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3. Abenteuer

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Viermal musste er bei Manni klingeln, bis er die Tür aufmachte. Die schweren Tüten mit Essen hatte Markus auf dem Boden abgestellt. Manni hörte schlecht. Es dauerte, bis er in den viel zu großen Pantoffeln angeschlurft kam.

Manni war Witwer. Sein Gesicht war runzelig wie eine Rosine und gegerbt von der Sonne. Unter seiner schiefen Lesebrille wirkte er aufgedunsen. Vor ein paar Jahren hatte er einen Schlaganfall gehabt, von dem er sich nie so richtig erholt hatte. Seit dem hinkte er und hatte Probleme mit dem linken Arm. Er war ziemlich schmächtig. Es war ein Wunder, dass ihm seine ausgeleierten Jogging-Hosen noch nie von den Hüften gerutscht waren. Manchmal kochte Markus für ihn. Meist etwas einfaches Deutsches. Rührei oder Pellkartoffeln mit Butter. Manchmal brachte er nach der Arbeit Leberkas-Semmeln vom Metzger mit, die sie dann gemeinsam in dem muffigen, düsteren Wohnzimmer aßen.

Auf Mannis Couch stapelten sich Tageszeitungen und Rätselhefte, er selbst quetscht sich dazwischen. Markus Platz war auf dem durchgesessenen Sessel daneben. Wer vor ihm hier gesessen hatte, wusste er nicht. Auf dem Wohnzimmertisch stand ein voller Aschenbecher, klebrige Tassen und Bierflaschen. Meist lief der Fernseher. Irgendwas Öffentlich-rechtliches, irgendwas Altes. Vor dem Fernseher tranken sie immer ein, zwei Bier zusammen. Oft schweigend. Manni war nicht besonders gesprächig und Markus genoss diese Pause zwischen Arbeit in der Buchhandlung und der Kneipe, in der er mal nichts reden musste.

Heute war das anders. Manni wirkte fahrig und schaltete, nachdem er eine Leberkas-Semmel gegessen hatte, ständig die Lautstärke rauf und runter. Markus war genervt, er wollte in Ruhe Nachrichten sehen. Dann schaltete Manni den Fernseher ganz aus.

„Ja, schlimm, was zur Zeit wieder los ist in der Welt“, sagte Markus. Manni schüttelte den Kopf. „Mach uns doch noch mal ein Bier auf. Weißt du, wenn du mal in meinem Alter bist, hast du so viel erlebt, dass du dich eigentlich kaum noch über die Dummheit der Menschen ärgerst, sondern dich eher wunderst, dass es die Menschheit immer noch gibt.“ Markus nickte und ging zum Kühlschrank, um das Bier zu holen.

„Als ich in deinem Alter war, vielleicht sogar noch jünger als du, bin ich viel gereist. Da hab ich einiges gelernt über das Leben. Mehr, als wenn ich hier geblieben wäre.“ „Wo warst du denn überall?“ Er war ziemlich überrascht. Für Markus war Manni eigentlich immer jemand gewesen, der höchstens Mal in Österreich einen kurzen Familienurlaub gemacht hatte. „Oh,“ Manni richtete sich auf der Couch auf. „Griechenland, Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien. Überall da bin ich gewesen mit dem Bus.“ „Was, du?“ Manni lachte eines seiner seltenen Lachen. „Ja, da schaust, ge? Das war in den 60ern Jahren. Im Sommer 1967 sind wir los. Da war ich nicht der Einzige, der das gemacht hat. Ganze Heerscharen waren da unterwegs. Damals ging das halt noch. War schon eine irre Zeit. Hab das nie bereut. Der Hippie Trail halt.“ „Das kann ich gar nicht glauben, dass du mal so ein Abenteurer warst.“ „Ja, ge?“ „Wie alt warst du da?“ „Mei, da werde ich so 24, 25 gewesen sein.“ „Ich kann mich dich als jungen Mann überhaupt nicht vorstellen.“ Wieder lachte Manni. „Da schau mal, da auf der Anrichte da steht ein Foto von mir aus der Zeit. Bring mir das mal bitte.“

Markus stand auf und holte das gelbstichige Bild. Darauf waren zwei bärtige, blonde junge Männer zu sehen. Aber ohne die hüftlange Hippie-Matte, die er sofort im Kopf gehabt hatte. Immerhin hatte einer von ihnen schulterlanges Haar. Er reichte Manni das Bild. „Mei. Das links ist der Alois. Das war mein bester Freund. Mit dem bin ich aufgewachsen. War wie ein Bruder. Der hat die Idee gehabt. Das war ein ganz ein Verrückter. Der ist auch schon ganz früh weg aus unserem Dorf und ist nach München abgehaut. Und heute wäre sein Geburtstag. Der 76. Aber er ist schon lange Tod. Über 30 Jahre schon.“ „Oh, tut mir leid.“ „Das musst dir net leidtun. Das ist schon so lang her. Der hat halt gelebt ohne Kompromisse.“ Nachdenklich legte Manni das Bild auf den Wohnzimmerstich. Seine Mundwinkel zuckten.

„Als wir los sind, waren wir eigentlich schon fast zu alt dafür. In dem Alter war man ja damals eigentlich schon verheiratet gewesen und hat Kinder gehabt. Zumindest war das bei uns auf dem Dorf so. Die meisten die runter gefahren sind, waren jünger. So 20. Nach der Schule halt gleich. Ich hab ja zuerst gearbeitet, weil ich gemusst hab. Anders wär es nicht gegangen. Das waren noch andere Zeiten.

Ich hab in einem Hotel gearbeitet, bei uns daheim am Tegernsee. Ich hab Gepäck geschleppt, in der Küche geholfen und halt alles repariert, was angefallen ist. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und war schon immer recht geschickt gewesen. Harte Arbeit war das gewesen. Und viel. Von Sonnenaufgang bis -untergang. Da hat sich keiner gescherrt, wegen Überstunden oder so. Und wenns dir nicht passt hat, hast Pech gehabt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Während all anderen in Tracht rumliefen und anfingen zu heiraten und Familien zu gründen, wollten wir mehr. Ich wollt einfach raus und was anderes sehen. Einfach nur raus.“ Markus konnte ihn gut verstehen. Sehr gut sogar.

„Ich hab mir halt damals immer gedacht, das kann doch nicht alles gewesen sein vom Leben. Der Alois, der wars, der mit dem Plan dahergekommen ist. Den hat´s schon immer in die Ferne gezogen. Den Bus hat er irgendeinen Spezl abgekauft. Frag mich heute immer noch, woher der des Geld dafür gehabt hat.

Der Alois hat damals schon lange Haare gehabt. Des hat mir gefallen. Richtig neidisch war ich da drauf. Gammler habens ihn alle genannt. Bei uns im Dorf hams ihn angeschaut wenn er zu Besuch war, als wenn er der Teufel höchstpersönlich gewesen wär. Und sei Mutter hat sich so geschämt, wegen erm. Bei mir ging des halt nicht wegen der Arbeit in dem Hotel da mit den Haaren. Da hab ich schon ordentlich ausschauen müssen. Aber Haschisch, des ham wir selbst am Tegernsee ab und zu geraucht, wenn halt jemand was aus Minga dabei gehabt hat“, Manni lachte ein röchelndes Raucherlachen.

„Und dann hat er mich halt gefragt, ob ich mit komm. Lang hab ich ja nicht überlegen braucht. Von einem Tag auf den anderen hab ich aufgehört zum Arbeiten und bin erstmal zum Alois. Der hat da mit so ein paar anderen in einer kleinen Wohnung gewohnt. In Schwabing, aber so gar nicht mondän. Recht heruntergekommen alles, aber lustig wars.

Erst ham wir noch a weng den Bus hergerichtet. Damals hat ein jeder anpackt und irgendwas reparieren können. Ihr heute könnts des ja gar nicht mehr und rennts sofort bei jeder Kleinigkeit in die Werkstatt. Des hats damals alles noch nicht so gegeben. Und als ma dann so weit waren, sind wir los.

Zu viert waren wir. Der Alois und ich und der Franz und die Traudl. Der Franz hat mit dem Alois in Minga zam gewohnt. Und die Traudl war dem Franz seine Freundin. Die hats aber gar nicht so lang gepackt mit uns. Die war net lang dabei.

Kreuz und quer san wir gefahren. Schon gleich am Anfang ham wir uns so dermaßen verfahren! Und da waren mir erst in Österreich! Mei, es hat gedauert bis wir dann mal in Griechenland angekommen sind! Aber wir san halt auch überall gehalten, wos schee war. Wir haben ja keine Eile gehabt. Und nackert ins Mittelmeer san wir in Griechenland auch nei gehupft. Mei, ham die geschaut.

Aber wir waren da ja net die einzigen, die da durchgefahren sind. So viele Leute haben wir da schon troffen! Immer hat man jemanden zum Ratschen gefunden! Und so oft hat man sich dann irgendwo wieder gesehen. In Teheran oder in Kabul, oder gleich erst unten in Goa, da wo wir ja hin wollten. Wegen den tollen Stränden und dem Haschisch. Des war ja schon a verrückte Zeit. Du glaubst gar nicht, wie weit man damals mit wenig Geld gekommen ist. Und irgendwann san wir halt dann auch mal in Istanbul angekommen. Da gings eigentlich erst richtig los. Das Tor zu einer anderen Welt, des hat der Alois mal gesagt.

Aus allen Herrenländer sind da die Leute zusammen gekommen. Pudding Shop hat da so ein berühmter Treff geheißen. Wir sind da aber nicht rein. Auch so war immer genug los. Ein Gewussel war das teilweise. Ham geratscht und ewig über die besten Reiserouten diskutiert. Nächtelang. In allen möglichen Sprachen, auch wenn man sich so gar nicht verstanden hat. Mit Händen und Füßen ist das schon irgendwie gegangen. Mir war des teilweise schon zu viel da dorten mit den vielen Menschen überall.

Ich glaub, da hat´s der Traudl schon gelangt. Die wollt doch nur bei ihrem Franz sein und am liebsten hätte sie den sofort geheiratet, aber er wollt halt noch a bissl was sehen von der Welt. Und daher war halt auch die Traudl dabei. Die war a ganz a Liebe. Total brav. Immer ruhig. Noch ruhiger als ich. War immer ganz nah beim Franz gestanden. Wäre ich der Franz gewesen, auf Dauer hätte mich das fei schon genervt. Mutig war die Traudl aber schon irgendwie. Hat es mit drei Mannsbilder auf engstem Raum ausgehalten! Des hätte nicht jede Frau über sich ergehen lassen. Und des Haschisch des fand sie schon auch a bissl gut. Aber des Haschisch!“ Markus grinste, als er das hörte. „Ja, was ma da am Anfang von der Reise gehabt haben, des war ja noch gar nichts! Und ganz wenig war des. Des ging ja dann erst später so richtig los. Mei, in Kabul! Des war halt was. Es hat immer geheißen, in Afghanistan gäbe es das Beste. Eigentlich wars schon ab dem Iran a ganz a andere Welt. Damals da hats noch den Schah gegeben. Mei, so ein schönes Land. So eine interessante Kultur! Und schaus dir jetzt a mal an! Ganz anders ist des alles! Alles kaputt. Da zeigt sich, es wandelt sich nicht immer alles zum Guten. Damals da waren dorten die Leute noch viel freier. Die waren glücklich. Hart arbeiten habens müssen, aber glücklich warens. In so einem schönen Land.“ Manni leckte sich über die rissigen Lippen. Er wirkte müde.

Markus hatte ihn noch nie so viel am Stück reden gehört. „Total interessant. Aber du kannst mir mal ein anderes Mal weiter erzählen. Du schaust so müde aus.“ „Mei, des is halt so wenn man alt ist. Des wirst schon auch noch merken. Wie alt bist du jetzt?“ „29.“ „Was, doch schon? Hab dacht, du wärst jünger.“

Drüben in seiner Wohnung legte sich Markus aufs Bett und zündete eine Zigarette an. Er war neidisch auf Manni und seine Abenteuer. Er war nie als Backpacker unterwegs gewesen und hat es bisher nur bis nach Barcelona geschafft. Manni hätte er so etwas erst recht nicht zu getraut. Markus hatte gedacht, sein Nachbar hätte gearbeitet, geheiratet, Kinder bekommen, wäre in Rente gegangen, hätte seine Frau begraben – das war`s. Ein normales Leben eben. Aber Manni war ein Abenteurer. Markus bließ den Rauch aus. Und was hatte er geschafft? Ein paar Bilder gemalt, die jetzt bei Kumpels an der Wand hingen oder irgendwo verstaubten.

Markus fühlte sich klein und unbedeutend. Das gefiel ihm nicht. Nicht an seinem freien Abend. Er ging zum Kühlschrank und holte ein Bier. Dann legte er sich wieder aufs Bett, starrte an die Decke und dachte weiter nach.

Wegbier

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