doch zurück zur Zeit der Eheschließung. Die Ehe mit Terentia erfüllte ihre nüchternen Zwecke: Terentia schenkte ihrem Mann zwei Kinder, und sie brachte ihm eine stattliche Mitgift ein. Die Rede ist von 480.000 Sesterzen, daneben verfügte sie über eigenen Grundbesitz und wohl auch über Hausbesitz in Rom.12 Dazu erhielt er, offenbar in der Zeit der Rückkehr aus dem Osten, eine stattliche Erbschaft in Höhe von 360.000 Sesterzen. Es war nicht die einzige, die Cicero zufallen sollte. Gegen Ende seines Lebens bezifferte er die Höhe der Zuwendungen, die ihm entsprechend einem in der vornehmen Gesellschaft eingebürgerten Brauch aus testamentarischen Zuwendungen zugeflossen waren, auf 20 Millionen Sesterzen.13 Das meiste davon bekam er sicher erst mit fortschreitendem Alter, als die zahlreichen ihm verpflichteten Klienten nacheinander verstarben. Somit wird Plutarch mit der Bemerkung recht haben, dass ihm bei der Rückkehr von seiner Bildungsreise nach den Maßstäben seiner Zeit und seines Standes nur ein kleines, aber (noch) hinlängliches Vermögen zur Verfügung stand.
Die Stabilisierung seiner häuslichen Verhältnisse befreite Cicero jedoch nicht von der Notwendigkeit, zur Vorbereitung seiner Wahl zum Quaestor möglichst viele Prozessvertretungen zu übernehmen. Wir sind darüber nur durch ein pauschales Selbstzeugnis unterrichtet – mit der einen Ausnahme der in großen Teilen überlieferten Rede für den Schauspieler Quintus Roscius Gallus.14 Die Übernahme dieser Prozessvertretung im Jahre 76 war eine Gefälligkeit für einen guten Bekannten, aber sie hatte auch angesichts der Beliebtheit des großen Schauspielers das Potential, auf ein breites Publikumsinteresse zu stoßen. Der Fall ist zugleich ein gutes Beispiel für Ciceros Handhabung von Fällen aus dem Geschäftsleben, um die es ja auch in den Prozessen der Staats- und Steuerpächter ging.
Der Fall des Schauspielers Roscius hatte eine lange Vorgeschichte. In den 90er Jahren, noch vor Ausbruch des Bundesgenossenkrieges, war Roscius mit einem Gaius Fannius Chaerea, offenbar einem Freigelassenen, einen Gesellschaftsvertrag eingegangen, wie er nur in einer Sklavenhaltergesellschaft möglich war. Fannius brachte einen Sklaven in das Gesellschaftsvermögen ein, und Roscius steuerte dessen Ausbildung zum Schauspieler bei, die anfallenden, offenbar hohen Honorare teilten sich die beiden Gesellschafter. Dann wurde der Schauspieler von einem gewissen Quintus Flavius, wir wissen nicht, warum und bei welcher Gelegenheit, erschlagen. Die beiden geschädigten Eigentümer strengten einen Schadensersatzprozess an und einigten sich darauf, dass Fannius als Prozessbevollmächtigter fungieren solle. Das Verfahren blieb, wahrscheinlich wegen des Bundesgenossenkrieges, in der Schwebe, und Roscius verglich sich für seinen Anspruch außergerichtlich mit Flavius, indem er als Schadensersatz ein heruntergekommenes Gut akzeptierte.15 Als Fannius von dem eigenmächtigen Vorgehen seines Kompagnons erfuhr, erhob er Anspruch auf seinen Anteil gemäß Gesellschaftsvertrag. Es kam schließlich zu einem Schiedsverfahren, bei dem ein Angehöriger der Nobilität, Gaius Calpurnius Piso, als Schiedsrichter Fannius 100.000 Sesterzen zusprach.16 Vermutlich entsprach der hohe Betrag der Hälfte des Schätzwertes, der für das fragliche Gut ermittelt worden war, aber deklariert wurde Roscius’ Zahlungsverpflichtung als Lohn für Fannius’ Tätigkeit als gemeinsamer Prozessbevollmächtigter. Dies geschah wohl, um Roscius den ehrenrührigen, seinen Ruf als Geschäftsmann ruinierenden Vorwurf zu ersparen, er habe den Gesellschaftsvertrag gebrochen, indem er sich ohne Rücksicht auf seinen Partner allein für seine Person abfinden ließ. Die betreffende Deklarierung des Zahlungsgrundes sicherte somit Roscius vor einer Klage wegen Betrugs. Im Gegenzug zu der Zahlungszusage, die er erhielt, versprach dann Fannius seinem Kompagnon die Hälfte der Summe, die er in dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren gegen Flavius noch beitreiben würde. Im Jahre 79 kam durch einen weiteren Schiedsspruch dieses Verfahren zu einem außergerichtlichen Ende. Flavius versprach, noch 100.000 Sesterzen zu zahlen. Aus beiden Schiedsverträgen ist zu ersehen, dass der Schaden, der den beiden Gesellschaftern durch die Tötung des ihnen gehörenden Sklaven entstanden war, auf insgesamt 300.000 Sesterzen taxiert wurde, und dass jedem die Hälfte dieser Summe zustehen sollte.
So weit, so gut. Aber es kam zu weiteren Verwicklungen. Roscius zahlte von den 100.000 Sesterzen, die Fannius zugesprochen waren, nur die Hälfte. Fannius vermerkte sein noch ausstehendes Guthaben im Konzeptbuch der monatlichen Aktiva und Passiva, unterließ es aber, den Posten in das Hauptbuch, das als prozessuales Beweismittel galt, zu übertragen. Was nun die 100.000 Sesterzen anbelangt, die Fannius von Flavius zugesagt worden waren, so ließ der Zahlungseingang offenbar auf sich warten. Zumindest behauptete Fannius dann vor Gericht, das Geld nicht erhalten zu haben.17 Wohl deshalb wollte Fannius zuerst einmal den Betrag eintreiben, den Roscius ihm noch schuldete. Darauf wollte sich nun Roscius nicht einlassen. Vermutlich wollte er den Betrag einbehalten und dann mit dem Anspruch auf die Summe verrechnen, die ihm aus dem Abkommen des Fannius mit Flavius zustand. Fannius akzeptierte Roscius’ Zahlungsverweigerung indessen nicht, sondern verklagte ihn auf Begleichung des geschuldeten Betrags von 50.000 Sesterzen. Richter wurde derselbe Calpurnius Piso, der seinerzeit zwischen den Kontrahenten den Schiedsvertrag ausgehandelt hatte. Cicero plädierte für Abweisung der Klage. Er machte geltend, dass der geforderte Betrag nicht im Hauptbuch des Klägers als Schuldposten des Roscius eingetragen war, und er verschmähte nicht den Advokatenkniff, die Zahlung des geschuldeten Festbetrags mit dem Argument zurückzuweisen, dass der Kläger, indem er sich seinerzeit auf ein Schiedsverfahren eingelassen hatte, selbst zugegeben habe, dass ihm kein bestimmter, sondern ein geschätzter Betrag geschuldet werde.18 So konnte man freilich nur argumentieren, wenn dem Gerichtsverfahren auf Zahlung eines bestimmten Betrags das frühere schiedsrichterliche zur Festlegung der gegenseitigen Ansprüche unterstellt wurde. Im übrigen zieht Cicero in dem überlieferten Redetext alle Register, Roscius zu Lasten des Prozessgegners als einen Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle hinzustellen, der in jeder Phase des verwickelten Falles weit entfernt davon gewesen sei, seinen Kompagnon zu betrügen. Er scheut sich auch nicht, den Gegensatz zwischen dem gewinnenden Äußeren des Schauspielers und der eher abstoßenden Physiognomie des Klägers als Indiz von Charaktergegensätzen zu deuten.19 Sieht man auf die in der Rede zur Sprache gebrachten Fakten, dann hatte Roscius eine Verteidigung gegen den Verdacht betrügerischer Absichten allerdings bitter nötig. Cicero entledigte sich dieser Aufgabe mit rhetorischer Bravour, ohne die Zweifel an Roscius’ Verhalten wirklich zerstreuen zu können. Er war eben Interessenvertreter, und er war sich vollständig darüber klar, was er tat. Einem Richter war aufgegeben, nach Wahrheit und Rechtslage eine Entscheidung zwischen den widerstreitenden Interessen der Prozessparteien zu treffen, der Anwalt hatte die Sache seines Mandanten in das bestmögliche Licht zu rücken. Cicero hat dies später in seinem Werk Über rechtes Handeln so formuliert: „So sehr man sich davor zu hüten hat, [einen Schuldlosen als Ankläger vor Gericht zu bringen], so wenig braucht man sich ein Gewissen daraus zu machen, auch einmal einen Schuldigen, sofern er nur nicht ein gemeiner Verbrecher ist, zu verteidigen. So will es die Volksmeinung, das Herkommen lässt es zu, die Menschlichkeit bringt es mit sich. Der Richter hat stets die Aufgabe, sich nur an die Wahrheit zu halten, der Anwalt darf zuweilen auch für das Wahrscheinliche, selbst wenn es sich nicht mit der Wahrheit deckt, eine Lanze brechen … Man macht besonders von sich reden und erwirbt die Gunst der Öffentlichkeit, wenn man seinen Beistand jemandem leiht, der offenbar unter dem Einfluss und dem Druck eines Mächtigen leidet.“20
So wenig Letzteres für den Fall des Schauspielers Quintus Roscius gilt und so wenig bekannt ist, ob Cicero die Abweisung der Klage gegen seinen Mandanten erreichte, so ist doch eines unbestreitbar: Cicero gewann schon in jungen Jahren als Verteidiger von Angeklagten und Beklagten einen Ruf, der ihn in der Ämterlaufbahn voranbrachte. Nicht ohne Grund war er stolz darauf, aufgrund eigener Leistungen jeweils zum frühestmöglichen Zeitpunkt entweder unter den ersten oder gar als erster in die kollegialen Ämter des römischen Staates gewählt worden zu sein, und er scheute sich später auch nicht, dies in der Art eines Parvenus Angehörigen der alten Aristokratie, denen alle Ämter sozusagen in die Wiege gelegt waren, ins Stammbuch zu schreiben: „Mich hingegen hat das römische Volk jeweils einstimmig unter den ersten zum Quaestor gewählt, vor meinen Kollegen zum Ädilen und an der Spitze von allen zum Praetor gemacht: die Person, nicht die Familie, mein Wesen, nicht mein Stammbaum, bewährte Tüchtigkeit, nicht allgemein bekannter Adel empfing diese Auszeichnung.“21
Anstandslos zum Quaestor für das Jahr 75 gewählt, erhielt Cicero als Aufgabengebiet eine der beiden quaestorischen Amtsbereiche in der Provinz Sizilien zugewiesen, den westlichen mit Amtssitz in Lilybaeum an der Westspitze der Insel (heute Marsala).22 Die sachliche Aufgabe, die er als Untergebener des Statthalters, des Propraetors Sextus Peducaeus, zu erfüllen hatte, bestand vor allem darin, den Ankauf von Getreide zu einem staatlich festgelegten Preis zu organisieren. Sizilien war damals die Kornkammer Roms. Von den tributpflichtigen Gemeinden wurde von Steuerpächtern der Getreidezehnt erhoben, und bei erhöhtem Bedarf wurden Zwangskäufe angeordnet. In Rom herrschte in Ciceros Amtsjahr wegen der Lieferungen an die in Spanien operierenden Heere Getreideknappheit; deshalb mussten die sizilischen Gemeinden damals zusätzlich zu dem Zehnten in erheblichem Umfang Getreide an den römischen Staat zu den festgelegten Bedingungen verkaufen. Zu diesen Bedingungen gehörte auch der Transport zu den Verschiffungshäfen. Das war kostenintensiv und bedrückend, und die Sache war umso schlimmer, je stärker die Repräsentanten Roms dabei die Möglichkeiten zu persönlicher Bereicherung ausnutzten. Doch Cicero bewährte sich. Er sorgte für die Beschaffung von Getreide und unterdrückte den üblich gewordenen Missbrauch. Die ihm unterstellten Rechnungsführer wurden dazu angehalten, sich an Recht und Billigkeit zu halten.23 So gewann Cicero das Vertrauen aller Beteiligten, nicht zuletzt der sizilischen Gemeinden, und als er am Ende seines Amtsjahres Lilybaeum verließ, wurden ihm große Ehrungen zuteil. Im Gegenzug versprach er in öffentlicher Rede den ihn Ehrenden auch für die Zukunft seine guten Dienste.24 Wenige Jahre später hatte er dieses Versprechen einzulösen.
Neben seinen Amtspflichten in Lilybaeum fand Cicero Zeit, berühmte Stätten Siziliens aufzusuchen. Er selbst berichtet von einem Besuch in Segesta. Dort sah er eine Artemisstatue, die von den Karthagern verschleppt und von dem Eroberer Karthagos, dem jüngeren Scipio, restituiert worden war: „Als ich Quaestor war, führte man mich zuallererst zu ihr. Es war eine sehr große und stattliche Darstellung, in einem langen Gewande. Doch trotz ihrer Größe zeigte sie das Alter und die Haltung einer Jungfrau. Die Pfeile hingen an der Schulter herab, in der linken Hand hielt sie den Bogen, und mit der Rechten streckte sie die brennende Fackel vor.“25 Wenige Jahre nach dieser Besichtigung war die Statue erneut einem Kunstraub zum Opfer gefallen – dieses Mal begangen von dem römischen Statthalter Gaius Verres. Der folgenreichste Besuch galt indessen der Provinzmetropole Syrakus. Dort wurde Cicero zum Wiederentdecker der Grabstätte des Archimedes, des größten Mathematikers und Erfinders der Antike. Noch im Alter stand ihm die Erinnerung an dieses Ereignis so lebhaft vor Augen, als habe er die Entdeckung jüngst gemacht. Er schrieb: „Das Grab [des Archimedes], das die Syrakusaner nicht kannten und das nach ihren Angaben überhaupt nicht mehr vorhanden war, habe ich als Quaestor entdeckt, ringsum von Dornensträuchern und Gebüsch umschlossen und verborgen. Ich hatte nämlich einige sechsfüßige Verslein im Gedächtnis, die auf seinem Grabstein standen, wie ich erfahren hatte. Diese wiesen darauf hin, dass oben auf dem Grabmal eine Kugel mit einem Zylinder angebracht sei. Beim Agrigentinischen Tor gibt es eine große Zahl von Gräbern. Als ich nun alles mit den Augen absuchte, da bemerkte ich eine kleine Säule, die ein wenig aus dem Gebüsch hervorragte. Darauf befand sich die Darstellung einer Kugel und eines Zylinders. Bei mir waren die führenden Männer von Syrakus. Ich sagte ihnen sofort, das sei gerade das, was ich suchte. Man schickte eine Anzahl von Leuten mit Sicheln hinein, die alles säuberten und freilegten. Als nun der Zugang offen lag, gingen wir an die vordere Seite des Sockels heran. Es kam ein Epigramm zum Vorschein, von dem die hinteren Teile der Verse fast bis zur Mitte zerstört waren. Eine sehr bedeutende Stadt, ehemals auch eine berühmte Bildungsstätte, hätte also das Grab eines ihrer scharfsinnigsten Mitbürger nicht mehr gekannt, wenn sie es nicht von einem Mann aus Arpinum erfahren hätte!“26
Als Cicero Sizilien verließ, glaubte er, seine verdienstvolle Amtsführung sei in Rom in aller Munde: „So kehrte ich denn in der Erwartung zurück“, schrieb er später, „dass mir das römische Volk jetzt ohne mein Zutun jedes weitere Amt übertragen würde.“ Er wurde schnell eines Anderen belehrt. Er besaß so viel Souveränität, dass er seine Enttäuschung humorvoll schilderte. „Ich kam nun damals zufällig – auf der Durchreise, bei der Rückkehr aus der Provinz – nach Puteoli, zu der Zeit, in der sich dort sehr viele Leute aus den besten Kreisen aufzuhalten pflegen. Da hätte ich beinahe die Fassung verloren, ihr Richter, als jemand mich fragte, vor wie vielen Tagen ich aus Rom abgereist sei und ob es etwas Neues gebe. Als ich ihm antwortete, ich kehrte aus der Provinz zurück, da sagte er: ‚Ach, richtig, ich glaube aus Africa.‘ Da ärgerte ich mich, und ich sagte entrüstet zu ihm: ‚Nein, aus Sizilien.‘ Da mischte sich jemand ein, der sich den Anschein gab, alles zu wissen. ‚Was‘, sagte er, ‚Du weißt nicht, dass er Quaestor in Syrakus war?‘ Kurz und gut, ich hörte auf mich zu ärgern, und tat so, als wäre ich einer von denen, die zur Badekur gekommen waren.“27
Dem Ex-Quaestor war also eine Lektion erteilt worden. Eine Bewährung in den Provinzen erregte in Rom keinerlei Aufmerksamkeit – es sei denn, ein Amtsträger errang einen spektakulären Sieg (oder erlitt eine schwere Niederlage). Und nicht der Verzicht auf ungesetzliche Ausbeutung der Untertanen, sondern ihre schamlose Ausplünderung zu persönlicher Bereicherung, jene in der späten Republik verbreitete aparte Anwendung des Max Weberschen Satzes avant la lettre, dass ein Leben für die Politik zugleich ein Leben von der Politik ist, konnte Aufsehen in Rom erregen – und das auch nur, wenn es den Geschädigten gelang, ihren Peiniger in Rom vor den Gerichtshof für Erpressungsvergehen zu bringen. Cicero fasste aus Enttäuschung darüber, dass niemand von seiner vorbildlichen Amtsführung auch nur die geringste Notiz genommen hatte, den Entschluss, seine ganze Energie auf seine Tätigkeit in Rom zu verlegen und Ansehen im Zentrum der Politik zu erwerben. Er war insofern im Recht, als ihm militärische Neigungen und Fähigkeiten völlig abgingen und er nicht die Skrupellosigkeit besaß, von den Untertanen riesige Geldmittel zu erpressen. Das ließ seine Vorstellung von gerechter Herrschaftsausübung nicht zu, und er war, zu seiner Ehre sei es gesagt, unfähig, in diesem Punkt gegen sein Gewissen zu handeln. Diejenigen Machtmittel, die in der späten Republik den Ausschlag geben sollten, eine große Heeresklientel und Geld in Hülle und Fülle, waren für ihn unerreichbar, und so war er darauf angewiesen, mit dem Kapital weiter zu wuchern, das ihm reichlich zu Gebote stand, seiner außerordentlichen Redegabe. Dabei beherrschte ihn die Vorstellung, dass die ständige Präsenz in Rom und die Macht des gesprochenen Wortes ihm Autorität und eine informelle Führungsrolle im Kreis der führenden Männer des Staates eintragen würden. Tatsächlich gelang ihm in den folgenden Jahren der Aufstieg in die traditionelle Führungselite, aber er sollte auch schnell die Grenzen erfahren, die der Zustand des römischen Staates seinem Ideal des Staatsmannes zog.