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Eirik der Rote entdeckt Grönland

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Eirik der Rote war außer sich vor Wut. Eyolf Saur hatte mehrere seiner Leibeigenen getötet, und kein Ehrenmann könnte die Motive für diese brutale Tat gutheißen. Die Leibeigenen hatten angeblich auf dem Hof von Valthjof, einem Verwandten Eyolfs, eine Lawine ausgelöst, aber war das noch lange kein Grund, sie wie Vieh abzuschlachten. Auf Island kam man nur schwer an neue Sklaven, und sie aus dem Ausland einzuführen, kostete ein Vermögen.

Eirik schwor Rache und brachte bald darauf Eyolf und Valthjofs Gefolgsmann Holmgang-Ravn um. Damit war die Schmach gerächt.

Eirik und seine Familie waren für ihr hitziges Temperament bekannt. Ihre Untaten waren Schuld daran, daß sie auf diesem Außenposten weit oben im westlichen Meer gelandet waren. Die Sagas berichten nicht viel darüber, aber Eirik und sein Vater Thorvald waren einige Jahrzehnte vor der Jahrtausendwende in einen Mord im westnorwegischen Jæren verwickelt gewesen und nach Island geflohen, um sich der Rache zu entziehen. Sie ließen sich in Drangar nieder und hausten dort bis zu Thorvalds Tod. Dann heiratete Eirik Thjodhild und zusammen reisten sie südwärts ins Haukatal, wo sie sich niederließen und Land urbar machten.

Eirik der Rote fühlte sich wohl auf Island, und eigentlich hätten er und Thjodhild sich dort in Sicherheit fühlen können. Sie bekamen drei Söhne. Den ersten nannten sie Leif, und er sollte später als erster Europäer Amerika betreten.

Während der ersten Neusiedlerzeit auf Island gab es keine Gesetze und keine Institutionen, um Konflikte zu lösen, die zwischen den Siedlern entstanden. Es galt das Prinzip Auge um Auge und Zahn um Zahn. Es galt als schmähliches Verbrechen, die Ehre eines anderen Mannes herauszufordern, und wer fürchtete, das Gesicht verloren zu haben, wurde oft zum Mörder.

In dieser Neusiedlergesellschaft, in der Gesetzlosigkeit herrschte und wo die Gefahren hinter jedem Berg und jeder Landzunge auf der Lauer lagen, konnten nur Sippe und Gefährten für Geborgenheit sorgen. Je mehr Verwandte und Freunde man hatte, um so besser stand man da, wenn eine Sippenfehde ausgerufen wurde. Die Pflicht, einen Verwandten zu rächen, kam seiner Sippe zu, und eine Sippe konnte sehr groß sein. Oft bestand enger Kontakt zu Verwandten bis zum siebten und achten Verwandtschaftsgrad.

Aber Eirik hätte eine andere Lösung finden können, als Eyolf Saur und Holmgang-Ravn zu erschlagen. Denn obwohl Island damals noch keine eigene Nation war, waren dort doch Gesetze erlassen und Gerichtshöfe eingesetzt worden, die dann eingreifen sollten, wenn die Inselbewohner ihre Konflikte nicht selber lösen konnten.

Es fing damit an, daß der Neusiedler Ulvljot nach Norwegen geschickt wurde, um sich über die norwegischen Gesetze zu informieren. Nach seiner Heimkehr wurden beim ersten isländischen Allting 930 die Ulvljots-Gesetze angenommen. Zugleich wurden eine gesetzgebende Versammlung einberufen, das sogenannte Lagrett, und ein gemeinsamer Gerichtshof geschaffen.

Doch Freunde und Verwandte blieben weiterhin wichtig, denn es gab keine Institution, die die Urteile durchsetzen konnte. Der Gerichtshof konnte einem Kläger Recht geben, doch sich das Recht zu verschaffen, war weiterhin Aufgabe des Klägers. Aus diesen Gründen war Island zur Zeit Eiriks des Roten weiterhin geprägt von blutigen Sippenfehden.

Sowohl Eyolf als auch Eirik hatten sich über Recht und Gesetz hinweggesetzt, doch Eyolfs Verwandte beschlossen, diesmal den Gerichtsweg zu gehen. Eirik wurde des Mordes an Eyolf und Holmgang-Ravn für schuldig befunden und mußte deshalb das Haukatal verlassen. Er und seine Familie zogen nach Westen und ließen sich in Öksney am Breiðafjord nieder.

Vor seinem Aufbruch jedoch verlieh Eirik seine Bankbretter noch an einen gewissen Thorgest, was zu neuen Streitigkeiten führte, bei denen Eirik im Mittelpunkt stand. Nach einiger Zeit wollte Eirik seine Bretter zurückhaben, doch Thorgest wollte sie nicht mehr herausgeben. Eirik zog mit seinen Männern zu Thorgests Hof und holte sich die Bretter mit Gewalt. Thorgest und dessen Leute setzten ihnen nach und wieder endete die Sache mit einem Blutbad. Zwei von Thorgests Söhnen wurden ermordet und mehrere andere Teilnehmer an der Schlägerei erlitten dasselbe Schicksal.

Es sind oft Kleinigkeiten, die den Lauf der Geschichte ändern – in diesem Fall einige Bankbretter, Bretter also, die vor die Bank gelegt wurden, die im Haupthaus eines altnordischen Hofes an der Wand entlanglief. Da die Bankbretter, um die es hier geht, die Gemüter dermaßen in Erregung versetzen konnten, müssen wir annehmen, daß es sich um ganz besonders schön geschnitzte Exemplare handelte.

Thorgest hatte danach offenbar genug vom Blutvergießen und brachte den Fall vor das Ting. Die Sache endete damit, daß Eirik und seine Männer für vogelfrei erklärt wurden. Das bedeutete, daß sie ihr Eigentum verloren und daß wer immer wollte sie töten durfte, ohne Strafe befürchten zu müssen. Wer ihnen half oder ihnen Unterkunft gewährte, galt danach ebenfalls als vogelfrei.

Es war ein hartes Urteil und Eirik wußte, daß Thorgest ihn überall in Island suchen ließ. Er mußte Island also verlassen, wenn ihm sein Leben lieb war, und er versteckte sich bei seinem Freund Eyolf auf Sviney, während in aller Heimlichkeit sein Schiff seefest gemacht wurde.

»Ich will die Gunnbjörnsschären finden«, vertraute er Eyolf an. »Wenn mir das gelingt, komme ich zurück.«

Eirik bezog sich auf einige Inseln, die Gunnbjörn Ulvssohn einige Jahre zuvor entdeckt hatte, als er den Kurs verloren hatte und nach Westen getrieben worden war. Vermutlich handelte es sich dabei um Inseln in der vor der grönländischen Südküste gelegenen und heute Ammassalik genannten Gegend.

Als das Schiff bereit war, hißten sie die Segel und hielten Kurs nach Norden. Einige von Eiriks Freunden begleiteten ihn bis hinter die Inseln vor Eiriksvåg. Als sie sich trennten, sagte Eirik: »Ich werde euch eine ebenso große Hilfe sein, wenn ich eine Gelegenheit dazu finde und ihr mich brauchen solltet.«

Eirik fand, wonach er suchte, ein Stück Land, das er Midjøkel nannte. Er segelte Richtung Süden an der Küste des neuen Landes entlang und untersuchte, ob es bewohnbar war.

Den ersten Winter verbrachten Eirik und seine Männer auf einer Insel vor der grönländischen Südküste. Das Land war kalt – ein großer Gletscher bedeckte damals große Teile des Binnenlandes. Doch an den Fjorden herrschte ein milderes Klima, und hier gab es ausgedehnte Weidegründe. Die Insel kam denen, die im Sommer vom offenen Meer aus auf sie zuhielten, wirklich grün vor.

Als der Frühling kam, segelten Eirik und seine Männer um die Südspitze des neuen Landes herum und fanden einen geeigneten Wohnplatz an einem Fjord, den sie Eiriksfjord nannten. Es war sehr schön dort, ein Grasteppich breitete sich zu Füßen des schneebedeckten Berges aus und erstreckte sich hinunter bis zum Fjord. Das Wasser war dunkel und tief und verbarg große Fischbestände. Hier war es möglich, sich niederzulassen und zu leben.

Das Wetter wurde wärmer und Eirik segelte ein Stück weit die Westküste hinunter. Unterwegs gab er den Orten, die sie passierten, Namen. Später erforschte er die Küste bis hinauf zum Snæfellsjökull im Norden. Den dritten Winter verbrachte er auf Eiriksinsel in der Mündung des Eiriksfjordes, und als dann der Sommer kam, kehrten sie nach Island zurück.

Die Sagas berichten, daß Eirik das neue Land Grönland nannte, um durch diesen schönen Namen neue Siedler anzulocken. Aber das muß nicht die zutreffende Erklärung sein. Anderen Quellen zufolge hat bereits 831 Papst Gregor in einem Brief an Ansgar, den Apostel des Nordens, der damals als päpstlicher Nuntius für die nordischen Länder fungierte, den Begriff »Groenlandia« benutzt. In diesem Brief teilt der Papst mit, Groenlandia solle dem Bistum Hamburg unterstellt werden. Wenn das zutrifft, dann waren vermutlich schon lange vor Eirik dem Roten Europäer auf Grönland.

Doch Eirik und seine Männer fanden bei ihrer Ankunft in Grönland weder Menschen noch Siedlungen vor – sie fanden nur Spuren der Inuit, die viel früher dort eingewandert waren. Die Vorfahren der heutigen Inuit, das Thule-Volk, erreichten die nordgrönländische Küste ungefähr zur selben Zeit, als Eirik der Rote sich im südlichen Teil des Landes niederließ. Das Thule-Volk kam aus Alaska, und die nordischen Siedler trafen sie später jedes Jahr auf der Jagd in einem Gebiet, das sie Norðrseta nannten, und das vermutlich in der Nähe der Diskobucht an der grönländischen Westküste gelegen hat.

Eirik besaß keinen Hof mehr auf Island, konnte aber den Winter bei Ingolf auf Holmlåt verbringen. Als der Frühling kam, wollte er mit Thorgest abrechnen. Es kam zum Kampf, Eirik wurde besiegt, kam jedoch mit dem Leben davon. Nach diesem Kampf, so heißt es, haben die beiden dann Frieden geschlossen.

Doch Eirik hatte nicht vor, auf Island zu bleiben. Er wollte zu den reichen Weidegründen am Eiriksfjord zurückkehren und er fuhr nicht allein. Insgesamt stachen in diesem Sommer fünfundzwanzig Schiffe von Island aus in westlicher Richtung in See. Vielleicht hatten sich bis zu dreihundert Menschen von Eiriks wunderschönen Beschreibungen von Grönland verlocken lassen. Sie mußten alles mitbringen, was sie im neuen Land für ihren Lebensunterhalt brauchten – Ziegen und Kühe, Pferde, Schweine und Proviant.

Die isländischen Neusiedler begaben sich auf eine gefährliche Reise, und das war ihnen auch bewußt. Im »Königsspiegel«1 wird vor vielen Gefahren im gröndländischen Meer gewarnt. Die nordischen Seeleute waren angeblich dort auf einen Troll gestoßen, den sie havstramb nannten, den Meermann. Es handelte sich um einen riesigen Seetroll, der vor hohem Wellengang und harten Stürmen senkrecht aus dem Wasser auftauchte. Er hatte Schultern, Hals und Kopf eines Mannes, sein Unterleib jedoch wurde von seinen Hüften abwärts immer schmaler. Die einen behaupteten, das Ungeheuer habe einen Fischschwanz, die anderen wollten wissen, daß sein Körper unten spitz zulaufe wie ein Pfahl.

Andere Seefahrer wollten auf margyger gestoßen sein, die im »Königsspiegel« als Meerfrauen beschrieben werden: »Sie waren vom Gürtel nach oben beschaffen wie Frauenzimmer, denn sie hatten große Brustwarzen wie eine Frau, dazu lange Arme und lange Haare, und Hals und Kopf waren in jeglicher Hinsicht denen der Menschen gleich. Die Hände dieses Trollwesens schienen groß zu sein, doch ihre Finger konnten sie nicht trennen, sie waren verbunden durch eine Art Schwimmhaut, wie sie zwischen den Zehen der Seevögel sitzt. Unterhalb des Gürtels sahen diese Wesen aus wie Fische, mit Schuppen, Fischschwanz und Flossen.«

Diese Variante der Meerfrauen hat sich angeblich so verhalten wie der Meermann und ist fast nur vor großen Stürmen aufgetaucht.

Der »Königsspiegel« beschreibt auch die havgjerdinger, die »aussehen wie alle Meeresstürme und alle Wellen, die es in diesem Meer gibt, sie treffen sich an drei Stellen, und dabei entstehen drei Wellen. Diese drei sperren das ganze Meer ab, die Menschen sehen nirgendwo eine Öffnung, und sie sind höher als große Berge und ähneln meist steilen, spitzen Berggipfeln«.

Wir wissen nicht, ob Eirik der Rote und die anderen Auswanderer sich diesen Wesen stellen mußten. Wir wissen aber, daß nur vierzehn Schiffe Grönland erreichten, die anderen erlitten Schiffbruch oder mußten umkehren. Doch die, die Grönlands Küsten erreichten, fanden, was sie gesucht hatten – saftige Weiden, Fjorde voller Kabeljau, Flüsse und Seen reich an Saibling, zeitweise wimmelte es nur so von Vögeln und in Eiriks Land gab es mehr Wild, als sie zu träumen gewagt hatten: Wal, Seehund, Walroß, Rentier und Eisbär. Die Walroßjagd gewann schließlich große Bedeutung – die langen Walroßzähne waren in Europa ebenso begehrt wie Elfenbein und aus der Haut stellten die Siedler Schiffstrossen von hoher Qualität her.

Grönlands neuer Bevölkerung fehlte es nur an einem, nämlich an Holz. Schon damals gab es auf Grönland keine Wälder, nur Weidengestrüpp und vereinzelte Birken, weshalb sie ihre Häuser aus Steinen und Grassoden bauen mußten. Holz für Dachstühle und Pfosten lieferte ihnen vermutlich Treibholz, das an den Stränden angeschwemmt wurde. Der einzige Brennstoff, den sie hatten, war ebenfalls Treibholz, das sie auf ihren Jagdausflügen entlang der Küste sammelten.

Sie ließen sich in der Ostsiedlung im Süden und in der Westsiedlung im weiter nördlich gelegenen Fjordgebiet nieder. Die Siedler wollten am liebsten im Fjordinneren wohnen. Dort herrschte ein milderes Klima als am offenen Meer und es gab die besten Weidegründe. Doch nicht alle dachten so. Einige siedelten sich trotzdem an der Küste an, und auch oben unter dem Eis im Binnenland sind Hausruinen gefunden worden.

In den folgenden Jahren stieg die Bevölkerung an, bis schließlich zwischen dreitausend und sechstausend nordische Siedler dort hausten, verteilt auf etwa dreihundert Gehöfte. Dänische Archäologen haben Überreste von fast all diesen Höfen und außerdem die Ruinen von neunzehn Kirchen und zwei Klöstern gefunden.

Auch Brattahlið, der Hof Eiriks des Roten, und die Kirche, die Thjodhild der Saga nach errichten ließ, nachdem sie sich zum Christentum bekehrt hatte, sind von Archäologen entdeckt worden. Auf dem Friedhof wurden hundertvierundvierzig Skelette gefunden, weshalb wir wissen, daß die nordischen Grönländer gesund und stark waren und für die damalige Zeit auf Grönland offenbar auch ein gutes Leben führten. Ihre Zähne waren arg strapaziert, wiesen aber keine Spuren von Karies auf, und die Männer waren kräftig gebaut und hatten gutentwickelte Muskeln. Die höchste Lebenserwartung lag damals für Männer und Frauen bei etwa fünfzig Jahren, was der allgemeinen Lebenserwartung der nordischen Bevölkerung Skandinaviens jener Zeit entsprach.

Vom Grönland war es nicht weit nach Amerika. Die Davis-Straße, die Grönland und den amerikanischen Kontinent trennt, mißt an ihrer schmalsten Stelle nur zweihundertfünfzig Seemeilen, was für die nordischen Seeleute, die die mindestens fünfzehnhundert Seemeilen lange Überfahrt von Grönland nach Norwegen gewohnt waren, wirklich keine große Herausforderung bedeutete.

Doch ehe Bjarni Herjolfssohn auf dem Weg nach Grönland vom Kurs abgekommen war, wußte in Europa offenbar niemand, daß es noch weiter im Westen ebenfalls Land gab.

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