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1.1 Reflexionen von Lehramtsstudierenden zu Sprachförderung und Sprachbildung im Fachunterricht
ОглавлениеDie fachspezifischen Erkenntnisse aus den akademischen Fächern Deutsch als Zweitsprache, Deutsch als Fremdsprache und Mehrsprachigkeitsforschung werden erst seit kurzem systematisch in die Lehramtsausbildung integriert, sodass alle Lehramtsstudierenden zukünftig potentiell in der Lage sind, mit der Mehrsprachigkeit vieler Schüler*innen und der Aufgabe der expliziten und impliziten schulischen Vermittlung der für die Schule notwendigen Sprachkenntnisse umzugehen. Dabei ist es stets herausfordernd, neben den eigenen fachlichen und fachwissenschaftlichen Zugängen geeignete Sprachförder- und Sprachbildungsansätze kennenzulernen, zu verstehen und auf den eigenen Unterricht in Geschichte, Philosophie, Geographie und anderen geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern anzuwenden.
Im Zuge der in der Einleitung des Bandes skizzierten Entwicklungen in der Lehrkräftebildung zur DaZ-Förderung und der sprachlich-fachlichen Bildung werden verstärkt empirische Untersuchungen zur Professionalisierung von Lehramtsstudierenden in diesem Feld durchgeführt (Koch-Priewe/Krüger-Potratz 2016). Beispielsweise liefern qualitative Untersuchungen mit kleinen Gruppen von Studierenden Einblick in zum Teil stärker fachbezogene Reflexionen. So haben Peuschel/Sieberkrob (2017) Studierende der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer mittels eines Gruppeninterviews zum gemeinsamen Reflektieren über spezifische Studieninhalte zu Sprachförderung und Sprachbildung angeregt. In dieser Studie steht im Mittelpunkt, was Lehramtsstudierende in Bezug auf ihr zukünftiges Handeln in sprachlich heterogenen Klassen denken. Zunächst wägen die Studierenden ab, in welchem Verhältnis Sprachorientierung und Fachorientierung stehen sollen und wie aus der Perspektive des jeweiligen Faches heraus auch bei Sprachförderung und Sprachbildung die Bedeutung des fachlichen Lernens im Vordergrund steht. „Ziel sprachlicher Bildung ist es, das fachliche Lernen zu unterstützen […]“ (ebd., 93). Dazu gehört nach Meinung der Studierenden, Maßnahmen von Sprachförderung und Sprachbildung an den Bedürfnissen der Fächer und an fachlichen Lernzielen auszurichten, die sprachlichen Charakteristika der fachlichen Lehr- und Lernmaterialien zu erkennen und sich Wissen über fachrelevante Textsorten und Diskursmuster anzueignen. Vor dem Hintergrund dieser Orientierung an den Bedürfnissen der eigenen Fächer äußern die Studierenden auch Überforderungssorgen im Hinblick auf die methodische Ausgestaltung eines sprachsensiblen, sprachförderlichen oder sprachlich bildenden Fachunterrichts. Dies trifft vor allem dann zu, wenn sie sehr geringe sprachliche Kompetenzen einzelner Schüler*innen als großes Problem für ihren zukünftigen Fachunterricht ansehen. Ebenso scheint ein Mangel an geeigneten erlebten best practice-Beispielen aus Hospitations- und Unterrichtspraktika die konkreten Vorstellungen von Sprachförderung und sprachlicher Bildung im zukünftigen Unterricht zu erschweren.
Einblicke in die heterogene Unterrichtswirklichkeit, die in der Lehrkräftebildung ergänzend zu Unterrichtspraktika zunehmend über Videoausschnitte und Videoanalysen gewährt werden,1 können potentiell Unsicherheiten in Bezug darauf ausräumen, wie die speziellen Bedürfnisse von Schüler*innen in einer DaZ-Erwerbskonstellation im Fachunterricht erkannt und erfüllt werden können und welche oder wieviel Unterstützung sie als Fachlehrkräfte geben können.
Den Studierenden sind prinzipiell die unterschiedlichen Anforderungen zur Unterstützung schriftlicher und mündlicher Aktivitäten bewusst. Gerade die mündlichen Aktivitäten und die Umsetzung mündlicher Aufgabenstellungen werden von den Studierenden recht stark problematisiert. Obwohl fachdidaktische Kenntnisse zur Umsetzung aktivierender Methoden wie z.B. Kleingruppenarbeit, Partnerarbeit, Talkshows, Ordner mit Redemitteln, Plakate etc. prinzipiell vorhanden sind, scheinen diese als methodisches Repertoire für Sprachförderung und Sprachbildung nicht ohne Weiteres zur Verfügung zu stehen. Vor allem im Bereich des mündlichen sprachlichen Handelns zeigen sich zwei Seiten des Problems. Einerseits wird das mündliche Sprachhandeln aufgrund der alltagssprachlichen Realisierung als weitgehend unproblematisch erachtet. Andererseits sehen die Studierenden die Herausforderung, einen bildungssprachlich orientierten mündlichen Sprachgebrauch der Schüler*innen zu unterstützen, z.B. im Fach Politik/Sozialkunde bei häufig eingesetzten Formaten wie Talkshow oder Pro-Kontra-Debatten.
Prinzipiell können die Studierenden der Studie im Kontext von Sprachförderung und Sprachbildung Bezüge zur allgemeinen Unterrichtsgestaltung herstellen, sie sehen Potential in der Binnendifferenzierung unter Beachtung sprachlicher Unterschiede und thematisieren Möglichkeiten hierarchiefreier Unterrichtsarrangements sowie die Erhöhung des Redeanteils von Schüler*innen mit geringen sprachlichen Kompetenzen (Peuschel/Sieberkrob 2017, 93ff.). Neben dem Abwägen der Rolle von Sprache und Fach, den Überlegungen zur Methodik ‚Sprache im Fach‘ und den Bezügen zur allgemeinen, differenzierenden Unterrichtsgestaltung scheinen konkrete Unterrichtsideen eine große Herausforderung zu sein.
Abwägen der Rolle von Sprache und Fach: „Also vor allem finde ich, dass es ja weiterhin Fachunterricht ist, den man macht und der jetzt nicht den Deutschunterricht ersetzen soll.“
Überlegungen zur Methodik ‚Sprache im Fach‘: „Also ich würde finden, dass es sich da fast angeboten hätte, diese Wortfeldarbeit vorher zu machen.“
Bezüge zur allgemeinen Unterrichtsgestaltung: „dass aber ansonsten […] durch die traditionelle Binnendifferenzierung […] auch schon viel mit abgedeckt wird“. (Ebd.)
Den Unterricht als kommunikativen Raum zu gestalten, in dem durch Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen Wissensbestände und Kompetenzen erarbeitet werden, umfasst auch die Modellierung der eigenen, im Unterricht eingesetzten Sprache. Die Frage, ob Lehrer*innen für alle Schüler*innen verständlich, kohärent und im besten Fall auch sprachliches Vorbild sind, stellt sich unter den Bedingungen sprachlicher Heterogenität im Unterricht besonders eindringlich. In einer Gruppendiskussion eines Seminars zur Sprachbildung im Fachunterricht mit Studierenden im Studiengang Bachelor of Education der Universität Tübingen wurde geäußert:
Ja, wenn man’s jetzt mal überspitzt formuliert, ja, ist halt echt die Frage: „Wollen wir so sprechen, wie die Zeitung schreibt?“ Also man kann’s ja auch mal von der anderen Seite sehen und ähm es ist ja für uns schon schwierig, Bildungssprache zu sprechen. (Peuschel, unveröffentlichtes Transkript Gruppendiskussion, Zeilen 159–163)
Ähm, gerade zur Lehrersprache, finde ich, […] natürlich sollte man sich bildungssprachlich ausdrücken, aber wie das gerade auch schon gesagt wurde, auch mal alltagssprachlich erklären. Ich finde sogar, dass man eigentlich hergehen kann und immer wieder einen Registerwechsel halt macht. Also, mal alltagssprachlich und dann überleiten quasi zum Fachsprachlichen. Ähm, weil, man muss ja im Prinzip immer die Schüler auch irgendwo abholen. Und man muss, man sollte eigentlich schon damit anfangen, was […] sie schon wissen und was sie auch verstehen. Also ich denke, dass es schon auch wichtig ist, dass man nicht direkt mit Bildungssprache einsteigt bei einer Erklärung. (Ebd., Zeilen 317–326)
Die hier einführend dargebotenen Reflexionen zeigen aus der Perspektive von Lehramtsstudierenden nicht nur Herausforderungen, sondern auch erste Ansätze, wie Sprachförderung und Sprachbildung in den Fachunterricht integriert werden können. Welche Kompetenzen und Wissensbestände Studierende sowie Lehrkräfte in allen Phasen (Studium, Referendariat, Berufstätigkeit) benötigen, wird in Modellen wie z.B. DaZKom erfasst, das die „ideale Professionsentwicklung von Fachlehrkräften bzgl. ihrer DaZ-Kompetenz“ abzubilden versucht (Gültekin-Karakoç et al. 2016). Ob Lehrkräfte bei vorhandenem Wissen und vorhandenen Kompetenzen in der Unterrichtspraxis bestimmte Maßnahmen tatsächlich umzusetzen bereit sind, hängt jedoch auch von ihren Einstellungen und Überzeugungen zum Unterricht in heterogenen Klassen (Gebauer/McElvany/Klukas 2013; Hachfeld 2012, 2013), zu sprachlicher Heterogenität und Mehrsprachigkeit (Hammer/Fischer/Koch-Priewe 2016) und zur Bedeutung von Sprache und Sprachkompetenzen für den schulischen Erfolg ab. Letzteres wird im folgenden Unterkapitel fokussiert.