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Kapitel 13

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Und dann … Dann kam dieser verdammte Abend.

Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont.

Alle Aktivisten waren müde zur kleinen Zeltstadt zurückgekehrt. Viele hatten auf Bänken und Stühlen Platz genommen.

Einige waren damit beschäftigt, das Essen zuzubereiten.

»Ich mache jetzt noch einen kleinen Spaziergang«, sagte Bodo zu Iris.

»Darf ich dich begleiten?« Sie war im Begriff, sich bei Bodo unter­zuhaken. Doch Bodo hob müde eine Hand.

»Sei mir nicht böse«, murmelte er, ohne sie dabei anzuschauen. »Ich muss das alles für mich alleine ein wenig verdauen. Außerdem will ich sehen, wie es weiter westwärts aussieht.«

Er stampfte mit leicht gesenktem Kopf los, und vergrub dabei seine Hände tief in die Hosentaschen.

Iris blickte ihm traurig und auch ein wenig verärgert hinterher.

Ole erhob sich rasch von einer Bank, um Bodo zu folgen. Dieser gab ihm jedoch mit einer Handbewegung ein unmissverständliches Zeichen, dass er alleine gehen wolle.

Ole setzte sich wieder.

»Neuerdings ist er fast schlagartig ganz schlecht drauf«, grummelte er.

Die Sonne versank gerade wie ein orangenfarbener Feuerball hinter dem Horizont.

Es bildeten sich viele kleine Wolkenbänke, die von der unterge­henden Sonne in Rot-, Gelb- und Orange-Tönen angepinselt wurden. Dazwi­schen lag ein helles Blau mit weißen, horizontal verlaufenden Streifen. Der Wind frischte auf.

Bodo verspürte heute keine Lust, dieses Naturspektakel zu verfolgen.

In den letzten Tagen hatte er oft an Ewald gedacht. Ja, er konnte mit Ole und Marco sprechen. Doch mit Ewald brauchte er nicht zu sprechen.

Während sie manchmal gemeinsam den Sonnenuntergang betrachteten, hatte Bodo immer das Gefühl, dass ihre Seelen miteinander sprächen.

Du bist ungerecht, sagte eine Stimme in ihm. Sie geben sich doch alle große Mühe, es dir recht zu machen – Iris, Sylvia, Simone, Marco und vor allem Ole. Und alle die vielen anderen langjährigen Wegbegleiter. Jaja, aber Ewald fehlt mir trotzdem, erwiderte er dieser inneren Stimme. Dann wäre alles leichter zu ertragen. Aber was würde Ewald jetzt, in dieser Situation, zu ihm sagen?

Was würde er ihm raten?

Eine Weile war er in Gedanken versunken am Strand entlang geschlurft. Müde setzte er sich auf eine große Baumwurzel, die der Sturm an Land gespült hatte. Lange starrte er auf den Golf hinaus. Durch den letzten Sturm war es vor allem am Abend frisch geworden. Bodo zog den Reißverschluss seiner Windjacke zu, und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

Er blickte müde und gedankenverloren in den untergehenden Tag. Nun versuchte er, krampfhaft abzuschalten; an nichts zu denken; an nichts.

Plötzlich … da vorn. Bodo war davon überzeugt, dass sich vom Meer her etwas näherte – langsam, ganz langsam. Gebannt richtete er seinen Blick auf dieses Etwas. Die Umrisse waren nun deutlicher zu erkennen. War es eine Fata Morgana, oder spielten ihm seine Sinne einen Streich. Nein, nein … Es war ganz bestimmt ein Pelikan. Er war nicht groß. Und er war schlank. Also musste es ein Brauner Pelikan sein. Er watschelte, und Bodo erkannte, dass der Vogel sich mühsam auf ihn zubewegte. Hatte dieser Vogel ihn vielleicht nicht gesehen? Er hatte ja schließlich bewegungslos gesessen. Bodo räusperte sich leise. Schließlich wollte er diesen armen Vogel nicht erschrecken. Der Pelikan hielt kurz inne. Doch dann setzte er seinen Weg weiter fort; geradewegs auf Bodo zu.

Mühsam hatte sich der Vogel bis zu Bodo und der angeschwemmten Baumwurzel geschleppt. Etwa zwei Meter vor Bodo blieb er stehen. Er wartete. Aber auf was? Dann legte er seinen Kopf leicht zur Seite … so, als ob er sagen wollte: Na erkennst du mich nicht? Bradlys dummes Gerede tauchte blitzartig in Bodos Kopf auf. Vor einer Woche, als sie wenige Kilometer von hier vor Anker gegangen waren, und der Pelikan sich vor ihnen auf das Geländer der Reling niedergelassen hatte - und ihn ähnlich ansah. Bradly, dieser blöde Kerl, sagte da etwas von einer Wiedergeburt.

»Blödsinn«, murmelte Bodo leise.

Der Vogel drehte daraufhin den Kopf auf die andere Seite. Er gab keinen Laut von sich.

Jetzt konnte Bodo genau sehen. Es war ein Brauner Pelikan. Und er bewegte sich nun mit … eins … zwei … drei kleinen Watschelschrittchen noch auf ihn zu.

Und plötzlich … plötzlich … sackte er leicht nach vorn. Er taumelte.

Bodo ließ sich von der Holzwurzel fallen. Es gelang ihm, den Vogel aufzufangen. Er hielt ihn nun im Arm.

Instinktiv setzte er sich in den Sand und lehnte sich an die Wurzel. Ihm wurde nicht bewusst, dass er den Pelikan an seine Brust drückte; nicht zu fest, sondern leicht und liebevoll.

Er spürte, wie der Vogel schwer atmete. Er spürte sogar, wie sein kleines Herzchen schlug. Es raste. Das arme Tier war nicht warm. Nein. Es fühlte sich kalt an … Jetzt begann es leicht zu zittern … Nicht aus Angst vor Bodo. Nein, den Vogel fröstelte es. Daran bestand kein Zweifel.

Bodo öffnete den Reißverschluss seiner Windjacke. Langsam und vorsichtig schob er den Vogel unter seine Jacke. Nur den Kopf mit dem langen Schnabel ließ er herausschauen. Der Vogel drückte sich an Bodos Brust. Und nun ver­suchte er, sich noch tiefer in die warme Höhle zu arbeiten. Jetzt … jetzt … hörte das Zittern langsam auf. Der Vogel versuchte das Köpfchen zu heben. So, als wolle er Bodo anschauen. So, als ob er ihm etwas sagen wollte.

Doch mitten in dieser Bewegung sackte der Kopf des Pelikans nach unten … und hing nun schlaff herab.

Bodo erschrak und erstarrte. Er konzentrierte sich auf den Herzschlag des Vogels. Das kleine Herzchen schlug noch. Gottseidank nicht mehr so schnell, dachte Bodo. Das ist ein gutes Zeichen. Doch plötzlich … urplötzlich … hörte es, gänzlich auf zu schlagen. Bodo fühlte, wie der Vogel in sich zusammensackte, und schwerer wurde.

»Neiiin«, schrie Bodo. »Neiiin! Bitte … lass ihn leben. Bitte!«

Doch sein Schreien verhallte im Wind. Bodo wollte es nicht wahrhaben - es verdrängen. Er hoffte … auf ein Wunder … wie so oft in seinem bisherigen Leben.

Aber dieses Mal war alles anders. Er wusste, dass dies gegen jegliche Intelligenz und gegen jegliche Vernunft war. Dessen ungeachtet war ihm plötzlich, als sei Ewald für ihn … heute … das zweite Mal gestorben; als würde sich Ewald immer weiter von ihm entfernen.

Tausend Szenen und Bilder rasten in unendlich schneller Reihenfolge durch Bodos Gehirn.

Und diese Bilder schwollen an - zu einem Gewitter. Jede Zelle seines Körpers schien zu schmerzen und zu brennen.

Er wollte weinen. Er wollte heulen – wie ein verwundeter Wolf. Er wollte schreien … laut und befreiend. Er musste es hinausschreien … in die Nacht … in den Wind … und in die Welt; den Schmerz, den unsäglichen Schmerz.

Und endlich, endlich fand er die Kraft. Bodo stand auf, und trat einen Schritt nach vorn. Er holte den Vogel behutsam unter seiner Jacke hervor. Mit der Rechten hob er den Pelikan nach oben; weit nach oben.

Seine Linke hielt den Kopf des Vogels, damit dieser nicht nach unten baumelte.

Bodo streckte das Tier in das dunkler werdende, spektakuläre Abendrot. Und er schrie – laut … befreiend … anklagend:

»Gott … Siehst du ihn … Er ist … Nein, er war ein Teil deiner Schöpfung. Deiner herrlichen Schöpfung. Wo warst du? Wo bist du? Warum lässt du deine Schöpfung allein? Warum lässt du mich allein? Wie oft habe ich in den vielen Jahren versucht, mit dir zu sprechen. Ich habe dich angefleht. Ich habe gebettelt. Ich habe mit dir gehadert. Warum hast du all diese Schönheit erschaffen, wenn du sie dann allein lässt?! Warum, um alles in dieser Welt, warst du all die letzten Jahre nicht bereit, ihr beizustehen? Uns beizustehen, die wir um deine Schöpfung gekämpft haben. Warum? Wie soll ich weiterkämpfen? Und woher soll ich die Kraft dazu nehmen? Sag es mir!«

Bodo hielt inne. Er sank auf die Knie und drückte nun den Vogel wieder an seine Brust. Er horchte angestrengt in den Wind. Er starrte in die Dämmerung hinein. Das Rot wich langsam einem dunklen Blau. Darin weiße Streifen. Doch kein Zeichen. Kein Ton. Nur der kühle Nachtwind.

Und dann … plötzlich … wurde es dunkel um Bodo; stockdunkel.

Iris begann sich Sorgen zu machen. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr:

Es war 22:10 Uhr.

Bradly hatte Laternen auf die Tische gestellt. Die Kerzen darin flackerten leicht. Die Gesichter der Aktivisten waren nur schemenhaft zu erkennen. Gedämpfte Unterhaltung. Der Tag war anstrengend gewesen. Einige hatten sich bereits in ihre Zelte zurückgezogen.

Ole blickte in die Nacht; in Richtung Westen, wohin Bodo vor einigen Stun­den verschwunden war. Er machte sich Vorwürfe. Er hätte Bodo folgen sollen; im gebührlichen Abstand. Ja, dazu war er verpflichtet. Es war ein Fehler gewesen, ihm nicht zu folgen. Ein großer Fehler. Das fühlte er jetzt.

Iris und Sylvia saßen an einem kleinen Tisch. Die Psychologin hatte es für sinnvoll empfunden, sich ihrer Freundin anzuvertrauen; dass sie sich große Sorgen um Bodo machte. Sie konnte es nicht erklären, warum plötzlich eine Unruhe in ihr hochkroch.

Ann Chandler beobachtete die beiden eine Weile. Sie fühlte, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Sie musste ein Gespür für solche Strömungen haben. Das war unabdingbar für ihren Job.

Sie leitete mittlerweile die größte Psychiatrie in New York; zehn Mal größer als die Klinik von Iris. Vor zwei Jahren lernten sich Ann und Iris auf einem Seminar kennen.

Zufällig hatte Iris zuvor mit Bodo über das Seminar gesprochen. Er hatte ihr damals gesagt, dass sie einen Gruß von Bodo ausrichten solle.

Einige Tage später wurde sie sauer auf Bodo. Von Ann erfuhr sie, dass sich diese attraktive Amerikanerin und Bodo bei den Eco Warriors kennengelernt hatten, und mit welchen Personen Bodo und Marco in Little Guantanamo eingesperrt worden war. Sie hörte Details, über welche Bodo – und auch Marco – nie mit ihr zu sprechen bereit waren. Sie lernte damals auch die überaus interessante Psychologin Sue kennen, die eine längere Zeit mit Ann eng zusammenarbeitete. Doch wenn sie gewusst hätte, dass diese Frau Bodo näher kennenlernen wollte, hätte sie mit Sicherheit mehr über sie erfahren wollen.

Für die drei Frauen war es nun ungemein schwierig, sich über Bodo auszutauschen. Bodo hätte dies später als einen Vertrauensbruch eingestuft. Dass er sich eng mit Ole und Marco austauschte, war Iris und Sylvia bekannt.

Aber heute ging es um das Wohl von Bodo. Sie mussten sich entscheiden.

Als Bradly am Tisch vorbeischlenderte, zupfte ihn Iris an seiner Jacke.

»He Bradly, hast du einige Taschenlampen? Wir wollen Bodo entgegengehen. Vielleicht tappt er im Dunkeln am Strand entlang.«

Ole, der dies gehört hatte, sprang hoch. »Ich komme mit.« Plötzlich war er völlig aufgelöst.

»So eine Scheiße. Ich hätte ihn nicht alleine lassen dürfen. So ein Mist«, jammerte er.

»Hör auf rumzuplärren«, fuhr ihn Iris an.

»Selbstverständlich solltest du uns begleiten. Aber nur, wenn du für uns und für Bodo eine Hilfe bist.«

Das war zu viel für Ole. Drohend ging er auf Iris zu.

»Pass auf mein Freund«, fauchte sie ihn an.

»Wenn du dich nicht zusam­menreißt, lasse ich dich von zehn Leuten hier festhalten. Dann bekommst du eine Beruhigungsspritze, und Ruhe ist im Karton. Haben wir uns verstanden?«

Ole erstarrte. Ein Teil der Aktivisten hatte sich von den Sitzen erhoben, und kam neugierig näher.

»Ob du mich verstanden hast?«, zischte Iris leise. Ole nickte stumm.

»Ist etwas mit Bodo?«, wollten einige Personen, neugierig geworden, wissen. »Quatsch«, sagte Iris ärgerlich.

»Wir wollen ihm nur entgegengehen. Mehr nicht.«

»Dann komme ich auch mit«, flötete Carlotta.

»Ole, Bradly, Ann, Sylvia und ich werden gehen«, sagte Iris mit einem fast kommandoartigen Unterton, der keine Widerrede duldete.

Danach blickte sie Marco an.

»Du schaltest bitte dein Handy ein, damit wir dich hier erreichen können.«

Marco hatte blitzschnell die Lage erfasst. Wenn Iris darauf bestand, dass Ann und Sylvia sie begleiten sollten, so hatte dies Gründe.

Iris war für ihn die Pragmatikerin in Person.

Er nickte dankbar.

»Nimm bitte deine Tasche mit«, flüsterte Iris zu Sylvia.

Sylvia nickte, und ging wortlos zum Krankenzelt.

Bradly baute sich vor Iris auf.

»Sollen wir nicht lieber die Quads nehmen? Mein Quad hat einen beweg­lichen Strahler. Da können wir alles ausleuchten. Wir können ja ganz langsam fahren. Sollte Bodo verletzt sein, wäre das auch sehr hilfreich.«

»Das machen wir«, antwortete Iris. »Wie viele Personen haben Platz auf dem Quad?«

«Vier.«

Iris überschlug schnell die Anzahl der wichtigen Personen. Auf alle Fälle brauchte sie Sylvia. Bradly würde fahren. Aber Ole? Der würde toben. Nein, da musste ihr etwas anderes einfallen.

»Nils, Nils, bist du in der Nähe?«, rief Iris in das Dunkel hinein.

Rasch trat Nils nach vorn.

»Ja. Hier.«

»Du solltest das zweite Quad fahren. Kannst du damit umgehen?«

»Du solltest mir das rasch beibringen«, brummte Nils grimmig.

Sogar Ole grinste.

»He, das ist aber mein Quad.«

Die lallende Stimme gehörte Marcel. Er kam aus dem Dunkel nach vorn getorkelt. »Mein Quad, dein Quad. Für solche Späßchen haben wir jetzt keine Zeit. Gib Ole den Schlüssel«, fuhr Iris ihn barsch an.

Wenige Minuten später fuhren die beiden Quads in die Dunkelheit hinein.

Iris hatte Bradly noch einmal eingeschärft, mit stark gedrosseltem Motor und langsam zu fahren, damit sie notfalls Rufe hören konnten. Das war für Bradly einleuchtend. Wenig einleuchtend war für ihn, dass er alle zweihundert Meter kurz anhalten, und den Motor ausschalten sollte.

Während er fuhr, bediente Ole den Strahler. Er ließ sich Zeit, auch nach rechts das Grasland auszuleuchten. Er leuchtete auch zwanzig bis dreißig Meter nach links; dies für den Fall, dass Bodo irgendwo im Wasser war.

»Da, da vorn sehe ich etwas«, schrie Ole nach einer halben Stunde.

Der Strahler erfasste zwei Objekte. Rechts war die große Baumwurzel. Und links, nicht weit davon entfernt, lag eine menschliche Gestalt. Das konnte nur Bodo sein.

Ole sprang vom Quad. Da er in der Eile vergessen hatte, den Strahler zu arretieren, sackte dieser nach unten. Bradly reagierte schnell, stellte den Motor ab und richtete den Strahler neu aus.

Im Lichtkegel war zu erkennen, dass Ole neben Bodo kniete, und dessen Kopf auf seine Oberschenkel gezogen hatte. Dabei schüttelte er Bodos Körper.

»Bodo, Bodo, sag was. Bodo, Bodo. Was ist passiert?«

Iris eilte mit schnellen Schritten in Richtung Bodo und Ole. Sie drehte sich dabei kurz zu Sylvia um.

»Deine Tasche! Hast du die Tasche? Stell um Gottes willen diesen Kerl ruhig. Bradly und Nils. Kümmert euch um Ole«, rief sie in das Dunkel hinein.

Bradly und Nils waren rascher bei Bodo und Ole, als die beiden Frauen. Nur mit viel Mühe gelang es ihnen, den wild um sich schlagenden Ole in den Sand zu pressen.

»Bodo, Bodo, verzeih mir«, wimmerte er.

Sylvia hatte inzwischen ebenfalls die Gruppe erreicht, und ließ sich neben Ole auf die Knie fallen. Mit raschen Griffen öffnete sie ihre Tasche.

»Macht ihm einen Arm frei. Schnell!«

Sie legte die Taschenlampe an den Rand der Tasche, damit der Inhalt ausgeleuchtet wurde. In wenigen Sekunden hatte sie die Spritze gefunden. Sie hielt sich nicht damit auf, deren Wirkungs­weise zu prüfen, wie dies vorgeschrieben war. In Psychiatrien war es oft notwendig, Personen rasch ruhig zu stellen.

Einige Sekunden später hatte Sylvia den Inhalt der Spritze in Oles Armbeuge gedrückt. Sie ließ sich keine Zeit, Oles Reaktion abzuwarten, sondern verstaute die Spritze rasch wieder in der Tasche, nahm die Taschenlampe und die offene Tasche, und wandte sich rasch Bodo zu.

Was Sylvia sah, macht sie schier rasend. Jeweils links und rechts neben Bodos Kopf knieten Iris und Ann. Und beide küssten Bodos Stirn und strei­chelten ihn – gleichzeitig.

Dass sie bislang Rücksicht auf Iris genommen hatte, verlangte von ihr viel Selbstverleugnung. Sie liebte diesen Mann. Nein, das stimmte so nicht. Sie liebte seinen Körper und seine Kräfte.

Und jetzt. Dieses Bild ließ nur eine Schlussfolgerung zu: Auch diese Ameri­kanerin war in Bodo verschossen.

Aber Sylvia riss sich zusammen; unterdrückte ihre Gefühle. Jetzt ging es um Bodo, um nichts anderes. Sie schluckte ihre Emotionen hinunter. Sie war Profi und musste dies jetzt unter Beweis stellen.

»Hallo, hallo, die Damen. Sagt mir lieber, was mit Bodo aus eurer Sicht passiert ist. Ist er über die Wurzel gestürzt? Ist er verwundet? Halloooo! Bitte etwas mehr Professionalität!« Iris und Ann blickten Sylvia fast feindselig an. So, als würden sie jäh aus einem Traum gerissen.

»Du kaltes Aas«, zischte Ann.

Bradly und Nils, die nur zwei bis drei Meter entfernt am Boden knieten, und soeben zufrieden feststellten, dass Ole in einen Schlafzustand gefallen war, blickten sich an.

»Das ist ja wie in einem schlechten Film«, flüsterte Nils.

»Stutenabend«, knurrte Bradly.

Den drei Frauen waren diese Bemerkungen nicht entgangen. Sylvia, die in unmittelbarer Nähe von Bradly kniete, fuhr herum.

»Was verstehst du Depp schon? Für dich sind Frauen doch nur Wegwerf­ware.« Sie blickte zu Ole und fragte deutlich ruhiger; fast mit einer warmen Stimme: »Schläft er schon?« Nils nickte.

»Okay, ihr geht jetzt eine rauchen. Abmarsch«, fauchte Sylvia.

Nils und Bradly waren rasch in der Dunkelheit verschwunden.

»Bodo hat eindeutig keine Verletzungen. Schaut mal, wie er den Vogel in den Armen hält«, flüsterte Sylvia, um lauter anzufügen:

»Iris. Ann. Ich gehe fest davon aus, dass dies in euren Zuständigkeitsbereich fällt. Ich tippe auf einen schweren Nerven- und zusätzlich einen kräftigen Kreislaufzusammenbruch. Lasst uns Bodo zuliebe nachdenken, wie wir weiter vorgehen sollten.« Iris ließ ihren Kopf auf Bodos Brust fallen, und begann zu schluchzen.

Sylvia beugte sich zu Ann hinüber, und flüsterte:

»Sie liebt ihn abgöttisch.«

»So dürfen ihn die Anderen nicht sehen«, sagte danach Sylvia etwas lauter.

»Hallo Iris. Bitte. Wir müssen im Sinne und im Interesse von Bodo Entscheidungen fällen. Reiße dich zusammen.«

Ann stand auf, und klopfte sich den Sand von ihrer Jeans.

»Die einzig richtige Entscheidung ist, Bodo so rasch wie irgend möglich in ein Krankenhaus zu bringen. Es hört sich vielleicht etwas verrückt an, aber meine Klinik in New York wäre momentan am besten. Wenn wir ihn nach Biloxi oder Miami bringen, haben wir ein verdammt großes Problem. Wir müs­sen erklären, wer dieser Mann ist. Wir brauchen einen Hubschrauber. Zuerst meine Klinik. Danach Frankfurt.« Sie wartete keine Reaktion der beiden Frauen ab und rief in das Dunkel hinein:

»Bradly. Wir brauchen dich. Zigarettenpause zu Ende.«

Die Frauen hörten, wie Bradly angestapft kam.

»Eines weiß ich ganz bestimmt. Diese Frau werde ich niemals heiraten.«

»Ist ja schon gut«, sagte Ann. »Das können wir vor dem Standesamt klären. Aber zuvor bist du als ganzer Mann gefragt. Wir brauchen ganz rasch einen Hubschrauber.«

»Jetzt in der Nacht. Wie stellt ihr euch das vor?«

Als Bradly bei den Frauen angekommen war, blickte er sorgenvoll auf Bodo hinunter. Verdammt, was habe ich ihm alles zu verdanken, schoss es durch seinen Kopf. Und wenn ich jetzt falsch reagiere, wird er mir das niemals verzeihen.

»Auf der Keesler Air Force Base in Biloxi ist das 81. Trainings-Bataillon sowie eine Staffel der US Air Force stationiert«, brummte er. »Ich kenne da jemanden. Der hat mich immer für Survival-Touren engagiert. Der ist mir noch etwas schuldig.«

Er holte sein Handy hervor, schaltete es ein und entfernte sich einige Meter, um ungestört zu telefonieren.

Ann war im Begriff etwas zu sagen, als Bradly mit seinem Handy in der Hand wieder auftauchte.

»Glück und gute Freunde muss man haben. Der Hubschrauber ist in einer halben Stunde hier. Das Ganze wird als Manöver deklariert. Normalerweise wäre es überhaupt kein Problem gewesen. Aber das Innenministerium, die Küstenwache und vor allem das Heimatschutzministerium haben alle Hubschrauber in Beschlag genommen. Ich habe meinem Freund die GPS-Daten gegeben. Wir sollen die beiden Quads in einem Abstand von dreißig Metern aufstellen, und die Scheinwerfer auf das Meer hin ausrichten. Genau in der Mitte wird der Hubschrauber landen. Zusätzlich zu Bodo kann er drei Personen aufnehmen. New York ist für einen Hubschrauber natürlich verdammt weit – und vor allem nicht so leicht zu verargumentieren.«

»Danke Bradly. Du hast was gut bei mir«, sagte Iris. Sie wandte sich an die beiden Kolleginnen.

»Wir müssen Prioritäten setzen. Es geht nur um Bodo.«

Sylvia und Ann nickten zustimmend.

»Bodo und wir drei Frauen fliegen mit«, entschied Ann Chandler.

Iris blickte in Richtung Ole.

»Der dreht sonst durch, wenn er nicht mitfliegen darf.«

»Er bekommt in zehn Minuten noch einmal eine kleine Dosis«, lachte Sylvia. »Dann wird er schlafen wie ein Murmeltier.«

Bodos zornige Seele

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