Читать книгу Choreographie - Handwerk und Vision - Konstantin Tsakalidis - Страница 7

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0 Einleitung

Sehr viele Choreographen sind Autodidakten. Viele kommen über Umwege zum Tanz, umgehen die Tanzausbildung und steigen direkt als Choreograph ein. In Tanzausbildungen findet sich oft wenig fundierte choreographische Technik, die den Studenten beigebracht wird. Der an der Choreographie interessierte Tanzstudent erhält allenfalls die Möglichkeit, seine Arbeit zur Diskussion zu stellen. Auf eine Methodik zur Erarbeitung des Stückes wird häufig nicht eingegangen, einfach deshalb, weil diese Methodik auch bei vielen Pädagogen fehlt. Die detaillierte Auseinandersetzung mit den Komponenten, die ein Stück bestehen oder fallen lassen, wird nicht selten schmerzlich vermisst.

Innerhalb des Studiengangs „Choreographie" der an mehreren Hochschulen angeboten wird, werden viele der hier abgehandelten Themen in der Praxis und in der Theorie behandelt. Die Hochschulen unterscheiden sich nach der Art und Weise, wie sie das Thema „Choreographie" aufschlüsseln und welche Schwerpunkte sie dem Studium geben, zum Teil erheblich.

Das hier vorliegende Buch richtet sich an Tänzer, Choreographen, Regisseure, Performer und Lehrer. Es bietet einen umfassenden Einblick in verschiedene Zugänge, mit denen sich eine zeitgenössische Choreographie entwickeln lässt, und stellt choreographische Werkzeuge vor, mit denen sich Tänze bearbeiten und analysieren lassen. Damit wird ein Überblick über die Methoden geschaffen, die in einem Tanzstück oder in einer Tanzeinlage im Theater zur Anwendung kommen, um eine Idee in eine Vorstellung auf der Bühne zu verwandeln.

Grundsätzliche Überlegungen zum strukturellen Aufbau eines Stückes werden ebenso besprochen wie das Entwickeln von Bewegungen zu einem Thema. Behandelt werden auch stückinterne Komponenten, wie Komposition, Bewegungsqualitäten und räumliche Gesetzmäßigkeiten. Einige Kapitel, wie Bühnenbild, Film und Beleuchtung, greifen durch die komplexe Thematik der Choreographie hindurch und durchpflügen das nahe, beeinflussende Umfeld des Tanzes.

Nichttänzer erhalten einen tieferen Einblick in den choreographischen Prozess und haben die Möglichkeit, ein differenziertes Verständnis für die Welt des Tanzes zu entwickeln.

Zu jedem Kapitel sind in der Praxis entstandene und erprobte Übungen enthalten, die den Stoff auf der Ebene der Bewegung vertiefen und sich auch mit Schauspielern und Nichttänzern durchführen lassen.

Der Weg zum Choreographen

Vom Tänzer zum Choreographen

Oft beginnen Tänzer, die ihr Leben lang getanzt und den Schwerpunkt ihrer Aufmerksamkeit im Inneren ihres Körpers hatten, irgendwann zu choreographieren. Ein Schritt, der einen radikalen Wechsel in der Arbeitsweise bedeutet. Waren sie bisher damit beschäftigt zu prüfen, ob die Schultern hochgezogen sind, die Hüfte platziert oder der Fuß gestreckt ist, sind sie als Choreographen nun mit Dingen konfrontiert, die außerhalb ihres Körpers liegen. Von einem Tag auf den anderen müssen sie den Blick von innen nach außen verlagern und sich in andere hineindenken, müssen die Thematik vertiefen, eine Vision entwickeln und bei alledem den Druck der Produktion aushalten.

Wechselt jemand in seiner Arbeit seinen Aufmerksamkeitsfokus von innen nach außen, ist das allein schon eine Veränderung, die ein immenses Quantum an Kraft erfordert. Als Choreograph ist man die letztlich entscheidende Instanz des Stückes. Als Tänzer bekam man noch gesagt, was richtig und was falsch ist. Bei einem solchen Sprung ins kalte Wasser wird es nicht lange dauern, bis sich der Neuling unter den Choreographen überfordert fühlt, und er wird - selbst wenn er mit unverschämt viel Talent gesegnet ist - bald zu spüren bekommen, dass auch in der Kunst, Tänze zu entwickeln, ein Meister nicht vom Himmel fällt.

Quereinsteiger

In der experimentellen Szene, deren Techniken immer gerne auch von etablierten Theatern übernommen werden, arbeiten oft Regisseure mit Tänzern, die nicht die geringste Ahnung vom Wesen des Tanzes haben, geschweige denn über Methoden verfügen, die Tänzer in einer spar-tenübergreifenden Inszenierung zur Entfaltung zu bringen. Schnell entsteht bei Theaterregisseuren ein imaginäres Bild für eine Tanzeinlage - was fehlt, ist die Methode für den Erarbeitungsprozess. Die Visualisierung der Szene entsteht vor dem geistigen Auge; es ist ein schwer entwirrbares Geflecht aus Emotionen und abstrakten Ahnungen, die im Entferntesten noch nichts mit wirklichen Menschen auf einem wirklichen Bretterboden in einem wirklichen Theater zu tun haben.

Die Tänzer werden, unabhängig von der Beschreibung des Regisseurs, nie sein Bild sehen, sondern immer ihr eigenes. Egal, wie gut Sie als Regisseur/Choreograph Ihre Idee konkretisieren - was der Zuhörer visualisiert, ist immer ein anderes, nämlich sein eigenes Bild. Die Probe ist voll von visualisierten Ideen, die alle unterschiedlich sind, und es gibt unendlich viele Formen, eine Idee in eine Szene zu verwandeln - und jede Situation, jede Truppe erfordert einen anderen, einen individuellen Zugang.

Einen Teil der Zugangsmöglichkeiten zu einer Choreographie werde ich hier beschreiben. Diese Zugangsformen sind Bausteine, aus denen sich Tänze gestalten und entwickeln lassen. Die Bausteine werden sich während Ihrer Arbeit verändern, und es werden andere hinzukommen. Sie werden diese Bausteine unterschiedlich kombinieren müssen, um eine eigene Sprache im Tanz zu entwickeln.

Wie viel kann ich lernen oder erarbeiten?

Zwangsläufig wird immer ein großer Teil des Choreogra-phierens im Unausgesprochenen bleiben - einer der Gründe, warum es so wenige Bücher zu diesem Thema gibt -, und das trotz zahlreicher Techniken, die sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts enorm vervielfältigten. Der Fächer, der zur Verfügung stehenden choreographischen Techniken weitete sich mit dem Beginn der modernen Tanzformen, der Integration östlicher Energiearbeit und des durch experimentelle Theaterformen gewonnenen Zuwachses an Schauspiel und Performanceverständnis enorm aus. Damit hat sich nicht nur das Verständnis von Tanz und Choreographie erweitert und gewandelt, es wuchs auch die Zahl der Techniken, mit denen sich Tänze betrachten und inszenieren lassen.

Mit welchen Tanztechniken Sie arbeiten, ist letztlich unerheblich, da diese auf der Ebene der Gestaltung immer wieder denselben Gesetzen gehorchen. Unterschiedliche Techniken können mit den gleichen Gestaltungsimpulsen gefüttert werden. Wie viel Sie sich an choreographischem Handwerk aneignen, hängt mit Ihrer Einsatzbereitschaft und Ihrer Spielfreude zusammen, wie Sie die Impulse, die Sie hier in diesem Buch und aus der ganzen Welt des Tanzes erhalten, weiterentwickeln, indem Sie hinterfragen und ausprobieren und sich damit eine eigene Wahrheit erschaffen. Die Frage ist das WIE, mit dem Sie Ihr Technikkonglomerat gestalterisch auffächern, um es mit einer dramaturgischen Lupe zu untersuchen.

Tanz beginnt da, wo die Verbalisierung endet. Der Tanz wird mit den Sinnen erfahren, und die Sinne sind nun einmal nicht verbal. Eines der Probleme am Choreographieren ist deshalb der Spagat zwischen Intuition und Intellekt. Es ist die Arbeit mit etwas Ungreifbarem, Nonverbalem, im Moment Vergänglichem, welches aber trotzdem intellektuell bearbeitet werden will und kann. Die intellektuelle Analyse ist vielschichtig. Alle in ihr enthaltenen Komponenten beeinflussen sich gegenseitig, sodass sie nicht mehr einzeln, sondern nur in Beziehung zueinander betrachtet werden können.


So wertvoll diese Analyse akademisch auch sein mag - sie klammert das Nonverbale aus und ist nur eine Hälfte des Rades, die ohne die andere nie richtig ins Rollen kommt. Oft versteifen sich Tanzkreierende auf eine dieser Hälften. Ähnlich einseitig verhält es sich mit vielen Ausbildungskonzepten. Wünschenswert wären Ausbildungsansätze, die beide Seiten erfolgreich integrieren. Tanz ist nonverbal, benötigt aber in der Gestaltung eine intellektuelle Zersplitterung, ohne dabei seinen Ursprung zu verlieren.

Es geht für den Choreographen darum, sich ein gestalterisches Bewusstsein zu erarbeiten, das ihm die Entscheidung ermöglicht, in der unüberschreitbaren Magie des Tanzes immer wieder die technische Analyse dazwischenzuschalten, ohne die Verbindung zur Intuition zu verlieren.

In der Technik der Gestaltung gibt es Werkzeuge, die Sie entsprechend den verschiedenen Situationen zusammenstellen können. Diese Werkzeuge oder Hilfsmittel stellen handwerklich erfahrbare Techniken dar.

Für den Erfolg Ihrer Arbeit wird es entscheidend sein, wie Sie die Techniken an die Situationen anpassen können, und nach welchen Gesichtspunkten Sie diese auswählen.

Die Technik der Choreographie setzt sich aus vier Bausteinen zusammen:


Diese Oberbegriffe werden in den nach Themen strukturierten Kapiteln behandelt:

Kapitel 1 Subtext und Geist
Kapitel 2 Thema - Struktur - Dramaturgie
Kapitel 3 Gestalterische Grundlagen
Kapitel 4 Thematische Bearbeitung
Kapitel 5 Arrangement und Komposition
Kapitel 6 Pädagogische Aspekte
Kapitel 7 Schauspiel, Sprache und Tanz
Kapitel 8 Tanz und Film
Kapitel 9 Bühnenbild
Kapitel 10 Beleuchtung
Kapitel 11 Studien und Übungen

Um die, in der Abbildung auf der vorigen Seite durch den Kreis symbolisierten Zusammenhänge zwischen den Bausteinen des choreographischen Handwerks zu erfassen, empfehle ich Ihnen, zuerst alle Kapitel zu lesen, um sie in einen intuitiven Zusammenhang zu stellen. Der zweite Schritt ist die Durchführung der Studien und Übungen. Lassen Sie sich dabei von den Anregungen mehr inspirieren als leiten. Entwickeln Sie eigene Recherchen. Gehen Sie dabei nicht chronologisch vor, sondern lassen Sie sich von Ihrem eigenen Interesse führen.

Möge dieses Buch Sie inspirieren! Mögen Ihre Tänze die Welt bereichern!

Choreographie - Handwerk und Vision

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