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Kapitel 3 (Feuertaufe)
ОглавлениеDie Situation spitzt sich zu, als am 16. April in den ersten Morgenstunden ganze Minensätze hochgehen, die - das vermutet man zumindest - von den ersten Angriffsspitzen der russischen oder polnischen Armee ausgelöst worden sind. Diese Detonationen sind der Startschuss zum Kampf um das östliche Spreeland bei Bautzen. Russen und Polen durchdringen das Gebiet vor uns und rücken immer näher auf uns zu. Panzermotoren sowie Artillerie sind bereits von weit her zu hören.
Kurze Zeit später krachen bereits die ersten Geschosse vor uns nieder und reißen ganze Schneisen in die dichte Bewaldung. Wir werden derart heftig unter Feuer genommen, dass wir am liebsten unter die Erde kriechen möchten. Trotz der ganzen Minen und des erbitterten Gegenfeuers unserer Flakbatterien kann der Feind, auch unter großen Verlusten, an mehreren Stellen durchsickern. Sie lassen einige, strategisch weniger wichtige Verteidigungsstellen eingegrabener Infanterie-Einheiten quasi links liegen. So werden regelrechte Inseln gebildet, auf denen man die verbliebenen Einheiten dann einfach vom Rest der Truppe abschneidet.
Unsere Gegenwehr aber fügt den gegnerischen Verbänden hohe Verluste zu. Die Mündungsrohre der Maschinengewehre kotzen fast pausenlos. Sie glühen regelrecht! Es gibt dabei viele Rohrkrepierer und Blockaden. Solch eine MG-42 kann Leiber und Holz durchsägen, als wären sie aus Butter. Grauenhaft! Reihenweise fallen die Angriffswellen des Gegners in den Morast vor unseren Behelfsgräben. Granaten, die in die in die trübe Brühe klatschen und dabei die Deckungen um uns hinfort reißen. „Als würde man in einen Ameisenhaufen schießen!“ flucht einer, zieht seinen Finger durch, hält einfach blind drauf. Die Geschosse fliegen kreuz und quer, sausen messerscharf über uns hinweg.
Man hört ihre Schreie, ihr verzweifeltes Gejammer, das aber nichts nützt. Man will sich am liebsten in einer Ecke verkriechen und sich nur die Ohren zuhalten.
Bald schon erweist sich die Masse des Gegners als übermächtig.Wir werden vom gegnerischen Feuer regelrecht überschüttet. Dutzende von dunklen Gestalten, die schreiend aus allen Richtungen auf uns zu stürmen. Ich kann nicht mehr unterscheiden, wer ist denn der Feind und wer von den Unseren? Ich bin nicht fähig zu denken, geschweige denn, überhaupt eine Entscheidung zu treffen, die mir just im Moment helfen könnte. Also lasse ich mich fallen und drücke mich in den Schlamm. Ich bin auch nicht mehr fähig, nach meiner Waffe zu greifen, will es auch nicht.
Über mir donnert es, rummst, zerbirst, splittert, knallt und rasselt. Mir ist dennoch klar, dass ich hier nicht weiter einfach so im Dreck liegen kann. So muss ich, ob ich denn will oder nicht, mich an die Kandare nehmen und versuchen, mich aus dieser beschissenen Lage herauszubringen.
Langsam schiebe ich mich übers Erdreich hin zum Graben, aus dem ich zuvor herausgesprungen bin. Gekonnt lasse ich mich über die gesplitterte Befestigung fallen und rutsche in den gerade mal ein Meter tiefen Laufgraben. Die Pumpe schlägt heftig. Der enge Kragen reibt mir an der Kehle, schneidet sich scharf in meinen Hals. Auf damit! Einmal tief Luft holen! Nachdenken!
KAWUMM! Es rauscht eine Granate nur wenige Meter vorm Laufgraben ins Erdreich. Es regnet mir die Klumpen auf den Helm. In meinen Ohren klingelt es heftig, das Glockenkonzert in Saalfeld zu Weihnachten nur rückwärts abgespielt!
„Scheiße!“ Wo sind denn alle nur? Heinz, Werner, Krahl und Dietrich? Alle Tot? Erwischt? Ich muss hier raus! Aber wie? Das Feindfeuer knallt mir dicht über die Birne. Dann aber packt mich jemand beim Koppelzeug und zerrt mich mit sich.
„Los, aufstehen, weg hier! Mach schon! Mensch! Oder willst du krepieren?“, bohrt sich eine sonore Stimme in mein Ohrenkonzert. „Was?“, schreie ich.
„Brüll hier nicht rum, lauf lieber!“ Ich kann immer noch nichts hören. Es ist mir aber glasklar, was der Kerl meint. Kugeln schlagen dicht neben uns ein. Erdfontänen vor uns, neben uns, ganze Wellen aus Geschossgarben rasieren den Bäumen die Rinde ab. Ich höre nichts, außer dieses Pfeifen das sich in immer höhere Tonlagen schraubt und nicht abklingen will. Die Druckwelle spüre ich nur kurz. Dann liege ich wieder mal auf dem feuchten Boden, der weiter durch unzählige Einschläge malträtiert wird. Mein Schädel dröhnt, alles um mich herum dreht sich wie wild. Blätter, die mir zuhauf ins Gesicht rieseln. Sanfte Tätscheleien!
Wie in Zeitlupe segeln sie auf mich herab. Träume ich? Bin ich schon tot? Wieder knallt es. Dann erneut und nochmals. Das reicht mir nun endgültig! „Reiß dich zusammen, du Hammel“, gehe ich mit mir selbst ins Gericht. Ohne mich vorher umzusehen, erbaue ich mich wieder. Nur aufstehen, die Beine in die Hand nehmen und weg hier!
Wer mich da zuerst aus dem Laufgraben zog, weiß ich immer noch nicht. Interessiert mich gerade auch nicht. Der war weg. Spurlos verschwunden, in Luft aufgelöst? Ich sehe mich nach ihm nicht mehr um.
Die Beine tragen mich noch, so renne ich irgendwohin, nur weg. So weit, wie es geht! Hinter mir erbricht sich die Feuersbrunst weiter. Im Gefecht gibt es keine Feuerpausen. Es pflügt gnadenlos weiter. Vor mir leuchtet Mündungsfeuer auf, ich kann es deutlich sehen, also gilt es nicht mir, sonst wäre ich bereits tot. Stimmt das? Ein Helm mit einem Gesicht darunter schreit lauthals in meine Richtung. Arme fuchteln, winken mich zu ihm heran. Unsere? Und ab dafür!
Mit einem Hechtsprung krache ich hinter einen umgestürzten Baumstamm. „Rübe runter!“, brüllt der Helm. Ich presse mich gegen das Erdreich und wage es nicht, auch nur einen Blick zu riskieren. Das Feuer konzentriert sich jetzt auf genau die Flanke, hinter der ich gerade Schutz gefunden habe.
„Himmel, Arsch und Zwirn, so ne Scheiße!“
„Sperrfeuer!“
Wildes Durcheinander-Gefluche, gebrüllte Verzweiflung, hoffnungsloses Befehlsgehabe!
Ich beginne zu hyperventilieren. Bekomme kaum noch Luft, hechel nur meinen Mund trocken. „Stellungswechsel!“, wird gebrüllt. Ich vernehme es wie durch eine Glasglocke.
„Los! Weg hier“, erklingt die gedämpfte Stimme erneut und geht augenblicklich in einer Feuersalve unter. Ich luge kurz über den Stamm, sehe nur schwarzen Rauch, zwischen dem es andauernd aufblitzt. Auf allen Vieren krieche ich dieser basstonen Stimme entgegen, die ich zuvor vernommen habe und mich wie magisch zu sich hinlockt. Es sind nur Umrisse zu erkennen, keine Gesichter, keine Körper, nur Umrisse, die sich für meine Augen viel zu schnell bewegen.
Langsam schärfen sich meine Klüsen wieder und ich erkenne Heinz, der hinter einem Maschinengewehr kauert und wie dem Wahn verfallen verbissen damit feuert. Ein mir bis dahin Unbekannter liegt mit ihm in der Stellung und feuert ebenfalls mit seinem Karabiner. Heinz ist es aber nicht gewesen, der gerade eben noch herum gebrüllt hat. Wer dann? Flusen im Kopf! Dieses Rätsel nimmt meinen Kopf in Beschlag, schützt mich vor dem Durchdrehen.
Das Feindfeuer nimmt immer mehr zu. Drückt uns nieder und es wird höchste Zeit, auch aus dieser Stellung zu verschwinden. Heinz feuert, was das MG hergibt, er stemmt sich mit aller Kraft dagegen, damit ihm das ratternde Ding nicht aus den Händen gleitet. „Harry, los, Rohrwechsel, schnell!“ Das Ersatzrohr liegt in Griffweite. Das heiße Rohr rutscht raus und rollt sich dampfend zu mir runter. Das Ersatzrohr reiche ich Heinz. Der platziert es in Sekundenschnelle geschickt, als hätte er die letzten Jahre nie etwas anderes getan. „Was zum Teufel?“
„Wir müssen den Lauf kühl halten, sonst überhitzt das Rohr hier auch gleich wieder! Los, Harry, schnell! Nimm deine Feldflasche und kipp da was rüber, wenn ich es dir sage!“ Ich schraube die Feldflasche auf, kippe mit zitternder Hand das Wasser übers Rohr. „Jetzt doch nicht“, zischt mich Heinz an. Das Maschinengewehr spuckt seine totbringenden Kugeln ins Gelände und ich kann diesen Anblick einfach nicht in mein Hirn bekommen. „Gurtwechsel! Neue Munition, in der Kiste hinter mir, los!“, brüllt Heinz. So schnell ich kann reagiere ich. Die Motorik funktioniert noch. Jedoch agiere ich wie in Trance. Erstaunlich, was der Körper im Stande ist zu leisten, trotz vollgeschissener Hosen.
Die erwähnte Munitionskiste liegt umgekippt in einer Bodensenke. Aus dieser quillt der Geschossgurt, der das Bild in mir erweckt, er wäre eine Schlange, die sich klammheimlich davon zu schleichen sucht. Ich nehme den Gurt, schmeiße mich samt diesem neben Heinz nieder und wir beginnen damit, die Spritze wieder feuerbereit zu machen.
Kugeln streuen über unsere Köpfe, klacken hinter uns ins Erdreich. Heinz verlagert das Feuer, streut nun den Bereich aus, aus dem uns das meiste Feuer entgegen rasselt. Was war passiert? Was ist denn aus meinem Freund, dem Heinz geworden? So wie er jetzt hinter dem Maschinengewehr auf den Feind ballert, kann ich es nicht glauben, dass der mein alter Freund aus Kindertagen sein soll?
Vor uns sackt der Feind einer nach dem anderen nieder. Solange das Maschinengewehr funktioniert, kann scheinbar keiner an uns ran. Ich befürchte aber, dass uns das Glück nicht mehr lange hold sein wird.
„Heinz, lass uns doch endlich hier verschwinden! Heinz? Mach doch schon, Mensch!“ Nix!
Der feuert nur stoisch weiter.
Ein gewaltiger Stoß reißt uns nach hinten. Erde rieselt auf unsere Gesichter. Da war es wieder, das Klingeln in den Ohren. Ich rappel mich auf und finde den Soldaten, der mit uns in der Stellung lag, auf seinem Rücken liegend. Ich hatte den völlig vergessen. Der war ja auch noch da.
„Mist!“ Der zappelt nur noch und röchelt, vielleicht noch für ein paar Sekunden? „Was passiert hier?“, brülle ich, schockiert in diese Szenerie aus unglaublich irrsinnigem Wahnsinn! „Der stirbt! Heinz, der kratzt ab!“, schreie ich wie bekloppt geworden! „Heinz!?“
„Ich bin unversehrt, Harry!“ Ich sehe zur Seite, sehe, wie Heinz das zerstörte Geschütz schockiert begafft. Sein Kopfschütteln verheißt nichts Gutes. Durchgedreht? Wieder schlägt eine Granate ein, etwa zehn Meter neben uns, begleitet von Gewehrfeuer, das uns aufs Korn nimmt. Wir werfen uns instinktiv flach auf den Boden, ganze Chöre von Geschosssalven zischen über uns hinweg.
„Harry, nimm deine Stabgranate raus! Wenn ich ‘jetzt’ sage, machst du sie scharf, dann auf Drei, verstanden?“, brüllt Heinz und versucht dabei, stark zu klingen.
„Bist du verrückt?“, entgegne ich verstört.
„Jetzt mach schon, Harry! Bleibt uns doch nix über! Einen guten Wurf, dann Rumms und ab durch die Mitte“, fügt Heinz hinzu und will dabei komisch zu wirken. Das jedoch war mein Resort. Also gut! Ein „Einverstanden“ quäle ich mir ab. Behutsam versuche ich die bei jeder Bewegung störende Granate aus meinem Gürtel herauszuziehen, drehe mich, ohne höher als nötig vom Boden aufzukommen und presse sie fest auf meine Brust. Sachte drehe ich den Stift heraus.
„Bist du soweit?“, will Heinz wissen und laviert verstohlen nach rechts. Nach einem kurzen Moment fragt Heinz nochmals: „Bist du soweit?“. Seine Stimme zittert dabei, als würde sie auf einem wild bespielten Piano hin und her hüpfen. Ich aber bringe keinen Ton heraus. Stattdessen klopfe ich mir dreimal auf meinen Helm. Jetzt aber weg mit der Ladung! Mit einem Satz springt Heinz auf und schleudert seine Stabgranate weit von sich weg. Ich bin nicht so schnell, klebe immer noch am Boden.
„Mensch, Harry, komm hoch“, entsetzt sich Heinz und zieht mich mit seinen riesigen Händen hoch, als wäre ich nur eine Stoffpuppe. Weit von mir im hohen Bogen werfe ich die Stabgranate. Soweit es mir eben möglich ist.
Die Granate von Heinz zerplatzt. Danach auch meine. Man hört nur ein Rummsen. Ein paar erwischt? Verfehlt? Wurscht!
„Los! Weg hier!“, rufe ich und renne, was meine Beine hergeben. Es besteht aber die Gefahr, in die falsche Richtung zu rennen, denn man wird leicht zur Zielscheibe der eigenen Kameraden in diesem Durcheinander. Eine weitere Schützenlinie soll nicht weit von uns liegen, die steuern wir jetzt an. Laut schreiend sprinten wir auf sie zu, ihre Gesichter leuchten zwischen all dem Dreck blass durch die provisorische Tarnung. „Nicht schießen, nicht schießen!“ Wir brüllen immer lauter, hoffen nicht von unseren Kameraden durchlöchert zu werden.
„Waffen runter!“, höre ich eine mir bekannte Stimme schreien. Dann haben wir es geschafft, vorerst. Atemlos klatschen wir auf den Waldboden, keuchen, husten, japsen und versuchen uns irgendwie zu sammeln.
„Der ... der ... der Russe ist direkt hinter uns“, stottert Heinz. Ich erkenne die gebogene Visage von Unterscharführer Meinele. Der beugt sich über uns, glotzt uns mit seinen Schweineaugen an und will wissen, was mit den anderen geschehen ist. Diese Frage kann weder Heinz noch ich beantworten. Wir schütteln nur unsere Köppe und stammeln irgendwas zusammen, woran wir uns zu erinnern glauben. Der Unterscharführer winkt nur nervös ab. Meinele hat ohnehin keine Zeit mehr, die Antwort auf seine Frage zu finden, denn der Feind lässt nicht locker.
Wieder kracht eine Granate dicht neben uns nieder. Wir suchen Deckung, quetschen uns zwischen die Kameraden, die scheinbar planlos um sich ballern. Wir sind verloren! Aus! Vorbei! Adieu! Ohne unsere Waffen können wir nur so daliegen und hoffen, dass es schnell vorbei ist.
Kurze Zeit später aber ebbt mit einmal das Gefecht abrupt ab. Feuerpause? Ist dem Feind der Saft ausgegangen? Augenblicke später stakst Meinele noch mal auf uns zu. Was will der denn? Achselzucken!
Wir erzählen ihm also, dass der Feind uns fast überrollt hätte, dass alles so schnell gegangen sei. „Mensch, was will der Pfeifenwichs denn hören?“ Das war unser, mein erstes Gefecht! Mir ist immer noch speiübel, aber da kommt und kommt nichts hoch. Nichts! Die Anspannung versteift mich derart, als wäre ich aus gehärtetem Beton.
Jetzt beginne ich mich zu fragen, was mit mir los ist. Sind wir nach heute noch die Selbigen wie Gestern? Vor wenigen Stunden noch hatte ich meinen neuesten Witz zum Besten gegeben und jetzt?
Der Unterscharführer gibt sich schließlich damit zufrieden, was wir so hervorbringen, schweren Herzens, aber was bleibt ihm schon anderes übrig.
Langsam schiebt sich die Dämmerung wie eine Kapuze über unsere Köpfe. Die Nacht würde Gnadenloses mit sich führen, das kann man sich an seinen fünf Fingern abzählen. Der Feind hat vermutlich seine Verbände zurückgeführt und konzentriert sich an anderer Stelle auf einen neuen Durchbruchsversuch. Vermutungen, raten, man hat keinen blassen Dunst.
Das Wäldchen uns gegenüber birgt die zerschossen Leiber unserer Toten und die des Feindes. Zig Tote müssen da herum liegen. Das Todesgejammer dringt zu uns rüber. Grauenvoller Totengesang! Wir stopfen uns Dreck in die Ohren.
„Kann man denn denen nicht helfen?“
„Was willst du denen denn noch helfen?“, motzt einer, dessen Namen ich nicht kenne. Aber er hat recht. Unsere Verwundeten sind schon ins nächste Feldlazarett verbracht worden. Die verwundeten Polen und Russen aber werden sich selbst überlassen und die kommende Nacht würde die meisten der armen Schweine schon zum Schweigen bringen. In mir wühlt es heftig, ich habe mit den Tränen zu kämpfen, die sich aber Gott sei Dank nicht ergießen wollen. Es macht mir große Mühe, meine bis ins Mark erschütterte Seele vor den Kameraden zu verbergen, denn ich will ja von denen nicht als Feigling abgestempelt werden.
Mein Freund Heinz lehnt mit dem Rücken an einer Birke, sein Gesicht ist wie steif gefroren, die Augen haben den schelmischen Glanz von einst verloren, sind nur noch glasig. Er kaut auf einem Zweig herum, wie er es immer schon tat, nur diesmal schien er nicht mehr wirklich anwesend zu sein. Der ist schon weg. Er reagiert nicht auf meine Frage, obwohl ich sie ihm mehrmals stelle. „Heinz?“
Die Nacht war tiefschwarz, gähnt, und nur aus der Ferne dringen vereinzelt Motorengeräusche und verirrtes MG-Geknatter zu uns rüber.
„Da ist was im Gange!“
„Was denn?“, wollen alle wissen.
„Maul halten! Idioten!“, faucht Meinele dazwischen. Hinter uns knackt der Boden und das Patschen einiger Schritte ist deutlich zu hören. Viel zu deutlich! Alle sind sofort alarmiert. Wir hocken da und zielen blindlings in die Dunkelheit.
„Feldwebel Gruber mit zehn Mann im Anmarsch! Parole Eisschrank“, transportiert sich eine Reibeisenstimme aus den Büschen.
„Waffen herunter!“, befiehlt Meinele und man hat deutlich den Angstschiss in Meineles Hose poltern hören. Er lässt die MP herunter und setzt sich wieder. Direkt auf die braune Wurst! Gruber und die anderen sind kaum zu erkennen. So düster wie in Omas Unterbuchse! Erst, als sie sich zwischen uns niederlassen, erkenne ich das zerfurchte Gesicht des Alten, aus dem nichts Freundliches abzulesen ist. Werner, Dietrich, Bahlke und der knochige Hans-Eberts hat der Feldwebel im Schlepptau. Das war eine Riesenfreude! Der Rest der Gruppe besteht allerdings aus uns fremden Neulingen. Haarlose Pickelgesichter wie wir. Die bekommen ihre Feuertaufe dann morgen.
Ich bin jedenfalls sehr erfreut, meinen Freund Werner wohlauf zu wissen. Das bringt etwas an Zuversicht in mir zurück und ich hoffe, dass wir es doch irgendwie schaffen würden. Zwischen mir und Werner hatte in den letzten Wochen Funkstille geherrscht. Wir hatten Streit. Ich hatte Werners Integrität in Frage gestellt, was ich lieber nicht hätte machen sollen. Wie kam ich nur dazu? Idiot! Werner ist doch mein Freund. In den letzten Tagen sprachen wir aber, wenn auch nur kurz, wieder miteinander.
„Wo sind die anderen?“, will Werner von mir wissen.
„Heinz hockt da hinten. Den Krahl hat es erwischt!“ Werner wirft mir einen verächtlichen Blick zu, den ich trotz der Dunkelheit deutlich sehe und der mich strafend trifft.
„Was, Krahl ist tot?“, wirft sich Dietrich entsetzt dazwischen.
Meine Aussage klang vermutlich etwas zu roh in Werners sensiblen Ohren. Er steht auf und entfernt sich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Was hätte ich denn sagen sollen?
„Werner?“ Ich folge ihm aber nicht. Die anderen jedoch wollen nun ganz genau von mir wissen, wie es passiert ist. Stillschweigen! Glotzende Affen! Werner hat recht. Ich mache es also dem Werner gleich und verziehe mich. Ich weiß einfach nicht, wie ich mich in solch einer Farce, in der wir alle stecken, verhalten soll. Verhaltensregeln dieser Art stehen ja nicht im Soldatenhandbuch.
Ganz in meiner Nähe höre ich, wie sich welche angeregt unterhalten. Ich erkenne den Feldwebel und den unterbelichteten SS-Heini Meinele. Will der dem Alten einen Vortrag halten? Ich spitze meine Ohren, will wissen, wie die Lage aussieht, und schiebe mich Stück um Stück näher. Der Alte hat sich wie immer die Plane über den Kopf gezogen, unter der schwach das Licht seiner Feldlampe auf ein Stück Papier leuchtet. Meinele sitzt dicht daneben und pliert ebenfalls auf diesen zerschlissenen Fetzen. Ich kann nicht alles verstehen.
Da sie es gut verstehen, leise miteinander zu reden, ist es selbst unter größter Anstrengung kaum möglich, etwas zu aufzuschnappen. Ich habe aber ein ausgesprochen gutes Gehör, das heute jedoch recht in Mitleidenschaft gezogen worden war. Aber es reicht noch aus. Ich vernehme, Jänkendorf ist gefallen, sowie Panzerdivisionen irgendwo nordöstlich und Bautzen. Es ist wohl ein angeregtes, aber doch kurzes Gespräch.
„Der Ivan wird Augen machen, wenn er das Aufgebot bemerkt, was wir hier zusammengezogen haben“, balzt Meinele wie ein federloser Pfau.
„Das glaube ich nicht, Unterscharführer, der Russe wird schon einen Weg finden, um an anderer Stelle durchzubrechen! Der umgeht uns glatt! Dann, zack und die Falle schnappt zu“, kontert Gruber und amüsiert sich an der sauer verzogenen Miene des Unterscharführers.
„Die Panzerdivision von Rossmann schießt sie in Klumpen, Herr Feldwebel, da kann der Russe machen, was er will, die kommen da nicht weiter“, belfert der Hänfling in Uniform jetzt los, das es nur so eine Freude ist.
„Ihre Naivität, mit Verlaub, Unterscharführer, ist lächerlich! Sehen Sie den Tatsachen ins Auge. Ich glaube nämlich, dass der Ivan schon ziemlich weit gekommen ist, dem kann auch ein Major Rossmann nichts entgegensetzen!“
Ich kann das verärgerte Gesicht des Unterscharführers zwar nicht genau sehen, zeichne mir aber seinen dämlichen Gesichtsausdruck geistig vor Augen.
„Ich kann Ihre Meinung nun mal nicht teilen, Herr Feldwebel! Ihnen dürfte doch nicht entgangen sein, welch Aufgebot man zusammengezogen hat“, echauffiert sich der Etappenhengst jetzt weiter.
„Ist es mir auch nicht! Doch ist es ihnen vielleicht entgangen, dass wir hier auf uns allein gestellt sind? Nur drei Gruppen, Meinele, Drei!“ Ein kurzes, betretendes Schweigen, was darauf hin folgt.
„Was sollen denn die noch ausrichten? Nur drei beschissene Gruppen, direkt aus der Kinderkrippe! Von denen sind jetzt vielleicht noch 60 Prozent einsatzfähig! Die sollten eher bei Mama am Tisch sitzen, anstatt hier die Helden zu spielen!“ Meinele räuspert sich geniert, so als wäre er im Übermaß empört über die harsche Kritik des Feldwebels. Doch sie trafen nun mal den rostigen Nagel auf den Kopf.
Ich höre Grubers Worte immer wieder in Gedanken. Mit jeder geistigen Wiederholung mutiert der Satz um eine weitere schaurige Nuance. Meine Gedanken kreisen wild umher. Kopfkarussell! Ich male mir die schlimmsten Zukunftsfantasien aus und das macht mich ganz benommen. Die Bilder, die sich mir heute ins Hirn gebrannt haben, bestärken all diese Befürchtungen und lassen mich vor Angst fast zergehen. Hin und her wälzend dämmere ich vor mich hin. Schlafen! Ich will doch einfach nur mal wieder richtig pennen.