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Bjarni sieht Land im Westen

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Seit drei Tagen hatten sie gute Wetterverhältnisse gehabt und die Insel im Osten war längst hinter ihnen im Meer versunken. Bald müßte das neue Land, das Eirik der Rote Grönland nannte, am Horizont in Sicht kommen.

Bjarni Herjolfssohn verließ sich auf die Anweisungen, die ihm auf Island erteilt worden waren. Er war Kaufmann und ein erfahrener Seemann, und er zweifelte nicht daran, daß seine Peilungen zutrafen und sie sich auf dem richtigen Kurs befanden.

Der Wind legte sich. Bjarni fluchte leise, als die Rah gegen den Mast schlug und eine Welle die Knorre von der Seite her traf. Er schickte die Männer an die Ruder. Es war wichtig, das Schiff quer zu den Wellen zu halten. Er wußte, daß ein Brecher das Schiff sonst sehr schnell mit Wasser füllen konnte.

So kämpften sie einige Stunden und vielleicht auch noch länger gegen die Naturkräfte an. Dann knallte das Rahsegel, das sich ohne Vorwarnung mit neuem Wind gefüllt hatte – der Wind kam von Norden und war kälter als der vorige.

Der Nordwind führte Nebel mit sich. Als Bjarni eine Weile später die Männer am Bug kaum noch erkennen konnte, spürte er, daß die Unruhe aus seinem Kopf in seinen Bauch gewandert war und er befahl, das Segel einzuholen.

Er sprach ein stilles Gebet, er wußte nicht, zu wem. Er hatte von dem neuen großen Gott gehört, den die Mönche aus dem Süden mitgebracht hatten, und der angeblich seine schützende Hand über Seefahrer in Not hielt–aber nur über die, die sich bekehrt hatten und die alten Gottheiten verleugneten.

Sie trieben umher, so, wie es Meer und Wind eben gefiel. Auch die Mannschaft wurde jetzt nervös. Hatte der Kapitän nicht behauptet, daß sie ihr Ziel bald erreicht haben würden? Und sie vor Eisbergen gewarnt? Aber sie konnten weder Eisberge noch Land oder unter Wasser liegende Felsen entdecken. Alle wußten, daß eine zu plötzliche Begegnung mit dem Land, das Grönland genannt wurde, ihren Tod bedeuten konnte. Einer der Männer schrie auf, als vom Bug her ein Knall zu hören war, doch der stammte von einer einzelnen Welle, die plötzlich aufgetaucht war. Tjolders Name stahl sich über Bjarnis Lippen. Keiner an Bord hatte sich zu dem neuen Gott bekehrt, weshalb sie aus dieser Richtung wohl kaum Hilfe erwarten konnten.

Der Tag wich der Nacht und sie wußten nicht mehr, in welche Richtung sie getrieben wurden. Einer der Männer hatte vom Meermann gehört, der angeblich über das Meer vor Grönland herrschte, einem riesigen menschenähnlichen Troll, der einen spitzen Helm auf dem Kopf trug. Einige von den anderen baten ihn, dieses Thema fallenzulassen, und eine Zeitlang schwiegen alle. Wie ein Gespensterschiff glitt die Knorre weiter über das Nebelmeer. Waren sie unterwegs zum Ginnungagap, dem Urraum, dem wilden Wasserfall, an dem die Welt endete? Oder würden sie durch dieses Schattenland treiben müssen, bis Hunger und Durst sie ums Leben brachten?

Ein neuer Tag. Bjarni war in eine Art Halbschlaf versunken, als die Stille von einem Aufschrei zerrissen wurde: Sonne!

Alle starrten in dieselbe Richtung. Dann durchbohrte ein Sonnenstrahl die Nebeldecke, dann noch einer ... und noch einer, bis endlich am Osthimmel die Sonne zu sehen war. Dann kam der Wind, und der Mißmut der Männer verdunstete mit dem Nebel.

Sie segelten den ganzen Tag und die ganze Nacht. Als der neue Tag graute, rief einer der Männer: Land! Alle fuhren herum. Der Rufende stand mittschiffs auf der Backbordseite und hatte die Hand ausgestreckt. Jetzt sah auch Bjarni einen Landstreifen, der sich vage am westlichen Horizont abzeichnete.

»Soll ich den Kurs ändern?«

Diese Frage hatte der Rudergänger gestellt.

Bjarni dachte nach und sagte dann: »Ich rate dazu, dicht an das Land zu segeln. «

Sie änderten den Kurs und näherten sich dem Land.

»Ist das Grönland, Bjarni?«

Der Mann, der diese Frage stellte, starrte eifrig auf die fremde Küste. Als keine Antwort kam, fragte er noch einmal. »Kann das Grönland sein?«

Bjarni schüttelte den Kopf. Dieses Land war nicht gebirgig, wie die Isländer Grönland geschildert hatten. Es war mit Wald bedeckt, und so weit das Auge reichte, sahen sie sanfte Hügelketten.

Dann verschwand diese Küste hinter ihnen, doch am nächsten Tag sahen sie neues Land. Die Männer wurden jetzt ungeduldig, und als sie sich dem Land näherten, fragten sie immer wieder: »Ist das Grönland, Bjarni?« Bjarni gab zur Antwort: »Ich glaube nicht, daß das hier Grönland ist, ebenso wenig wie das Land von gestern. Angeblich gibt es auf Grönland viele hohe Gletscher«. Und alle konnten ja sehen, daß diese Küste flach und bewaldet war.

Die Männer waren des Schiffes nach der langen Überfahrt langsam überdrüssig und sehnten sich danach, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Einige schlugen vor, an Land zu gehen. »Wir brauchen Holz und Wasser«, klagten sie.

Aber Bjarni war auf diesem Ohr taub. »Ihr seid für solche Unternehmungen nicht gerüstet«, sagte er und ließ sie Segel setzen.

Einige der jüngeren Männer murrten und einzelne widersprachen ganz offen, doch Bjarni ließ sich nicht beirren. Sie kehrten dem Land das Heck zu und segelten mit dem Südwestwind. Bald war die fremde Küste hinter ihnen im Meer versunken.

Drei Tage und drei Nächte vergingen. Die erschöpften Männer in dem offenen Holzboot faßten neuen Mut, als sich vor dem Westhimmel abermals Land abzeichnete. Dieses Land wies viele Berge und Gletscher auf. Und da mußte es sich doch um Grönland handeln?

Aber Bjarni rechnete damit, die grönländische Küste im Osten zu sehen, und deshalb sagte er: »Nein, wir fahren weiter. Dieses Land kommt mir ganz und gar unfruchtbar vor. «

Sie holten die Segel nicht ein, sondern fuhren an der Küste entlang und stellten fest, daß es sich bei diesem neuen Land um eine Insel handelte. Danach befahl Bjarni, ein weiteres Mal auf das offene Meer zuzuhalten. Diesmal mit Kurs nach Süden.

Nach einiger Zeit wurde der Wind wieder stärker, und Bjarni bat die Männer, die Segel zu reffen und nicht schärfer zu segeln, als Schiff und Geräte ertragen könnten. Erst nach vier weiteren Tagen und Nächten sahen sie wieder Land.

»Glaubst du, das ist Grönland, Bjarni?«

Die Männer starrten sehnsüchtig auf den Landstreifen im Osten und ihre Erleichterung war groß, als Bjarni antwortete: »Es hat Ähnlichkeit damit, was mir über Grönland erzählt worden ist, und deshalb werden wir hier an Land gehen.«

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