Читать книгу Im Netz - Kurt Felix Weill - Страница 8
5 ….und immer weiter
ОглавлениеWenn ich danach kurz angenommen hatte, dass der investigative Teil unseres Meetings abgeschlossen sei, sah ich mich getäuscht. Im Gegenteil. Es ging noch tiefer hinunter in den Vorratskeller allgemeiner Wert- und Unwertschätzungen.
„Und jetzt sag mal, was magst du nicht an einer Frau?“
„Oh my God!“ Vor der Antwort auf diese Frage hätte ich mich gerne gedrückt. Verkriechen ins kleinste Mauseloch oder, wahlweise, in einem einsamen Fischerboot weit hinaus segeln aufs offene Meer – nur die See und ich….
Ich tue mir bereits schwer, zu sagen, was ich von einer Partnerin will. Eine Höllenqual ist es für mich, einer fast fremden Person Auskunft darüber geben zu müssen, wie eine Partnerin nicht zu sein hat. Das ist der Moment, in dem man grausame, nicht wiedergutzumachende Fehler begehen kann.
Diese können das, bis dahin fein gewobene Beziehungsgeflecht mit einem Satz komplett zerstören. Es gibt Erwartungen auf der anderen Seite. Wage nicht, sie zu enttäuschen! Schlagartig fiel mir eine Szene aus meiner Schulzeit wieder ein.
Es muss in der achten oder neunten Klasse gewesen sein, als mir eine Mitschülerin, mit Herzchenblick und geröteten Wangen, ihr Poesiealbum in die Hand drückte und mich bat, ihr eine nette Erinnerung zu hinterlassen. Das einzige, was mir einfiel, war „Dir und mir – Binding Bier!“
Damals wusste ich nicht, warum sie beim Lesen meiner Zeile in Tränen ausbrach. Natürlich sprach sich mein Faux pas in Windeseile in der ganzen Schule rum. Bei den Mädels war ich daraufhin ziemlich lange ziemlich durch. Ganz unten! Ein Poesiealbum zum Reinschreiben bekam ich nie wieder. Nicht, dass ich darauf großen Wert gelegt hätte. Die Missachtung aber, die mir fortan seitens der vereinigten Weiblichkeit zuteilwurde, hinterließ mindestens so tiefe Kratzer in meinem Gefühlsleben, wie mein dämlicher Satz in der Seele meiner Mitschülerin.
Diese Lektion hatte ich gelernt. Auf solche oder ähnliche Bitten und Fragen nichts Falsches antworten. Es ist ernst – todernst! Die Erwartungen des Gegenüber immer in die eigenen Überlegungen mit einbeziehen! Aktuell: Nachdenken! Zeit gewinnen!
„Puh, du willst es wissen!“
stöhnte ich daher, ehrlicherweise entsetzt.
„Ja ja!“,
lautete ihre schelmische Antwort. Die Frau wusste offensichtlich sehr genau, was sie mir antat.
„Oui, oui…“
gab ich, genauso schelmisch zurück. Dann kam mein Trumpf – As:
„….ich muss einen Moment nachdenken…“
Das war Spitze! Und ich setzte noch einen drauf:
„Am wenigsten mag ich es, wenn ich mit Liebe erdrückt werde. Generell mag ich Menschen nicht, die kalt und berechnend sind und ich habe große Probleme mit Verachtung.“
Wenn es eine ewige Bestenliste der saublödesten Abturner gäbe, hätten diese zwei Sätze Topchancen auf einen der ganz vorderen Plätze. Mit Liebe erdrückt? Als ob das, außer meiner Mutter, schon mal jemand bei mir versucht hätte. Gut, das kann sie nicht wissen, aber übersetzt heißt dieser Satz einfach nur, dass ich meine Ruhe haben will. So what? Und Verachtung? Ich hätte noch etwas länger nachdenken sollen.
Sie hielt dann meine Ausführungen auch keines weiteren Kommentars für würdig und schob ihrerseits ein paar Allgemeinplätze hinterher. Es kam etwas über die Situation der Menschheit auf dem Planeten, über Gier und Hunger, Hass und Intoleranz, Sexismus, Rassismus. Alles Themen, die das Herz des 3.Welt– und Bioladeneinkäufers, der ich mal gewesen war, erwärmten. Nicht viel, weil ich merkte, dass dies zwar teilbare Ansichten waren, aber nichts, was ihr Leben wirklich bestimmte. Ich bestätigte also brav und wechselte das Thema.
„Was arbeitest du?“
Auf diese Frage verweigerte sie zunächst die Auskunft. Etwas daran war unangenehm. Nach einigen Sätzen über Ehrlichkeit und Heuchelei in Beziehungen kam sie allerdings darauf zurück und berichtete, dass sie in einem Supermarkt als Buchhalterin gearbeitet hätte, aber leider an einer „geschlossenen Tür“, weshalb sie jetzt zu ihrer Großmutter an die Elfenbeinküste gereist sei.
Justine aus Toulouse wohnte also aktuell nicht mehr in Toulouse, weil sie ihren Job verloren hatte. Dass dies zwingend erforderte, zur Großmutter an die Elfenbeinküste zu reisen, statt sich eine neue Arbeit zu suchen, erschloss sich mir nicht auf den ersten Blick. Das Leben geht mitunter merkwürdige Wege. Justine offenbar auch. Auf meine Frage hin erläuterte sie mir, dass die Oma ein gesundheitliches Problem hätte und sie deshalb ein paar Tage auf sie aufpassen wolle. Ein paar Tage!
Nach etwas Geplänkel, mehr oder weniger Wahrem über eigene Stärken, Schwächen und Vorlieben wurde dann, kurz vor der Abschiedsrunde noch ein Hochkaräter ausgepackt:
„Aber du kennst die Ambitionen im Leben. Ich möchte den Mann meines Lebens finden und eine schöne Familie gründen, um alles mit ihm zu teilen und für den Rest meines Lebens zu lieben.“
Aha! Den Mann fürs Leben und Familie gründen? Das hatte ich nun eigentlich deutlich hinter mir, vor allem das Zweite, war aber eitel genug, um mich geschmeichelt zu fühlen. Außerdem wollte ich diesen sensiblen Moment nicht durch zu viel Wahrheit zerstören und hüllte mich daher einfach in Schweigen. Der Zeitpunkt meines Outings würde kommen, da war ich sicher und er war nicht mehr fern. Die Uhr zeigte schon fast Mitternacht.
Es ging dann noch bis 02.30 Uhr. Infos wurden ausgetauscht, über Hobbys und das Alter. Er war fast 60 und sie dreiunddreißig….Peter Maffay sang leise im Hintergrund. Dann endlich, kurz vor dem Kreislaufkollaps, fand ich den Eingang zum Ausgang:
„….ich will jetzt schlafen gehen. Je suis fatigue. (ich bin müde). Ich habe den Kontakt mit dir sehr genossen. Ich glaube nicht, dass ich der Mann bin, den du suchst, weil ich wahrscheinlich viel zu alt für dich bin und auch schon Kinder habe, aber ich mag deine Art und würde gerne weiter Kontakt mit dir haben, wenn das für dich in Ordnung ist. Für heute will ich mich von dir verabschieden. Bon nuit.“
Auch sie verabschiedete sich freundlich und verbindlich, nicht ohne von ganzem Herzen zu hoffen,
„dass wir dieses Gespräch morgen wieder aufnehmen können, wenn es möglich ist gut nacht“
Damit war der erste Abend in gut sechs Stunden durchgesuchtet. Weitere würden folgen.