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2. Freunde
ОглавлениеDie Sonne war längst untergegangen, als er sich auf den Weg in die Kneipe machte. Er spürte immer noch die Auswirkungen des gestrigen Katers. Die Müdigkeit und den ekligen Geschmack im Mund. Ein Konterbier wäre jetzt genau das Richtige. In der Tram-Bahn schloss er die Augen. Noch ein bisschen ausruhen. Es war Donnerstagabend und das beginnende Wochenende war auch hier zu spüren. Die Feierwütigen machten sich auf, diese Nacht zu etwas Besonderem zu machen. Was immer das sein mochte.
Markus war die Strecke ins „Rabatz“ schon so oft gefahren, dass er mit geschlossenen Augen und ohne Durchsage wusste, wann es an der Zeit war auszusteigen. Gut 20 Minuten brauchte er, was in München eine kurze Strecke war. Dann machte er sich zu Fuß auf in die Kneipe. Die harten Schuhsohlen klapperten auf dem regennassen Asphalt.
Eva war schon da. Sie hatte heute Frühschicht und den Laden aufgesperrt. Noch war es ruhig. Vereinzelt saßen ein paar Leuten an den Tischen und unterhielten sich bei schummrigen Licht. Leise lief HipHop, was eine Ausnahme war. Markus mochte den Beat.
Eva begrüßte ihn mit einer freudigen Umarmung. Markus arbeitete gern mit ihr zusammen. Mit Eva Schicht zu haben bedeutete immer Spaß und garantierte einen reibungslosen Ablauf. Eva war Mitte 30. Die ersten tiefen Fältchen hatten sich bereits in ihr Gesicht gegraben. Sie war zierlich und klein, hat aber schon oft Hausverbot erteilt. Ihre schwarz gefärbten Haare glättete sie täglich. Sie war immer sportlich angezogen. Markus konnte sich Eva nicht in einem Kleid vorstellen.
In den fast sieben Jahren, in den Markus hier schon arbeitete, hatte er die Abläufe verinnerlicht. Er ging nach hinten in das Lager, hängte seine Jacke auf und schnappte sich einen Kasten Augustiner Helles und ging wieder vor an die Bar. Eva war gerade dabei, einem Mädchen, vermutlich Studentin, eine Weinschorle zu machen. Die Biere packte Markus in die Schubladenkühlung. In der Kneipe wurden Flaschenbiere verkauft. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben, lautete die Ansage vom Ralph, dem Inhaber. Er machte nicht viele Vorschriften, aber wenn es um Bier ging, verstand er keinen Spaß. Bier aus Gläsern empfand Ralph als unästhetisch. Markus sah das ähnlich und öffnete sich gleich die erste Flasche des Abends. Eine der Vorteile im „Rabatz“ zu arbeiten, war, dass man umsonst trinken durfte. Zwar musste man aufschreiben, was und wie viel, aber einen kostenlosen Rausch brachte man schon zusammen.
Eigentlich war es in der Kneipe immer das Gleiche. Getränke kühlen, etwas aufräumen, Zitronen und Limetten klein schneiden. Richtig los ging es erst gegen elf Uhr, wenn der Laden sich langsam füllte. Zum Klientel gehörten hauptsächlich Studenten. Es hatte die ein oder andere Nacht gegeben, in der die Stimmung übergekocht war und Markus total besoffen auf dem Tresen getanzt hatte. Ein paar Mal, nicht oft, hatte er im „Rabatz“ sogar übernachtet. Er hatte vom vielen Bier einfach so tief geschlafen, dass ihn seine Kollegen nicht wach bekommen hatten. Sie ließen sie ihn auf der großen Couch am anderen Ende des Raumes seinen Rausch ausschlafen. Zugedeckt mit von Gästen vergessenen Jacken. Beim ersten Mal hatte Markus es noch lustig gefunden, als ihn die Putzfrau aufgeweckte hatte. Beim dritten Mal war es ihm ziemlich peinlich gewesen.
Sebastian hatte sich früher viel öfter hier blicken lassen, mittlerweile kam er nur noch manchmal freitagabends, wenn Melanie etwas mit ihren Mädels unternahm. Für eine kurze Zeit hatten Markus und Sebastian hier sogar zusammen gearbeitet. Lustig war das. Aber für Sebastian war die Arbeit im „Rabatz“ nichts gewesen. Er war damals ständig besoffen, schlimm verkatert und genervt von seiner Willenlosigkeit.
Auch Eva beklagte sich manchmal über die Arbeit. „Die Kneipe macht alt“, sagte sie dann und klang dabei haargenau wie Ralph. Auch Ralph wollte schon seit Jahren hinschmeißen, weil ihm alles zu stressig war. Aber er brachte es nicht übers Herz. Kurz nach seinem BWL-Studium musste in seinem Gehirn einige Sicherungen durchgebrannt sein. Er übernahm seine Stammkneipe mit Ersparnissen, als der Besitzer dicht machen wollte. Das war sein letzter Akt der Rebellion gewesen. Mittlerweile war das 15 Jahre her und Ralph jetzt Mitte 40. Er arbeitete in einer kleinen PR-Agentur und hatte zwei Kinder. Für seine Frau war die Kneipe ein Hobby. Für Ralph war es ein Klotz am Bein, von dem er nicht loskam. Vermutlich auch aus nostalgischen Gründen.
Früher musste er ein ganz Wilder gewesen sein, der jede Nacht zum Tag gemacht hatte. Hinten im Lager hingen noch viele Party-Fotos von damals. Jetzt hatte der blasse überarbeitete Familien-Vater mit dem jungen Mann voller Lebensfreude eigentlich nichts mehr gemeinsam. Für Markus war es ein Rätsel, wie ein Mensch sich nur so sehr verändern konnte.
Manchmal ließ sich Ralph wochenlang nicht blicken, tauchte dann plötzlich Samstagnacht im größten Betrieb auf und arbeitet hektisch an der Theke mit. Dabei fluchte er, bewegte sich schwitzend zwischen seinen Angestellten hin und her und gab überflüssige Tipps. Markus und seine Kollegen hatten die Vermutung, dass er in diesem Zustand auf irgendwelchen Drogen war. Vielleicht Koks oder Amphetamine. Danach sah und hörte man ewig nichts mehr von ihm, bis er irgendwann wieder auftauchte, um in aller Ruhe ein Feierabend-Bier zu trinken. Dann redete er nur das Nötigste und nickte bei jeder fertigen Bestellung seinen Angestellten wohlwollend zu. Ralph war ein komischer Typ. Markus mochte ihn nicht. „Die Kneipe treibt mich noch in den Ruin“, murmelte er oft vor sich hin. Obwohl das nicht stimmte. Zumindest aus finanzieller Sicht. Das „Rabatz“ lief gut. Eigentlich war es schon eine Institution im Münchner Nachtleben, irgendwo zwischen Gärtnerplatz und Untergiesing.
Markus war froh, dass heute Abend Ralph nicht an der Theke saß. Er war ziemlich erledigt und hatte keine Lust darauf, sich sein Gejammere anhören zu müssen. Es war aber jemand anderes Bekanntes da. Sebastian. Er wirkte blass und müde. Wahrscheinlich wieder total überarbeitet.
„Hey, Alter!“, begrüßte ihn Markus. „Du hast ja gar nichts gesagt, dass du kommst!“ „Sorry.“ „Du schaust fertig aus.“ Mittlerweile arbeitet Sebastian, der eigentlich immer als Musiker durchstarten wollte, in einer großen Firma in der IT-Abteilung. „Ich brauch nen Schnaps.“ „Harte Woche gehabt?“ Sebastian nickte, während Markus Jägermeister einschenkte. Eva übernahm währenddessen zwei Mädels an der Bar. Sebastian starrte in das Glas. „Was ist denn? Komm, lass anstoßen!“ „Melanie ist schwanger.“ „Was?“ „Ja. Melanie ist schwanger.“ „Fuck! Wie konnte das denn passieren? Also ich meine, ist das gut? Oder eher schlecht?“ Sebastian schnaubte. „Du weißt, wie so was passiert.“ „Ja schon klar, aber ...“ „Wir hatten es halt drauf angelegt. Aber nicht damit gerechnet, dass es so schnell klappt. Ehrlich gesagt, war es irgendwie ein Unfall“, dann kippte er Jägermeister. „Ziemlich dumm.“ „Noch einen. Bitte.“ Markus nickte, trank aus und schenkte schnell nach. Schon er fühlte sich überfordert. Wie sollte es dann erst Sebastian gehen? Beide exten den Schnaps.
„Warum macht ihr denn so was? Und jetzt?“ „Jetzt werden wir Eltern. Fuck“, Sebastian vergrub die Finger in sein pechschwarzes Haar. „Und wie geht’s Melanie?“ Markus hatte keine Ahnung, was man in einer solchen Situation sagen sollte. Sie waren doch selbst noch fast Kinder. Zumindest er fühlte sich so. „Schwer zu sagen. Sie hat sich gefreut. Aber ich glaube, innerlich ist sie auch ziemlich geschockt. Lässt es sich aber nicht anmerken. Wir spielen uns gerade gegenseitig etwas vor. Und wissen das auch. Ziemlich anstrengend. Und doof. Ich wäre am liebsten die ganze Zeit nur betrunken.“ „Oh.“ „Wir wollten je Eltern werden. Wirklich. Aber ich dachte, dass dauert schon noch ein Jahr oder so. Hört man ja immer wieder, dass so was Zeit braucht. Keine Ahnung, was wir uns eigentlich bei der Aktion gedacht haben.“ „Vermutlich nichts.“ Markus schenkte nach. „Bah, ich muss aufhören“, Sebastian verdrehte die Augen. „Ich will nicht, dass Melanie merkt, dass ich dicht bin. Sonst wird sie sauer, weil sie nichts mehr trinken kann.“ „Oh man. Und wie geht es jetzt weiter? Zieht ihr jetzt aufs Land, weil ihr mehr Platz haben wollt? Gehst du wieder nach Franken zurück?“ „Um Gottes Willen, nein! Keine Ahnung, darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht. Ich glaube, wir bleiben jetzt erstmal in München. Wir haben ja hier unsere Jobs. Ach scheiß drauf, kannst du mir noch ein Bier aufmachen?“ „Klar.“ „Wann sind wir nur so scheiße erwachsen geworden?“ „Wir? Ich bin hier nicht derjenige, der seine Freundin geschwängert hat!“ „Fick dich einfach! Außerdem ist sie nicht mehr meine Freundin, sondern meine Frau.“ „Das macht die ganze Erwachsen-sein-Geschichte nur noch schlimmer. Werd ich dann eigentlich der coole Patenonkel, der das erste Bier spendiert?“ „Von mir aus!“ Sie stießen an.
Was für eine Scheiße. Sein bester Freund wurde Vater. Für Markus bedeutet das, dass er ihn noch viel weniger als jetzt sehen würde. So ein Mist. Er war froh, dass er gerade keine Freundin hatte. Frauen verkomplizierten alles so furchtbar.
Als Markus nach der Arbeit nach Hause torkelte, war er schlecht gelaunt. Warum mussten Sebastian und Melanie ein Kind kriegen? Warum wurde alle um ihn herum erwachsen? Es war fast das gleiche dumme Gefühl, dass er schon an Sebastians Hochzeit gehabt hatte. Nur noch viel Schlimmer. Damals war er Trauzeuge gewesen, verkatert beim Standesamt aufgekreuzt und hatte auch dann noch getanzt, als längst alle anderen im Bett lagen. Zum Glück waren Melanie und Sebastian an dem Tag so aufgeregt, dass sie nicht sauer auf ihn war. Er hatte sich ziemlich daneben benommen.
Markus selbst wollte das alles nichts. Weder heiraten, noch Kinder kriegen. Er war da einfach nicht der Typ dafür. Und er wollte, dass es bei allen seinen Freunden auch so war. Ihm fiel es schwer, zu akzeptieren, dass seine Freunde so etwas tatsächlich erstrebenswert fanden.
Und noch viel schlimmer waren seine Gewissensbisse. Dieses verdammte Gefühl, dass er im Leben doch eigentlich schon viel weiter sein sollte. Dass er hinter her hinkte. Dass die Zeit raste. Dass die anderen ihn längst überrundet hatte und er allein zurückblieb. Er hasste dieses scheiß Gefühl. Wütend warf er seine Kippe in eine Wasserpfütze. Leise, ganz leise, hörte er ein Zischen. Warum konnte es nicht wieder so sein wie früher?