Читать книгу Luisa - Zwischen Puppen und Bomben - Käthi Schneider - Страница 12
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Scheinwerfer und Sirenen
Eine Nacht im Krieg. Mama schaute in die Teekanne, goss die Tassen noch einmal voll und ging in die Küche, um neuen Tee zu aufzubrühen, das Wasser hatte gerade gekocht. Onkel Siegfried rückte die Rumflasche in die Mitte des Tisches. Ein kleiner Rest war noch darin, den Rum hatten sich die Männer in Wochen und Monaten sorgsam eingeteilt, ab und zu einen kleinen Schuss in den Tee getan. Draußen heulte die Sirene.
Mein Onkel Siegfried schaute durch einen Ritz der Verdunklung. „Sie kommen“, sagte er.
Ich saß neben Papa. Mama kam wieder in die gute Stube. Sie trug die dickbauchige weiße, mit vielen bunten Punkten verzierte Teekanne vorsichtig mit dem heißen, frisch aufgebrühten Tee herein und stellte sie auf den Tisch.
„Alarm! Wir müssen ...!“
„Nimmst du den Tee mit? Wer weiß, wie lange das wieder dauert heute Nacht“, sagte Papa zu ihr.
Mama goss den dampfenden Tee in die Thermoskanne und verstaute diese in dem Korb, der mit Essen immer bereitstand. Wir tranken unsere Becher aus, nahmen sie beim Henkel. Papa löschte das Licht. Es wurde stockfinster. Durch die Ritzen der Verdunklung fielen dünne Lichtstreifen vom Vollmond auf die dunkelrot gebohnerten Holzdielen.
„Immer müssen sie abends kommen, die verfluchten Bomber!“, sagte Onkel Siegfried wütend.
Mama trug den Korb, mich nahm sie bei der Hand. Papa trug meinen kleinen Bruder auf dem Arm, Onkel Siegfried meine Schwester, die gerade zwei Jahre alt war.
Wir gingen eilig durch unseren Hof, liefen über die schmale Straße, betraten den Hof von Bauer Kessler. Über den Himmel schossen die Suchscheinwerfer, die Luft dröhnte vom Sirenengeheul. Ich hatte nicht mehr so viel Angst, wir erlebten das nun schon lange, es war unser Alltag. Meine Eltern waren bei mir, ich war mir ganz sicher, dass mir nichts passieren konnte. Ich trug den kleinen braunen Koffer, in dem unsere wichtigen Papiere lagen, ich war stolz, dass ich ihn tragen durfte. Doch die Suchscheinwerfer erschreckten mich immer wieder. Ich kniff die Augen zu, Mamas Hand brachte mich sicher an die Treppe, die in den Felsenkeller führte. Wir blieben oben stehen, bis Papa und Onkel Siegfried mit den Kindern unten waren. Am Tag war Mama oft mit uns Kindern alleine, dann stieg ich zuerst hinunter.
„Jetzt kannst du gehen“, sagte Mama zu mir.
Als ich den Fuß auf die erste Stufe setzte, gab es einen Donnerschlag. Ich flog, flog tief hinunter. Mama schrie! Papa war da, hob mich auf, seine Tränen fielen mir ins Gesicht. Den Koffer hatte ich fest in der Hand, im Arm meine Bertha. Er trug mich in den Keller hinein. Kerzen brannten, die Nachbarn waren alle da.
„Im Oberdorf ist eine Bombe gefallen, es brennt, der Feuerschein ist deutlich zu sehen.“ Der Bauer kam als Letzter die Treppe herunter.
„Das Kind hatte einen Schutzengel“, sagte die alte Bäuerin Kessler. Außer Schürfwunden und blauen Flecken hatte ich nichts abbekommen.
Später ...
Ein Schmerz fuhr durch meinen Körper, ich schrie! Es war, als würde mich jemand mit einem Messer aufschneiden. Ich schrie, strampelte, wurde fest auf das Bett gedrückt. Die roten Nebelschleier wurden immer schneller, sie erfassten mich, mir wurde übel und schwindelig. Der Raum war fast dunkel, nur ein Lichtschein hüpfte hin und her, über meine Bettdecke, das braune Bett, über die dicken, gedrehten Bettpfosten, oben, rechts und links. In diesem Lichtkegel sah ich meine Mutter. Neben ihr beugte sich ein Mann, ein fremder Mann, über mich. Als er sich aufrichtete, erkannte ich ihn. Es war unser Doktor. Er hob die Hände bis zu seiner Brust. Ich sah Blut daran. Schnell schaute ich zur Wand.
Wieder der kreisende Schmerz. Ich schrie: „Mama!“
„Schon gut mein Mädchen“, sagte Mutter und streichelte mich. Der Arzt hatte mir ohne jede Betäubung das eiternde Knie aufgeschnitten. Es gab keine Betäubungsmittel für die Bevölkerung. Sie wurden an der Front für unsere verwundeten Soldaten gebraucht.
Ich habe es überlebt. Nur eine hässliche Narbe erinnert mich an dieses schmerzhafte Erlebnis.