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Kapitel 4

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Gleich am nächsten Morgen rief Joe Sandra an. Zehnmal ließ sie es läuten, doch die Angerufene hob nicht ab. Joe hinterließ eine Nachricht, in der sie um Rückruf bat. Vibrierend lag ihr Smartphone auf dem Schreibtisch, als sie gerade damit beschäftigt war, das kalte Ende ihres Stethoskops in den fleischigen Rücken eines Patienten zu drücken. „Sie können sich wieder anziehen, Herr Meyer.“ Dann nahm sie den Anruf an.

„Sandra“, sagte das Mobiltelefon lakonisch. „Du wolltest mich sprechen?“

„Ich wollte dich fragen, ob du nächstes Wochenende, Samstag oder Sonntag, Zeit hast? Ich muss mit dir reden.“

Ein Seufzen kam aus dem Lautsprecher. „Nächstes Wochenende ist ganz schlecht. Da bin ich in Wien. Da spielt am Samstag Nick Cave im Gasometer und anschließend übernachte ich bei einer Freundin. Schätze, wir werden auch ein paar Lokale im Bermudadreieck abklappern.“

„Verstehe“, meinte Joe und war sich gleich darauf nicht sicher, ob sie tatsächlich verstand. Hieß das nun, trinken bis zur Bewusstlosigkeit, Typen aufreißen und in die Wohnung der Freundin abschleppen oder schlicht und profan, dass sie ein paar Lokale im Bermudadreieck abklappern wollten? Wer konnte das schon sagen. – „Und Sonntag? Wann wirst du wieder unter den Lebenden sein?“ Joe war der interessierte Blick ihres Patienten nicht entgangen. „Du kommst zu mir – ich muss leiser reden, hab grad einen Patienten – ich koche Spaghetti und dazu gibt’s Rotwein.“

Schweigen rauschte durch den Äther. „Gut, wenn dir so viel daran liegt“, piepste der Lautsprecher.

Joe gab Sandra noch ihre Wohnadresse. Sonntag, dreizehn Uhr sollte zu schaffen sein. Sie beendete ihr privates Telefonat während der Arbeitszeit und wandte sich wieder ihrem Patienten zu, der mittlerweile komplett angezogen und steif wie eine Kerze auf dem Sessel vor ihrem Schreibtisch Platz genommen hatte. „Herr Meyer“, sagte sie mit allem ihr zur Verfügung stehenden Ernst, „in Ihrer Lunge rasselt es wie im Kettenkasten eines alten Segelschoners. Ich verschreibe Ihnen etwas zum Einnehmen und etwas zum Einreiben, und bitte verwechseln Sie die beiden Medikamente nicht wieder. Orale Anwendung bedeutet Einnahme durch den Mund, nicht hinter dem Ohr in die Haut einmassieren. Alles klar?“

Herr Meyer nickte, als wäre ihm das schon die gesamte Zeit über klar gewesen.

Noch eine freundliche Verabschiedung, ein gewinnendes Lächeln, dann war der Patient entlassen – bis zum nächsten Mal.

Manchmal, während dieser nicht enden wollenden Grippephasen, wenn die eine ohne Unterbrechung in die nächste überzugehen schien, war er schon mühsam, ihr Job. Eintönig und mühsam. Was ihr normalerweise Spaß machte, der Umgang mit den Patienten, wurde dann zur Qual. So hieß es weiterkämpfen, bis der letzte Grippevirus besiegt und in der Ordination wieder Platz für die interessanten Fälle war.

Noch ehe die Wohnungstür ins Schloss gefallen war, entledigte sie sich ihrer Schuhe, schleuderte ihre Handtasche auf die Garderobe, wo diese auch einen kurzen Moment liegenblieb, ehe sie zwischen Turn- und Halbschuhen am Fuß der Kleiderablage landete. Montag war immer ihr schlimmster Tag. Da suchten sie vormittags und nachmittags die Quälgeister in ihrer Ordination heim. Nachdem sie sich zur Beruhigung ein Bier genehmigt und ein Bad zwecks Entspannung genossen hatte, wandte sie sich ihrer allmontäglichen Abendmasturbation zu. Aufgewühlt und unverständlich stand sie dem Faktum gegenüber, dass sie an diesem Abend schneller und heftiger kam als üblich, obwohl sie an der Art Hand an sich zu legen, nichts geändert hatte – zumindest nicht seit dem Vortag. War es an diesem Tag anders, weil ihr ständig Bilder dieses Magazins durch den Kopf geisterten?

Vielleicht solltest du es einmal mit einem Knebel probieren, Joe.

Ausgesprochen witzig.

Todmüde schlief sie noch vor einundzwanzig Uhr ein.

Am folgenden Abend beschloss sie, sich wieder Großmutters Pandora’s Box zuzuwenden. Sie entnahm der Schachtel das zu oberst liegende Tagebuch. Eine alte, an den Rändern bereits vergilbte Photographie fiel heraus und landete auf dem Boden. Mit gelenken Fingern angelte sich Joe das Bild. Es zeigte eine Frau in einem lasziven Spitzenkleid. Jung und hübsch war die Frau, deren Konturen von diesem Hauch von Gewebe wie von einer zweiten Haut umschlossen wurden. Joe schaltete die Stehlampe neben dem Sofa ein, um auch die feineren Details wahrnehmen zu können. Erst als sie ein Kratzen im Hals verspürte, wurde ihr klar, dass ihr Mund schon die gesamte Zeit über offen stand. Großmutter Johanna war in ihren jungen Jahren tatsächlich eine Schönheit gewesen, attraktiv und sexy. Doch blondes Haar? Seit sie denken konnte, trug ihre Großmutter ihr langes, braunes Haar zu einem Knoten aufgesteckt. Hatte sie sich das Haar gefärbt, möglicherweise sogar gebleicht? Photoshop wird’s damals ja noch nicht gegeben haben. Joe versuchte langsam zu atmen. Nicht schlecht das Bild, wirklich nicht schlecht. Vielleicht solltest du dich auch mal so ablichten lassen, Joe! Sie schmunzelte, ehe sie diesen Gedanken als moralisch nicht vertretbar verwarf.

Wer wohl der Glückliche gewesen war, der ihre Großmutter in diesem Outfit fotografieren hatte dürfen. Wie alt mochte sie damals gewesen sein? Fünfundzwanzig? Joe wollte das Bild fürderhin als Lesezeichen verwenden. Sie schlug das Buch auf, versank sofort in einer Flut aus blassblauen Worten, tauchte ein in jenen geheimnisvollen Ozean einer vergangenen Zeit.

Joe & Johanna

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