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VORWORT IN WILDERE LÄNDER MEIN WEG VON DEN ANKLÖPFLERN ZU DEN FLUSSPIRATEN DES KONGO

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„Wenn Sie jetzt vier Monate in den Tschad fahren, kann eine Weiterbeschäftigung nicht gewährleistet werden“, sagt der ORF-Landesdirektor zu mir. Das ist eine ziemlich klare Ansage für seine Verhältnisse.

Ich versuche seinen Blick so unerschrocken wie möglich zu erwidern, aber ich bin sicher, er merkt, dass ich schlucke. Ich bin dreiundvierzig an jenem Sommertag des Jahres 2008. Seit fast zwanzig Jahren arbeite ich für den ORF, durfte Fernsehreportagen aus vier Kontinenten machen und habe mir in meiner Heimat einen gewissen Ruf als Reporter und Moderator erworben. Ein Traumjob, für den ich immer dankbar sein werde. Was mich schreckt an jenem Tag, ist die Aussicht auf die kommenden zwei Jahrzehnte als Moderator im Tiroler Jahreslauf: Zuerst kommen die Neujahrsvorsätze, dann gräbt man irgendwo eine neue, uralte Fasnacht aus, es folgen die Ostergräber, später die Tipps für die Bikinifigur, dann Schultüten, Krapfenschnappen und Halloween, und schließlich tasten wir uns schon wieder über die Anklöpfler zum traditionellen Schlusspunkt des Jahres: der Angst der Haustiere vor der Silvesterknallerei. Und jedes Jahr ein neues Album von Andrea Berg, nicht zu vergessen Howard Carpendale. Wenn ich in Pension gehe, wird er neunzig sein: „Hello again!“

„Ich fahre in den Tschad.“

„Alles Gute“, sagt der Landesdirektor, was ich recht anständig von ihm finde.

Natürlich war nicht Howard Carpendale allein ausschlaggebend für den Entschluss, meinen sicheren Job an den Nagel zu hängen und dem Abenteuer nachzujagen. Vielmehr wusste ich von meinen früheren Reportagen in Afrika, dass es Menschen gibt, die zuallerletzt an die empfindsame Psyche ihrer Siamkatze denken, wenn es draußen kracht. Dass es Gegenden gibt, wo die Schultüte kein Thema ist, weil schlicht keine Schule da ist. Dass Menschen hungern, während wir uns über die Feinheiten der F. X. Mayr-Kur den Kopf zerbrechen. Ich habe echte Probleme schon immer spannender gefunden als selbstgebastelte.

Außerdem lockte das Abenteuer: Einbaum statt Rafting-boot, die Sahara statt Beachvolleyball, Regenwald statt Hofgarten, Berggorilla statt Kasermandl. Los geht’s!

Ich habe seither in Friedensmissionen der NATO und der EU im Tschad, im Kosovo, in der Demokratischen Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik gearbeitet. Die Voraussetzungen habe ich aus meiner Jugend mitgebracht: ich bin Absolvent der Theresianischen Militärakademie und des Jagdkommandos, und ich parliere recht passabel auf Französisch und auf Englisch.

Ich habe in diesen Jahren so ziemlich alles an Abenteuern erlebt, was ich mir vorgenommen hatte, inklusive Flusspiraten, Wüstenfürsten und einem feuerspeienden Vulkan. Ich möchte keinen Tag missen! – Das ist natürlich Blödsinn. Die zwei Tage zum Beispiel, in denen ich in der kongolesischen Minenstadt Mbuji-Mayi unter meinem Moskitonetz gelegen bin, zähneklappernd und von oben bis unten vergiftet von dem nicht mehr ganz frischen Gürteltier, das mir mein Gastgeber aufgedrängt hatte, auf die könnte ich gern verzichten. Und hie und da hatte ich Erlebnisse, die ich gern eintauschen würde gegen ein unverbindliches Interview mit Helene Fischer im gemütlichen Radiostudio.

Heimweh hab ich natürlich auch manchmal gehabt.

(Wer hätte das nicht, wenn er aus dem schönsten Land der Welt stammt, eine bezaubernde Frau und drei prächtige Kinder hat?)

Immer wieder hab ich mich dann hingesetzt und geschrieben. Im Schein einer Öllampe in den Hügeln am Schwarzen Fluss im Kongo, in meinem Zelt im Hof eines Wüstenforts am Rande von N’Djamena oder in der gemütlichen Albanerbar im Militärcamp von Pristina. Geschichten gab und gibt es ja immer genug, und unter meiner Uniformbluse schlägt noch immer das Herz eines Journalisten, der eine gute Story erkennt. Ich habe – mit einer Ausnahme1 – nie für Zeitschriften geschrieben, sondern für meine Familie und meine Freunde. Um sie auf einen Sprung mitzunehmen in das Land, in dem ich gerade war, und ihnen meine neuen Bekannten vorzustellen. Ob das nun der vierzehnjährige Aimé war, der mit seiner selbstgebastelten Gitarre durch die Kneipen von Kinshasa zog, oder der Oberstleutnant Bandundu, dessen Onkel ein leibhaftiger Werleopard war, wie er mir glaubhaft versicherte. Ich bin davon überzeugt, dass die Art und Weise, wie Menschen denken und handeln, weit mehr über ein Land sagt als Wirtschaftsdaten und politische Kommentare.

Manchmal wollte ich meine Leser auch einfach nur zum Lachen bringen mit den verschrobenen Gedanken, die mir eine Winternacht im Kosovo oder der schwefelige Wind am Vulkankrater des Nyiragongo einflüsterte. Die Geschichte vom Osterhasen zum Beispiel, der bei den Berggorillas im Virunga-Nationalpark lebt, habe ich ursprünglich für meine kleinen Neffen geschrieben. Am Ende hatte ich selbst die größte Gaudi dabei. Ab und zu sind es eben auch die kleinen Highlights, über die wir lachen, die unser Umfeld erhellen.

Ich lade Sie ein, die vorliegenden Geschichten einfach so zu nehmen wie meine Lieben daheim: nicht als streng journalistische oder gar wissenschaftliche Berichte, sondern als Schnappschüsse aus geheimnisvollen Gegenden. Schnappschüsse sind nie neutral, sie zeigen selten das große Ganze, und manchmal sind sie ein bisschen verwackelt. Aber sie sind fast immer nah am Geschehen, oft überraschend, beizeiten sogar entlarvend. Und wenn der eine oder andere Sie zum Schmunzeln bringt, haben wir beide schon gewonnen.

Ich verbleibe mit herzlichen Grüßen aus den wilderen Ländern

Ihr ergebener Kurt Arbeiter,

Abenteurer

1„Der Reitclub von Kinshasa“ für die Internationale Reiterrevue

Mein Onkel der Leopardenmann

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