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III.
Weltseele und Naturgesetz

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Wäre die Naturerkenntnis das einzige Interesse der Menschheit, so hätte mit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Weltseele ein für allemal abgedankt werden können. Da aber gerade auf dem psychischen Gebiete der Schwerpunkt des Daseins, nämlich Wert und Zweck des Lebens liegt, so kann die mechanische Auffassung der Natur nicht mehr verlangen, als daß sie für die Naturwissenschaft ihre Selbständigkeit behauptet. So wenig sie sich anmaßen darf, zu einer mechanischen Auffassung der Welt sich auszuwerfen, so wenig darf sie andererseits gestatten, daß ihr die Weltseele wieder unberechtigterweise in ihr Reich der Notwendigkeit des räumlichen und zeitlichen Geschehens hineinpfusche. Daß zu diesem Reiche auch die Tatsachen des organischen Lebens gehören, mag hier nur vorläufig bemerkt werden. Bedürfen dagegen andere Rücksichten der Annahme, daß die Dinge beseelt seien, so steht hierbei kein Recht des Einspruchs zu, so lange nur die Gesetzlichkeit der Natur nicht von der Willkür der Phantasie gestört wird.

Diese Grenze der mechanischen Naturerklärung wurde nun sogleich durch einen neuen Einbruch der Weltseele in die Herrschaft des Raumes bedroht. Die Prinzipien und Hypothesen von Huygens lieferten zwar eine wissenschaftliche Grundlage der Naturwissenschaft; aber um von ihnen aus noch weiter ins einzelne zu dringen und über die Erscheinungen Rechenschaft zu geben, bedurfte es einer verfeinerten Ausbildung der mathematischen Hilfsmittel. Diese schufen Leibniz und Newton durch die Erfindung der Differenzialrechnung. Es kam darauf an, die unendlich kleinen Veränderungen in den räumlichen Ausdehnungen und in den Geschwindigkeiten während eines Zeitmoments in Rechnung zu ziehen, weil nur dadurch das Gesetz der Wechselwirkung der Körper sich unmittelbar mathematisch ausdrücken läßt. Dies leistete die neue Rechnungsmethode. Aber gerade hiermit verlor sich das Bedürfnis, dem die Hypothese des Weltäthers entsprungen war; dieser sollte ja ein Mittel sein, die Übertragung der Bewegung von Teil zu Teil der Materie zu veranschaulichen. Die vervollkommnete Form der Mathematik gestattete nunmehr, direkt aus einer gegebenen Beziehung zwischen den Körpern die daraus folgende zu entnehmen. Die Bewegungsgesetze konnten in eine Formel zusammengefaßt werden, die wirklich stattfindende Bewegung und ihr weiterer Verlauf waren damit ausreichend beschrieben. Das aber ist es, was die Naturwissenschaft verlangt. Die Gesetzlichkeit der Bewegung ist garantiert. Isaac Newton hat das unsterbliche Verdienst, nachgewiesen zu haben, daß die Bewegungen der Himmelskörper sich erklären lassen, wenn man annimmt, es sei zwischen ihnen eine Kraft tätig, deren Wirkungsweise und Größe identisch ist mit der Schwerkraft auf unserer Erde, die wir als Ursache des Fallens der Körper betrachten. Je erfolgreicher in der Astronomie die Methode Newtons sich bestätigte, um so fester gründete sich die Autorität seines Namens, der gegenüber die Bestrebungen derer nicht aufkommen konnten, die nach dem Vorgänge von Descartes, Gassendi, Huygens die Erscheinungen durch den mechanischen Stoß der Atome erklären wollten. Die Hypothesen über die Wirkungsweise der Schwerkraft büßten nunmehr an Interesse ein, das mathematische Gesetz genügte den Astronomen.

Freilich bleiben zahllose andere Gebiete übrig, in denen ein solches Gesetz noch nicht bekannt war. Hier war eine Hypothese über die Form der Wechselwirkung erforderlich. Da aber trat nun durch Newton eine völlige Veränderung in den Anschauungen ein. Nie Wechselwirkung nahm eine neue Gestalt an, sie wurde zur Fernwirkung; und eine merkwürdige Verkettung der Umstände bewirkte so, daß, nachdem durch die Physik des 17. Jahrhunderts die Weltseele aus der Natur vertrieben war, sie jetzt in einer neuen Form zurückkehrte.

Die chemischen und physischen Erscheinungen, unter ihnen vornehmlich die Festigkeit, Flüssigkeit oder Gasförmigkeit der Stoffe und der Zusammenhang dieser Aggregatzustände mit der Wärme, erforderten zu ihrer Erklärung, daß man sich über die Wechselwirkung zwischen ihnen eine bestimmte Vorstellung bildete. Die Korpuskulartheorie, die in der Gestalt und Bewegung der kleinsten Körperteilchen die Ursache der Veränderungen der Körper erblickte, konnte in diesem Falle keine Fortschritte erzielen, die sich mit denen der Astronomie vergleichen ließen; einerseits, weil das Tatsachenmaterial noch zu wenig messend durchforscht war, andererseits, weil die mathematischen Handhaben fehlten. Nun hatte Newton seinen immensen Erfolg durch die Annahme erreicht, daß sich die Körper so bewegen, als zögen sie sich mit einer Kraft an, die im direkten Verhältnis zu ihren Massen und im umgekehrten Verhältnis zum Quadrate ihrer Entfernungen stehe. Nichts lag näher, als diese Annahme in passender Weise auf die kleinsten Teilchen der Körper zu übertragen. Es konnte nur die ästhetische Befriedigung über die in der ganzen Natur herrschende Einheit erhöhen und zugleich die Aussicht auf den Fortschritt der mathematischen Naturwissenschaft fördern, wenn man es als eine Grundeigenschaft der Materie überhaupt betrachtete, daß die Atome durch anziehende oder auch durch abstoßende Kräfte aufeinander einwirken. So wurde denn unter dem Schutze des ruhmvollen Namens Newton der Begriff der Zentralkraft in die Natur eingeführt. Das Gesetz wurde nicht bloß als eine Methode angesehen, die Bewegungen zu beschreiben, sondern als eine in den Atomen selbst steckende physische Ursache, die durch den leeren Raum hindurch von Teilchen zu Teilchen wirkt. Die mechanische Erklärung wurde dadurch in eine dynamische verwandelt: an der mathematischen Methode der Naturerklärung brauchte indessen im Grunde nichts geändert zu werden. Das Gesetz blieb ja als die Realität bestehen, auf welcher alles Naturgeschehen beruht; und die Auffassung, daß jede Veränderung notwendig bedingt ist, wurde nicht dadurch berührt, ob diese Veränderung durch eine den Atomen ursprünglich einwohnende aktuelle Bewegung oder durch eine potenzielle Kraft bewirkt würde. Im Gegenteil bedeutete die Einführung der Newtonschen Fernkräfte einen neuen Fortschritt in der Auffassung der Natur als einer eigenen Gesetzlichkeit, deren Bewegung nicht von dem Leben und der Beseeltheit ihrer Teile abhängig ist. Hier aber traten andere Motive als naturwissenschaftliche dazwischen.

War die Natur ein in sich selbst nach dem eigenen Gesetz der Notwendigkeit ablaufender Mechanismus, so schien es unvermeidlich, daß die naturwissenschaftliche Welterklärung in Materialismus ablaufen mußte. Wie konnte dann das Gebiet der Freiheit, das sittliche und religiöse Leben noch aufrecht erhalten werden, wenn es nur die blinde Notwendigkeit des Naturgeschehens gab? In der Tat haben wir ja erst durch Kant gelernt, das Nebeneinanderbestehen von Naturnotwendigkeit und Freiheit wissenschaftlich zu begreifen. Es wurden daher gegen jene neue Methode der Naturerklärung sehr lebhafte religiöse Bedenken rege. Man fragte sich, wie die Gefahr abzuwenden sei, die dem Glauben an Gott aus der Naturwissenschaft zu drohen schien. Im Interesse der theistischen Weltauffassung lag es, alle Gründe aufzubieten, um das rein mechanische Geschehen als unzureichend für die Naturerklärung zu erweisen und wieder, wie es der Platonismus getan hatte, eine beseelte, geistige Welt als tiefer reichende Realität in das Naturgeschehen hineinzudeuten. In England, wo der Orthodoxismus mit der Gedankenwelt der Forscher am innigsten verbunden war und daher theologische Beweggründe am stärksten wirkten, zeigten sich die Bestrebungen am lebhaftesten und entschiedensten, die Materie hylozoistisch, d. h. als beseelt und lebend, aufzufassen.

Hier vertrat Francis Glisson (1587-1677) einen ausgeprägten Hylozoismus, indem er annahm, daß die Naturerscheinungen aus der gegenseitigen Durchdringung lebendiger Substanzen, die sich ihrer Bewegung bewußt sind, zu erklären seien; er nannte dies die »energetische Natur« der materiellen Teile, derzufolge sie sich ausdehnen, zusammenziehen und bewegen können. Die Willkür, die in seiner Annahme lag, machte es jedoch unmöglich, von dieser Beseelung der Teile aus zu einer exakten Naturerklärung zu gelangen, und somit wurde dieser Standpunkt der mechanischen Auffassung weniger gefährlich, weil er einer solchen zu wenig entgegenzusetzen hatte. Viel bedenklicher wurde eine andere Lehre, die Philosophie Henry Mores (1614 – 1687), weil sie die Berechtigung der mechanischen Theorie bis zu einem gewissen Punkte anerkannte, die Bewegungsgesetze und die atomistische Grundauffassung der Materie bestehen ließ und nur darüber hinaus die Wechselwirkung auf ein geistiges Wesen zurückführen wollte. Nach More besteht die Körperwelt aus unendlich kleinen, undurchdringlichen, sich berührenden und beweglichen Atomen, die er physische Monaden nennt. Aber diese Atome sind nicht bloß alles Lebens und aller Empfindung, sondern auch jeder selbständigen Bewegung bar. Alle Bewegung rührt allein von der geistigen Substanz, dem »hylarchischen Prinzip« her, das immateriell ist, Leben besitzt, jedoch kein bewußtes Denken, und sich spontan, von innen heraus, bewegen kann. Das gemeinsame Band, wodurch dieses hylarchische Prinzip oder dieser mit einem plastischen Vermögen begabte » Spiritus naturae« auf die leblosen Atome wirkt, ist nur der Raum. Denn auch jener immaterielle Spiritus ist ausgedehnt, besitzt jedoch nicht, wie die Körper, Undurchdringlichkeit seiner Teile; wobei es freilich schwer ist, sich eine »immaterielle Ausdehnung« vorzustellen. Die Teile dieses Spiritus, die Geister, erfreuen sich der Freiheit, sich nach Belieben auszudehnen oder zusammenzuziehen; die Anwesenheit eines solchen oder mehrerer Geister im Raume hindert nicht die Aufnahme eines Körpers, was More die »vierte Dimension« nennt. Die Geister schalten und walten hier zum Besten der Naturordnung. So hat sich More eine zweite Welt hinter der physischen Natur konstruiert, in der er nun freilich vor sich gehen lassen kann, was er will. Alles, was physikalisch nicht erklärbar scheint, wird einfach in diese ätherische Geisterwelt hineinverlegt, und damit muß man sich beruhigen.

Trotzdem hat die Sache eine Art theoretischen Anstrichs. Die Geister sind ausgedehnt, sind Teile des Raumes und besitzen somit eine gemeinsame Einheit, indem sie die Gesamtheit des unendlichen Raumes erfüllen. Dieser Weltraum ist also ein unendlicher Geist, der alle endlichen Geister umschließt und durch sie die Körper bewegt; er ist Gott. Mit dieser Vorstellung erhält die Philosophie Mores ein Gepräge, das sie als eine Vermittlung zwischen Naturwissenschaft und religiösem Glauben erscheinen läßt. Man wird an neuere, spiritistische, ganz ähnliche zugestutzte Theorien erinnert, die ja auch den Beifall einzelner Naturforscher gefunden haben.

Von diesen Anschauungen Mores aus wurde nun Newton beeinflußt, und so zeigte sich das seltsame Schauspiel, wie ein theologisches Motiv es bewirkte, daß durch Newtons Autorität ein neues physikalisches Erklärungsmittel in die Naturwissenschaft eingeführt wurde, die oben erwähnte unvermittelte Wirkung in die Ferne.

Es ist keine Frage, daß Newton selbst die Hypothese der unvermittelten Fernwirkung gebilligt hat und sie nicht bloß, wie behauptet worden ist, bei seinen Schülern duldete. Der zweiten Auflage seines grundlegenden Werkes »Mathematische Prinzipien der Naturlehre« ließ er eine längere Vorrede seines Freundes Roger Cotes vorangehen, in welcher die Schwere geradezu eine »einfachste« Ursache genannt ist, von der eine weitere mechanische Erklärung nicht mehr gegeben werden könne. Daß dies Newtons eigener Ansicht entsprach, ist nicht zu widerlegen. Allerdings hatte Newton es unentschieden gelassen, ob vielleicht die Schwere noch auf eine andere Grundlage zurückzuführen sei, nämlich auf die Elastizität eines den Weltraum erfüllenden Äthers. Aber diese Hypothese, die er übrigens nie recht ernst genommen hat, widerspricht nicht der Ansicht, daß, wenngleich noch vielleicht die Schwere, so doch keineswegs die Fernwirkung überhaupt – und auf diese nur kommt es an – mechanisch zu erklären sei. Denn jener elastische Äther übt seine Wirkung nicht durch Druck oder Stoß, sondern durch abstoßende, also fernwirkende Zentralkräfte, die in den Atomen ihren Sitz haben. Das Prinzip der Bewegung bleibt demnach ein übermechanisches, und in einem Briefe an Bentley erkennt Newton ausdrücklich an, daß man die Attraktion in dem ganz allgemeinen Sinne jeder fernwirkenden Kraft verstehen könne.

In diesem Briefe an Bentley findet sich auch die viel zitierte Stelle, die irrtümlich dahin gedeutet worden ist, daß Newton eine fernwirkende Kraft überhaupt für absurd gehalten habe. Sie lautet: »Daß Schwere eine ursprüngliche, inhärente und wesentliche Eigenschaft der Materie sein sollte, so daß ein Körper auf einen anderen in der Entfernung durch den leeren Raum ohne anderweitige Vermittelung wirke, ohne etwas, wodurch seine Wirkung und Kraft übertragen werde, das erscheint mir als eine so große Absurdität, daß ich glaube, niemand, der in philosophischen Dingen ein kompetentes Urteil hat, könne darauf verfallen.«

Aus diesen Worten sind wir, die wir innerhalb der mechanischen Naturauffassung stehen und keine anderen Wirkungen als mechanische in der Naturerklärung zulassen, natürlich gezwungen zu schließen, Newton habe sagen wollen, die Attraktion sei mechanisch zu erklären. Er wollte aber sagen: Die Attraktion ist nicht mechanisch zu erklären, und deshalb darf man sie nicht für eine ursprüngliche Eigenschaft der Materie halten. Der Ton liegt auf dem Wort Materie. Die Tatsache der unvermittelten Attraktion steht für Newton sicher; Materie als »unbeseelter, roher Stoff«, kann nicht in die Ferne wirken; also muß die Attraktion auf einem nicht materiellen Prinzip beruhen, auf einem immateriellen Wesen geistiger Art. Das ist der Schluß, den Newton zog.

Und wo und wie wirkt die Attraktion? Im Raume. Überall ist sie gegenwärtig. Durch keinen Körper läßt sie sich absperren, sie durchdringt die Körper, sie ist mit ihnen zugleich im Raume. Sie wirkt nicht wie Körper in der Berührung, denn für die Berührung wäre die Oberfläche maßgebend; sie wirkt proportional der Masse, also nach Maßgabe des ganzen vom Körper erfüllten Raumes. Sie ist immateriell und doch im Raume, kein Körper und doch Körper bewegend – also wirkt sie wie ein den Raum durchdringender und erfüllender Geist. Und sie wirkt durch den ganzen unendlichen Raum in unendliche Ferne; also ist sie Wirkung des unendlichen Geistes, der die Einheit der gesamten Welt durch seine Tätigkeit umfaßt und ordnet. Attraktion, Feinwirkung, Raum, Gott als Weltseele, das sind nur verschiedene Ausdrücke für denselben Gedanken: das Prinzip der Wechselwirkung. Das ist Mores Philosophie im Newtonschen Gewande.

Newton war ein streng kirchlich gesinnter Mann; nichts konnte ihm willkommener sein als ein Ausweg, die mathematische Naturauffassung, die er durch seine Lebensarbeit wie wenig andere gefördert hatte, vor dem dogmatischen Materialismus zu bewahren, der sich aus ihr mit Notwendigkeit zu ergeben schien. Und er war eine mystisch angelegte Natur, wie die Richtung seiner Studien in seinen letzten Lebensjahren zeigt. So ist es zu verstehen, daß ihm der Gedanke behagte: Die Wechselwirkung der Körper beruht im letzten Grunde auf einer geistigen Natur des Raumes, in welcher die weltordnende Macht des Schöpfers selbst als Weltseele zur Geltung kommt.

So hat denn die Weltseele triumphiert über das mechanische Gesetz. Und so hätte Platon Recht behalten, wenn er ein geistiges Prinzip als das Mittel erklärte, wodurch die Wechselwirkung der sinnlichen Erscheinungen allein zu verstehen sei? Dann gäbe es in der Tat keine naturwissenschaftliche Erkenntnis der Dinge, und nur wahrscheinliche Vermutung wäre gestattet über die Realität der Empfindung, nicht eine Wissenschaft, sondern ein geziemendes und verständiges Spiel? Dann wäre die Arbeit des siebzehnten Jahrhunderts nur ein solches Spiel gewesen?

So liegt die Sache doch nicht, und das war auch Newtons Meinung keineswegs. Der Mann, der das stolze Wort sprach, »Hypothesen ersinne ich nicht«, konnte unmöglich sein eigenes Werk durch eine Hypothese vernichten wollen, welche die Naturerkenntnis aufhob. Nicht in einem Kreise führt die neue Auffassung der Weltseele zur alten zurück, nein, wie in einer Schraubenlinie hat sich das Verständnis der Natur auf eine weitere Stufe erhoben. Von hier vermag es auf seine eigene Bahn zurückzuschauen und zu erkennen, daß diese Bahn zwar aus der Macht des Bewußtseins nicht hinausführt, aber innerhalb derselben durch ihr eigenes Gesetz bestimmt ist. Die Weltseele, die im letzten Grunde die Wechselwirkung bedingen soll, ist allerdings kein Gegenstand der Erkenntnis, aber sie soll es und braucht es auch nicht zu sein. Sie ist ein Gegenstand des Glaubens, und alle Realität beruht zuletzt auf einem Glauben, auf einer inneren Gewißheit des Gefühls; denn alles, was die Erkenntnis zu leisten vermag, ist Widerspruchslosigkeit ihres Inhalts; daß aber nur die Widerspruchslosigkeit uns zu befriedigen, uns Sicherheit im eigenen Bewußtsein zu geben vermag, das ist eine ursprüngliche Realität, die nicht wieder aus der Erkenntnis stammt; daß die Naturgesetze widerspruchslos sein müssen, setzen wir voraus. Und nur insoweit wird, selbst in der Newtonschen Auffassung der Wechselwirkung, der Glaube in Anspruch genommen. Die Weltseele als Bedingung der Wechselwirkung bedeutet jetzt nur, daß es Naturgesetze gibt; das ist eine Realität von jener Ordnung, zu der auch unser eigenes Bewußtsein gehört. Aber es gibt Naturgesetze. Dies ist der Schritt, den das moderne Bewußtsein in der Zeit von Galilei bis Newton über Plato hinausgetan hat; das ist die Sicherung der Naturwissenschaft.

Newton sah als Mensch und gläubiger Christ in der Natur ein Mittel für die Zwecke Gottes. Aber als der Mathematiker und Physiker, als der er zu den unsterblichen Begründern der Naturwissenschaft gehört, sah er in der Natur das von Gott geordnete Gebiet einer undurchdringlichen Gesetzlichkeit und in der Erfahrung und Rechnung das Mittel, diese Gesetzlichkeit in das Bewußtsein der Menschheit zu heben. Die Natur hat in der Übertragung der Bewegung nach mathematisch formulierten Gesetzen ihre eigene Realität; nur aus dieser ist sie zu erkennen, nicht aus Hypothesen über die Wechselwirkung, sei es durch Ätherstöße oder Fernwirkung, sei es durch eine Weltseele. Darüber wollte Newton keine Hypothesen bilden, weil die Aufgabe der Naturwissenschaft allein darin besteht, den Stoff der sinnlichen Erfahrung in der Form des Gesetzes zum allgemeingültigen Objekt, zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen. Physik wollte er, keine Metaphysik, sofern es sich um Naturwissenschaft handelt. Aber wo er nicht Naturforscher ist, sondern Mensch, da kann das Erkennen nicht genügen, da fühlt er auch, und da glaubt er an die göttliche Macht, die in den Dingen waltet. Doch nicht in der Art Platons. Die Weltseele bewegt nicht mehr die Körper. Die Körper bewegen sich, selbst. Dies ist der Unterschied: Die Realitäten sind gesondert. Die Natur ist selbständig. Das Gesetz der Wechselwirkung ist ein mathematisches Gesetz in den Dingen selbst. Was wir darüber hinaus von der Wechselwirkung glauben, geht die Naturwissenschaft nichts an.

Diesen Standpunkt hat Newton in seinen naturwissenschaftlichen Schriften überall streng innegehalten. Er hat darin durch sein Forschen und seinen Glauben nach einem Prinzip gehandelt, das hundert Jahre nach ihm Immanuel Kant der Menschheit zum klaren Bewußtsein gebracht hat als die Methode, wodurch Kultur überhaupt möglich wird, weil sie Grenzen und Rechte bestimmt für Erkenntnis und Glauben. In Raum und Zeit herrscht die Notwendigkeit des Gesetzes, unberührbar von unserem Wollen und Fühlen, und soweit reicht Erkenntnis; aber wo Erkenntnis nicht mehr hinreicht, ist Freiheit; und um dieser Freiheit willen ist der Mensch.

Ursprünglich sollte die Bewegung durch die Weltseele erklärt werden. Als die mechanische Naturauffassung im siebzehnten Jahrhundert ihre wissenschaftliche Festigkeit erhielt, schien es, als sei nun die Bewegung die einzige Realität, als gäbe es nur Natur; die mechanische Naturauffassung wurde zur naturalistischen Weltansicht, zum Materialismus; jetzt sollte die Weltseele, d.h. die Tatsache des Bewußtseins, durch die Bewegung erklärt werden. Aber auch dies ist nicht möglich. Aus der seelenlosen Mechanik der Atome kann kein Bewußtsein entspringen. Es bleibt nur übrig, daß beide, Bewegung und Empfindung, Naturgeschehen und Einheit des Bewußtseins, in derselben Tatsache gegeben sind, in der Realität des Gesetzes, daß sich Bestimmungen, Ordnungen, Synthesen in Raum und Zeit vollziehen, und daß dieselben Bestimmungen und Synthesen unter Umständen ihrer Realität sich bewußt sind. Diesen Gedanken, dessen Folgen wir zunächst nur in kurzer Übersicht entwickeln, werden die nachstehenden Aufsätze im einzelnen zu erläutern versuchen. Hiermit erreichen wir den Gesichtspunkt, von welchem aus sich die spiritualistische wie die materialistische Weltauffassung überwinden läßt. Das naive Bewußtsein kennt nicht die Trennung der unbewußten Natur von dem bewußten Geiste; aber es kennt damit auch nicht die Gesetzlichkeit der Natur und den Weg zu ihrer Beherrschung. Diese Trennung mußte von der Wissenschaft erst vollzogen werden, um in der Natur ein Gebiet zu gewinnen, in welchem Erkenntnis möglich ist, und daraus zu lernen, daß die Natur und Erkenntnis dieselbe gesetzliche Notwendigkeit bedeuten. So ergibt sich die Natur als eine unzählige Mannigfaltigkeit in einander greifender Systeme, in denen sich gesetzmäßig der Inhalt gestaltet, so daß wir zugleich den Inhalt erleben und das Gesetz erkennen.

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Jene Systeme und Systeme von Systemen bezeichnen wir als Körper, ob sie nun im speziellen Atome, Molekeln, Stoffe, Planeten, Sonnensysteme, Organismen, Pflanzen, Tiere oder Menschen heißen. Sie bestimmen sich gegenseitig als Einheiten, und in diesen Einheiten liegt es, daß die Natur sich selbst erleben kann, während die gesetzliche Bestimmtheit der Natur dadurch nicht geändert wird.

Alles dies könnte mechanisch ganz ebenso vor sich gehen, ohne daß bewußte Wesen existierten, ohne daß irgend etwas da wäre, was man Seele oder Geist nennt. Innerhalb der Natur liegt zu letzterem keine Nötigung vor. Die reale Einheit der Systeme ist durch das Gesetz bedingt, wodurch ihre Elemente gegenseitig auf einander bezogen werden. Die Molekeln führen ihre Schwingungen aus, die Energie der Raumteile vollbringt ihren ewigen Wandel, die komplizierten Energiegefühle der Zellen bauen sich zu Organismen auf, im Nervensysteme der Tiere, im Gehirn der Menschen gestaltet sich ein Mechanismus, der die fernsten Wirkungen in Raum und Zeit verbindet und aufspeichert, der in der Wechselwirkung der Gehirne jenes umfassende System herstellt, das wir die Kulturentwickelung der Menschheit nennen. Das ist die Auffassung der Welt, wie sie uns theoretisch als Naturerkenntnis zugänglich ist.

Aber dieses Geschehen in Raum und Zeit besteht nicht bloß in der Einheit des Gesetzes, sondern auch als erlebte Einheit im Bewußtsein individueller Geister. Es ist nämlich unter jenen Systemen eines, von dem ich die unmittelbare Erfahrung habe, daß jene Zusammenhänge in ihrer Einheit erlebt werden, daß sie den Charakter der Bewußtheit besitzen. Dieses System ist mein Leib. Alles, was mit diesem in gesetzliche Beziehung tritt, wird erlebt als mein Ich. Daher weiß ich, daß es Einheiten gibt, in denen die Natur sich selbst erlebt, und daher ist der Begriff einer Weltseele zum mindesten der Natur nicht widersprechend. Nur freilich wie weit dieses Selbsterleben sich ausdehnt, das weiß ich nicht. Ich muß annehmen, daß überall, wo dieselben Einheitsbeziehungen bestehen, auch dieselben Erlebnisse sich einstellen, und ich darf daher erwarten, daß, je näher eine Organisation der meinigen steht, um so ähnlicher auch ihre Seele, ihr Erlebnis dem meinigen ist. Bis wohin sich die Ähnlichkeit erstreckt, läßt sich nur aus dem Verhalten der Systeme schließen. Wenn aber Gründe sich finden sollten, weshalb ich jeder Einheitsbeziehung in der Natur Bewußtheit zuschreiben zu müssen glaubte, so hindert mich nichts daran. Ein menschenähnliches Bewußtsein werden wir dort voraussetzen, wo ähnliche gesetzmäßige Systeme vorhanden sind, also Nervensysteme und Gehirne wie bei uns; denn die Erfahrung lehrt, daß die Einheit unseres Ich nur erlebt wird, insofern die Einheit des Gehirns intakt ist.

Prinzipiell jedoch darf man annehmen, daß überall, wo einheitliche Systeme in der Natur existieren, auch diese Einheiten sich erleben. Nicht nur die Tiere und Pflanzen mögen daher individuelles Bewußtsein besitzen, ebenso wie jede Zelle, auch die Planeten und Sonnensysteme können bewußte Wesen sein, ja selbst jede einfachste physische Wechselwirkung, insofern die Einheit des gesetzlichen Zusammenhangs ihrer Teile vorhanden ist, braucht vom Selbsterlebnis nicht ausgeschlossen zu sein. Entsprechend der komplizierten Wechselwirkung einfacher Systeme in immer höheren Systemen kann man sich auch die Grade des Bewußtseins und die Mannigfaltigkeit des Erlebnisses in unzähligen Stufen geordnet denken.

Das »Erleben« ist somit aufzufassen als die Wechselwirkung selbst, die an einem System, im Zusammenhang mit andern stattfindet. Ich erfahre es nur an dem System, das mein Leib bildet, und zwar erfahre ich es als Tatsache, daß Veränderungen in dem Zustande vor sich gehen, den ich mein Ich, mein eigenes Bewußtsein nenne. Insofern ist Bewußtsein die einzige Form der Existenz, die wir kennen; denn alle Veränderungen der Dinge können wir allein durch solche Angaben beschreiben, wie sie in unserem Bewußtsein enthalten sind, aus Anschauungen des Raumes und der Zeit, Begriffen der Größe, der Qualität, der Abhängigkeit, Empfindungen der Härte, der Farbe, der Wärme usw. Aus diesen Daten des Bewußtseins erst sondert sich im Verlauf der Erfahrung des einzelnen und im Verlauf der Geschichte des menschlichen Denkens eine Gruppe, ein System von Tatsachen heraus, die wir die Natur nennen, weil sie eine Gesetzlichkeit für sich bildet.

Dadurch tritt Natur als eine Realität besonderer Art derjenigen Realität gegenüber, die in unserem Ich als gesetzlich unbestimmt, oder wenigstens für uns nicht bestimmbar, übrig bleibt, und die wir als unser Gefühl bezeichnen. Das Gefühl unterscheidet uns als individuelle Geister innerhalb des Gesamtzusammenhanges der Welt. So trennt sich also innerhalb des Bewußtseins erst das gesetzliche Geschehen der Natur von dem subjektiven Gefühl, und erst in diesem Gegensatze, in welchen das Erlebnis sich spaltet, zeigt sich der gesetzliche Inhalt in Raum und Zeit als Körperwelt neben und zusammen mit jenem Gebiete, das als Vorstellungswelt und Seele seine individuelle Beschaffenheit beibehält. Aber so wenig wir aufhören, Bewußtsein zu haben, weil wir einen Körper besitzen, ebensowenig brauchen wir andern räumlich-zeitlichen Einheiten die Seele abzusprechen. Nur dürfen wir mit diesem Zugeständnis keinen Mißbrauch treiben. Wir dürfen nie vergessen, daß wir aus der Annahme einer Beseelung der Natur absolut keine wissenschaftliche Erklärung der Natur gewinnen können. Denn alles, was die Erkenntnis zu leisten vermag, leistet sie lediglich unter der Voraussetzung der widerspruchslosen Gesetzlichkeit, und diese ist allein in der räumlich-zeitlichen Wechselwirkung anzutreffen. Diese ist ja eben deswegen als Natur vom seelischen Erlebnis abgesondert worden. Es können immer nur andere als naturwissenschaftliche Rücksichten sein, die den Gedanken einer Weltseele nahezulegen vermögen.

Einheitliche Systeme der Natur, wie Molekeln, Organismen, Planeten, mit Bewußtsein begabt zu denken, mag ein berechtigter Analogieschluß sein. Dann müssen wir uns diese Systeme auch stets als individuelle Seelenwesen vorstellen. Es liegt ja im Begriff des Individuums, daß es nur durch die Wechselwirkung mit anderen Individuen existiert, sowohl als physisches System wie als damit identische psychische Einheit. Dürfen wir nun diesen Schluß auch auf das Ganze der Welt übertragen? Dürfen wir von einer Weltseele sprechen in dem Sinne, daß es ein Bewußtsein des Universums gibt?

Das ist eine Frage, deren Beantwortung unmöglich ist, weil schon die Voraussetzung der Totalität des Weltalls jede Erfahrung übersteigt. Die Grenzen, innerhalb deren unsere Begriffe Recht und Geltung besitzen, sind überschritten, weil sie durch keine Anschauung mehr bestätigt werden können. Die Frage kann nur noch so gestellt werden: Gibt es Interessen der Menschheit, die den Glauben an eine Weltseele erfordern? Solche Interessen können Motive des Willens oder des Gefühls sein. Ihnen nachzugehen ist eine Aufgabe für sich. Diesen Fragen ist überhaupt nicht beizukommen, indem man von der Natur ausgeht und sie zum Universum erweitert; denn dann bleibt man immer in den Grenzen von Raum, Zeit und Notwendigkeit. Dann besteht jeder Schritt nur darin, daß man weiß, dies muß so sein, weil jenes ist, und jenes wieder, weil ein anderes ist, jeder Zustand ist bedingt durch einen anderen; man gelangt stets auf einen unendlichen Prozeß, der zuletzt ins Unbestimmte verschwimmt. Alles was ist, ist dann zwar bestimmt durch ein anderes, aber daß überhaupt etwas ist, bleibt vom Standpunkte der Naturerfahrung aus ein Zufall.

Daß überhaupt etwas ist, wissen wir nicht aus der Erkenntnis, sondern aus dem Selbstgefühl, daß wir selbst sind. Und nur von hier aus können wir den unverrückbaren Standpunkt gewinnen, von dem aus das Ganze der Natur jetzt als das Mittel erscheint zu dem Zwecke, daß überhaupt etwas sein soll, nämlich Verwirklichung des Guten durch die Freiheit sittlicher Persönlichkeiten. Nur von dem Weltzweck aus, der in der Forderung des Sittengesetzes gegeben ist, könnte man fragen, ob die Weltseele nötig sei zu vermitteln zwischen der Idee des Guten und der Natur, wie einst Platon es glaubte. Und dann könnte man doch das Wort »Weltseele« nur verstehen als Symbol eines Vernunftgesetzes, als eine Versinnbildlichung unseres Glaubens an den Willen Gottes, in welchem Gesetz und Freiheit zusammenfallen.

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