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1. Alltag

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Das Licht fiel fahl durch den schweren, roten Vorhang, den Markus vor dem Fenster angebracht hatte. Er schlief nicht mehr, wie noch zu Studentenzeiten, auf einer Matratze. Er hatte sich gebraucht auf eBay-Kleinanzeigen ein einfaches Bettgestell aus hellem Holz gekauft. Er wusste mittlerweile den Stauraum unter einem Bett zu schätzen. Dort lagen die Bücher aus dem Studium und verstaubten. Er hatte es nicht geschafft, sie zu verkaufen.

Markus blinzelte. Er war verkatert. Berufsrisiko. Nach jahrelanger Arbeit in der Kneipe hätte er es eigentlich besser wissen müssen. Es war kein besonders spektakulärer Abend gewesen. Im „Rabatz“ war es gestern nicht mal besonders voll. Keine Stammkundschaft, mit der man sich unterhalten hätte können. Ihm war schnell langweilig geworden. Aber das Bier hatte mal wieder viel zu gut geschmeckt. Die Macht der Gewohnheit.

Markus streckte sich. Seine Zunge fühlte sich belegt an, so als ob er krank werden würde. Er hustete ein paar Mal, dann wuchtete er sich aus seinem Bett. Immer knarzte es. Ein Mädchen hatte er schon länger nicht mehr mit nach Hause gebracht. Irgendwie hatte das für ihn den Reiz verloren. Er hatte das Gefühl, mit diesen nächtlichen Bekanntschaften, immer und immer wieder das gleiche Gespräch zu führen. Auf Dauer ziemlich ermüdend.

In seiner Wohnung, die eigentlich nur ein großes Zimmer war, herrschte Chaos. Unter einem Klamottenberg war der alte Flohmarkt-Sessel gerade noch so zu erahnen, in der Spüle stapelte sich sein gesamtes Geschirr und auf dem Boden standen aufgereiht Wein- und Olivenölflaschen. Wenigstens das sah ordentlich aus.

Markus torkelte ins Bad. Viel mehr eine winzige, grüngekachelte Nasszelle. Einige Fließen waren gesprungen, bei anderen die Kanten weggebrochen. Viel Platz war darin nicht. Eine Person konnte sich gerade so umdrehen.

Verschlafen blickte ihn ein junger Mann mit Drei-Tage-, oder eher Vier-Tage-Bart, im Spiegel entgegen. Er war jetzt 29. Schon lange zeichneten sich Lachfältchen um die Augen herum ab. Das machte ihm nichts aus. Was ihm aber störte, war sein zu nehmend weniger werdendes Haar. Beugte er sich nach vorne, konnte er im Spiegel eine beginnende Platte sehen. Wenn er hin faste, spürte er seine Kopfhaut. Entsetzt riss er dann jedes mal die Hand weg. Er schätze, es war von Vorteil, dass er mit 1,85 recht groß war. Im Winter konnte er das mit einer Mütze kaschieren. Im Sommer mit Caps oder Hüten, aber die verlor er viel zu oft und für Caps war er eigentlich nicht der Typ. Eine weitere Option, die er hatte, die Markus aber ganz weit wegschob, war die Glatze. Und das wollte er nicht. Er mochte seine stinknormalen braunen Haare. Und so benutzte er weiterhin koffeinhaltiges Shampoo, in der Hoffnung, es würde irgendetwas bringen.

Frisch geduscht und wieder halbwegs klar setzte er sich an seinen kleinen Esstisch. Den Vorhang hatte er mittlerweile zur Seite geschoben. Ein schöner Tag. Es war kurz vor zwölf. In einer Thermoskanne hatte er noch lauwarmen Filterkaffee vom Abend zuvor. Das und ein harter Brotrand mit etwas Frischkäse würde als Frühstück reichen müssen. Und eine Zigarette. Er musste mal wieder einkaufen gehen. Das Brot war hart, mühsam kaute er darauf rum. Vielleicht würde er es heute nach der Arbeit schnell noch zum Tengelmann schaffen. Er sollte sich auch mal wieder bei Manni blicken lassen. Schon die ganze Woche hatte er das noch nicht geschafft. Markus bekam ein schlechtes Gewissen. Er fühlte sich für ihn verantwortlich. Es war fast so, als hätte er mit seinem Einzug einen Opa dazu bekommen.

Manni wohnte in der Wohnung gegenüber. Erst hatte Markus nur freundlich gegrüßt, wenn er ihn zufällig im Treppenhaus getroffen hatte. Dann hatte er damit angefangen, für den Nachbarn den Müll runterzubringen. Nach ein paar mal Müll wegbringen, hatte Markus einen fleckigen Einkaufszettel von Manni entgegengenommen und für ihn ein paar Besorgungen erledigt. Im Laufe der Zeit hatten sie sich immer mehr aneinandergewöhnt. Markus war froh darüber, einen Freund im Haus zu haben.

Seit ungefähr eineinhalb Jahren arbeitete Markus schon nachmittags in der Buchhandlung. Nachdem das mit dem Studium vorbei war und das BaFög weggefallen war, hatte Markus dringend einen Job gebraucht. Das Geld von der Kneipe hatte nicht für Miete, Essen und Tabak gereicht. Schon gar nicht in München. Am liebsten hätte Markus damals nur den ganzen Tag gemalt, geraucht und zum Fenster hinunter geschaut. Doch von brotloser Kunst wird man nicht satt, hatte sein Vater mal gesagt.

Kurzzeitig hatte Markus mit dem Gedanken gespielt eine Lehre anzufangen. Irgendwas Praktisches. Vielleicht Schreiner, wie sein Vater. Markus war sich sicher gewesen, dass ihm das Spaß gemacht hätte. Als kleiner Junge hatte ihn sein Papa öfter mit in die Werkstatt genommen. Der Geruch von Sägespäne erinnerte ihn immer an seine Kindheit.

Markus war in seiner Verzweiflung damals sogar bei der Agentur für Arbeit gewesen, um sich nach einer Ausbildung erkundigen. Doch der schlechte Verdienst hatte ihn abgeschreckt. Etwas deprimiert hatte Markus danach das Arbeitsamt verlassen und war durch die Gegend geschlurft. Einfach loslaufen und sich treiben lassen – das machte er oft, wenn er nicht weiter wusste.

Als er kurz stehen geblieben war um eine Zigarette zu drehen, war sein Blick auf ein Schild im Schaufenster einer kleinen Buchhandlung gefallen: „Aushilfe gesucht“. Mit Handschrift verfasst. Nicht am Computer. Das hatte ihm gefallen. Markus hatte diese kleinen Geschäfte schon immer viel lieber gemocht als die großen Ketten. Trotzdem kaufte er dort ein. Oder bestellte im Internet.

Als er die Tür öffnete, hatten kleine Glöckchen laut über ihn geklingelt. „Kann ich Ihnen helfen?“, hatte ihn eine etwas rundlichere Frau mit grauen Haaren und einer dicken, kantigen Brille gefragt. Das ultimative Klischee einer Buchhändlerin. „Äh ja, ich bin hier wegen dem Aushang da. Suchen Sie noch jemanden?“ Die Frau hatte genickt, ihre Brille abgenommen und ihn von oben bis unten gemustert. „Das ist richtig. Für zwanzig, bis dreißig Stunden in etwa. Als Schwangerschaftsvertretung. Haben Sie denn Erfahrung in dem Bereich oder im Einzelhandel?“ „Nein. Aber ich lerne schnell.“ „So, und ab wann können Sie denn anfangen?“ „Eigentlich ab sofort. Jetzt, wenn Sie wollen.“ „Nun, einen jungen starken Mann könnten wir hier tatsächlich gut gebrauchen. Vor allem im Lager. Da fällt viel an. Mehr als man glaubt. Aber kommen Sie doch erst mal zum Probearbeiten.“ Markus hatte genickt. „Von mir aus gleich morgen.“ „Gut, dann kommen Sie doch um zehn Uhr. Da haben wir gerade die Lieferung bekommen. Und bringen Sie mir mal Ihren Lebenslauf mit. Ich bin übrigens Frau Macharzenski“, hatte sich seine Chefin vorgestellt.

Von der Probearbeit war er nahtlos in den regulären Betrieb über geglitten. Markus fing die fehlende Zeit einer Kollegin, die ein Baby bekommen hatte, auf und arbeitete von Mittags bis Ladenschluss. Er packte die Lieferungen aus, sortierte die Bücher und räumte Regale ein. Ihm gefiel die Arbeit in der Buchhandlung. Er half den Kunden gerne weiter und hatte auch bald das umständliche, altmodische Kassensystem verinnerlicht.

Wenn im Laden nichts los war, rauchten er und Frau Macharzenski im Hinterhof. Frau Macharzenski war zynisch und schien ihre Mitmenschen nicht besonders zu mögen. Mit Anfang 40 hatte sie sich von ihrem Mann scheiden lassen. Kinder hatten sie keine. Eigentlich wollte sie Anwältin werden, hatte aber gleich nach dem Abitur in der elterlichen Buchhandlung anfangen müssen und war dort hängen geblieben. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie ihr eigener Chef geworden. Die Buchhandlung war für sie trotzdem ein Klotz am Bein.

Frau Macharzenski wohnte über dem Laden in der Wohnung, in der sie aufgewachsen war. Markus war noch nie oben gewesen, aber im Treppenhaus roch es meist nach einer Mischung aus Räucherstäbchen und Grünkohl. Er stellte sich vor, dass die Wohnung seiner Chefin mit allen den Büchern vollgestellt war, die niemand kaufen wollte. Ein Heim für Ladenhüter. Frau Macharzenski mochte Markus. Sie versuchte, ihn zu motivieren sich nach etwas anderem umzusehen oder weiter zu studieren. Denn für immer konnte er nicht als Vertretung in der Buchhandlung bleiben.

Markus machte das nichts aus. Er lebte gern in den Tag hinein. Eigentlich. Doch wenn er sich so seine Freunde an sah, hatte sich etwas verändert. Sie hatten plötzlich richtige Jobs. Sein bester Freund Sebastian, mit dem er damals nach dem Abi von Franken nach München gezogen war, war sogar schon verheiratet. Waren Sie etwa erwachsen geworden, ohne dass er es gemerkt hatte? Er vermisste die Zeit, in der sie alle noch in WGs gelebt und studiert hatten. Das waren die besten Jahre seines Lebens gewesen.

Damals hatte er mit Sebastian zusammen gewohnt. In ihrer Wohnung war fast jeden Abend irgendwas los gewesen, denn als Student feiern gehen war in München verdammt teuer. Ständig war Besuch da, der Kasten Augustiner immer sofort leer. Sebastian hatte dann Gitarre gespielt, sie hatten alte Platten gehört und über Gott und die Welt gesprochen, während irgendwer einen Joint gebaut hatte. Das schlimmste, was ihnen damals passieren konnte, war, wenn niemand Gras dabei hatte. Verpasste Vorlesungen oder nicht bestandene Prüfungen, so lang nicht der Drittversuch anstand, waren kein Problem. Markus hatte in dieser Zeit so viel gemalt, wie noch nie zuvor. Groß und auf Leinwand. Das Leben war gut. Irgendwann hatte Sebastian dann eine Freundin gehabt. Melanie. Und mit ihr wurde alles anders. Bei einem Gig seiner Band, der ziemlich unspektakulär war, hatten sie sich kennengelernt. Melanie hatte Fotos für einen Konzert-Blog gemacht und die beiden waren ins Gespräch gekommen. Da in ihrer Zweier-WG ein Zimmer frei wurde, zog Sebastian schon nach ein paar Monaten zu Melanie.

Ohne Sebastian war es in der WG nicht mehr das Gleiche gewesen. Der neue Mitbewohner beschwerte sich ständig über Markus Unordnung. Ihn störte es, wenn er besoffen polternd nach Hause kam oder dass ständig Farbpinsel in der Spüle lagen. Noch dazu fand er, dass Markus nicht in der Wohnung mit Acryl-Fabe malen sollte, weil es so furchtbar stank. Irgendwann hatte Markus genug von den ständigen Nörgeleien und hatte sich eine eigene Wohnung gesucht. Schweren Herzens. Bald hatte er aber angefangen die Freiheiten in seiner Obergiesinger Bude zu schätzen zu wissen: Er kochte früh morgens nach der Arbeit in der Kneipe Spaghetti Bolognese, spülte selten ab und steckte in jede leere Weinflasche eine Kerze. Im ersten Sommer hatte er bei offenem Fenster gemalt und laut Musik gehört, die nur er mochte. Die Bücher auf seinem Schreibtisch, die er für das Studium brauchte, begannen in dieser Zeit Staub anzusetzen. Irgendwann hatte er beschlossen, im Sommersemester keine Prüfungen mitzuschreiben. Dann war er gar nicht mehr in Vorlesungen gegangen. Und das war es mit dem Kunstgeschichte-Studium gewesen.

Trotz der vielen Freiheit war es in der WG doch schöner gewesen.

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