Читать книгу Wikinger - Die Entdecker Amerikas - Knut Lindh - Страница 8
Leif Eirikssohn
ОглавлениеDas breite Handelsschiff gleitet langsam in den Eiriksfjord. Die Menschen an Land, im Fjordinneren, beobachten es schon, seit es um die Landzunge gebogen ist. Ein untersetzter Mann mit üppigem kohlschwarzen Bart steht am Bug. Als das Schiff das Land fast erreicht hat, wirft er die Trosse einem bereitstehenden Knaben zu.
Ein Handelsschiff aus Norwegen! Darauf haben sie den ganzen Sommer gewartet und die Hoffnung fast schon aufgegeben. Ihr letzter Kontakt mit dem Festland liegt schon nahezu zwei Jahre zurück. Im Vorjahr hat einmal ein isländisches Schiff eine Ladung Korn und Salz gebracht, doch es stach schon zwei Tage später wieder in See, voll beladen mit Walroßzähnen und Fuchs- und Eisbärfellen. Die Waren sollten auf den Märkten weiter südlich in Europa verkauft werden und das Schiff mußte vor Einsetzen der Herbststürme Dänemark erreichen.
Es fällt nicht schwer, sich den jungen Leif vorzustellen, wie er über den Anlegesteg unterhalb von Brattahlið läuft, eifrig bestrebt, Gerüche und Eindrücke aus einer Welt jenseits der Polarinsel in sich aufzusaugen. Sein Vater ist der Neusiedler schlechthin, eine mächtige Person auf Grönland, und wenn Reisende am Eiriksfjord eintreffen ist er derjenige, der bereitsteht, um sie zu empfangen und ihnen Unterkunft zu gewähren.
Worüber sprechen sie wohl am Feuer im Haupthaus des Gehöfts, die nordischen Grönländer und die Kaufleute, die zu Besuch gekommen sind? Sie tauschen Neuigkeiten aus, wie die Menschen das zu allen Zeiten getan haben. Vielleicht erzählt Eirik der Rote von dem reichen Kabeljaufang und den vielen Walrössern, die sie im vergangenen Winter in Norðrseta erlegt haben. Die Weitgereisten berichten von der Christianisierung Islands und davon, wie die grönländischen Waren in den Ländern im Süden aufgenommen werden. Sie erzählen, daß Schiffstrosse aus grönländischer Walroßhaut noch in Spanien verwendet werden, und daß die weißen Falken, die sie bei ihrem letzten Besuch mitgenommen haben, für schwindelerregende Summen an arabische Scheichs veräußert werden konnten.
Leif und seine Geschwister sitzen im Schatten hinter dem Feuer und lauschen. Das hier ist ihre Märchenstunde. Vielleicht hat der Sohn des Neusiedlers schon an der Walroßjagd bei Norðrseta teilgenommen oder die weißen Falken gefangen, die in den warmen Ländern so begehrt sind. Die reiche Tierwelt seiner Heimat ist ein Teil seines Lebens. Schon mehrere Male hat er große Wildrenherden von der Küste durch die Berge ziehen sehen, und Brattahlið wird von Wölfen und Eisbären besucht, weshalb er längst gelernt hat, Achtung vor diesen gefährlichen Tieren zu haben.
Walfang ist nichts für Kinder. Leif hat am Strand gestanden und seinen Vater und dessen Männer mit den riesigen Meeressäugern im Schlepp an Land kommen sehen. Aber am Kabeljaufang darf er sich bereits beteiligen. Manchmal stehen die Fische im Eiriksfjord so dicht, daß sie schon beißen, wenn die Schnur noch nicht ganz im Wasser hängt, und die Flüsse und Seen im Binnenland wimmeln nur so von Saiblingen, die nie gelernt haben, sich vor den Ködern in Acht zu nehmen, die die Grönländer an ihren Haken aus Knochenstücken befestigen.
Die Reisenden finden eine gut organisierte Gemeinschaft vor. Das Haus Eiriks des Roten ist nicht schlechter eingerichtet, als sie es von zu Hause her gewohnt sind. Es ist aus Stein errichtet und mit soliden Wällen aus Grassoden umgeben, die die Kälte aussperren. Das Haus ist lang und rechteckig und hat mehrere Feuerstellen. Eine liegt an der Längswand gegenüber der Tür, und an dieser Feuerstelle sitzen an diesem Abend Eirik, seine Familie und die Kaufleute.
Die Gastfreundschaft ist groß und die Besucher werden mit Rentierfleisch, Seehund, Schneehuhn und Hase traktiert. Zu trinken gibt es skýr, eine Art Quark aus Schafsmilch, der in großen Holzschüsseln aufgetischt wird. Den Gästen wird ungesalzene Butter und Käse angeboten und am Ende gibt es den größten Luxus des Landes – Brot. Auf Brattahlið ist vereinzelt versucht worden Getreide anzubauen, viel dabei herausgekommen ist jedoch nicht. In guten Sommern wächst manchmal im geschützten Teil der Bucht Hafer, aber eine große Ernte ist dabei nicht zu erwarten. Klima und Erdreich sorgen nicht für die nötige Nahrung und nur die Reichsten können sich einige Säcke Mehl kaufen, wenn die Handelsschiffe aus Island und Norwegen vor Anker liegen.
Thjodhild und zwei leibeigene Frauen sind die ganze Zeit am Werk und sorgen für das Wohlbefinden der Gäste. Die Frauen auf Grönland sind an harte Arbeit gewöhnt. Sie bereiten das Essen zu, hüten die Kinder und bessern Kleidungsstücke und Segel aus. Sie spinnen und weben alle Stoffe selbst, sie nähen Stiefel aus Seehundsfell und Wintermäntel aus Rentierfell. Außerdem melken sie die Kühe, buttern und stellen Käse her.
Die Männer liegen allerdings auch nicht auf der faulen Haut. Sie bringen Lebensmittel ins Haus, und wenn sie nicht fischen oder jagen, stellen sie Werkzeuge und Waffen her. Sie gewinnen Eisen aus Erz und schmieden Äxte, Messer, Sensen, Schafscheren, Speere und Pfeilspitzen. Sie haben auch Vorkommen von Speckstein gefunden und verarbeiten diesen zu Töpfen, Kannen, Tranlampen, Schüsseln, Spinnwirteln2 und Webstuhlgewichten.
Große Teile des Sommers werden zum Sammeln von Futter für die Tiere genutzt. Der Winter ist lang und die Kühe müssen in der Regel neun Monate im Stall stehen. Deshalb muß während des kurzen Sommers Futter genug ins Haus geschafft werden.
Frauen und Männer sammeln gemeinsam Treibholz. An den Stränden unterhalb Brattahliðs wird nicht viel angeschwemmt, reichere Beute ist an der Fjordmündung und an der Küste zu finden. Doch Thjodhild sieht, daß sie jeden Tag mehr Holz verbrauchen, als am Strand zu finden ist, und das macht ihr Sorgen.
In dieser Nacht wird nicht viel geschlafen. Sie dürfen ihre Zeit nicht vergeuden, wo sie jetzt endlich einmal Besuch aus Norwegen haben. Vielleicht erzählen sie den Gästen von dem Land im Westen, das Bjarni Herjolfssohn einige Jahre zuvor entdeckt hat? Die Gäste lauschen und staunen. Ist es denn wirklich möglich, daß es dort draußen ein Land gibt, von dem sie noch nie gehört haben? Und warum ist dieser Bjarni nicht an Land gegangen, um sich genauer umzusehen?
Leif hört zu. Viele haben Bjarni seinen Mangel an Wissensdurst vorgeworfen, der ihn von einem Landgang abgehalten hat, und Leif stimmt ihnen zu. Doch niemand auf Grönland bezweifelt, daß Bjarni die Wahrheit sagt, wenn er von diesem Land im Westen erzählt. Er ist ein solider und wahrheitsliebender Kaufmann und hat keinen Grund, Lügen zu verbreiten.
Vielleicht wußten die Grönländer auch, daß Bjarnis Geschichte zutraf, da sie selber das Land auf der anderen Seite des Meeres gesehen hatten – bei gutem Wetter ist es nämlich möglich, von der grönländischen Westküste aus die hohen schneebedeckten Gipfel von Baffin Island zu erkennen.
Wir wissen wenig über Leifs Kindheit und Jugend. Er ist ein erwachsener Mann, als er zum ersten Mal in der Saga Eiriks des Roten erwähnt wird. »Leif war nach Norwegen gesegelt und wohnte dort bei Olav Tryggvassohn. Doch als Leif im Sommer Grönland verließ, wurden sie zu den Hebriden abgetrieben. Sie konnten erst nach langer Zeit wieder loskommen, verbrachten dort also einen Großteil des Sommers.«
Dann wird ausführlich dargestellt, wie Leif sich in eine Frau verliebte, die von hoher Geburt war und Thorgunna hieß. Doch Leif stellte fest, daß sie auch eine begabte Zauberin war, und als sie ihn auf seiner Weiterreise begleiten wollte, war er deshalb skeptisch.
»Leif fragte, ob ihre Verwandten diese Reise denn gestatten würden. Sie erwiderte, das habe nichts mit der Sache zu tun. Leif sagte, er könne keine Frau von hoher Geburt aus einem fremden Land entführen, denn »wir sind nur wenige Männer.« Thorgunna sagte: »Es ist nicht sicher, ob deine Entscheidung so weise ist, wie du glaubst.« – »Das muß ich riskieren«, sagte Leif. »Dann sage ich dir«, erklärte Thorgunna, »daß ich nicht allein bin, denn ich erwarte ein Kind und das ist deine Schuld. Ich gehe davon aus, daß ich einen Sohn gebären werde, wenn es soweit ist. Und obwohl dich das nicht weiter kümmert, werde ich den Knaben aufziehen und zu dir nach Grönland schicken, sobald er zusammen mit anderen Männern auf Fahrt gehen kann. Aber ich sehe voraus, daß dieser Sohn dir genauso viel Nutzen bringen wird wie ich, so, wie wir uns jetzt trennen. Und ich werde nach Grönland gelangen, ehe ich sterben muß.«
Der Saga zufolge setzte Thorgunna ihre Drohung in die Tat um und schickte den Sohn, den sie Thorgils genannt hatte, später nach Grönland. Leif hat ihn angeblich gut aufgenommen und sich zu seiner Vaterschaft bekannt, doch danach wird Thorgils nicht wieder erwähnt.
In der Saga Eiriks des Roten heißt es dann, Leif habe Thorgunna auf den Hebriden verlassen und sei im Herbst in Norwegen eingetroffen. Dort wurde er in die Leibgarde des Königs, Olav Tryggvassohns, eingegliedert, der dem jungen Grönländer große Achtung entgegenbrachte. Einmal soll der König gefragt haben: »Hast du vor, im Sommer nach Grönland zu segeln?« Leif erwidert: »Das werde ich tun, wenn es Euer Wunsch ist.« Der König sagt: »Ich glaube, es wäre gut so. Du sollst in meinem Auftrag fahren und Grönland das Christentum bringen.«
Leif sagt, er werde es versuchen, doch daß dies auf Grönland möglicherweise nicht leicht sein werde. Doch der König sagt, er wisse niemanden, der für diese Aufgabe besser geeignet sei als Leif. »Das Glück wird dich begleiten«, sagt der König. »Dann müßte es so sein, daß Euer Glück auch mir zur Seite steht«, erwidert Leif.
Leif verläßt Norwegen im Frühling und erreicht schließlich auch den Eiriksfjord, doch vorher kommt er vom Kurs ab und findet ein Land, von dem er vorher nichts gewußt hat. Dort wachsen auch Weizen und Reben, die sich selbst gesät haben. Außerdem gibt es Bäume von der Art, die masur genannt wird, und sie nehmen einige Proben mit.
Die Saga berichtet auch, daß Leif auf dem Rückweg nach Grönland einige Männer in einem Schiffswrack findet. Er nimmt sie an Bord und läßt sie den Winter über bei sich wohnen. »Auf diese Weise zeigte er Großmut und guten Willen: er brachte das Christentum ins Land und rettete diese Männer, und deshalb wurde er Leif der Glückliche genannt.«
Wir müssen uns der Grönlandsaga zuwenden, um mehr über Leif Eirikssohns Entdeckung von Vinland zu erfahren, denn in der Saga Eiriks des Roten steht nur, was hier bereits erzählt worden ist. Viele Historiker halten deshalb diesen Teil der Saga Eiriks des Roten für die pure Räuberpistole, die vermutlich ein Geistlicher zweihundert Jahre nach Leif Eirikssohns Landgang in Nordamerika geschrieben hat und die vor allem klarstellen soll, daß die Ehre für die Christianisierung Grönlands Olav Tryggvassohn zukommt.
In der Saga Eiriks des Roten wird die Entdeckung Vinlands nur kurz erwähnt, dann kommt wieder das Hauptthema zur Sprache: die Christianisierung Grönlands. Wir lesen, daß Leif bei seiner Heimkehr nach Brattahlið freundlich aufgenommen wurde und sogleich zur Tat schritt: »Er verkündete das Christentum und den allgemeinen Glauben im Land, zeigte den Menschen König Olav Tryggvassohns Botschaft und erzählte, wieviel Ehre und Herrlichkeit mit den neuen Sitten einhergehe.«
Eirik der Rote scheint sich von seinem alten Glauben nur ungern getrennt zu haben. Thjodhild dagegen bekehrte sich sofort und ließ in Brattahlið eine Kirche errichten, die Thjodhildskirche genannt wurde. Hier trafen sie und die anderen Frischbekehrten sich zum Gebet, das berichtet die Saga, die außerdem erzählen kann, daß Thjodhild nach ihrer Bekehrung ihre ehelichen Beziehungen zu Eirik einstellte, was dem Ehemann natürlich nicht besonders behagte.
Die Saga Eiriks des Roten berichtet weiter, daß Leifs Bruder Thorstein den Versuch unternahm, im Westen Land zu finden, doch daß er und seine Männer vom Kurs abkamen und unmittelbar vor Einbruch des Winters zum Eiriksfjord zurückkehrten. Erst einige Zeit später wurde abermals nach diesem Land im Westen gesucht. Ein Grönländer namens Thorfinn Karlsefni hatte Erfolg und gilt seither als Gründer der ersten nordischen Siedlung in Vinland. Leifs Name wird in diesem Teil der Saga kaum erwähnt.