Читать книгу Mit eurem Blut sollt ihr bekennen - Kristin Adler - Страница 8

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Etwa drei Stunden, bevor sich in Mainz die Gäste zum Empfang versammelten, hatte Miriam Eschweiler, die Haushälterin von Kardinal Ludwig Pachold von Köln, die Douglas-Filiale in der Schwertnerstraße verlassen.

Sie konnte sich nicht erinnern, in den letzten Jahren so ein Geschäft jemals betreten zu haben, was hätte sie auch dort verloren. Diesen ganzen kosmetischen Schickschnack brauchte sie nicht. Bei DM gab es eine preiswerte Ringelblumensalbe, die ihr völlig genügte. Sie war zwar vor allem für die Hände gedacht, aber sie cremte damit auch ihr Gesicht ein. Ob es gegen Falten half, wusste sie nicht, ihretwegen konnte sie gerne Falten haben, wer störte sich daran, aber manchmal bekam sie diese roten, juckenden Flecken, und Ringelblume war ein altes Heilmittel dagegen. Die Natur war ohnehin klüger, als der Mensch es jemals sein konnte.

Der Kardinal neigte nicht zu roten Flecken, aber für morgen war eine Fernsehaufzeichnung angesetzt. Es sollte ein Beitrag für SAT.1 gedreht werden, über Ostern, obwohl es bis dahin noch etliche Wochen dauerte. Gerade mal eine Minute lang sollte der Beitrag werden, wie konnte man denn die Bedeutung von Ostern in eine Minute packen? Aber der Redakteur musste das schließlich selbst wissen. Letzte Woche war er hier gewesen, um mit dem Kardinal alles zu besprechen. Auf jeden Fall, so hatte er erklärt, sollte der den Bischofsornat tragen, nur bloß keinen schwarzen Anzug und ein schlichtes Collarhemd. Man könnte ruhig den ganzen Prunk auffahren. Und fürs Gesicht riet er zu ein wenig Puder, damit der Kardinal nicht glänzte. Miriam Eschweiler hatte versprochen, das Puder zu besorgen. Sie hatte keine Ahnung, welches sie nehmen sollte, aber eine Douglas-Verkäuferin hatte sie eben ausführlich beraten.

„Ich würde zu einem Kompaktpuder raten, zum Beispiel dem Almost Pouder Makeup von Clinique. Da gibt es sechs Farbtöne. Fair, Neutral Fair, Light, Neutral, Medium, Deep.“

Miriam Eschweiler hatte sie verständnislos angestarrt.

Mein Gott, die armen Frauen, die jeden Tag so was tragen und darauf achten mussten, schön zu sein und die alle sechs Farbtöne auseinanderhielten! Sie konnte das nicht, und sie wollte das auch nicht können.

„Sie haben einen ziemlich blassen Hautton, da würde ich Nr. 1 oder 2. empfehlen.“

„Es ist nicht für mich, sondern für einen ...“

Sie biss sich auf die Lippen. Kardinal Pachold wollte sicher vermeiden, dass eine Douglas-Verkäuferin von seinem Puder-Bedarf erfuhr. „Ich glaube, wir brauchen etwas Dunkleres“, murmelte sie.

„Nehmen Sie am besten Light, damit können Sie nicht viel falsch machen.“

Etwas misstrauisch hatte Miriam Eschweiler auf die grüne Schachtel gestarrt. Das Puder kostete EUR 32,99.

Die armen Frauen, die für so ein Zeugs so viel Geld ausgeben mussten!

Der Kardinal würde sicher seufzen, wenn sie ihm das Puder samt Rechnung brachte, aber das lag weniger an den sechs Farbtönen noch den EUR 32,99, sondern daran, dass ihm die Fernsehaufzeichnung seit langem schwer im Magen lag. Es war seine erste Aufzeichnung dieser Art, weswegen er den Text schon vor Wochen geschrieben und auswendig gelernt hatte.

„Das ist nicht so gut“, hatte der Redakteur bei Gespräch letzte Woche gemeint, „es wirkt natürlicher, wenn Sie frei sprechen.“

„Ich kann ja den Text nicht einfach wieder vergessen“, hatte Kardinal Pachold gegrummelt.

„Sie könnten sich einen neuen überlegen ... so ganz spontan.“

Miriam hatte nur den Kopf schütteln können. Der Kardinal war gerne gut vorbereitet, sie im Übrigen auch.

Mein Gott, die armen Menschen, die sich hektisch und planlos durch den Tag trieben ließen, und das ganz ohne feste Essenszeiten!

Miriam sorgte dafür, dass der Kardinal regelmäßig aß. Vierzig Jahre arbeitete sie schon für ihn, wir werden auch noch die Goldene Hochzeit schaffen, scherzte er gerne. Vor vierzig Jahren war er noch Kaplan, sie hatte seinen Aufstieg von Anfang an miterlebt.

Priester, Professor für Dogmatik an der Universität Regensburg, Weihbischof im Erzbistum München, Erzbischof von Köln, zwei Jahre später die Aufnahme ins Kardinalskollegium, ohne Zweifel der Höhepunkt seiner Karriere.

„Das glaube ich gar nicht, jetzt sind wir Kardinal“, hatte er gesagt, und sie war nicht sicher, ob er im Pluralis majestatis sprach oder sie mit einbezog. In gewisser Weise war sie schließlich mit ihm aufgestiegen. Und sie hatte das verdient. Seit vierzig Jahren hielt sie ihm unverbrüchlich die Treue, hatte nie zu viel geplaudert.

Mein Gott, die armen Menschen, die ständig verkünden mussten, was sie gerade taten, auf dem Computer und so.

Ihr Neffe, der sie dann und wann besuchte, hatte gemeint, dass mittlerweile selbst der Papst einen Twitteraccount hätte, was immer das war, warum sich denn Kardinal Pachold nicht auch einen einrichten würde.

Mein Gott, die armen Eltern halbwüchsiger Kinder. Je älter Miriam Eschweiler wurde, desto größer war ihre Erleichterung darüber, keine eigene Familie zu haben.

Sie verließ die Gereonstraße und bog in die Kardinal-Frings-Straße ein, wo sich die erzbischöfliche Residenz befand - ein schlichtes Gebäude, das in den 50er-Jahren errichtet und im Geist der Nachkriegszeit einfach gehalten worden war. Es beherbergte das erzbischöfliche Priesterseminar, das Historische Archiv des Erzbistums und das erzbischöfliche Offizialat.

Sie warf einen Blick auf die Uhr, es war kurz nach vier. Bald würde die Abendmesse beginnen, die Kardinal Pachold heute mit den Dominikanermönchen feiern würde. Doch dass er nicht hier war, sollte sie nicht davon abhalten, das Puder auf seinem Schreibtisch zu deponieren. Dann war alles für morgen vorbereitet, und sie konnte sich ans Kochen machen.

Der Kardinal hatte sich ein „leichtes Abendessen“ gewünscht. Das sagte er in letzter Zeit immer, obwohl seine Vorliebe eigentlich dem Deftigen galt, aber ein Arzt hatte vor kurzem einen zu hohen Cholesterinwert festgestellt, er müsste künftig mehr Omega-Drei-Fettsäuren zu sich nehmen, was man heutzutage alles wissen musste.

Mein Gott, die armen Menschen, die sich ständig um ihre Gesundheit sorgten und nicht ein wenig Gottvertrauen hatten.

Miriam Eschweiler stieg die Treppe hoch, ohne jemandem zu begegnen. Obwohl sie wusste, dass das Büro des Kardinals leer war, klopfte sie an der Tür und wartete eine Weile.

Stille.

Sie öffnete die Tür, aber stieß auf Widerstand. Vielleicht warf einer der Perserteppiche Falten. Der Teppich wurde einmal im Jahr gereinigt, das war eine Prozedur! Sie drückte ihren Körper gegen die Tür, jetzt öffnete sie sich. Doch als sie den Raum betrat, sah sie, dass es nicht der Teppich war, der den Widerstand verursacht hatte, sondern zwei große Blätter, die irgendwie unter die Tür geraten waren.

Palmblätter.

Wie kamen die denn da hin, im Büro gab es doch nur zwei Zimmerpflanzen. Eine Glückskastanie - ein Mitbringsel von einem Besuch bei irgendeinem südamerikanischen Hilfswerk in Mexiko - und der kleine Kugelkaktus, der auf dem Schreibtisch stand. Die Nichte des Kardinals hatte ihm diesen mal geschenkt. Sie war eine überzeugte Emanze, sie führte oft Streitgespräche mit ihrem Onkel und hatte gemeint, der Kaktus würde ihn an die Kratzbürste erinnern, die sie war. Der Kardinal hatte das lustig gefunden, Miriam Eschweiler nicht. Sollte Sophie Pachold doch froh sein, einen Kardinal in der Familie zu haben.

Aber Palmblätter ...

Eine Weile starrte sie verdutzt darauf, dann ging ihr Blick höher, nahm eine feuchte Lake wahr, die sich nicht weit von den Palmblättern entfernt auf dem dunklen Holzboden gebildet hatte, dort, wo der Teppich aufhörte. Und als könnten nicht alle ihre Sinne gleichzeitig arbeiten, nahm sie erst jetzt den eigentümlichen Geruch wahr, der in der Luft hing.

Das ... das konnte doch nicht sein.

Ächzend beugte sie sich über die Lake, streckte vorsichtig Finger hinein, roch daran.

Tatsächlich. Sie hatte sich nicht getäuscht.

Es war ...

Sie zuckte zusammen, weil plötzlich ein Quietschen ertönt war. Der Luftzug musste das bewirkt haben, der durch die geöffnete Tür drang. Das Quietschen kam von links, doch irgendetwas – vage Furcht, nein, regelrecht Panik - hielt sie davon ab, in diese Richtung zu schauen. Stattdessen musterte sie den Schreibtisch, auf dem wie immer alles penibel geordnet war.

Wieder ertönte das Quietschen. Wieder hatte sie das Gefühl, dass ihr Blut eiskalt durch die Adern jagte. Sie brauchte eine Weile, um sich aufzurichten, schnaufte noch stärker, heute nicht wegen ihres Übergewichts und dem Druck auf der Brust, den dieses verursachte, sondern weil sie eine dunkle Ahnung überkam.

Langsam, ganz langsam blickte sie nach links. Gegenüber vom Schreibtisch stand ein kleineres Tischchen, wo der Kardinal manchmal mit Gästen Kaffee trank oder Besprechungen abhielt. Und neben diesem Tischchen und nicht etwa beim Schreibtisch, wo er hingehörte, stand der Drehstuhl des Kardinals – und quietschte. Über die rechte Lehne baumelte ein Arm. Ein Arm, den Miriam Eschweiler sofort erkannte.

„Herr Pachold!“, entfuhr es ihr, obwohl sie ihn nie so nannte. Er duzte sie manchmal, sie ihn nie. Sie redete ihn immer mit „Eminenz“ an, wie es sich gehörte.

„Herr Pachold!“

Sie stieg in die Pfütze, als sie zu ihm eilte, packte die Rückenlehne des Stuhls, versuchte ihn langsam umzudrehen, aber schaffte es nicht. Der Mann, der auf dem Stuhl saß, war zu schwer. Falls der Stuhl wieder quietschte, hörte sie es nicht mehr. Der Schrei, den sie ausstieß, als sie den Stuhl ängstlich umrundete, war zu durchdringend.

Tote Augen starrten sie an, aber das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war der rote Fleck auf der Brust des Kardinals und das, was dort herausragte – der kunstvoll geschnitzte Knauf eines Dolchs.

Mit eurem Blut sollt ihr bekennen

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