Читать книгу Seemannsschicksal im 2. Weltkrieg – und danach - Kurt Krüger - Herausgeber Jürgen Ruszkowski - Страница 4
ОглавлениеProlog
Im Jahre 1989 ging ich in den Ruhestand. Während meiner ganzen Berufsjahre hatte ich nicht einmal eine Erinnerung an die schrecklichen Kriegserlebnisse, auch kein Traum brachte die Bilder wieder hoch. Meine Seele hatte alles total verdrängt!
Dann sehe ich 1991 in Travemünde den Eisbrecher „STETTIN“ als Museumsschiff. Sofort werden alte Erinnerungen wach: Wir hängen 1941 havariert im Eis fest, da kommt die Rettung durch diesen Eisbrecher! Er holt uns aus dem Eis heraus und bringt uns auch sicher in den Stettiner Hafen.
Ich bin gleich in den Förderverein: „Dampfeisbrecher Stettin e. V.“ eingetreten. Der Dampfer bietet im Sommer Fahrten an: „Kieler Woche“, Flensburg, Rostock usw. So habe ich mich an Bord zunächst als Bootsmann engagiert, jetzt aber nur noch als Matrose, da ich die Verantwortung für Besatzung, Fahrgäste und letztendlich auch für das Schiff in meinem Alter nicht mehr übernehmen kann.
Es ist fast unglaublich: Gott sei Dank war es mir möglich, diese ganzen Ereignisse der Kriegszeit über zig Jahre zu verdrängen. Es hat mich auch nicht belastet oder bedrückt. Mit der inneren Ruhe war es aber seit der Begegnung mit dem Eisbrecher STETTIN vorbei – ich hatte Horrorträume: Wie ein Film liefen oft die Bilder der Kriegstage und Gefangenschaft vor meinem inneren Auge ab. Ich war völlig aufgewühlt! Nachdem ich mal mit Kollegen meines Alters über diese Sache geredete hatte, sagten diese, dass es ihnen genauso gehe. Jemand meinte dann zu mir: „Schreibe doch mal alles auf! Dann kann das alles aus dem Kopf heraus, und Du findest womöglich wieder Frieden!“ Genauso habe ich es auch gemacht – und es ist, obwohl ich immer alle Daten notiert habe, auch als es verboten war, eine schwere, aber wie ich glaube, gelungene Arbeit geworden, diese Ereignisse und Daten wieder zusammen zu bringen.
Dadurch, dass ich jetzt alles aufschrieb, ist es abgehakt und kann aus meinem Gedächtnis verschwinden. Es ist jetzt eine abgeschlossene Sache! Ja, die Daten? Ich bin ein Mensch, der alles notiert, auch als es verboten war. Ich habe einen Kalender von 1945 und ein kleines Notizbuch, darin sind auch die ersten Englisch-Lernstunden, sowie einen Bleistiftstummel von 5 cm Länge in die Gefangenschaft retten können. Das war in meiner rechten Tasche, die linke hatten sie mir ja abgerissen. Diese Sachen besitze ich heute noch. So war es ein Leichtes, alle richtigen Daten anzugeben. Ja so einfach ist es, man muss nur früh damit anfangen.
Das war also der Anlass, meine traumatischen Erlebnisse der Jugend aufzuschreiben. Die Zeitzeugen sterben langsam aus. Daher möchte ich die Nachfolgegenerationen darüber informieren, was damals möglich war und heute kaum noch vorstellbar ist.
Es wird ja in der von Herrn Reemstma organisierten Wehrmachts-Ausstellung behauptet, wir wären als deutsche Soldaten nur plündernd, mordend, vergewaltigend durch die Gegend gezogen. Die Tatsachen meines Lebens: Vom 25. April 1941 bis zum 22. November 1946 stand ich unter militärischen Gesetzen: Anordnungen, Befehle, Gehorsam. Wir hatten uns immer ordentlich zu benehmen. Das hieß, höflich, aber korrekt alle Anweisungen aus zuführen. Im Ausland hatten wir freie Fahrten und kostenlosen Kinobesuch. Für Diebstahl gab es harte Strafen bis hin zum Straflager. Für Plünderungen drohten Todesstrafe oder Straflager. Solche Ausschreitungen sind bei uns nie vorgekommen. Auf Feigheit vor dem Feind stand die Todesstrafe. Für Fahnenflucht gab es Todesstrafe oder Straflager. Fahnenflucht ist bei uns zweimal geschehen: Bei der Seefahrt kehrte im April 1942 in Bergen ein Heizer vom Landgang nicht zurück. Er hatte einen riesigen "Dödel" und fand daher keine Frau, die bei ihm blieb. Da hatte er in Bergen die richtige gefunden, was er uns Tage vorher erzählt hatte. Dann ist er mit ihr nach Schweden desertiert und wurde nicht gefasst! - Fall Nr. 2: Ein Kamerad ist während eines Spähtrupps zu den Amerikanern übergelaufen, was einem anderen Kameraden das Leben kostete. Auf der einen Seite konnte ich ihn verstehen. Er war Elsässer, und am 12. Februar 1945 waren wir auf dem Rückzug. Es war immer meine größte Angst, wenn wir sie erwischt hätte, müssten wir sie selber erschießen. Das ist mir zum Glück erspart geblieben.
Wir übten immer Fairness gegenüber Gefangenen, sie wurden korrekt nach Waffen untersuchen, privates Eigentum durfte nicht abgenommen werden. Ich erlebte circa 250 Gefangennahmen indirekt, 12 direkt von Angesicht zu Angesicht. Bei meiner eigenen Gefangennahme dachte ich: Bist du jetzt auf einem anderen Stern? Bespucken, Arschtritte, Uhr weg, Abzeichen abreißen, Scheinhinrichtung, drei Tage ohne Verpflegung und ohne Trinken, alles in den Dreck treten. So etwas hatte es bei uns nie gegeben.
Bei Durchsuchungen von Wohnungen durften wir keine Unordnung machen. Wenn wir verlassene Wohnungen fanden, haben wir mal in den Betten geschlafen, diese aber dann ordentlich verlassen. Ich war in einer Sturm-Kompanie das heißt, immer als einer der Ersten am Gegner. So weiß ich was ich schreibe, was woanders geschah, kann ich nicht wissen. Von Vergewaltigungen habe ich nie etwas gehört. In meiner Dienstzeit war ich in folgenden Ländern: Finnland, Schweden, Norwegen, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Spanien. Überall war es möglich, in Freundschaft Frauen kennen zu lernen.
Unser Hauptmann Zirkel war streng aber gerecht. Ich hätte noch 3 Tage Bau abzusitzen. Meine Tat: Ich hatte mich wegen Übermüdung auf einen Munitions-Karren gelegt.
Warum ich das noch alles aufschreibe? Es geschieht auch aus ganz großer Dankbarkeit und im Gedenken an alle lieben, hilfsbereiten Menschen. Wenn man diese furchtbaren Zeiten nur mit „Gottes Hilfe“ überstanden hat, ist man froh und glücklich!
Alle Schilderungen sind hautnah und selbst erlebt, keine „Zweite-Hand-Geschichten“ oder vom „Hörensagen“! Ich hoffe, dass meine Geschichte etwas gegen das „Vergessen“ bewirkt und der jüngeren Generation eine Einsicht in die Situation der Kriegs- und Nachkriegsgeneration gibt. Es gab während meiner Arbeit an diesem Bericht viele Versprechungen, mir zu helfen und diese Erinnerungen weiter zu vermitteln, aber leider dachten die meisten dabei nur an ihren Verdienst und so sagte ich: „Nein, Danke!“ Mein großer und herzlicher Dank gilt aber all den aufrichtigen Helfern! Vor allem danke ich meiner lieben Betty, denn sie hat mich in den schwierigen Jahren nach dem Kriege moralisch und körperlich immer wieder total aufgerichtet. Sie hat immer eisern zu mir gehalten.
Kurt Krüger