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Zur Geschichte des (akademischen) Faches Deutsch als Zweitsprache

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Da ein rascher Übergang in Regelklassen nur an wenigen Schulen konsequent betrieben wurde, kam es häufig zu mehrjährigen Ausländerklassen […]. Zu den Klassengrößen kam die Fluktuation durch häufige Neuzugänge, zu den Verständigungsproblemen kam das Fehlen didaktischer Expertise, zu den Schwierigkeiten des Unterrichts kam das geringere Ansehen, das mit seiner Erteilung verbunden war. […] Wo keine Vorbereitungsklassen oder ähnliche Einrichtungen existierten, wurden die Seiteneinsteiger in bestehende Regelklassen aufgenommen. Es war dann ihr persönliches Glück oder Pech, ob es dort zusätzlichen Deutschunterricht gab oder nicht, ob dort Lehrkräfte unterrichteten, die in der einen oder anderen Form ein gewisses Maß an Zuwendung aufbrachten, oder Lehrkräfte, die schon zufrieden waren, wenn die Neuankömmlinge nicht allzu sehr störten. (Reich 2017, 78f.)

Dieses Eingangszitat beschreibt nicht etwa die Situation der durch die Fluchtmigration des Jahres 2015 kurzfristig erhöhten Zuwanderungszahlen, sondern die Situation in der damaligen Bundesrepublik in den 1950er bis 1970er Jahren. An die Anwerbung ausländischer, vorwiegend männlicher Arbeitnehmer schlossen sich Familiengründungen und der Nachzug von Familienmitgliedern an. Dementsprechend trat eine hohe Zahl von Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter mit verschiedenen Erstsprachen und eher alltagsbezogenen, geringen Deutschkompetenzen in das Schulsystem ein. Im Jahr 1964 beschloss die damalige KMK die Einführung von Deutschlernklassen. 15 Jahre später, 1979, beschloss sie deren Abschaffung zugunsten von Fördergruppen und Regelunterricht und damit die reguläre Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen in das deutsche Schulsystem.

In den 1980er Jahren wurde das Recht auf Bildung für alle in Bezug auf mehrsprachige Kinder und Jugendliche so interpretiert, dass Chancengleichheit und gemeinsames Lernen als bildungspolitische Prinzipien gesetzt wurden. Die Zuwanderung in die Bundesrepublik hielt auch nach der Wiedervereinigung von DDR und BRD an, seit den 1990er Jahren werden Praktiken der gesteuerten Aufnahme von spezifischen Bevölkerungsgruppen politisch geregelt. Dies sind in den 1990er Jahren vor allem sog. Spätaussiedler*innen und Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien (Bade/Oltmer 2005). Die zuvor etablierte Beschulungspraxis für die schulpflichtigen, mehrsprachigen zugewanderten Kinder und Jugendlichen setzt sich im Prinzip fort. Allerdings werden in den einzelnen Bundesländern zunehmend differenziertere Regelungen getroffen (vgl. für diese und die weiteren Ausführungen auch die fachgeschichtlichen Beiträge in Krumm et al. 2010 und von Oomen-Welke 2017 sowie Reich 2010, 2017).

Dieser hier nur sehr knapp skizzierten Darstellung der gesellschaftspolitischen Entwicklungen folgen die schulische Entwicklung des Faches Deutsch als Zweitsprache sowie die entsprechende DaZ-Forschung. Nach der Beschulung der ‚ausländischen Kinder‘ in ‚Ausländerklassen‘ in den 1950er bis 1970er Jahren und dem Übergang der Schüler*innen in den Regelunterricht ohne die notwendige Vorbereitung der Lehrer*innen war ein „Hängenlassen der Seiteneinsteiger“ (Reich 2017, 79) zu verzeichnen. Ab Mitte der 1970er Jahre entstanden entsprechende DaZ-Lehrbücher, so z.B. „Deutsch für Jugendliche anderer Muttersprache“ (Eckes/Wilms 1975). Das nicht vorbereitete Schulsystem produzierte jedoch ein „massenhaftes Versagen der aus den Ausländerklassen übergeleiteten Schülerinnen und Schüler in den Regelklassen“ (Reich 2017, 82), das auch nicht durch die eingerichteten Fördergruppen zur Vorbereitung, Begleitung und Zusatzförderung in entsprechendem Maße aufgefangen werden konnte.

DaZ-Forschung und DaZ als akademisches Fach in der damaligen Bundesrepublik etablierten sich parallel zu den gesellschaftlichen Entwicklungen und auch in Abhängigkeit von diesen erst ab den 1970er Jahren (Reich 2010, 63). Zuvor gab es keinerlei wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und Chancen, die die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte für das Schulsystem haben könnte. In den 1970er Jahren wurde der Begriff Pidgin-Deutsch geprägt, zurückgehend auf ein Forschungsprojekt der Universität Heidelberg, in dem erwachsene Gastarbeiter mit den Erstsprachen Italienisch und Spanisch in ihrem Deutscherwerb beobachtet wurden (Becker et al. 1977). In den 1980er Jahren wurden u.a. Studien zur Zweisprachigkeit jugoslawischer Schüler an der Universität Essen durchgeführt und mit dem Projekt ZISA (Zweitspracherwerb italienischer und spanischer Arbeiter) wurden die Grundlagen für eine deutschsprachige Zweitspracherwerbsforschung im ungesteuerten Spracherwerb Erwachsener gelegt (Clahsen/Meisel/Pienemann 1983). Erst in den 1990er Jahren entwickelte sich eine scientific community in DaZ und eine „bedingte Eigenständigkeit“ der didaktischen DaZ-Forschung (Reich 2010, 66) als Ergänzung zur sich zunehmend etablierenden Zweitspracherwerbsforschung für Deutsch als Zweitsprache.

Um diesen Einblick in die Geschichte des Faches Deutsch als Zweitsprache nicht zu umfangreich zu gestalten und gleichzeitig eine Verbindung zur Gegenwart herzustellen, sollen nachfolgend knapp ausgewählte Entwicklungen seit ca. 2000 umrissen werden, vor allem solche, die sich auf die Ausbildung von Lehrpersonen für DaZ und Sprachbildung positiv ausgewirkt haben. Im Jahre 2007 wurden zunächst in den Ländern Berlin und Nordrhein-Westfalen verpflichtende Studienanteile für DaZ in Form von DaZ-Modulen in das Lehramtsstudium integriert. Parallel dazu gab es verschiedene länderspezifische Neuregelungen zur Beschulung von Seiteneinsteiger*innen. Der Bereich der Erwachsenenbildung (Deutsch als Fremdsprache) wurde durch die Erarbeitung eines Curriculums für Integrationskurse (durch das Goethe-Institut im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge) weiter strukturiert und durch die Entwicklung von Tests und Zertifikaten begleitet.

Zudem konnten umfassende internationale Schulvergleichsstudien wie PISA seit 2001 und IGLU, zuletzt 2016, sehr deutlich die Rolle von Sprache und die Bedeutung, die mangelnde Sprachkompetenzen für den Schulerfolg haben, nachweisen. Schließlich mündeten diese Erkenntnisse und weitere wissenschaftliche Untersuchungen in eine Bildungsoffensive und beispielsweise in die Durchführung des Projekts FörMig (2004–2009), das auch in den Folgejahren eine hohe Strahlkraft für die Entwicklung von Sprachförderung und Sprachbildung in schulischen Kontexten erreichte und weiterhin erreicht (Gogolin et al. 2011; Quehl/Trapp 2013; Tajmel/Hägi-Mead 2017).

Aktuell ist der DaZ-Diskurs neben dem grundständigen Aufbau von Sprachkenntnissen in vorbereitenden Sprachlernklassen stark von Fragestellungen zur sprachlichen Bildung im Fachunterricht geprägt (Fuchs/Jeuk/Knapp 2017; Ahrenholz/Hövelbrinks/Schmellentin 2017; Lütke/Petersen/Tajmel 2017 u.a.). DaZ und Sprachbildung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrpersonen ist ein weiterer aktueller Schwerpunkt des Faches (Becker-Mrotzek/Roth 2017; Becker-Mrotzek et al. 2017; Hoffmann et al. 2017 u.a.), und auch heute prägen die gesellschaftlichen Entwicklungen die Entwicklung des akademischen Faches und der Praxis:

Ganz aktuell ist der mediale und bildungspolitische Diskurs stark von den spezifischen Förderbedürfnissen von Geflüchteten geprägt. Im Zentrum steht dabei zunächst das Ziel einer allgemeinen Kommunikationsfähigkeit auf Deutsch und daran anschließend beispielsweise die Frage, wie man ältere Schülerinnen und Schüler möglichst schnell sprachlich für den Arbeitsmarkt qualifizieren kann. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich die Rhetorik bildungspolitischer Vorgaben und Empfehlungen in der Folge erneut anpassen wird. (Baumann 2017, 13)

In der Beschäftigung mit Ausschnitten der Fachgeschichte darf die Auseinandersetzung mit kritischen Perspektiven auf das Fach und vor allem auf die Verwendung der Bezeichnung ‚Deutsch als Zweitsprache‘ nicht fehlen, da auch hier fachgeschichtliche Entwicklungen widergespiegelt werden. Zunächst können mit Barkowski (2010, 49f.) drei verschiedene Gegenstände mit ‚Deutsch als Zweitsprache‘ benannt werden. Das sind erstens die „deutschsprachlichen Äußerungen von Sprechern, die das Deutsche als Fremdsprache in einer deutschsprachigen Region und weitgehend außerunterrichtlich erworben haben“ (ebd.), das ist zweitens das Unterrichtsfach, in dem der Spracherwerb unterstützt wird, und es ist drittens das

Teil- und Spezialgebiet des wissenschaftlichen Faches Deutsch als Fremdsprache bzw. der Sprachlehr- und -lernforschung, das die Spezifika der sprachlichen Varietät DaZ, die Erforschung des Erwerbs von DaZ sowie die Entwicklung von methodisch-didaktischen Konzepten der Förderung des DaZ-Erwerbs zum Gegenstand hat. (Ebd.)

Wenn mit DaZ die Deutschkenntnisse einer Person bezeichnet werden, steht der Begriff häufig in Abgrenzung und Ergänzung zu den Bezeichnungen Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Muttersprache (DaM). DaZ meint in diesem Zusammenhang also Kenntnisse und Kompetenzen in Deutsch, aufbauend auf einer bereits erworbenen Erstsprache oder auch aufbauend auf weiteren als der ersten Sprache, also Deutsch als zweite, dritte oder Folgesprache. Kenntnisse und Kompetenzen in Deutsch als einer schulisch erlernten Fremdsprache werden in der Regel mit Deutsch als Fremdsprache (DaF) bezeichnet. Kenntnisse und Kompetenzen in Deutsch als erster und einziger verfügbarer Sprache werden hingegen häufig mit Deutsch als Muttersprache (DaM) oder Erstsprache benannt. Mit den begrifflichen Abgrenzungen wird versucht, spezifische Merkmale des Deutschlernens bzw. des Deutscherwerbs abzubilden. Diese Merkmale sind zum Beispiel der Zeitpunkt des Beginns des Spracherwerbs, der Ort bzw. die sprachliche Umgebung oder das Nutzen expliziter Instruktionen durch Sprachkurse (vgl. zu den etablierten Unterscheidungsmerkmalen Rösch 2011, 16).

In den hier in aller Kürze dargestellten Begrifflichkeiten stecken, wie bereits angedeutet, verschiedene analytische Perspektiven auf ein potentiell mehrsprachiges Individuum. Eine zentrale Perspektive, die auch zur Kritik an Bezeichnungen wie den oben verwendeten führt, ist jedoch bisher unberücksichtigt. Dies ist die Perspektive der Sprechenden, der mehrsprachigen Individuen selbst, die eine Zuordnung und Markierung mit derartigen klassifizierenden Begriffen als unangemessene Zuschreibung und potentielle Diskriminierung erfahren können.

Da der Begriff ‚Deutsch als Zweitsprache‘ als Bezeichnung für den persönlichen Sprachbesitz inferiorisierende Effekte für als DaZ-SprecherInnen geltende Personen nach sich ziehen kann, ist er mit Bedacht zu verwenden. Jenseits didaktischer und methodischer Notwendigkeiten der Verwendung des Begriffs ‚Deutsch als Zweitsprache‘ ist Deutsch Deutsch, unabhängig davon, ob jemand diese Sprache als Erst- oder Zweitsprache verwendet und in jeglicher Perspektive gleichermaßen wertvoll. (Dirim 2015b, 210)

Eine Möglichkeit, sich weniger zuschreibend den sprachlichen Kompetenzen mehrsprachiger Kinder und Jugendlicher zuzuwenden, ist die weiter oben bereits erwähnte Verwendungsweise der Kürzel L1 = language one für Erstsprache, L2 = language two für Zweitsprache und L3 bis Ln für Dritt- und Folgesprachen. Die Mehrdeutigkeit des Begriffs Deutsch als Zweitsprache in seiner didaktischen Dimension, aber auch in seinem Gebrauch als zuschreibungsintensive Personencharakterisierung soll in der Diskussion über die in diesem Band dargestellten Konzepte und Methoden eine erweiterte, migrationspädagogisch orientierte Reflexion anregen, wie sie z.B. von Dirim (2015b), Dirim/Pokitsch (2017) und anderen Autor*innen gefordert wird. Die Frage, was das Fach Deutsch als Zweitsprache eigentlich sei, kann nur multiperspektivisch beantwortet werden (Wegner/Dirim 2018), wofür die fachgeschichtliche Beschäftigung besonders bedeutsam ist (ebd., darin besonders die Beiträge von Adams 2018; Altmayer 2018; Ballis et al. 2018).

Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache

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