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Kapitel 2 (Kohldampf)

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Im Nest ist es ungemütlich. Steine bohren sich spitz in den Hintern und durch den Boden kriecht die Kälte ins Mark. Zudem wächst mein Hunger ins Unermessliche.

„Heinz, du hast doch den Krämerladen gesehen, als wir in den Ort kamen? Ob da noch was Essbares zu finden ist?“ Heinz zuckt die Frage beiseite. „Mensch, ich habe so einen Kohldampf!“

„Habe ich auch, Harry!“ Heinz lehnt halb über der Säge und hält seinen Blick stur auf die Straße gerichtet. „Der Alte wird schon was organisieren, also beiß die Zähne zusammen!“ Aber von Versprechungen oder Aussichten werde ich nicht satt. Wir sind ja nur noch Haut und Knochen. Die Versorgung der Truppe hat sich so gut wie aufgelöst und man muss selbst zusehen, dass man etwas zwischen die Zähne bekommt. In meiner Verzweiflung kaue ich auf einem Stück Lederriemen herum. Trensenkatschen!

Hinter uns klacken Stiefel auf der Straße. Die Dunkelheit nimmt mir jede Sicht. Ich lade meinen Karabiner durch und richte ihn ins Ungewisse. „Halt, wer da?“, werfe ich zitternd ins Dunkel.

Die Stimme, die mir antwortet, lässt mich zusammenfahren.

„Feldwebel Gruber!“ Heinz verharrt stur in seiner ursprünglichen Position. Er hat sich vermutlich dennoch, genau wie ich, fast in die Hose gemacht. Gruber schält sich aus der Dunkelheit. Seine Augen sind tief im Gesicht vergraben, aber ich kann seinen Ärger darin deutlich erkennen. „Friedrich, nehmen Sie den Zeigefinger vom Abzug!“ Heinz dreht seinen Kopf beiseite und löst seine verkrampfte Hand vom MG. „So nervös wie Sie sind, vergeuden Sie nur Munition. Hebrank! Sie übernehmen das Maschinengewehr ab sofort! Klar?“

„Jawohl, Herr Feldwebel!“ Ich tausche mit Heinz den Platz. Der sieht den Alten an, als würde man ihm sein Spielzeug wegnehmen wollen. „Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass ein nervöser Zeigefinger alles versauen kann. Der Russe ist nicht weit und gute Ohren hat der auch. In einer halben Stunde ist Wachablösung, also tut mir einen Gefallen und schießt eure Kameraden nicht über den Haufen!.Die Parole ist Wintergarten, merken!“ Wir beide salutieren im Sitzen und er verschwindet wieder in der Schwärze der Nacht. Jetzt bin ich MG-Schütze und habe auf einmal meinen Hunger vergessen. Insgeheim freut mich das, man könnte auch meinen, dass ich so etwas wie Schadenfreude empfinde.

Heinz spricht kein Wort mit mir. Es ist mir unangenehm, neben ihm zu hocken, denn er lässt mich seinen Ärger, doch auch schweigend, spüren. Ich versuche dutzende Male, ein Gespräch zu beginnen, doch mir bleiben alle Worte im Halse stecken. Wir verbringen also den Rest unserer Wache damit, in die Nacht zu lauschen, die sich beinahe geräuschlos dahinzerrt. Wie im Auge eines Sturmes gebärdet sich unser Umfeld, das noch weitgehend vom Kriege unberührt ist. Wenn ich mir den Krieg vorzustellen versuche, flattern mir nur die schwarz-weißen Bilder durch den Kopf, welche wir im Kino gesehen hatten.

Bis auf den schrecklichen Unfall, bei dem der Kamerad Karl Lüpke ums Leben kam, habe ich die Realität des Krieges noch nicht wirklich erfassen können. Das trifft auch auf den Rest unseres Haufens zu. Bis auf Ausnahme des Alten, der vermutlich zu viel davon gesehen hat.

Ich leuchte unter der Plane auf meine Uhr. Es ist bereits gegen drei Uhr morgens. Die Ablöse müsste auf dem Weg zu uns sein. So tippe ich Heinz sachte auf die Schulter. Das Schweigen bricht sich.

„Unsere Zeit ist um, Heinz.“

„Na, Gott sei Dank, die Kälte hat mir den Arsch gefrieren lassen“, raunzt und ächzt der.

„Bist du noch sauer?“ Heinz glotzt mich mit seinem typisch einschüchternden Blick an.

„Ach Quatsch, Harry“, winkt er nur ab. Das konnte ich ihm zwar nicht abnehmen, hake aber nicht weiter nach.

Zwei Spaziergänger, die Gefreiten Mayer und Krahl, latschen uns entgegen. Beinahe wie frischgeschlüpfte Mannequins flanieren die zwei zu uns rüber.

„Fehlt nur noch, dass die Händchen halten“, feixe ich leise.

„Macht ihr einen Nachtspaziergang? Euer Getrampel hallt ja bis sonst wo!“, fährt Heinz den beiden in die Parade.

„Ach, reg dich ab, Friedrich“, wirft Krahl ihm entgegen und schiebt sich lässig seinen Helm in den Nacken. Krahl ist wie Friedrich ein groß gewachsener Kerl, der Hände so groß wie Klodeckel besitzt.

Eine rüde Natur, die nicht lange fackelt, wenn es ihr zu weit geht. Er ist ein Waldschrat aus einem Kaff irgendwo im Vogtland. Derart abgelegen, dass sich nicht einmal die Füchse dorthin verirren wollen. Ein Muskelpaket mit dem Hirn einer Kellerassel. Dennoch kriechen ihm die meisten in den Arsch. Die haben alle Schiss vor diesem Troll. Und der weiß das auch ganz für sich auszunutzen.

Friedrich und Krahl begegnen sich auf Augenhöhe, stehen sich prüfend gegenüber und ich befürchtete eine Rangelei. Gott bewahre! Nur nicht das auch noch. Der Alte würde ausflippen und uns alle glatt streichfähig schießen.

„Jetzt spielt euch nicht auf, seht lieber zu, dass ihr ins Loch kommt“, hacke ich mutig dazwischen. Wortlos entfernen wir uns und mir wackeln dabei die Knie. Krahl und Mayer rutschen in die Stellung. Narren sind und bleiben Schonkost?

„Parole?“ Krahl dreht sich zu mir um. Ich sehe nur noch seinen Umriss aus der Senke ragen. Trocken und abwertend dringt Wintergarten aus seinem Mund.

„Diesem Krahl donnere ich noch mal eine, die sich gewaschen hat, das kannst du mir glauben, Harry.“

„Ach vergiss den doch, Heinz! Der scheißt sich noch beizeiten ein.“ Heinz kann sich aber nur schwer wieder abregen. „Schauen wir lieber, ob wir endlich was zu Futtern bekommen.“

Der Rest unserer Truppe lümmelt vor der Kirche auf dem silbergrauen Rasen. Schräg gegenüber befindet sich das Postamt, in dem ein schwaches Licht flackert. „Ist da noch jemand?“ Wir gehen auf das Gebäude zu. Das Zauntürchen hängt lässig in der Kurve. Wir treten hindurch ins Innere, ohne uns was dabei zu denken.

„Was zum Geier… was machen Sie denn hier?“, brüllt der Alte verdutzt.

„Melden uns von der Wache zurück, Herr Feldwebel“, werfen wir ihm, ebenfalls erschrocken, dennoch gut pariert entgegen. Der Alte hockt mit unserem Freund Gerald am Tisch. Darauf steht ein Funk-Empfänger. Sturmreif geschossener Schrott! Gerald ist fast im Apparat verschwunden. Gruber wendet sich wieder dem Empfänger zu. „Und?“

„Nichts zu machen, Herr Feldwebel, der ist komplett im Anus“, diagnostiziert Gerald süffisant.

„Finden Sie denn keinen Weg? Ich brauche eine Verbindung!“ Wir stehen wie die Ölgötzen im Flur des Postamtes. Erstarrte Lachse!

Ich lasse nebenher meinen Blick schweifen, finde aber nichts in meinem Sichtfeld, das verwertbar wäre. Ich stoße Heinz in die Seite. Er versteht und wir wollen wieder abzischen.

„Mensch, Harry, ich habe dir doch gesagt, dass wir planlos durch die Gegend steuern. Wie soll der Alte auch wissen, wo unsere Armee herumgeistert ohne Sprechverbindung“, murmelt Heinz mir leise zu.

„Flaschenpost geht auch nicht“, werfe ich ein und finde das recht witzig. Heinz aber kann darüber nicht lachen.

„Hier stehen doch überall unbeschädigte Telegraphenmasten herum, da muss man doch noch irgendeine Leitung anzapfen können“, flucht der Feldwebel so laut, dass es selbst Churchill noch gehört haben muss. Die Enttäuschung ist nicht zu überbieten. Kurz darauf schmeißt uns der Alte mit einem seiner berühmt-berüchtigten Worte-Stakkato wieder hinaus.

„Was nun?“

„Was soll schon sein? Schiet! Wie der Seemann sagen würde: Verirrt auf Odyssee“, resümiere ich sarkastisch und zucke mit den Schultern. Das Gebäude, welches hinter der Kirche steht, finde ich doch viel interessanter als jene Tatsache, dass wir als Geistergruppe durchs Hinterland irren. „Du bleibst hier, Heinz“, flüstere ich und schaue zu den Kameraden hinüber, die sich unter ihren Wolldecken hin und her wälzen.

„Was hast du vor, Harry?“, will Heinz wissen.

„Bleib einfach hier. Ich besorge uns was zum Beißen.“

„Verdammt, Harry, mach ja keinen Blödsinn.“ Ich fege seine Warnung weg. „Wenn der Alte dich erwischt, dann stellt der dich an die Wand. Das ist unerlaubtes Entfernen von der Truppe, du Idiot!“ „Erzähle es nur jedem!“, blaffe ich zurück. Heinz wendet sich dem Postgebäude zu.

„Gut, ich bleibe hier stehen, aber was ist, wenn der Alte rauskommt und mich fragt, wo du bist?“

„Sag ihm, dass ich schlafe, der schaut doch nicht unter jede Decke.“ Heinz ist es anzumerken, dass er Schiss hat. Es ist das erste Mal, dass ich ihn so demontiert ertappe. Dann mache ich mich dünne, schleiche mich geräuschlos an der Kirchenwand vorbei zu dem erspähten Gebäude. Es ist immer noch so finster wie in einem Bärenarsch. Ich finde nirgends eine Stelle, durch die man ins Innere gelangen könnte. Also gebe ich dann doch mein Vorhaben lieber wieder auf, bevor sie mir auf die Schliche kommen können. Enttäuscht latsche ich zurück.

Der Hunger hängt mir schon in den Kniekehlen.

Am 19. März 1945 hat Hitler den Befehl Verbrannte Erde herausgegeben. Das war der finale Auftakt zur Einebnung sämtlicher Industrie- und Versorgungsanlagen im Reichsgebiet. Doch es beschränkt sich nicht nur auf diese Bereiche, die ohnehin schon fast alle in Schutt und Asche liegen. Zersprengte SS-Einheiten zünden ganze Dörfer an, nachdem sie die fliehende Bevölkerung zuvor gepeinigt haben. Männer, die nicht gleich freiwillig Männchen machten und mit der Waffe in den Heldentot rennen wollten, wurden als Vaterlandsverräter abgeurteilt und aufgehängt. Wer sich verdrückte oder nur schief schaute, konnte augenblicklich an der Straßenlaterne baumeln. „Seele baumeln lassen“, nennen das diese selbsternannten Volkstribune im grünen Gummibepack.

Man hörte jedoch nur davon. Glauben konnten, wollten wir das nicht, bis wir es mit unseren eigenen Augen sehen müssen, wie sie an den Strommasten und Laternen hängen. Die Kettenhunde! Sie sind zu Hunderten unterwegs, um den Verrat aufzuspüren, wo immer er sich verborgen hat. Sie riechen jeden Dunst von Angst kilometerweit gegen den Wind. Und sie scheinen hierbei niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Nicht einmal ein General scheint es zu vermögen, ihrem grausamen Fanatismus Einhalt zu gebieten. Des Teufels Vasallen treiben ihr Unwesen.

Unzählige fallen ihnen zum Opfer. Wir haben bisher Glück, die Kettenhunde kreuzen unseren Weg nicht.

Wir hoffen deshalb, dass es auch so bleibt.

Heinz steht wie angewurzelt da, starrt auf den Hauseingang des Postamtes. Er fährt zusammen, als ich auf einmal wieder neben ihm stehe. Kurz darauf erlischt das Licht im Gebäude und der Alte kommt zusammen mit Gerald heraus.

„Was machen Sie denn noch hier? Hauen Sie sich lieber aufs Ohr!“

„Gestatten, Herr Feldwebel, eine Frage?“ Heinz wird bleich im Gesicht.

„Was gibt’s denn?“, knarzt der Alte widerwillig, als hätte er ein altes Weib vor sich, die ihm ihr selbstangebautes Gemüse andrehen möchte. Ich habe mir diese Frage schon dutzende Male selbst gestellt. Sie soll nur eines zum Inhalt haben: die Notlage unserer Verpflegung.

„Herr Feldwebel haben sicher das Defizit unserer Verpflegung bemerkt, daher will ich nur die Frage stellen, was dagegen zu unternehmen sei?“ Der Feldwebel mustert mich. In seinem Gesicht steht pure Zerrissenheit. Sollte er mich jetzt zur Sau machen oder einfach nur lachen?

„Sie sollten Politiker werden, Hebrank! Nein, besser noch, Komiker!“ Mir schlägt es eine verbale Keule mitten ins Gesicht. Komiker? Jetzt nur keine Miene verziehen! Schön Männchen machen und die Klappe halten!

„Na ja, Sie haben ja recht mit ihrer Frage. Sieht wohl danach aus, dass wir unsere Gürtel enger schnallen müssen!“ Noch enger? „Ich kann Sie aber beruhigen, in ein paar Stunden sollte es Nachschub geben, bis dahin dürfen Sie die eisernen Rationen anreißen, welche Zeitzler in Beschlag hat. Sagen Sie Zeitzler, dass ich das befohlen habe! Das ist alles, wegtreten!“ Heinz und ich heben unsere Flossen an den Helm und strecken uns brav durch. Jetzt ab durch die Mitte!

Zeitzler wird wohl wenig begeistert sein, so penibel, wie er über die eisernen Rationen wacht. Ich bekomme wieder Luft in meine Lungen und bringe mich an die Kandare. Der Alte dreht auf dem Absatz kehrt und verschwindet wieder im Inneren des Postamtes.

„Das wird für Gerald eine schlaflose Nacht werden“, meint Heinz mitleidig. „Mensch, manchmal könnte ich dich erwürgen, Harry.“ Heinz ist angefressen auf mich, zu Recht. Aber ein Draufgänger wie er sollte besser nicht zu nah am Wasser gebaut sein. Danach legen wir uns zu den anderen und öfnen unsere von Zeitzler zugeteilten Notrationen. Zwieback, Knäckebrot, trockener scheiß Fraß, aber er stopft das Loch unserer knurrenden Mägen.

Ich habe mich in meine zerschlissene Decke gewickelt und diese sowie meinen feuchten Mantel bis über beide Ohren gezogen, um sicher zu gehen, dass mein Sägewerk etwas abgedämpft würde. Ich schlafe diesmal sofort ein. Lange währt mein Schlaf nicht, da der anbrechende Morgen einen unangenehmen Begleiter mit sich führt, der mir eisig unter die Decke pfeift.

Wirbelnd tanzt der sich durch das Dorf, lässt die Fensterläden auf und zu knallen, drückt Baumkronen nach unten und bläst einigen von uns die Utensilien durch die Beine. Der Tag begrüßt uns mit einem matten Grau, das sich mit schwarzen Tupfen vermischt und in abstrakten Formen über uns hinweg zieht. Mit einem Fetzen versucht Heinz, die Dose über dem Kocher festzuhalten, damit sie nicht weggeweht wird.

„Ist der letzte Kaffee. Ersatzkaffee.“ Er hätte es nicht zu laut sagen sollen, denn binnen Sekunden stehen sie Schlange mit ihren Bechern. Die Zuteilung erfolgt unerbittlich. Heinz faucht und schüttet jedem nur einen winzigen Schluck ein, den man begierig hinunter kippt. Für uns bleibt nur der Kaffeesatz von Ersatz. Braune Sandpampe!

Nichts wird verschwendet, wir essen ihn, kauen und mahlen den braunen Batzen zwischen unseren Zähnen. Von der Straße drängt sich ein immer lauter werdendes Scheppern zu uns herauf. Wir erheben uns und sehen den Kameraden Bahlke. Sein Koppelzeug wirft sich hin und her, macht einen Mordskrach, während er wie ein Irrer zu uns heraufgerannt kommt. Er fuchtelt mit seinen Armen herum und hätte fast das Gewehr dabei fallen gelassen. Keiner weiß, was das zu bedeuten hat, doch wir ahnen nichts Gutes. Ohne dass wir ihn bemerkt hätten, steht mit einmal der Alte hinter uns.

„Was starrt ihr hier herum? Gefechtsbereit machen, marsch, marsch! Gefechtsformation!“ Der Alte hat eine Stimme, dass jeder Tenor vor Neid erblassen und ins Kloster gehen müsste.

Es bricht ein heilloses Durcheinander aus. Wie aufgescheuchte Hühner flattern wir umher und greifen unser Zeug auf.

„Los, los, nach vorne!“, schnautzt der Feldwebel. „Krahl, Friedrich, holt mir die hintere Wache und sichert mir die Straße mit dem 42er! Alle anderen folgen mir!“ Krahl und Friedrich flitzen zur hinteren Seite des Dorfes, wo die zweite Wache liegt.

Der Rest rennt hinter dem Feldwebel her wie eine Horde Welpen hinter ihrer Mutter. Es sind eindeutig Motorengeräusche gepanzerter Fahrzeuge zu vernehmen. Sie scheinen sehr schnell näher zu kommen. Der Alte muss nun entscheiden: entweder sich der anrollenden Gefahr stellen oder sich zurückziehen.

Um die Gesamtlage zu beurteilen, bedarf es keiner Expertenmeinung. Wir alle sind uns ziemlich klar darüber, dass wir bei einem Angriff gepanzerter Elemente keinerlei Chance haben, effektiv etwas dagegen auszurichten. Unsere Bewaffnung besteht im Wesentlichen aus K 98-Karabinern, Stabgranaten, zwei MG 42 und ganzen drei Panzerfäusten.

Gruber treibt uns auf den Boden, wo wir verharren sollen, bis er uns direkte Befehle erteilen würde. Die Straße vibriert unter der anrollenden Last. Mancher zittert so stark, dass der Helm gegen die Kimme klackert. Der Alte zwängt sich durch die Böschungen, um eine bessere Sicht auf die Straße zu erlangen.

Ich habe Riesenschiss! Die Atmung wird schneller, der Herzschlag pocht am Hals, dass man denken konnte, die Ader würde jeden Augenblick zerplatzen. Es sind Sekunden, die unsere Gesichter altern lassen, sich in kalkweiße Fresken verwandeln, uns den bitteren Umstand vor das geistige Auge donnert, nun könnte man einfach sterben. Keiner von uns weiß, wie er im Falle eines feindlichen Angriffes reagieren würde.

Panik durchströmt unsere Körper, alles scheint sich zu verkrampfen, während der Krach sich dröhnend ins Trommelfell bohrt. Dann bricht mit lautem Geschrei der Alte sich durch das Unterholz.

„Waffen entsichern! Keiner schießt!“ Er stürmt uns mit den Armen wild um sich fuchtelnd entgegen, als gäbe es keinen Morgen mehr.

Ich reiße meine Augen auf, als ich die Worte höre, und hoffe für den Alten, dass sie jeder von uns auch wirklich so verstanden hat.

„Waffen sichern, es sind die Unseren! Deutsche Panzerverbände! Waffen runter!“ Wie die Pilze im Herbst schieben sich die Gestalten aus dem Waldboden. Stehen da und wissen nicht, ob sie sich freuen oder lieber weinen sollen. Fortuna hat es noch einmal gut mit uns gemeint und ist uns gnädig. Dann rollen sie an uns vorbei.

„Scheiße!“ Mir läuft es kalt den Rücken runter. Heinz und die anderen im Dorf wissen davon ja noch gar nichts. Doch ich kann nichts unternehmen, um sie darüber aufzuklären. Es ist also nur zu hoffen, dass sie jetzt nicht durchdrehen und auf unsere eigenen Leute feuern würden.

Die schweren Ketten der Jagdpanzer walzen sich über die Straße und quetschen den aufgeweichten Frühlingsboden. Schockierend und überraschend zugleich! Weder hatte ich so etwas bisher erlebt noch damit gerechnet.

Es dringen keine Schüsse aus der Dorfmitte, was mich beruhigt und mir die Unversehrtheit meiner Freunde bestätigt. Wir gehen zur Straße, beäugen diese gewaltigen Maschinen wie kleine Kinder einen Faschingsumzug bestaunen würden. Bisher hatte fast niemand von uns diese Prunkstücke der Panzerwaffe aus der Nähe gesehen. Auf den drehbaren Türmen lümmeln die Kommandanten in ihren schwarzen Uniformen mit den schirmähnlichen Baretten auf den Köpfen. Ausgezerrte Gesichter, die Haut straff gespannt über ihre Wangenknochen. Pergament-Theater!

Sie werfen uns enttäuschte Blicke zu, als könnten sie es kaum ertragen, was sie da am Straßenrand zu Gesicht bekommen. Totale Resignation! Vielleicht eine ganze Division schiebt sich da an uns vorbei, gefolgt von Panzerkampfwagen, die Sturmgeschütze hinter sich herziehen.

Dabei waren auch Kraftfahrzeuge, die mit Soldaten voll gestopft sind, und einige schwer gezeichnete Kübelwagen, in denen Offiziere kauern und uns entgegen gestikulieren.

„Mensch, da rollt ja eine ganze Armee“, höre ich Dietrich staunen. Armee? Dietrich grinst dabei so dämlich, das ich mich fast schon schäme. „Mensch, Harry, was sagst du denn dazu?“ Ich antworte ihm nicht. Was soll ich dazu schon bemerken? Es gibt nur einen Grund, warum so viel Material zusammengezogen wird: eine neue Offensive! Vielleicht irre ich mich auch, doch es liegt auf dem Tisch. Vermutlich hat der Alte genau gewusst, wohin wir spazieren, von wegen, der läuft der Nase nach. Es scheint nicht nur gerade so, als würde sich alles noch einmal auf ein größeres Gefecht konzentrieren. So viel Material, das an uns vorbei donnert, lässt nur diesen markerschütternden Gedanken zu: Kanonenfutter für den Führer!

Werner? Mensch, ich hatte ihn völlig vergessen. Obwohl er stets in meiner Nähe ist, vergesse ich meinen Freund. Wir laufen an uns vorbei, stehen uns gegenüber, aber sehen einander nicht wirklich, da sich in unseren Köpfen die Angst breit macht. Ein Klatschen auf meinem Hinterkopf holt mich wieder aus meinen Gedanken.

„Harry, schlaf nicht ein! Der Alte will, dass wir uns sofort am Postamt sammeln“, zündelt Heinz an meinem Nervenkostüm und laviert sich gekonnt zwischen dem Auflauf auf der Straße durch. Der dichte Rauch der stinkenden Dieselmotoren raubt mir die Sicht. Vorsichtig, aber zügig, versuche ich mich ebenfalls sicher zwischen den Kolonnen hindurch zu schlängeln, um Anschluss an meine Kameraden zu finden. Im Dorf ist reger Trubel ausgebrochen. Hektischer, treibender, panisch werdender Trubel. Zum einen ist es ein beruhigendes Gefühl, von all den Kameraden umgeben zu sein, mit ihren Geschützen und Panzern Zum anderen aber ist es ein ungewohntes, zerreißendes, eines, das mir kalt den Rücken herunter läuft, das ich immer wieder verspüre, am stärksten, als ich meiner Mutter zum letzten Mal zuwinkte.

Wir sammeln uns wie befohlen vorm Postamt. LKW rasen an uns vorbei. Richtung Südwesten. Trauben aus Landser führen sie mit sich. Sie quellen regelrecht über die Ladeflächen. Wir staunen ihnen nach. Wo wollen die hin?

Der Alte tritt nun in Begleitung zweier Offiziere aus dem Gebäude. Offiziere, glaube ich, denn sie haben ihre SS-Tarnjacken bis zum Adamsapfel zugezogen. Ersichtliche Kennzeichnung der Ränge am Kragenspiegel ist demnach also nicht möglich. Aber so von sich eingenommen, wie die zwei sich benehmen, können das nur Silberfische sein.

Nachdem sie uns mürrisch gemustert haben, steigen sie in ihren Kübelwagen wie Affen auf ihre Kokosnüsse, und brausen den LKWs hinterher. Wir warten wie kleine Jungs, vor Neugierde schon zappelnd, auf die Ansprache unseres Feldwebels. Der posiert jetzt leicht gekrümmt mit einer Portion gequälten Leidens vor uns, als würde er einen der Mönche von Rodin imitieren wollen. Dann beginnt er mit seiner Suada.

„Männer, stillgestanden! Unsere Gruppe wird den Sturmspitzen des SS-Panzer-Pionier Batallion 10 zugeteilt. Ihnen folgen weitere zwei Kompanien der Waffen-SS. Das heißt im Klartext, wir werden zur Sicherung des Ortes Jänkendorf sowie der umliegenden Gegenden auf der Niesky-Bautzen-Linie eingesetzt, um die anrollenden Slawen und Bolschewiken aufzuhalten. Die 9. sowie die der 5. polnischen Armee und Teile der 52. russischen Armee steuern geradewegs auf uns zu. Auch wenn ihr noch nicht vollständig ausgebildet wurdet, seid ihr geschulte Pioniere, Soldaten, die nun mit aller Entschlossenheit das Deutsche Reich gegen den heranrückenden Feind zu verteidigen haben! Trotz eures Alters ist der bevorstehende Kampfeinsatz für uns alle unabwendbar!“

Die Betonung auf unseren Altersumstand ist wohl der letzte verbale Versuch unseres Feldwebels, sich seinem wachsenden Ekel gegenüber der sinnlosen Schlachterei Luft zu machen. Sein Ton ist unmissverständlich. „Die Bolschewiken werden keine Gnade walten lassen! Ich muss euch nicht sagen, Männer“, er stockt wieder kurz, „dass ich von euch vollsten Einsatz verlange! Jetzt kommt eure Stunde, in der ihr euch bewähren könnt, um eure Eltern und das Vaterland mit Stolz zu erfüllen! Eberts! Sie führen die Männer zum vordersten Wachposten, dort wird Ihnen Unterscharführer Meinele weitere Befehle erteilen! Ich werde erst später wieder zu euch stoßen. Weggetreten!“

Puh! Das ist nicht das, was ich erwartet habe. Ich glaube, dass alle etwas anderes erwartet haben. Diese heroischen Worte, die sich aus einem zutiefst besorgten Mund über uns ergossen. Da beginnt sich mir der Magen herumzudrehen. Heroisch, welch hohles Wort! Ein einstudierter Sermon, hundertmal abgekotzt, welchen der Alte nun bei uns ablud, da er ihn wohl zu oft schon selbst hat hören müssen. Der Russe würde sich uns baldigst schon vorstellen. Ich muss jetzt an russische Eier denken, das treibt mir die Galle hoch!

Wir stehen da, in unseren verdreckten Uniformen, schlottern innerlich, versuchen die Fassung zu bewahren und wollen uns dem Gedanken nicht ergeben, dass wir alle Schiss haben. Ich jedenfalls habe eine Riesenflatter! So trotten wir, wie uns geheißen, und melden uns beim Unterscharführer, der uns mit netten Worten in Empfang nimmt.

„Noch so ein Kindergarten, Herrgott, das darf doch nicht wahr sein! Was für ein hagerer Haufen Wichslappen! Nichts zu fressen, was?“

Aber der Anblick des dampfenden Gemüseeintopfes drückt dessen freundliche Begrüßung nur so durch unsere Ohren. Die zwei Soldaten, die um die Feuerstelle kauern, bangen plötzlich um die Dose köstlichen Inhalts, nehmen sie vom Feuer und verschwinden hinter einem Meldewagen. Die beiden haben ihre Rechnung jedoch ohne den Unterscharführer gemacht, welcher ihnen sofort nachjagt. Hat wohl doch was für uns Pimpfe übrig. Hinter dem Wagen entbrennt kurz darauf ein heftiges Wortgefecht. Hasserfüllten Blickes, mit Flüchen begleitet, die leise über ihre Lippen rollen, teilen sie den dampfenden Inhalt mit uns. Jeder bekommt nur einen Löffel voll. Aus einer Konservendose Gemüseeintopf ist nicht viel herauszuholen, nicht für eine Gruppe von fünfzehn Mann.

Ich stochere in meinem Becher herum und esse jedes Stück Gemüse einzeln, damit ich länger was davon habe. Werner hockt mir gegenüber, er muss grinsen, als er mich bei meiner Erbsenzählerei beobachtet. Der Moment des Labens währt nicht lange. Unterscharführer Meinele kommt Zigarette qualmend auf uns zu und scheucht uns vom Boden auf.

„Mit Marschgepäck angetreten! Sofort, meine Herren!“ Der erste Eindruck dieses Knicks in Uniform bewahrheitet sich. Wir schmeißen unser Besteck in die Säcke, stellen uns in eine Reihe, machen rechts kehrt und folgen Meinele, der kurz darauf ein Waldstück ansteuert. Der Boden ist sumpfig. Wir sacken immer wieder ein. Diese Feuchtbiotope durchziehen große Teile dieser Gegend.

Um diesen Umstand noch zu verstärken, hat man das Wasser aus vielen Teichen abgelassen. Schweres Kriegsgerät würde nun Schwierigkeiten haben, hier durch zu kommen. Zu morastig! Es gibt nur wenige befestigte Pfade und schmale Straßen, welche die Ortschaften miteinander verbinden. Genau diese zu verminen ist uns nun auferlegt worden. Ganze LKW-Ladungen werden ausgegeben und so flächendeckend verteilt, dass so manches Tier und Unwissender daran glauben würde.

Warnungen an Zivilisten werden ja kaum noch herausgegeben. Dabei kommen zum Teil ganze Flüchtlingskolonnen durch die Wäldchen gestiefelt, die aber meistens abgefangen und umgeleitet werden. Ab und an kracht es eben. Wer dabei ums Leben gekommen war und wer nicht, diese Frage wollen wir uns lieber nicht stellen.

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