Читать книгу Der Alphornpalast - Kurt Marti - Страница 12

I carceri

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Einen kennen, der nichts als Piranesis Kerkerstiche und deren Reproduktionen sammelt, dieser Leidenschaft bedenkenlos seine Ersparnisse opfernd, sich vielleicht sogar verschuldend. Die Originale, die Reproduktionen, male ich mir aus, deckten sämtliche Wände seiner kleinen Wohnung von unten bis oben ab: Gewölberhythmik, wohin der Blick fiele, majestätische Mauerpathetik mit Lichteinfällen durch Gitterfenster ganz hoch oben. Aus feuchten Finsternissen suchen erlöschende Augen vergeblich nach Zeichen des Erbarmens, nach Entgegenkommen, doch nichts kommt entgegen, keiner der Lichtstrahlen reicht hinunter bis in die Rattenwelt der Verdammten, alles entzieht sich, weist ab – Mauern wie schöne endgültige Ungeheuer, an deren Fuss winzig und preisgegeben zwei, drei Schattengestalten, kaum noch erkennbar, kauern oder liegen, wahrscheinlich haben sie längst den Verstand verloren. Klimmzüge, Emporklettern wäre aussichtslos. Wers dennoch, von Verzweiflung getrieben, versucht hat, kann nicht weit nach oben gekommen, muss bald schon ausgeglitten, abgestürzt sein, ist vielleicht mit gebrochenen Knochen liegen geblieben, niemand weiss es. Allein noch der Blick und die Vorstellungskräfte der für immer Versenkten, nach deren Schuld oder Unschuld niemand mehr fragt, bleiben beschäftigt, halten die auf feuchten Fliesen, auf verfaultem Stroh Dahindämmernden noch ein wenig am Leben, am Sterben. Mechanisch folgen ihre Augen immer wieder den Mauerflächen, Fugenverläufen, den Rundungen der Gewölbe und Emporen, dem Spiel der Sonnenstrahlen ganz hoch oben, bis sie ermattet, von Entbehrungen geschwächt, schliesslich nur noch Licht und Schatten wahrzunehmen vermögen, ehe sie ganz erlöschen. Was bleibt, ist die Macht monumentaler Architektur, sind triumphale Raumphantasien, eine Verliesswelt, die wahnsinnig gewordene Fürsten sich als Denkmal errichtet haben könnten, Spätlinge wohl, die, in ihre Banditen, Mörder, Brandstifter, Rebellen grausam verliebt, Lust und Befriedigung daran fanden, die langsam krepierenden Opfer mit Orgien von Raum zu demütigen und zugleich doch zu ehren. Verdammnis, bis in die Details kunst- und liebevoll ersonnen: melancholischer Pomp, poetischer Horror.

Wie gesagt: den manischen Sammler dieser Verliessphantasien kennen und vielleicht auch Zeuge sein dürfen, wie sein Auge und sein Geist alsbald entzückt und süchtig dem Sog der gewaltig aufgetürmten Gemäuer, Bögen, Winkel verfallen, wobei der Betrachter sich – und ich mit ihm? – unmerklich in einen jener Verdammten verwandelte, die nichts mehr sind als Augenrausch und Agonie. Ihre Verlorenheit, denke ich, würde den Sammler und süchtigen Betrachter von neuem mit seiner eigenen versöhnen. Meine Gegenwart vergessend fiele er stumm auf die Knie: Adorant eines Gottes, der sich die Welt als mirakulösen Kerker erdacht haben könnte, in dem seine Geschöpfe und Opfer allmählich verenden, verwesen zum Te Deum grandioser Mauern und hochentrückten Lichts.

Der Alphornpalast

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