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ОглавлениеTagebucheintragung 05.04.2020
PALMSONNTAG
Heute ist Palmsonntag. Ein erster Höhepunkt der christlichen Osterfeierlichkeiten auf der ganzen Welt. Alles in leeren Kirchen. Via TV bin ich mit Kardinal Schönborn beim Palmsonntagsgottesdienst im leeren Stephansdom in Wien verbunden. Gläubige können am Fernsehschirm mitfeiern. Eine Sängerin intoniert „Lamm Gottes, erbarme dich unser …“. Der Kardinal hat jetzt den Kelch mit der Hostie erhoben und betet: „Seht das Lamm Gottes. Es nimmt hinweg die Sünde der Welt.“ Eine einzelne Stimme antwortet: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort und meine Seele wird gesund.“ Dann folgt Stille. Abschließend spricht Kardinal Schönborn den Segen: „Der Herr sei mit euch. Gepriesen sei der Name des Herrn in alle Ewigkeit. Seid gesegnet im Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes. Gehet hin in Frieden.“ Eine Stimme antwortet: „Amen.“ Am Schluss wird eingeblendet: www. gottesdienstnetzwerk.at.
In Tausenden Kirchen auf der ganzen Welt passiert genau Dasselbe in diesem Moment. Leere Kirchen, und dennoch mit den heutigen technischen Mitteln verbunden. Ist das ein Segen oder ein Fluch? Ich weiß es nicht. Aber es ist anders.
12.00 Uhr: Frühling. Ja, ich erfahre Frühling. Die Sonne wärmt mich. Da gibt es einen erblühten Kirschbaum, voll erblüht. Bienen gehen geschäftig ihrem Treiben nach. Das nährt meine Seele. Auf meinem Spazierweg nehme ich ein Sonnenbad. Es ist einfach schön. Jogger kommen mir entgegen. Radfahrer passieren mich, und Autofahrer haben die Windschutzscheiben offen. Musik dringt aus dem Inneren. Auf einem Laternenpfahl ist ein Plakat angebracht „Katze entlaufen! € 100 Belohnung! Sie heißt Amy und ist 7 Monate alt. Farbe: Weiß/Rot.“ Die Besitzerin kenne ich, sie tut mir leid.
Ein Spaziergänger mit Hund kommt mir entgegen und wechselt die Seite. Der Hund bekommt mehr Leine. Er schnüffelt an meinem Hosenbein. Der Hundehalter erklärt mir, dass sein Hund eine besondere Rasse sei. Klein, ein seidiges graues Fell und unübersehbare Fledermausohren. Der Hund scheint von mir begeistert zu sein. Das erkenne ich daran, wie er nicht nur mit dem Schwanz wedelt, sondern sein ganzes Hinterteil hin und her bewegt. Er beschnüffelt mich. Was er riecht, scheint ihm zu gefallen. Wir wünschen einander einen guten Tag und gehen weiter.
Abstand halten! Mir fällt auf, dass zwei Jogger ziemlich nahe an mir vorbeilaufen. Momentan schreckt mich das. Wir haben alle keine Masken auf. Unfug, denke ich mir. Was soll denn schon passieren? Ja, aber ab morgen ist Maskenpflicht. Etwas Makabres hat das Ganze sehr wohl für mich. Wer ist ein Überträger, ein „Corona-Virenspreader“?
Jetzt haben wir schon drei Wochen Quarantäne. Die Regierung verkündet heute als Osterbotschaft: „Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels. Die Ansteckungszahlen sind rapide gesunken, und unser Gesundheitssystem wird (wahrscheinlich) nicht kollabieren wie in anderen Ländern.“ Ich weiß nicht, ob mich das beruhigt.